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Rezension: Wartales (PC)

Das Rollenspiel von Shiro Games ist nach einem Jahr im Early Access für knapp 35 Euro auf dem PC erschienen. Man kann es alleine oder kooperativ mit bis zu vier Freunden spielen. Es geht darum, mit einer Gruppe von Söldnern in einer mittelalterlichen Fantasywelt zu überleben. Was nach klassischer Rundentaktik im Stil von Fire Emblem, Battle Brothers oder Redemption Reapers klingt, verblüfft nicht nur mit seiner spielerischen Vielfalt, sondern einer außergewöhnlichen Sogwirkung.



Zwischen Melancholie und Gnadenlosigkeit

Warum mich Wartales regelrecht verschlucken konnte, so dass ich täglich die Zeit vergaß, ist gar nicht so einfach zu erklären. Man kämpft, macht Beute, entwickelt Charaktere und erkundet eine Welt wie in so vielen anderen Spielen. Und natürlich gibt es einige Schwächen, darunter eine große hinsichtlich der statischen Kommunikation der Söldner. Aber trotzdem ließen mich Bombadil, Roegueras, Umian und all die anderen Gefährten irgendwann nicht mehr los. Ein Grund dafür ist dieses besondere Abenteuerflair, das meinen Nerv trifft.

Es hat mich ein wenig an die Amiga-Zeit erinnert, als ich auf ähnliche Art in Spielen wie Rings of Medusa (1989) oder Dungeon Master (1987) versinken konnte. Auch wenn sich diese Klassiker spielmechanisch unterscheiden, würde ich fast sagen, dass ihr atmosphärisches Wesen in diesem Wartales spürbar wird. Damit meine ich diese Stimmung zwischen Melancholie und Gnadenlosigkeit, zwischen Wanderlust und Kampfgewitter, zwischen Gemütlichkeit und Dringlichkeit.

Jenseits von Gut und Böse

Obwohl es immer wieder um Leben und Tod geht, obwohl man manchmal mit jedem Hieb mitfiebert, kann man im Gegensatz zu gnadenloseren Spielen wie Darkest Dungeon entspannt Regie führen. Man wählt seine Route, seine Herausforderungen, seine Feinde und schreibt letztlich seine eigene Geschichte. Man kann so brutal vorgehen wie der Blutige Mummenschanz in Das Lied von Eis und Feuer, man kann versklaven und Gefangene auspeitschen, oder versuchen sich so edel zu verhalten wie Robin Hoods Bande.

Wenn man dann doch zwischen allen Fronten landet, wenn man doch durch eine falsche Entscheidung die Seiten wechselt, erlebt man auf den langen Reisen auch ein wenig vom Alltag und Dilemma der historischen Söldner, wie etwa Peter Hagendorf (1601 - 1679) im 30-jährigen Krieg. In seinem berühmten Tagebuch beschreibt er anschaulich, was er alles in 24 Jahren erlebt hat und wie wenig es letztlich um den richtigen Glauben, sondern um das Überleben oder auf politischer Ebene einfach um Macht ging.


Handeln, stehlen oder angreifen?

Es gibt in Wartales keine moralische Anzeige für Gut und Böse, nur eine für Einfluss. Ansonsten gewinnt man je nach Aktion in vier Pfaden an Erfahrung: Macht und Ruhm, Handel und Handwerk, Verbrechen und Chaos, Geheimnis und Weisheit. Je nach Spielstil und Häufigkeit der Anwendung steigt man unterschiedlich schnell in diesen Bereichen auf und schaltet Wissensboni frei. Irgendwann löst man dann weniger Verdacht beim Schlossknacken aus, reist flotter über die Karte, verkauft Schmiedewaren zu besseren Preisen oder verbraucht bei Rationierung weniger Nahrung. Aber man erlebt mehr als den Kampf ums Überleben und das Managen von Rohstoffen.

Charmante Kleinigkeiten

Denn Wartales überrascht immer wieder mit charmanten Kleinigkeiten. Dazu gehört der Moment, wenn man den ersten Kletterhaken auf einem steilen Berghang setzt, das Seil nach unten rauscht und man endlich hinab gehen kann. Oder das Begräbnis: Man kann Mensch und Tier an einer Stelle seiner Wahl samt Inschrift bestatten. Dann dreht sich die Kamera für einige Sekunden um die Trauernden und man hat fast das Gefühl, als würde das Spiel ein wenig Anteil nehmen an diesem Verlust. Das ist nur ein kleiner, aber ein durchaus schöner Moment. Und davon gibt so einige.

Etwa das erste Entschlüsseln von Runen in einem Kodex per Ausschlussverfahren. Oder das Auftauchen des schwarzen Rosses, nachdem man an der richtigen Stelle einen Trog mit Weizen füllte, so dass man sich fast wie in einem Point&Click-Adventure fühlt. Wenn ich auf diese Art über Spiele spreche und Details hervorhebe, noch bevor ich überhaupt auf die Kernmechanik eingegangen bin, dann haben sie meist etwas mehr geleistet als ich in diesem Genre erwartet hatte.


Hier bietet sich ein Kletterhaken als Abkürzung an.

Wartales ist ein regelrechter Hybrid aus Kampf und Abenteuer, Survival und Crafting, Rollenspiel und Taktik. Es gibt ja sogar Minen und Dungeons, in denen gerätselt wird und langsam das Licht ausgeht, während das Unheil à la Moria aus den Tiefen eines Brunnens empor kriecht. Als meine letzte Fackel erlosch, flohen alle Söldner…danach weiß man übrigens Fett als Zutat neben Holz und Stoff zu schätzen.


Das Wandern ist des Söldners Lust

Jetzt bin ich schon beim Handwerk und Zutaten, aber die Schublade mach ich lieber wieder zu und versuche meine Notizen etwas zu ordnen. Denn da steht ganz oben ein dualer Pluspunkt namens Artdesign und Landschaft. Ich mochte dieses Spiel von Anfang an für seinen Stil. Da ist diese traurig anmutende Melodie, da ist diese gediegene Kulisse, in der Leder und Eisen statt Glanz und Glitter vorherrschen. Und egal ob Angelhaken, Reißzähne, Augäpfel, Schneelilien, Wein, Leder, Honig, Schatzkarte oder Gürtelzubehör - alles landet als hübsch gezeichneter Gegenstand im sortierbaren Inventar.

Doch der Star der Kulisse ist vor allem die idyllische Art der Erkundung. Man klickt nicht einfach Orte auf einer vergilbten Karte an, sondern bewegt seine Söldner aktiv durch eine malerische Landschaft samt ihrer Wege und Wiesen, Schluchten und Täler. Angesichts der Dörfer mit ihren rauchenden Schornsteinen und Fachwerkhäusern sowie der prächtigen Burgen entsteht ein europäisches Mittelalterflair, eine Low Fantasy in natürlichen Farben. Obwohl es um das blutige Handwerk der Söldner geht, die gegen Bezahlung kämpfen und morden, entsteht gleichzeitig eine Art melancholische Wander- und Entdeckerlust.


Der Zirkus vermisst einen gezähmten Wolf...

Einige kennen das Prinzip vielleicht von Battle Brothers (2017), das ja einen ähnlichen Ansatz hat. Dieser wird von Wartales in vielerlei Hinsicht modernisiert und erweitert. Hier sind die Söldner kein bewegtes Wappen, sondern als Trupp inklusive Rüstung, Waffen sowie der Ponys komplett sichtbar. Schon bald tragen sie eine Standarte in den eigenen Farben, später können Wölfe oder Bären als Begleiter hinzu kommen. Und aus einer Hand voll hungernder Söldner wird plötzlich eine schlagfertige Kompanie samt eigener Köche, Handwerker und Gelehrter, die an einem Pult seltsame Artefakte analysieren.

Tag- und Nachtwechsel

Von schräg oben kann man nicht nur jeden eigenen Charakter erkennen, sondern auch andere Gruppen, die umher ziehen, irgendwo lauern oder kämpfen. Manchmal findet man nur noch blutige Überreste von Söldnern, die gerade eben an einem vorbeigezogen sind. Nähert man sich Siedlungen, hört man Hühner gackern und Schmiede hämmern, Baumwipfel bewegen sich im Wind und Wasserfälle rauschen. Man sieht nie Individuen oder einzelne Tiere wandern, es bleibt auch bei einer gewissen Distanz, denn es gibt keinen Zoom in ein Gewusel und es läuft nicht immer flüssig. Die Kulisse ist en detail nicht großartig, aber sehr malerisch. Und es entsteht das Gefühl einer beschaulich belebten Miniaturwelt.

Dazu trägt auch der beschleunigte Tag- und Nachtwechsel bei, denn ständig passiert etwas: Am Abend zünden Reisende ihre Fackeln an und am Waldrand zieht langsam Nebel auf, in dem sich nicht nur Banditen verbergen können. Da Müdigkeit, Hunger und Traglast relevant sind, kann man allerdings nicht ewig marschieren, sondern kriecht nur noch dahin und sollte ein Lager aufschlagen.


Ein Schiebe-Rätsel...

Dort wechselt die Perspektive, man sieht seine Gefährten deutlicher, kann kochen und ausruhen. Aber zunächst nur an einem einfachen Feuer ohne Topf, Werkbank oder Zelt. Weitere Ausrüstung müssen sie sich verdienen, bis es irgendwann samt Ausguck, Strategietafel, Schreibpult und Bahren für Verletzte so aussieht wie in einem professionellen Heerlager von Wallenstein. Apropos: Die Fantasy von Wartales lehnt sich nicht an der frühen Neuzeit mit ihren Schusswaffen, sondern am Spätmittelalter an, es gibt lediglich Bomben, die man werfen kann.


Landschaft mit Fixpunkten

Die Söldner kennen zunächst nur einen kleinen Teil der Welt und müssen sie erkunden, wobei Schilder an Kreuzungen sowie der Kompass helfen. Man kann ein wenig in die Landschaft zoomen und die Karte frei drehen. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen: Abseits von dezent funkelnden Rohstoffen wie Holz, Erz oder Blumen erkennt man irgendwo vielleicht ein schwelendes Feuer, verdächtige Fußspuren, den Eingang zu einem Bergwerk oder einen verlassenen Turm. Allerdings kann die Steuerung bei der Anwahl kleiner Markierungen manchmal nerven. Man muss des Öfteren mal nachjustieren.

Aber so gesellt sich zum Sammeln des Offensichtlichen auch immer die Neugier, ob man nicht doch etwas Interessantes finden kann. Klickt man z.B. auf ein Ufer, eine Höhle, ein Gebäude oder eine Ruine, wechselt die Perspektive umgehend in eine malerische Ansicht, in der man wie in einem Adventure mit der Maus nach Beute, Hinweisen oder Interaktionen sucht. So ergeben sich Dialoge, verborgene Wege oder nette Minispiele, die je nach Geschick beim rechtzeitigen Klicken von Markierungen mehr oder weitere Beute einbringen.

Warum verstecken sich die beiden im Bergwerk?

Falls einer der Gefährten den richtigen Beruf und das passende Werkzeug hat, darf er Holz hacken, Erz abbauen, angeln oder auch Schlössen knacken - das macht übrigens richtig Spaß. Diebische Naturen wird es freuen, dass man den Dietrich behutsam einsetzen und über langsames Herantasten die richtige Stelle finden muss, damit er nicht bricht. Aber Vorsicht: Mit jedem offensichtlichen Verbrechen füllt sich die Verdachtsanzeige, bis man irgendwann gesucht und gejagt wird.

Auf dem Weg zu Freund oder Feind

Spätestens dann weiß man die Flucht über Wald und Flur zu schätzen, die allerdings nicht endlos möglich ist, weil die Ausdauer abnimmt. Und zu Beginn ist man als Gruppe im Sprint recht langsam, weil man die Ponys vielleicht noch nicht beschlagen oder zu wenig Tempo-Verbesserungen freigeschaltet hat. Nicht nur Wachen, auch so manches Rudel Wölfe oder Bären sowie Banditen können einen verfolgen, wenn man sich zu nah an oder in die Wälder begibt. Also bleibt man am besten auf den Wegen.

Man erkennt Flüchtlinge, Händler, Wachen oder Banditen übrigens an ihren Symbolen und kann entscheiden, ob man ihnen ausweicht oder sie treffen will. Meist hat man die freie Wahl, ob man friedlich handelt, sie bestiehlt oder einen Kampf beginnt. Manchmal wird man auch um Essen oder einen Gefallen gebeten und gewinnt an Einfluss oder Gold, wenn man Hilfe leistet. Allerdings kann man auch komplett skrupellos spielen, selbst Flüchtlinge ausrauben, zum Kopfgeldjäger und sogar zum Kannibalen mutieren.

Kein Heldenepos


Was motiviert die Söldner überhaupt? Es gibt ja in Wartales keine klassische Heldengeschichte, keinen verrückten Magier oder missgünstige Götter. Zwar kann man in der Charaktererschaffung einen Grund dafür angeben, warum man loszieht, aber so modifiziert man lediglich einige Werte. Letztlich versammelt man gescheiterte, neugierige oder suchende Existenzen, die keiner epischen Quest zur Rettung der Welt folgen, sondern in kriegerischer Zeit überleben wollen.


Neue Aufträge oder neue Gefährten gibt es in der Taverne.

Und in jedem Gasthaus kann man weitere Gefährten anheuern, die man regelmäßig bezahlen muss. Sie tragen Namen, haben Attribute von Stärke über Willenskraft bis Verfassung, dazu Eigenschaften wie blöde, tyrannisch oder arbeitsam. Aber sie sind nicht so individuell ausgearbeitet wie Nichtspielercharaktere in einem klassischen Rollenspiel. Wenn man sie anspricht, geben sie einen Satz von sich wie „Ich habe vor nichts Angst, und ich lerne schnell.“, aber sie haben keine Biographie oder damit verbundene Nebenquests.

Strategen und Giftmischer

Wichtiger ist ihre taktische Ausrichtung, die sich an einer Grundklasse wie Bogenschütze, Waldläufer, Krieger, Schwertkämpfer, Speerkämpfer oder Grobian ablesen lässt. Sie bestimmt, welche Waffengattung getragen und welche Fähigkeiten im Kampf zum Einsatz kommen. Aber für jeden kann man recht zügig eine von drei Spezialisierungen wählen, die die Art der Rüstung festlegen und aus einem Bogenschützen einen Jäger, Bestienbändiger oder Infanteristen machen. Oder aus einem Waldläufer einen Halsabschneider, Strategen oder Giftmischer. Zu den schönen Überraschungen gehört übrigens auch, dass man je nach Erkundung weitere freischalten kann, wie etwa den Weg des Assassinen.

Je nach erreichter Stufe kann man weitere aktive oder passive Talente wie zweite Waffe, Tiefschlag oder instinktiver Wurf freischalten. Da auch Waffen bestimmte Talente freischalten, wie etwa brennende Pfeile, das Zertrümmern von Rüstungen oder das Anvisieren ganzer Bereiche, ergeben sich sehr viele taktische Kombinationen. Und die befinden sich je nach Erfahrung und Beute in einem fließenden Wechsel, so dass es unheimlich Spaß macht, damit auf dem Schlachtfeld zu experimentieren.

Brachiale Kampftaktik


In der Rundentaktik kann es bekanntlich schnell zäh werden, wenn man endlos Einheiten verschiebt, lediglich dieselben Manöver ausführt oder die Animationen fade sind. Das letzte Spiel, das mich mit seinem Komboflow und seinem Puzzleflair bei der Positionierung so richtig gut unterhalten hat, war Redemption Reapers. Auch in Wartales geht es richtig zur Sache und es kracht nicht nur brachial, wenn der Hammer tanzt oder der Speer den Feind in einem animierten Finisher aufspießt, es ist auch überraschend dynamisch in den Gefechten.


Hier brennt es schon lichterloh: Wen bewegt man wohin?

Denn sie enden bei Panik des Gegners früher und je nach Klasse sowie Bewaffnung der Söldner ergeben sich vielfältige Möglichkeiten. Dabei ist auch die Positionstaktik samt Figurenwahl entscheidend, denn es ist lediglich vorgegeben, wann welcher Feind agiert. Aber wer als Nächstes aus der eigenen Truppe handelt, wird nicht von der Initiative bestimmt, wie so oft, sondern steht einem frei. Aber wen bewegt man als Erstes wohin?

Man sollte sich früh um den Anführer kümmern, der seine Leute meist zusätzlich anspornt. Aber wenn man z.B. sieht, dass gleich der feindliche Bogenschütze seinen Flammenpfeil auflegt, könnte man sofort jemanden hinschicken, der ihn in einen Zweikampf verwickelt, so dass er gar nicht erst schießen kann. Will er sich lösen, wird ein Gelegenheitsangriff ausgeführt. Außerdem könnte man den freien Raum zu Beginn nutzen, um jene Söldner vorzuschicken, die eine größere Zone und damit vielleicht zwei oder drei Feinde gleichzeitig attackieren können. Es gibt einige herrliche Hiebe mit zweihändigen Streitkolben oder Hämmern, die wie Abrissbirnen durch die Rüstung hauen. Und je weiter man seine Söldner entwickelt, desto mehr vernichtende Kombinationen können sie auslösen.


Auch Angriffstalente können aufgerüstet werden.

Doch meist braucht man für Spezialangriffe genug Tapferkeitspunkte, die sich alle Gefährten teilen. Durch Zufriedenheit und das Rasten erhöhen bzw. regenerieren sie sich. Sie sind sehr wichtig, denn mit ihnen knackt man die Verteidigung viel schneller, kann auch in Unterzahl so einige Gefechte gewinnen. Wenn sie aufgebraucht sind, hat man nur noch Standardangriffe, aber auch im Kampf lassen sie sich durch die Nähe zu Gefährten, Todeshiebe oder motivierende Manöver wieder auffrischen. Auch hier ist also die richtige Bewegung entscheidend, so dass kluges Positionieren belohnt wird. Die Steuerung ist allerdings nicht immer optimal, wenn man den Radius für seine Trefferzone bestimmen oder einen Söldner an Hindernissen vorbei lotsen will. Für eine Konsolenversion müsste man noch einiges an Feintuning betreiben.


Man sollte nicht nur auf die Rüstung und Gesundheit der Feinde achten, sondern auf Bewaffnung und Fähigkeiten, denn manche lösen Blutungen, Schwächungen oder Gifte aus, die sich dann summieren. Und Vorsicht: Man kann umzingelt werden, wenn man von drei Seiten attackiert wird. Außerdem gibt es Fallen oder markierte Bereiche, in denen gleich der Blitz einschlägt oder Felsen herabstürzen. Sobald man in die Geisternebel geht, kommt die Angst hinzu, die manche Gefährten fliehen lässt.


Die richtige Position ist wichtig - gerade für Bogenschützen.

Zwar spielen Höhenunterschiede, zerstörbare Deckung oder Gebäude zum Verschanzen keine Rolle, außerdem wiederholen sich die Abläufe je mehr Routine man hat. Und die Gegner-KI setzt zwar irgendwann besseres Teamwork ein, aber letztlich beobachtet man immer noch, wie sie ins Feuer läuft, zu lange für einen Angriff wartet oder sich in den Rücken schießt. Trotzdem entstehen unterm Strich angenehm abwechslungsreiche und brachiale Gefechte.


Regionale Konflikte

Und was erreicht man damit abseits von mehr Beute und Reichtum? Man schreibt jenseits von Gut und Böse seine eigene Geschichte, kann die Politik der jeweiligen Provinz ignorieren oder aber direkt eingreifen. Wer eine Story sucht, wird sie auch finden. Denn jede Region hat spezielle Konflikte: In der Grafschaft von Tiltren geht es um Flüchtlinge, die vor einem Krieg fliehen. Manche betteln, manche werden versklavt, manche gründen Banden - auf wessen Seite stellt man sich, wenn ein von der Wache Gesuchter um Hilfe bittet? Oder entscheidet man je nach Situation anders? Ist man Opportunist oder hat man Prinzipien?


Im Kriegsgebiet selbst, der Grafschaft Arthes, trifft man auf zwei verfeindete Adelshäuser und all jene, die sie in den Konflikt hineingezogen haben. Da werden Brunnen vergiftet, Söldner angeheuert und alle Mittel eingesetzt, um den Krieg zu gewinnen. Wen will man unterstützen? Kaum spricht man mit den Leuten, kann man beide Seiten verstehen - oder denkt sich, dass sie alle machtversessen sind.


Die Idylle trügt: Es herrschen Machtkämpfe und Intrigen.

In Vertruse wiederum ist die komplette Weinernte verseucht und in einer Abtei hält jemand Pestkranke, was die Bauern als den Grund für das Übel betrachten. Begleitet man sie und stürmt das Gemäuer der Priester? Oder sucht man weiter nach der Ursache? Wer diese regionalen Geschichten konsequent verfolgt, steuert irgendwann auf eine Auflösung mit einem Höhepunkt zu. Manchmal hätte ich mir als Rollenspieler mehr Einfluss und vielleicht auch einen Ausblick auf die Konsequenz gewünscht.


Es wird also keine epische Geschichte im großen Stil erzählt, manche Missionen sind nicht mehr als kurze Anekdoten und die Dialoge sind weder so verschachtelt noch so interessant wie in einem Pillars of Eternity. Die deutschen Texte sind okay, gesprochen wird allerdings nur auf Englisch. So einiges an Quests wirkt manchmal zu hastig abgehandelt. Und jetzt komme ich auch zur eingangs erwähnten Schwäche, die sich vor allem auf die statische Interaktion der Söldner bezieht, also das, was man als Party-Interaktion bezeichnet.


Da gab es von Star Wars: Knights of the Old Republic über Dragon Age: Origins bis Pillars of Eternity oder Wasteland 3 so einige Highlights mit unterschiedlichen Schwerpunkten, teilweise auf großartigem Niveau. Das sollte man hier nicht erwarten. Zwar bauen die Söldner in Wartales auch Beziehungen untereinander auf, die z.B. darunter leiden, wenn jemand im Kampf den anderen verletzt. Außerdem melden sich manche nach einer Rast mit einem Anliegen, bei dem man in einem Multiple-Choice-Dialog entscheiden kann, was man tut. Dann sieht man auf Anhieb, wie sich das auf die Zufriedenheit auswirkt. Und es ist auch möglich, dass jemand die Gruppe verlässt.


Nach einer Rast melden sich einige Söldner und man kann reagieren.

Aber das ist ein sehr statisches, meist willkürlich wirkendes Prinzip, denn man kann nie die Unterhaltung suchen bzw. anregen oder eine Persönlichkeit erkennen. Es gibt keine direkten Kommentare zu den eigenen Handlungen wie etwa in Wasteland 3, sondern lediglich kleinere Bemerkungen darüber, dass sich jemand über etwas freut, wie etwa Beute aus einem Dungeon, oder etwas ablehnt, wie etwa ständig von der Wache gesucht zu werden. Allerdings sind die Anmerkungen bei einer Rast teilweise abstrus ins Deutsche übersetzt und letztlich wirken die Söldner hier nicht wie glaubwürdige Charaktere, sondern wie austauschbare Textbots.

Leicht geführte Suche

Es ist weniger die erzählerische Tiefe oder das Beziehungsgeflecht, das hier bei der Stange hält, sondern vielmehr das breite Spektrum der Story. Wie in einem guten Rollenspiel erlebt man kleine Geschichten am Rande, die für Abwechslung vom Kriegshandwerk sorgen. Ein Zirkus sucht einen entlaufenen Wolf, der Wandteppich eines Webers wurde gestohlen, für Fährtenleser soll man eine Bestie erlegen, angeblich spukt es abends am Strand und woher kommt der Gestank auf dem Markt?

Man wird dabei nicht immer so direkt zum Ziel gelotst, wie etwa bei der Verfolgung von Blutspuren, die vor einem auftauchen. Manchmal wird lediglich ein Bereich markiert, manchmal muss man komplett ohne Hinweise suchen. Wo ist z.B. diese Arena, in der heimlich gekämpft wird? Manchmal findet man in einer Höhle weit weg genau das Artefakt, das jemand vermisst. Auf Schatzkarten sieht man lediglich das Bild eines Ortes mit Kreuz, den man direkt in der Landschaft erkennen muss.


In den Dungeons warten Rätsel und Schätze.

Und das war nur ein grober Überblick zu Politik und Missionen in drei von vielen Provinzen einer offenen Welt, die man irgendwann auch über Handelsposten so vernetzen kann, dass man mehr Waren verstauen, effizienter handeln sowie schneller reisen kann. Aber bis man dafür das Geld hat, vergehen viele hart umkämpfte Stunden, in denen man froh ist, wenn man genug Salz zum Kochen, ausreichend Medizin für die Wunden und Material für all die Reparaturen an Rüstungen hat.


Zu Beginn kann man übrigens in je drei Stufen festlegen, wie anspruchsvoll die Gefechte und die Ernährung ausfallen sollen. Wer also keine Lust auf zu häufig knurrende Mägen hat, kann das Mikromanagement runter regeln. Aber wenn man genug Rezepte lernt und einen Koch hat, bekommt man das irgendwann gut in den Griff. Ich hab mich jeweils für die mittlere Stufe samt jederzeit möglichem Speichern entschieden. Es geht allerdings auch noch gnadenloser oder entspannter.

FAZIT

Shiro Games konnte mit Evoland (2013, 2015) und Northgard (2017) bereits überzeugen. Aber mit Wartales liefert das Studio aus Bordeaux sein bisher bestes Spiel ab. Nach einem Jahr im Early Access überrascht das Söldner-Abenteuer mit seinem mittelalterlichen Artdesign, seiner spielerischen Vielfalt sowie kreativen Impulsen. Rundentaktik und Rollenspiel verschmelzen in einer gemütlichen Atmosphäre zwischen Melancholie und Gnadenlosigkeit, Reiselust und Risiko, Beute und Blut. Jenseits von Gut und Böse kann man mit seinen Gefährten seine eigene Geschichte schreiben. Zwar gibt es einige spröde Momente, Steuerung und Technik haben manchmal ihre Tücken, außerdem ist die Partyinteraktion neben einigen plumpen Dialogen die größte Schwäche. Aber ich konnte mich dieser mittelalterlichen Low Fantasy kaum entziehen. Die taktischen Gruppenkämpfe werden von motivierenden Entwicklungen, Rätsel-Dungeons sowie erzählerischen Überraschungen flankiert, so dass ein gemütlicher Sog entsteht. Man reist durch trügerisch idyllische Landschaften, erlebt böse Überraschungen und versucht seine Truppe beisammen zu halten. Ich wurde jedenfalls sehr gut unterhalten.


(Bilder: Wartales, Shiro Games, PC, eigene Aufnahmen)


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