Stimmen im Kopf: Das Phantom oder die Hexe?
- Jörg Luibl
- 15. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Ich mochte schon immer Spiele, die auf irgendeine Art mit mir sprechen - egal ob als Begleiter wie Totenschädel Morte in Planescape Torment (1999) oder als markanter Erzähler wie in Darkest Dungeon (2016). Zwar funktioniert das in seltenen Fällen auch nonverbal, wie etwa mit Yorda in ICO (2001). Aber gute Dialoge und charismatische Sprecher können so relevant für die Atmosphäre eines Abenteuers sein, dass sie die Stimmung weit über spielerische Defizite hinaus tragen - wobei das auch schlimm nach hinten losgehen kann, wie etwa in Biomutant (2021).
Sehr wirkungsvoll kann diese Sprache zwischen Spiel und Spieler sein, wenn sie direkt im Kopf der Figur stattfindet. Wenn jemand einem plötzlich etwas zuflüstert, seine Meinung zu einer Situation äußert oder das Spielverhalten kommentiert. Man denke an die über Kopfhörer erteilten Anweisungen des sadistischen Regisseurs aus Manhunt (2003), die vielfältig süffisanten Textgedanken in Disco Elysium (2019), den wunderbar sarkastischen Nekromancer in The Cryptmaster (2024) oder das kopierte Bewusstsein von Johnny Silverhand in Cyberpunk 2077 (2020), wenn man mit der Stimme von Keany Reaves kommunizierte.
Rollenspiele sind natürlich wie gemacht für all diese Formen der direkten oder indirekten Kommunikation, die im Idealfall für erzählerische Identifikation, gemütliche Atmosphäre, charmanten Wortwitz oder unheimlichen Terror sorgen. Baldur's Gate 3 (2023) vereint als Paradebeispiel nahezu alles: Da sprechen neben der Erzählerin sowie all den Gefährten noch einige andere mit dem Spieler. Die in der Mondlaterne gefangene Pixie ist z.B. eine schöne Überraschung in einer kleinen Quest, wohingegen man in der Rolle von "The Dark Urge" permanent von düsteren Gedanken zur Grausamkeit verleitet wird.

Apropos: Einen unvergesslichen Tanz mit dem Bösen erlebte ich 2007 in der Rolle von Jackie Estacado. Die Atmosphäre dieses Horror-Shooters von Starbreeze wurde von der Stimme Mike Pattons als The Darkness getragen und hat sich bis heute eingebrannt: You are nothing but my puppet. Allerdings bringt dieser Dämon den jungen Mafioso nicht einseitig in Versuchung, sondern wird von Jackie überrascht, der die uralte Macht in sich aufnimmt, danach in der realen Welt mit zwei Schlangenköpfen über der Schulter austeilen und Kobolde beschwören kann. Die ebenfalls plappern:
Berserker Darkling: I want to kill someone.
Gunner Darkling: I am unfamiliar with the concept.
Gunner Darkling: [attacking an enemy] Maybe not, I guess.
So amüsant und nützlich diese Macht für Jackie war, hatte sie den Nachteil, dass er mit jedem Toten etwas mehr von der Dunkelheit verschlungen wurde: Kill him and lose your soul to me! Wenn ich so darüber nachdenke, dann würde ich mich über ein Remake oder eine Fortsetzung sehr freuen, zumal dieser auf den ersten Blick brutale Shooter ganz nebenbei die Romantik in Videospielen mit einer grandiosen Szene auf ein neues Niveau hieven konnte - weit über das hinaus, was Mass Effect im selben Jahr und andere danach versuchten.
Aber zurück zu den Stimmen im Kopf, denn zwei streiten sich gerade um meine Gunst: die eines Phantoms und die einer Hexe. Da wäre zum einen das koreanische Soulslike The First Berserker Khazan, das mir in der Demo mit seiner wuchtigen Direktheit, der Sword & Sorcery à la Conan sowie seinem Kontersystem gut gefallen hat. Ähnlich wie in The Darkness verschmelzen dort ein Held und ein von Anthony Howell gesprochener Dämon, in dessen Gestalt man wechseln kann, um als Klingenphantom zu wüten.
Der britische Schauspieler hat übrigens auch Margit in Elden Ring (2022) die Stimme geliehen. Und diese Kommunikaton lockt mich neben der ansehnlichen Ästhetik an. Zwar erwarte ich in der Beziehung zum Dämon nicht den Wortwitz oder diesen Fokus von The Darkness, die Welt hat nicht diesen kreativen erzählerischen Hintergrund eines Lies of P (2023). Außerdem ist der Anspruch an das Timing zwar nicht ganz so hoch wie in Sekiro (2019), aber so knapp dahinter, dass schon der Boss des Tutorials, ein Riesenyeti, zur knallharten Geduldsprobe wird - wenn man nicht eine Stufe runterschalten will.
Etwas verlockender ist aktuell die zweite Stimme: und zwar die einer Hexe. Auch wenn sie mit der Stimme von Aysha Selim in Mandragora bisher nur verschwörerisch flüstert, geht es in dieser Mischung aus Soulslike und Metrodvania à la Salt and Sanctuary ebenfalls um eine komplette Besessenheit. In der Rolle eines Inquisitors wird man bei einem Exorzismus, der die Hexe eigentlich töten sollte, plötzlich von ihrer Macht durchströmt und soll fortan ihre Schwester suchen - inkl. einer Zwischenwelt, Rollenspielflair mit Quests und Klassenwahl sowie Entscheidungen. Ob man seinem eher humorlosen Chef sagt, dass man sie hört?
Tja, folge ich dem Phantom oder der Hexe? The First Berserker Khazan ist wuchtig, ansehnlich und knallhart, wobei ich etwas skeptisch hinsichtlich der Spielwelt bin. Lohnt sich all der Konterschweiß für die Story dahinter? Mandragora ist labyrinthisch, gemütlich und anspruchsvoll, wobei ich etwas skeptisch hinsichtlich all der Zutaten und Gegenstände bin. Steckt da doch mehr Diabloflut als Abenteuerflair drin? Ich bin einfach mal Optimist und folge dem Licht der Hexenlaterne, die bisher angenehm verschlungene Wege offenbarte.
Mit dieser Erkundung lass ich meine Stimme erstmal ruhen. Ich melde mich am kommenden Dienstag, die nächste Flaschenpost geht am 25. April auf die Reise. Ich wünsche euch lange Spielzeit, angenehme Bosse und schöne Ostertage!
Ich heiße Jörg Luibl, bin freier Journalist und biete mit Spielvertiefung seit November 2021 ein unabhängiges Magazin an, in dem die Kultur und nicht der Klick relevant ist. Ich arbeite alleine und verzichte komplett auf Werbung, Kooperationen sowie über KI erstellte Inhalte. Diese Alternative zum Reichweiten-Journalismus ist nur dank der Unterstützer über Steady möglich. Vielen Dank an alle Abonnenten!
Spiele gerade Khazan und freue mich auf Mandragora, selbst wenn ich mit Salt & Sanctuary irgendwie nicht warm geworden bin, obwohl es alle Zutaten hat, die ich mag. Und bei Stimmen im Kopf fällt mir noch das kurze, aber intensive Hellblade: Senua's Sacrifice ein, bei dem dadurch die psychische Erkrankung der Heldin (Psychose) brillant eingefangen wird.
Das ist auch die Vorfreude auf ein neues Abenteuer.
So geht es mir, wenn ich eins von meinen Spielen aus meiner Playlist abgehakt habe(zuletzt Blasphemous2) und mich auf das nächste (Indiana) freue.
Frohe Ostern an alle!
Ich hätte mich bei der Auswahl wahrscheinlich auch für Mandragora entschieden (wobei ich von beiden nicht viel erwarte 🙈). Bin auch gespannt ob bei dir Atomfall noch zündet.
Hach, The Darkness. Einer meiner absoluten Favoriten.
Seinerzeit und noch Jahre danach, rauf und runter gespielt und Onkel Paulies Herz mehr als einmal, wie von Jackie empfohlen, mit dem Fleischerbeil direkt durch den Brustkorb erreicht - im metaphorischen Sinn, aber verdient hätte er es...
Herrliches Spiel, in dem einfach alles passt. (Böse) Humoristisch, mit dennoch genug ernsten Themen, über Tragik und Rachegelüste, eine semi-offene, dreckig inszenierte Stadt, samt U-Bahn-Netz, sinnvoll integrierte Nebenaktivitäten, Actioneinlagen reichen sich mit ruhigen Momenten die Hand, die auch Mal zum Erkunden einladen, tragisch schöne Story, schräge und verachtenswürdige Charaktere... Bittersüßes Ende... Ich könnte die Liste ewig fortsetzen.
Tolles Spiel. Braucht eine Neuauflage, hab mal wieder Lust drauf. :)
Ach ja, und die Stimmen im Kopf: In…
Ich spiele ja gerade Khazan und bin kurz vorm Ende. Ich würde sagen die Story ist eher so zweckmäßig, leider. Es hat wohl Referenzen zu ihrem Free2Play-MMORPG Dungeon Fighter Online, das ich mal kurz ausprobiert habe, aber das wirkt wie ein extrem überladenes Browsergame der 2000er Jahre - wirklich furchtbar! Die Story bei Khazan dreht sich dann wohl auch um viele DFO-Charaktere, und deren Cameos, aber grundsätzlich ist der Plot: Oberbösewicht besitzt böse Chaos-Kräfte und ist böse.
Dafür ist das Kampfsystem eines der Besten was ich je in einem Soulslike gesehen habe. Auf den Punkt. Ich spiele mit dem Greatsword und wie ich Skills und Fähigkeiten frei miteinander kombinieren kann und immer wieder neue Möglichkeiten entdecke - fantastisch. Es orientiert…