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Ein Spieltisch aus Preußen

Wenn man heutzutage über "Tabletop" spricht, dann denkt man vermutlich an Warhammer 40k, Dust Tactics, Malifeaux, A Song of Ice & Fire oder andere Spielsysteme, in denen es darum geht, sich mit Truppen oder Armeen aus Miniaturen zu bekämpfen. Aber was sind schon bemalte Plastikfiguren auf dem Wohnzimmertisch gegen diese Kommode, die für den preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770 - 1840) angefertigt wurde?


Domänen- und Kriegsrat Georg Leopold Baron von Reiswitz: Kommode "Taktisches Kriegsspiel" für Friedrich Wilhelm III., 1812© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) / Roman März

Im Rahmen meiner Recherche zu den Wurzeln des Kriegsspiels bin ich auf diesen edlen Tisch aus Ahorn, Buche und Bronze namens "Taktisches Kriegs Spiel" gestoßen. Er datiert in das Jahr 1812 und wurde vom "Domänen- und Kriegsrat" Georg Leopold Baron von Reiswitz (1794–1827) konzipiert. Heute gilt der preußische Offizier als Vater der modernen Wargames, auch wenn sein Landsmann Johann Christian Ludwig Hellwig (1743 - 1831) ebenfalls dazu beitrug.


Domänen- und Kriegsrat Georg Leopold Baron von Reiswitz: Kommode "Taktisches Kriegsspiel" für Friedrich Wilhelm III., 1812© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) / Roman März

Der prächtige Tisch mit der Inventarnummer HM 4740 befindet sich im Berliner Schloss Charlottenburg. In seinen Schubladen finden sich zahlreiche Hilfsmittel: Die modularen Geländefelder erinnern an Carcassonne, es gibt Quader für Truppen wie in heutigen Block Wargames, dazu Abstandsmesser für Schuss- und Reichweiten sowie sechsseitige Würfel.


Domänen- und Kriegsrat Georg Leopold Baron von Reiswitz: Kommode "Taktisches Kriegsspiel" für Friedrich Wilhelm III., 1812© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) / Roman März

So interessant das Design und die Utensilien in all den Schubladen sind, so spannend ist das Konzept dahinter. Denn es ging um mehr als Truppen, die man auf eine Holzplatte stellt: Dieses "Kriegs Spiel", das Reiswitz übrigens nur widerstrebend "Spiel" nannte, weil ihm einfach kein besserer Begriff für sein System einfiel, simulierte erstmals Konflikte in einem authentischen Gelände, das auf Landkarten der Armee beruhte. Dabei wurden auch Zufallsfaktoren über Würfel, Moral und Erschöpfung sowie eine Art Spielleiter berücksichtigt.


Domänen- und Kriegsrat Georg Leopold Baron von Reiswitz: Kommode "Taktisches Kriegsspiel" für Friedrich Wilhelm III., 1812© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) / Roman März

Der Zweck dieses Spiels war mehr als reine Unterhaltung: Man wollte Offiziere strategisch ausbilden und Schlachten simulieren. Das funktionierte mit einer Weiterentwicklung dieses Systems scheinbar so gut, dass der Sieg im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 auch darauf zurückgeführt wurde, dass die Preußen ihre Abläufe spielerisch planen konnten. Danach wurden Wargames quasi in allen Ländern im Auftrag des Militärs konzipiert, von Amerika bis Russland. Auch heute spielen sie eine wichtige Rolle in der militärischen Ausbildung und Simulation von Konflikten.


Selbst Dungeons & Dragons und Rollenspiele sind letztlich eine direkte Weiterentwicklung der Systeme, die in Kriegsspielen längst etabliert waren. Bevor Gary Gygax seine Zwerge und Elfen 1973 erstmals kämpfen ließ, organisierte er Wargames und gründete die GenCon. Nicht ohne Grund schrieb er später auch ein Vorwort zu H.G. Wells "Little Wars" (1913), in dem der britische Science-Fiction-Autor ebenfalls Regeln für ein Kriegsspiel aufstellt. Heutzutage gibt es so genannte Wargames in zig Facetten, von abstrakt bis simulativ, für nahezu jede Epoche und jedes Genre.


Mehr zu ihrer Geschichte in einer kommenden Vertiefung.

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