The Legend of Zelda: Das Anti-Rollenspiel
Japan hat eine viel ältere Computerspielgeschichte als man vielleicht vermutet. Ich verwende bewusst den Begriff "Computer", um deutlich zu machen, dass sie vor dem großen Erfolg des Famicom begann, der in Amerika und Europa als NES vermarktet wurde. Nintendos erste Konsole landete 1983 auf fruchtbarem Boden, aus dem bereits seit Ende der 70er eine Vielfalt an Spielen wuchs, die auf heute kaum bekannten Rechnern wie dem PC-88, dem Sharp X1 oder dem FM-7 liefen. Es gab eine etablierte Heimcomputerkultur, deren Spiele leider zum großen Teil nicht archiviert sind.
Zwar wurde Japan sehr stark von Rollenspielen (CRPG) aus Amerika wie Ultima und Wizardry beeinflusst, die beide 1981 erschienen - mehr dazu auch im Podcast. Letzteres inspirierte immerhin ein Spiel wie The Black Onyx (1984) direkt, so dass es zu einem ersten Verkaufshit aus japanischer Produktion avancierte. Erst ab dieser Zeit entwickelte sich in Japan ein Bewusstsein für das Genre der Rollenspiele, das man dort noch nicht per Definition kannte, das aber im Westen spätestens seit Ende der 70er populär war. Was nicht heißen soll, dass es unabhängig davon nicht vergleichbare Ideen für Abenteuer gab.
Denn gleichzeitig formte sich eine Designkultur, die zwar auch nachahmte, also das offene Prinzip mit einem Helden als auch das Dungeon-Crawling einer Gruppe, die sich aber immer kreativer emanzipierte und eigene Merkmale entwickelte. Phantasy Star (1987) legte mit seinem Animestil z.B. den Grundstein für eine fast schon landestypische, an Mangas angelehnte Ästhetik, die sich bis heute in der Abkürzung JRPG manifestiert - der wiederum seit mehr als zwei Jahrzehnten irreführend ist, weil der Stil nicht nur in Korea, sondern spätestens seit den 90ern weltweit beliebt war.
Aber auch unterhalb des Offensichtlichen des Artdesigns gab es kleine Unterschiede, die vielleicht sogar ein Meisterwerk inspirierten, mit dem Japan den Westen eroberte: The Legend of Zelda (1986). Fünf Jahre nach Ultima und Wizardry wirkte dieses Abenteuer fast wie ein Anti-Rollenspiel. Das klingt ein wenig radikal, denn es ist natürlich nicht gegen ein Prinzip entstanden, sondern aus einer Tradition gewachsen. Nur hat es sich dabei von Elementen wie Statistiken sowie Rundengefechten getrennt, die man traditionell mit dem CRPG verbindet, und dafür direkte Aktionen sowie Auswirkungen hinzugefügt, so dass es heute meist als Action-Adventure bezeichnet wird.
Doch auch Zelda entstand nicht als kreativer Urknall, sondern wurde von frühen Rollenspielen beeinflusst, die u.a. auf dem PC-88 erschienen. In Spielen wie Dragon Slayer (1984), aus dem sich Xanadu (1986) entwickelte, sowie Hydlide (1984) wurde schon nicht mehr rundenbasiert à la Dungeons & Dragons gerechnet, sondern in Echtzeit gekämpft. Sie gelten als Vorläufer des Action-Rollenspiels (ARPG), dessen erfolgreichste Ausprägung sich aktuell in Elden Ring (2022) zeigt. Wenn man sich Screenshots dieser japanischen Klassiker ansieht und mit Zelda vergleicht, werden die Ähnlichkeiten deutlich.
Trotzdem wirkt in diesem Meisterwerk eine große, oftmals unterschätzte kreative Leistung: die Reduzierung. Shigeru Miyamoto & Co trennten sich nämlich selbstbewusst von allen Zahlen. Link hatte keine Hitpoints, sondern Herzen. Und auf Erfahrungspunkte, Level, Rüstungsklasse, Stärke, Geschick etc. wurde komplett verzichtet. Auch Gut und Böse in Form einer Moralanzeige, die in den genannten Beispielen ebenfalls relevant war, gab es nicht. Letztlich hat sich Zelda vom Regelwerk und der Simulation einer Welt getrennt, wie es ein Dungeons & Dragons über Jahre im Westen vorgab, und das direkte Erlebnis in den Vordergrund gerückt.
Wie so oft bei Definitionen von Genres sind sie selten eindeutig. Ich suche immer noch verzweifelt nach einer für das Genre der Rollenspiele, was schon im Zeitalter der CRPG nicht so einfach war. Und natürlich erkennt man auch in einem The Legend of Zelda hinsichtlich der Story und des Szenarios sowie des Weltdesign mit seiner offenen Landschaft und Dungeons mit Rätseln so einige Gemeinsamkeiten zu Ultima, Wizardry & Co. Zumal es eher so ist, dass sich die Grenzen immer mehr auflösen.
Denn wenn man bald in The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom unterwegs ist, wird es vermutlich so viele Ähnlichkeiten im Erlebnis zu einem Elden Ring geben, dass zwischen dem Action-Adventure und dem Action-Rollenspiel nur noch ein paar Zahlen im Charaktermenü liegen. Auf jeden Fall verbindet sie eine über 40 Jahre alte Tradition kreativer Spieldesignkultur aus Japan.