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Breitseite #16: Sieben Spiele, sieben Kritiken

Autorenbild: Jörg LuiblJörg Luibl

Herzlich willkommen zur Breitseite. Das ist ein Format, mit dem ich all das anvisieren möchte, was es vermutlich nicht in eine ausführliche Rezension schafft. Das liegt manchmal an der Qualität, aber meist an der fehlenden Zeit. Hier gibt es also nur Kurzkritiken zu Spielen, die zwar in mein Beuteschema passen, aber die ich vielleicht nicht länger als drei Stunden gezockt habe.


Ich weiß nicht, ob ich mit diesen frühen Einschätzungen den Kern treffe, aber bisher haben mich nur wenige Spiele nachträglich faszinieren können, die nicht in dieser Phase des Einstiegs überzeugen konnten. Um die Spannung ein wenig zu erhöhen und eine Gewichtung anzubieten, werde ich mich jeweils vom schwächsten bis zum stärksten Eindruck hochschießen.


Diesmal dabei, hier noch in alphabetischer Reihenfolge: Dungeons of Dreadrock 2, Kunitsu Gami: Path of the Goddess, Lorelei and the Laser Eyes, Metal Slug Tactics, Neva, Nine Sols, Wizardry: Proving Grounds of the Mad Overlord.


Okay, denn man tau und Feuer frei - hier kommt die Breitseite:





Wizardry: Proving Grounds of the Mad Overlord...


...ist im Mai 2024 für PC sowie alle Konsolen erschienen und kostet zwischen 25 und 40 Euro. Es handelt sich um das Remake des großen Rollenspiel-Klassikers von Sir-Tech, der 1981 auf Apple II erschien. Ich habe ausführlich darüber in DoubleXP#1 mit Jochen Gebauer sowie mit Winnie Forster gesprochen. Neben Ultima ist das der Urvater der kommerziellen Computer-Rollenspiele, der eine ganze Generation an Spielern und Entwicklern beeinflusst hat, von Amerika über Europa bis nach Japan - seine Spuren reichen bis zur Soulsreihe.


Damals konnte man ja zum ersten Mal digital eine Gruppe aus Kämpfer, Priester, Magier und Dieb erstellen und im Stile von Dungeons & Dragons mit Völkern, Fähigkeiten und Statistiken bis hin zu Spezialklassen spielen. Und wenn ein guter Charakter ein freundliches Monster tötete, wurde er böse. Manche waren so beeindruckt, dass sie es eine Weltsimulation nannten, damit Kinder therapieren oder Manager trainieren wollten.


Allerdings kann man nicht jede Faszination aus alter Zeit in die Gegenwart beamen - schon gar nicht in einem Genre, das sich derart vielfältig entwickelt hat. Sprich: Für jemanden, der damit hauptsächlich moderne Rollenspiele wie The Witcher 3, Baldur's Gate 3 oder gar Elden Ring verbindet, dürfte es nach Press Start einen Kulturschock geben, denn man landet in der rundenbasierten Steinzeit der Dungeon-Crawler. Und dort ging es ebenso gnadenlos wie verschlungen zu, man muss geduldig und aufmerskam sein.


Man bewegt seine Sechsergruppe durch spukhafte Korridore mit vielen Geheimnissen, tückischen Illusionen und gemeinen Drehungen. Obwohl es sich nur um 19 x 19 Felder kleine Labyrinthe handelt, kann man sich schon auf der ersten von zehn Etagen verirren und so richtig vermöbelt werden. Man braucht eine effiziente Planung seiner Gruppe und muss die etwa 50 Zauber von Magiern und Priestern clever einsetzen, bevor man die vierte Etage erreicht, in der die Story erst so richtig losgeht.


Denn bis dahin wird man eigentlich nur vom verrückten Overlord Trebor mit Fallen und Monstern zum Üben auf die Probe gestellt, daher der Name Proving Grounds. Der versucht seit Jahren verzweifelt ein mächtiges Amulett zu bergen, das sich viel weiter unten in den Händen eines Magiers befindet und das von der Heldengruppe erobert werden soll. Dafür muss man allerdings all die Aufzüge und Treppen finden, was immer kniffliger wird, zumal es keine automatische Karte gibt und man mit Dunkelheitszaubern sowie Teleports verwirrt wird.


Für dieses Remake hat man nichts an der Schwierigkeit verwässert und das originale Regelwerk übernommen, man kann also nur an der Oberfläche der Stadt speichern. Aber die Steuerung sowie Menüs wurden für das Gamepad optimiert. Ich habe es auf der PS5 gespielt und hatte keine Probleme. Man kann sogar das griftgrüne Raster samt originaler Benutzeroberfläche einblenden, was mir gut gefallen hat.


Ich hätte mir von Digital Eclipse aber ein anderes, und zwar wesentlich düsteres Artdesign als diese recht generisch wirkende sowie teilweise zu bunte Kulisse gewünscht. Sie wird der damaligen Wirkung dieses Spiels, das man ja als ernst, monumental und bedrohlich wahrnahm, nicht gerecht. Also: Wer bei der Erwähnung von The Bard's Tale oder Dungeon Master aufhorcht, heute noch gerne Etrian Odyssey oder Legend of Grimrock spielt und ein historisches Interesse hat, könnte in diesem uralten Verlies durchaus solide unterhalten werden.




Metal Slug Tactics...


...ist am 5. November für PC und alle Konsolen für 25 Euro erschienen. Ich hatte mich recht lange darauf gefreut, denn zum einen gehört das erstmals 1996 in der Spielhalle sowie auf Neo Geo veröffentlichte Metal Slug zu den ganz großen seitwärts scrollenden Shoot'em Ups, das in seiner animierten Pixelästhetik bis heute Maßstäbe setzen konnte. Und zum anderen wagt sich das französische Leikir Studio (Rogue Lords, Synergy) an eine Rundentaktik, die mich aufgrund weniger Helden in kleinen Arealen an eines meiner Lieblingsspiele erinnert: Into the Breach von 2018; mehr dazu hier.


Und was unvereinbar klingt, nämlich ein arcadig explosives Run&Gun in eine Art militärisches Schach mit Roguelite-Mechanik zu verwandeln, geht tatsächlich auf. Ich habe mich dabei ertappt, wie ich manchmal eine halbe Stunde grübelnd auf der Couch die Züge meiner drei Helden berechnete, denn jede Positionierung und jede Waffen- bzw. Fähigkeitenwahl ist relevant. Das kann man von der Story zwar nicht sagen, denn die Falcons kämpfen wie im Original gegen General Morden und seine Schergen, begleitet von albernen Dialogen und Comic-Ramboflair samt Stirnband, das höchstens Kenner der Serie nostalgisch amüsieren dürfte.


Auf jeden Fall hatte ich das Wohnzimmer schnell für mich alleine, wenn Marco, Fio und Eri, von einem euphorischen Ansager gerufen, in einem der isometrischen Areale mit Schachbrettmuster landeten. Zwar geht es um militärische Gefechte, aber Pistole, Gewehr & Co sind nicht so relevant wie Bewegung, Positionierung und Kombos. Denn je weiter ein Held rennt, desto mehr Adrenalin sammelt er, das wiederum für den Einsatz der wichtigen Spezialmanöver von der Doppelgranate über den Adlersprung bis zum Luftschlag benötigt wird - und damit knüpft man auf kreative Art an das Prinzip des Run&Guns an.


Im Idealfall bewegt man seine Figuren sowohl möglichst weit als auch hinter eine der zerstörbaren Deckungen, damit sie weniger Schaden nehmen. Die Gesundheit der eigenen Leute ist wichtig, denn stirbt das Trio, heißt es Game Over für die komplette Kampagne. Allerdings gibt es des Öfteren wie in der Spielhalle eine direkte Wiederbelebung, außerdem schaltet man stückweise kleine Verbesserungen frei. Zunächst können all die Werte und Statistiken im bunten Menüwald etwas unübersichtlich wirken, aber es gibt zu jedem Eintrag einen vorbildlichen Hilfetext.


Aber zurück zur Taktik im Gelände: So richtig perfekt wird ein Zug erst, wenn die eigene Figur vertikal oder horizontal in der Sichtlinie zu einem Feind steht, der gleichzeitig von einem Kameraden anvisiert wird. Dann kommt es zur coolen Synchronisierung der Feuerkraft, denn zwei oder sogar drei Helden greifen vielleicht hintereinander an. Manche Spezialfähigkeiten spendieren auch einen Bonuszug, sollte man einen Feind mit seinem Schuss vernichten. Und mein Lieblingsmanöver ist das Wegbewegen der Feinde samt Propeller, und zwar am besten in genau diese gefährlichen Zonen.


Schade ist nur, dass man sie nicht in Abgründe schubsen bzw. fallen lassen kann. Auch die Höhe ist zwar relevant, aber seltsam ist, dass man nicht hoch oder runter schießen, sondern nur auf gleicher Ebene anvisieren kann - es sei denn, man wirft eine Granate. Außerdem fallen die Bosse hier doch recht leicht, indem man auf ähnliche Art die Feuerkraft seines Trios bündelt. Man kann das Finale also schon recht früh nach einem Durchlauf erreichen. Danach besteht die Motivation im Experimentieren mit den bis zu neun freischaltbaren Helden. Metal Slug Tactics erreicht zwar nicht die kompakte Struktur, Vielfalt und Sogwirkung eines Into the Breach, aber es hat mich gut unterhalten.





Dungeons of Dreadrock: The Dead King's Secret...


...ist am 28. November für knapp 15 Euro auf Switch und am 4. Dezember für Steam erschienen; außerdem ist es für Android und iOS erhältlich. Ich habe den ersten Teil damals richtig gemocht und sehr gut bewertet, weil er auf überaus charmante Pixelart an das Flair klassischer Dungeon-Crawler anknüpfte. Das fühlte sich so an, als hätte man Legend of Grimrock komprimiert, zweidimensionalisiert und sich dabei auf Rätsel fokussiert.


Und genauso wie 2022 bewegt man eine Heldin in Echtzeit auf kleinen Rastern durch Katakomben, während sie von Monstern gejagt wird, Fallen ausweicht, Druckplatten aktiviert, Teleporter nutzt und Schalter bedient. Allerdings ist es diesmal eine Priesterin des Feuers, die man damals nur befreite und dann aus den Augen verlor - doch sie wagt sich jetzt ebenfalls 100 Etagen tief. Das ist aus erzählerischer Sicht ein schöner Perspektivwechsel mit kleinen Déjà-vus.


Als sie in den ersten Minuten mit ihrem mächtigen Zauberstab ratzfatz Monster aus der Distanz pulverisierte, dachte ich noch: Hey, wird das jetzt etwa ein Spaziergang? Doch schon wenige Level tiefer ging es richtig zur Sache, zumal einem bald das Mana für den Stab ausgeht, während die Schwierigkeit auf dem Weg in die Tiefen des Berges mit seinen fünf Bossen immer weiter ansteigt.


Wer sein Gehirn gerne in anspruchsvollen Puzzle-Spielen wie The Talos Principle verzwirbelt, wird hier jedenfalls auf seine Kosten kommen. Denn man grübelt bald angesichts schier unmöglich scheinender Aufgaben, die man dann doch lösen kann - zumal es durchaus subtile Hinweise und meist logische Wege zum Ziel gibt. Trotzdem muss man geduldig sein, wird in bestimmten Etagen mehrfach scheitern und sich an Trial&Error versuchen müssen.


Aber das lohnt sich, denn Dungeons of Dreadrock 2 wird pixelfein inszeniert und märchenhaft erzählt, ohne ins Kitschige abzudriften oder zu sehr auszuschweifen. Also, das ist ein richtig gutes Rätselspiel, aus dem übrigens eine Trilogie werden soll. Und Spieldesigner Christoph Minnameier ist übrigens bald wieder im Podcast zu Gast.





Lorelei and the Laser Eyes...


...ist schon im im Mai für PC und Switch erschienen und jetzt für knapp 25 Euro für PS4/5 erhältlich. Es wurde von Simogo aus Schweden entwickelt, die einige vielleicht für ihre kreativen Independent-Spiele wie das folkloristische Adventure Year Walk (2013) oder das coole Rätsel-Adventure Device 6 (2013) kennen, in dem man eine Frau namens Anna textbasiert über eine Insel lotsen musste.


Und an Letzteres musste ich den Korridoren des mysteriösen Hotels denken, das man aus Schultersicht mit einer Lady untersucht, die dort recht steif durch die Gänge stakst. Man kann die Anlage zwar in schwarweißer 3D-Kulisse erkunden, aber fast alle Räume und so mancher Gegenstand wie etwa Tragetaschen mit Karten sind mit einem Vorhängeschloss versehen, auf dem man mehrere Zahlen eingeben muss.


Wie schon in Device 6 gilt es genau zu lesen, was man so an Notizen oder Hinweisen findet, um die über 150 Rätsel zu lösen. Zunächst ist das recht einfach, weil einiges rot unterstrichen wird oder auf Gemälden der näheren Umgebung schnell zu kombinieren ist. Aber bald wird man von römischen Ziffern über das griechische Alphabet, von geometrischen Symbolen und Spiegelungen, von Himmelsrichtungen und kombinierten Hinweisen umschwirrt - und das Gehirn rattert im Kreis.


Falls man irgendwo an einer Tür nicht weiter kommt, kann man es woanders versuchen. Dieses nicht lineare Spielerlebnis wird von einigen witzigen Texten sowie skurrilen Gadgets aufgelockert, wie etwa einem GameBoy-ähnlichen Handheld, in das man Module stecken kann. Umrahmt wird das Knobeln von einer Mystery-Story, die das Absurde und Unheimliche mit einigen Überraschungen sowie schwarzem Humor vereint.


Recht früh findet man Blutspuren, Leute streiten sich hinter verschlossenen Türen und als der rätselhafte Auftraggeber dieser Untersuchung endlich zu sprechen ist, verschwindet er kurz darauf in einem Zimmer. Und warum scheint sich die Lady ständig zu erinnern? War sie schonmal hier? Irgendetwas stimmt jedenfalls nicht in diesem Hotel, also gilt es Hinweisen nachzugehen und alle Türen zu öffnen, wobei komfortabler Weise alles an Texten und offenen Rätseln zum Nachschlagen gespeichert wird. Ich hatte während der ersten Stunden jedenfalls meinen Spaß und wurde gut unterhalten.




Kunitsu Gami: Path of the Goddess...


...ist am 19. Juli 2024 für PC, PS4/5 sowie XBS für knapp 50 Euro erschienen. Ich habe schon im Podcast ein wenig mit Ben über dieses bemerkenswerte Spiel gesprochen, das Horror und Strategie, Aufbau und Kampf vereint. Was ist so besonders? Zum einen, dass Capcom überhaupt dieses Experiment gewagt und Shuichi Kawata komplett freie Hand bei der Regie gelassen hat. Er ist ja gelernter Grafiker, begann seine Karriere 1999 bei Square Enix als 3D-Animator, wechselte 2004 zu Capcom, war dort als Motion Designer an Tenchu auf der PS2 beteiligt, wurde dann Art Director und war 2019 beim Remake von Resident Evil 2 für die 3D-Scans verantwortlich - also ein Grafikveteran.


Aber für Kunitsu Gami war er sowohl als Art- als auch Game Director federführend. Und dass hier ein Künstler das Sagen hatte, merkt man sofort. Man fühlt sich fast wie in einem glamourös dämonischen Theaterstück, umgeben von mystischer Eleganz und prächtigen Animationen, mit aus den Schatten kriechenden Monstern, bösen Fratzen hinter Vorhängen, aber gleichzeitig einem Feuerwerk an bunten Farben - das Schöne und das Fürchterliche fließen hier ineinander, angetrieben von Capcoms RE Engine. Kawata hat sich dabei von historischen Farbholz-Malereien wie dem berühmten "Takiyasha the Witch and the Skeleton Spectre" von Utagawa Kuniyoshi (1798–1861) inspirieren lassen.


Noch etwas ist bemerkenswert: Weniger dieser Stil als vielmehr das Szenario erinnert aufgrund der japanischen Mythologie an das großartige Okami, das 2006 auf der PS2 erschien. Das war künstlerisch und spielerisch ebenfalls sehr markant. Das Clover Studio wurde leider schon ein Jahr später von Capcom geschlossen, aber in Kunitsu Gami kann man Waffen, Kostüme und Musik aus dem Klassiker freispielen und der Held kann beim Laufen schöne Blumen hinterlassen wie damals der weiße Wolf. Diese Hommage wird umso erfreulicher, weil nicht nur die Folklore, sondern auch das Spieldesign auf ähnlich kreativen Pfaden wandelt wie das pinselfreudige Okami.


Kunitsu Gami wird zwar als geistiger Nachfolger bezeichnet, allerdings erkundet man nicht frei ein offenes Land, sondern einen verfluchten Berg. Und das Spieldesign unterscheidet sich deutlich: Als Schwertkämpfer muss man die göttliche Jungfrau Yoshiro auf ihrem gefährlichen Weg durch verunreinigte Dörfer verteidigen. Allerdings schafft man das nicht alleine, also gilt es tagsüber die Dörfer wieder mit Rohstoffen aufzubauen und die Bewohner zu retten, um sie als Kämpfer, Bogenschützen, Magier in diversen Klassen etc. auszubilden - dabei läuft die Zeit ab und man kann nicht alles auf einmal schaffen.


In der Nacht strömen dann Dämonen aus den Torii-Toren, die den direkten Weg zur Prinzessin suchen. Bis zum Sonnenuntergang muss man seine kleine Truppe geschickt platzieren, die Wege der Feinde über Hindernisse leiten, ihre Flieger idealerweise mit Pfeilen treffen und selbst aktiv zum Katana greifen, um sie in effizienten Kombos anzugreifen. Wenn man die Nacht überlebt, schreitet Yoshiro etwas weiter zum Tor, kann es vielleicht reinigen und der Weg wird frei, bis es zu einem der Kämpfe gegen sehenswerte Bosse kommt, die das Groteske und Dämonische auf eindrucksvolle Art verkörpern.


Allerdings werden sich hier die Geister scheiden, ob der Spaß anhält oder gedämpft wird. Denn zum einen kann der Schwierigkeitsgrad plötzlich stark ansteigen, so dass man mehrfach wiederholen muss; außerdem vermisse ich manchmal die taktische Balance, wenn es trotz der Truppengattungen doch eher um das Draufhauen geht. Aber unterm Strich werden Kampf, Basisbau und Tower Defense zu einer angenehm kreativen Echtzeit-Taktik verwoben. Was nach zu viel klingt, sorgt aufgrund des kompakten Leveldesigns sowie der stets steigenden Spannungskurve samt spürbarer Entwicklung für richtig gute Unterhaltung.





Neva...


...ist am 15. Oktober für PC und alle Konsolen für knapp 20 Euro erschienen. Tiefschwarze Wolken jagen auf ein seltsames Trio zu. Eine riesige weiße Wölfin mit Geweih fletscht die Zähne. Vor ihr zieht eine junge Frau beschützend ihr Schwert und ein Wolfsjunge weiß anscheinend nicht wohin. Dann werden die drei von einer Monsterwelle überrollt, sie kämpfen tapfer, aber zwischen all den Fratzen und Klauen fällt schließlich die große Wölfin...


...das Mädchen und das Wolfsjunge überleben. Sie sind in Trauer vereint und machen sich auf den Weg in ein wundervoll handgezeichnetes Abenteuer, das schon im Vorfeld als "ghibliesk" bezeichnet wurde. Auch ich musste umgehend an Prinzessin Mononoke (1997) denken, an den Waldgott und die Wolfsgöttin Moro, zumal das spanische Team nicht nur ästhetisch, sondern auch erzählerisch daran anknüpft. Im berühmten Anime von Studio Ghibli sagt die Wolfsgöttin zu Prinz Ashitaka:


„Ich liege hier und lausche dem Sterben des Waldes; und wie er sterbe auch ich bald. Aber bis dahin träume ich von dem Augenblick, in dem ich diese unheilbringende Frau (Eboshi) zwischen meinen Zähnen zerquetsche. (...) Vergiss nicht, du sprichst mit einer Göttin! Ihre (San, Prinzessin Mononoke) Menscheneltern, die meinen Wald besudelten, sind vor mir geflohen und haben mir ihr Kind vor die Füße geworfen. Ich habe sie aufgezogen, und nun ist meine arme, hässliche, schöne Tochter weder Wolf noch Mensch. Was kannst du schon für sie tun?“


Die Story von Neva greift einige Motive dieser mythisch umrahmten Geschichte auf, denn es geht darum, in der Rolle einer jungen Frau eine langsam zerfallende Welt zu retten. Sie heißt Alba und ist mit einem Wolfsjungen unterwegs, das zunächst recht hilflos wirkt, aber überaus neugierig ist und sich im Laufe des Spiels zu voller Größe entwickelt. Zunächst traut sich die Kleine nicht so recht über Abgründe zu springen, man muss ihr gut zureden und sie rufen, so dass früh eine emotionale Bindung entsteht.


Zusammen mit dem Anschmiegen und der sichtbaren Dankbarkeit oder dem putzigen Spiel mit den Schmetterlingen wirkt das trotz des dramatischen Einstiegs vielleicht wie eine Reise zum Wohlfühlen. Aber das sind nur kurze Ruhephasen, denn Neva lässt auch im weiteren Verlauf bösartige Kreaturen in Schwarz aufmarschieren, die an Ohngesicht erinnern, und entwickelt als Action-Adventure überraschend schnell Anspruch beim Klettern und Kämpfen, so dass man recht früh sterben kann.


Man muss also mit gutem Timing abspringen, tödlichen Hindernissen teilweise im Fallen ausweichen und auch in den Gefechten aufmerksam sein - gerade gegen Bildschirm füllende Bosse clever zwischen Defensive und Offensive wechseln. Außerdem werden Mensch und Wolf manchmal getrennt, geraten in gefährliche Situationen, die Schnelligkeit verlangen. All das unterscheidet Neva vom eher entspannt tänzerischen Gris, mit dem das Studio 2008 schlagartig bekannt wurde. Aber es zeigt auch eine Entwicklung hin zu mehr Abenteuer, was mir über die knapp vier Stunden sehr gut gefallen hat.





Nine Sols...


...ist schon im Mai für den PC und jetzt für knapp 30 Euro auf allen Konsolen erschienen. Der Kampf-Plattformer kommt von Red Candle Games aus Taiwan, die sich 2017 mit dem seitwärts scrollenden Detention und 2019 mit Devotion in Egosicht dem psychologischen Horror widmeten. Dabei ging es neben Gesellschaftskritik, darunter ein Seitenhieb auf Xi Jinping, der zum Verbot des Spiels in China führte, auch um taiwanesische Kultur und Folklore.


Zwar verlässt man in Nine Sols die historisch inspirierten Pfade und wechselt in einen fiktiven Cyberpunk-Kosmos. Aber auch dort geht es um fernöstliche Mythologie sowie Taoismus und man offenbart schonungslos die Brutalität hinter einem religiösen Vorhang der Verdummung, wenn Menschen wie Vieh von einem autoritären System Außerirdischer geköpft und geerntet werden.


Mit diesem Ansatz folgt man der Spur von Oddworld aus dem Jahr 1997, nur dass der katzenartige Held hier nicht zu den unwissenden Einheimischen gehört und fliehen, sondern sofort alle neun Götter angreifen will, um das System zu stürzen. Denn er kennt sich als dort inkognito lebender Solarianer ein wenig damit aus und wirkt wie ein in der Ehre verletzter Samurai, der plötzlich aufwacht und seinen gnadenlosen neun Fürsten den Kampf ansagt.


Und damit sind wir schon beim großen Vorbild namens Sekiro. Denn genauso wie in FromSoftwares Abenteuer von 2019 geht hier nichts ohne Timing und Konter, so dass man schon von einfachen Speerkämpfern aufgespießt werden kann. Das unterscheidet Nine Sols stark von Hollow Knight, mit dem es in anderer Hinsicht wie Leveldesign, Nebencharaktere & Co vieles gemeinsam hat. Aber während man dort in den ersten Stunden mit recht simplen Manövern vorwärts kommt, muss man hier viel früher hoch konzentriert in die Gefechte gehen.


Zwar kann man auch mal durch das mehrfache Draufhauen gewinnen, vor allem von hinten, aber im Angesicht eines Feindes sollte man Kombinationen meistern: Sobald er zum Schlag ausholt, muss man rechtzeitig L1 für die Parade drücken, um danach R2 gedrückt zu halten und so durch den Gegner zu zischen, während man gleichzeitig eine Bombe in ihm platziert, die erst beim Loslassen detoniert. Wenn es klappt und rummst, ist das ein cooles Gefühl.


Allerdings sind spätere Feinde beim ersten Treffer noch nicht besiegt. Wenn ihre Augen rot glühen, ist dieser Konter ohnehin wirkungslos und man muss ausweichen. Und wenn ihre Waffen grün wabern, muss man einen anderen Konter einleiten, und zwar mit einem Sprung sowie anderer Tastenkombo. Also: Die Entwickler aus Taiwan nutzen Sekiro nicht nur für ihre PR, sondern recht konsequent für den Kampf und den Schwierigkeitsgrad. Das heißt: Ohne Geduld und Frustresistenz geht hier gar nichts.


Aber wer ein Gefühl für die Konter entwickelt, den Helden in seinen Fähigkeiten verbessert, Abkürzungen freischaltet und mit seinem geisterhaften Begleiter diverse Computer hackt, wird sich in dieser labyrinthischen Cyberpunkwelt bald pudelwohl fühlen. Zwar erreicht man in den ersten Stunden nicht diese Aha-Effekte eines Animal Well, aber die Story wird (trotz kleinerer Rechtschreibfehler im deutschen Text) so überraschend gut erzählt, dass man an die Vorlage eines Science-Fiction-Romans denkt, und es gibt so einige tolle Geheimnisse. Ich fühle mich jedenfalls sehr gut unterhalten und werde mal sehen, wie weit ich komme.




PS: Damit die Diskussion an einer Stelle gebündelt wird, kann man nicht hier, sondern nur im Forum unter Kommentare zu Berichten kommentieren.

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