Das Artdesign dieses Brettspiels hat mich auf Anhieb neugierig gemacht. Es zeigt die berühmte japanische Burg Himeji, die im 14. Jahrhundert erbaut wurde und aufgrund ihrer hell strahlenden Mauern den schönen Beinamen Weißer Reiher trägt. Sie gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und war Schauplatz einiger Filme wie Ran oder Last Samurai. Jetzt lockt sie für Kosmos einen bis vier Spieler an den Tisch, die Lust auf ebenso anspruchsvolle wie knackige Sitzungen haben.
In der Burg der Reiher
In der kleinen Box findet man zunächst mehr vom alten Japan. Denn Illustrator Joan Guardiet hat den markanten Holzschnitt-Stil des Covers auf den sehr ansehnlichen Spielplan übertragen: Dort erkennt man Reiher, die auf blühende Kirschbäume zufliegen, Höflinge in traditioneller Kleidung, Gemächer mit Wandmalereien oder trainierende Samurai. Der Hingucker sind sicherlich die drei sanft geschwungenen Brücken aus Pappe, die man vor dem Spiel zusammensetzt und auf die man je nach Spielerzahl bis zu fünf Würfel einer Farbe platziert.
Auf den ersten Blick wirken ihr dominantes Rot und Schwarz sowie das Gelb und Blau der Figuren wie ästhetische Fremdkörper, gerade im Vergleich zu den sanfteren Pastelltönen des Spielplans. Aber dieser Kontrast erweist sich bald als hilfreich für das Auge, denn Die Weiße Burg quillt über vor kleinen visuellen Hinweisen, die sich auf Spielaktionen beziehen. Schon nach einer Partie gefiel mir daher die klare Ikonographie der Zeichen und Symbole. Man findet sie auch auf dem farbigen Tableau seiner Familie, die über drei Runden mit den anderen um die Gunst des Fürsten wetteifert.
Neun knackige Runden
Gleich vorweg für alle Freunde der Geschichte: Zwar spielt das Ganze laut Einleitung im Japan des Jahres 1761, am Sitz des so genannten Daimyo. Aber der historische Kontext ist lediglich ein Aufmacher, denn bis auf die Motive im traditionellen Holzschnitt wird dieses Szenario inhaltlich nicht weiter aufgegriffen. Und auch die hübsch dargestellten Jahreszeiten mit ihren Bäumen geraten bald in den Hintergrund, denn man durchläuft sie gar nicht. Die Weiße Burg spielt sich nicht so chronologisch und üppig gemütlich wie Bitoku (zur Rezension), sondern fast schon unheimlich schnell.
Das ist also nichts für Freunde des gemächlichen Aufbaus, denn nach neun Zügen wird abgerechnet. Das fühlt sich dann tatsächlich so an, als hätte man ein Spiel auf Speed hinter sich und wir mussten mehrmals in der Anleitung nachschauen, ob wir nicht eine Runde vergessen haben. Jedenfalls kann ich die auf der Box angegebene Spielzeit von 50 - 70 Minuten nicht bestätigen: Wenn man mal die erste Probepartie weglässt, in der man noch die Regeln verinnerlicht, waren wir zu zweit in unter 20 Minuten und zu viert in einer halben Stunde durch.
Effiziente Züge gesucht
Der Vorteil ist natürlich, dass man Die Weiße Burg theoretisch mehrmals zocken kann. Aber die wichtige Frage lautet: Hat man auch Lust dazu? Und das kann ich nur bejahen, denn ich mag dieses auf Effizienz getrimmte Spieldesign sehr. Es zwingt einen dazu, das Bestmögliche aus seinen Aktionen herauszuholen, indem man im Idealfall für Kombinationen sorgt, die zusätzliche Aktionen ermöglichen. Das erinnert entfernt an die Kettenreaktionen aus Die verlorenen Ruinen von Arnak (zur Rezension), nur dass es hier noch wesentlich komprimierter zugeht und der Kopf dabei so richtig qualmt.
Sprich: Man rechnet viel öfter, ob man genug Münzen, Siegel, Reis, Eisen und Perlmutt hat, um seine hölzernen Höflinge, Gärtner und Krieger in die jeweiligen Bereiche der Burg zu schicken. Ihre Anwesenheit in den Grünanlagen, auf den Übungsplätzen und natürlich in den drei Etagen der Weißen Burg sorgt am Ende für Siegpunkte. Und je prestigeträchtiger der Ort ist, an den man sie bringen möchte, desto teurer wird es. Wer einen Höfling in der obersten Kammer des Fürsten platzieren will, muss über zwei Züge zwei Münzen und sieben Perlmutt bezahlen, aber erhält schließlich zehn Siegpunkte.
Flexible Würfelplatzierung
All dieses Ausrechnen von Kosten und Nutzen kennt man natürlich aus vielen anderen Spielen, aber was mir sehr gut gefällt ist der Würfeleinsatz. Ich mag ohnehin Spiele wie Teotihuacan: Die Stadt der Götter, Bitoku oder Die Burgen von Burgund, in denen sie nach dem Wurf auch noch als Figuren mit Wert eingesetzt werden, der sich dann anpassen lässt. Und genau das findet hier auf sehr unterhaltsame Art statt. Man beginnt jeden seiner neun Züge mit der Wahl eines Würfels, den man von einer Seite einer der drei Brücken nimmt, so dass die anderen stückweise nachrücken.
Nur wenn man einen Würfel von links nimmt, wo die niedrigeren Zahlen liegen, bekommt man on top den Laternenbonus seines Hauses, der wiederum über erworbene Karten ansteigt. Jetzt entscheiden sein Wert und seine Farbe, wo man ihn platzieren kann. Allerdings kann man aus einer Drei quasi eine Sechs machen, wenn man die Differenz in Münzen zahlt. Hat man hingegen eine Sechs und nutzt auf dem Spielplan die Aktion einer dargestellten Drei, bekommt man drei Münzen hinzu. Schön ist auch, dass man bis zu zwei Würfel stapeln und damit von anderen Spielern getätigte Aktionen ausführen darf.
Spannung bis zum Finale
Und je nach Farbe des Würfels sind andere Aktionen, manchmal sogar zwei möglich. Aber mit jedem Zug schwinden natürlich die Optionen, wenn andere Spieler ähnliche Ideen haben, zumal es immer teurer wird, den Würfel zu modifizieren. Trotzdem bleibt es bei einer angenehmen Flexibilität und offenen taktischen Grübelei, die sich sowohl auf dem Spielplan als auch dem eigenen Tableau fortsetzt. Dort kann man den exklusiven Ertrag seiner Familie erhöhen, denn die ausgesandten Figuren machen Rohstoffe frei. Und die von ihnen erworbenen Karten aus der Burg sorgen für weitere Aktionen oder eine Erhöhung des Laternenbonus.
Aber die neun Runden sind wie gesagt derart schnell vorbei, dass von Deckbuilding oder langfristiger Kartenstrategie keine Rede sein kann. Sehr schön ist übrigens, dass ein Blick auf die drei Brücken immer zeigt, wie lang es noch dauert - sind nur noch drei Würfel vorhanden, wird nach drei Runden final abgerechnet. Es gibt noch zwei interessante Aspekte: Am Ende der ersten und zweiten Runde können jene Spieler, deren Gärtner noch bei Brücken mit Würfel stehen, eine Zusatzaktion ausführen, was tatsächlich helfen kann. Außerdem werden Höflinge in der Burg und Krieger auf dem Übungsplatz für Siegpunkte multipliziert, so dass man verflixter Weise alle drei Bereiche berücksichtigen sollte.
Es gibt übrigens auch einen Solomodus namens Tokugawa-Clan, bei dem man aus drei Schwierigkeitsgraden wählen kann. Das Ganze wird fast genauso aufgebaut wie eine Partie zu zweit, nur dass hier einige exklusive Karten als Stapel hinzu kommen, die die Wahl des Würfels sowie die Aktion des imaginären Rivalen bestimmen. Dieser bezahlt nie, erhält bis auf Münzen keinerlei Rohstoffe und verwandelt diese direkt in Siegpunkte. Unterm Strich ist das ganz nett, aber wie so oft nicht so unterhaltsam wie gegen menschliche Kontrahenten.
FAZIT
Die Weiße Burg ist ein anspruchsvolles Brettspiel für hoch effiziente Kombinierer, die aus wenigen Zügen das Beste rausholen wollen. Das Artdesign im Holzschnitt-Stil ist überaus einladend, die Ikonographie der Zeichen und Symbole klasse. Aber hinter der ansehnlichen Kulisse der berühmten japanischen Burg verbirgt sich kein historisch geprägtes Abenteuer, sondern eine kombinatorische Tour de Force mit clever verzahnter Kosten-Nutzen-Mechanik. Es hat mich komplett verblüfft, wie unfassbar schnell und gleichzeitig vielfältig dieses taktische Platzieren von Würfeln und Figuren abläuft. Während sich das ebenfalls japanisch inspirierte Bitoku wie eine gemütlich mythische Teezeremonie anfühlt, erinnert das hier eher an ein intensives Schnaps-Tasting mit neun Shots - und genau das ist eine wunderbare Alternative zu den eher umfangreichen Brettspielen, denn nach zwanzig Minuten hat man hier noch Lust auf eine Revanche. Die Spanier Sheila Santos und Israel Cendrero haben seit 2016 schon über ein Dutzend Spiele zusammen konzipiert, von Waffle Hassle bis Shinkansen oder The Red Cathedral. Aber Die Weiße Burg ist in diesem beachtlichen Portfolio das strahlende Highlight.
(Die Weiße Burg ist auf Deutsch bei Kosmos erschienen, kostet knapp 30 Euro und ist für einen bis vier Spieler ab zwölf Jahren ausgelegt. Bilder: eigene Aufnahmen.)
Für mehr Brettspiel Tests!
Was ich hier den schnellen Brettspielern sehr empfehlen möchte ist das neue „Battle of the Gods“ von Mood Publishing, leider bisher nur in englischer Sprache. Botg spielt sich wie 90% Dicethrown und 10% Super Fantasy Brawl. Also ein Dice Battler mit Standard- und Spezialattacken, die nach Kniffel-Schema ausgewürfelt werden. Das ganze findet auf einem Hexfeld Schlachtfeld mit nordischen Gottheiten als Champions statt. Geht zu zweit sehr flott, auch hier hat man Lust auf mehrere Runden.
Wie bereits in einer Vorschau auf diverse Spiele erwähnt, hab ich Himeji-jo dieses Jahr selbst besichtigt und es ist eine wundervolle Burg, deren Innenräume aus feinstem Holz bestehen und umliegenden Gärten zum Staunen und Entspannen einladen. Ich dachte mir bereits, dass das Setting hier lediglich oberflächlich ist, trotzdem zieht es eben magisch an.
Mich freut es total, dass du hierüber eine Rezension veröffentlicht hast und vor allem dass sie meine Skepsis etwas hat schwinden lassen. Die recht fixe Spielzeit entsprach nicht meinen Erwartungen beim Anblick des überladenen Spielfeldes, sehr wohl jedoch meinen insgeheimen Wünschen, da mich Bitoku vom Preis und auch der Länge (in Anbetracht meiner Mitspieler) nicht so richtig angesprochen hatte. Im Gegensatz zu Nippy rechne ich nicht damit…
Sehr cool, dass du diesen Titel testest :-)
Ich vermute das Spiel unterm Weihnachtsbaum für mich, freue mich schon sehr drauf.
Das habe ich (völlig gestresst) auf der SPIEL testen können. Für meinen Geschmack war das alles irgendwie zu abstrakt - mein Brettspielsammelnder Kumpel hat es sich aber gleich gekauft und mitgenommen - ich denke er sieht das ganz ähnlich wie du. Vielleicht war ich auch einfach unterwältigt, weil er 3 Stunden lang vorher von nichts anderem gesprochen hatte ^^