Rezension: Der Angler (Roman)
- Jörg Luibl
- vor 4 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Wenn ein Roman eine Auszeichnung erhält, die nach Bram Stoker benannt ist und die seit 1988 mehrfach an Stephen King sowie Peter Straub ging, werde ich neugierig. John Langan erhielt diesen Award im Jahr 2016 für seinen Horror-Roman The Fisherman. Er ist auf Deutsch als Der Angler beim Wandler Verlag erschienen. Und es ist kein Wunder, dass er mich ködern konnte, denn da war immerhin von H.P. Lovecraft und Moby-Dick die Rede.
Tod, Trauer und Neugier
Ich hab allerdings nicht sofort angebissen. Gerade weil ich im Vorfeld etwas von "für Freunde von H.P. Lovecraft" las, war ich skeptisch. Auch wenn ich großen Respekt vor Autoren wie Clark Ashton Smith (1893-1961) oder Robert Bloch (1917-1994) sowie aktuellen Schriftstellern wie Thomas Ligotti habe, die an seine Geschichten anknüpfen und den von Lovecraft nie als solchen bezeichneten Cthulhu-Mythos auf ihre Art fortführen, lese ich am liebsten seine Originale oder komplett eigenständige Weird Fiction.
Daher war ich beruhigt, dass John Langan nicht direkt an die Großen Alten anknüpft, sondern in einer Hommage seinen eigenen kosmischen Horror konstruiert. Dabei setzt er auf einfache und klare Sprache, um seine Figuren in einem amerikanischen Szenario der 90er Jahre aufzubauen. Dort begegnet man dem Erzähler und IBM-Angestellten Abraham „Abe“ Samuelson. Er begrüßt den Leser fast so wie Ishmael in Moby-Dick und trägt ebenfalls einen biblischen Namen.
Das ist natürlich kein Zufall, denn Langan hat sich nach eigener Aussage vom Klassiker inspirieren lassen, benennt später z.B. Reverend Mapple so wie einen Prediger in Herman Melvilles Roman. Nur hat er statt der Jagd auf Wale das Fischen im weitesten Sinne zu seinem Symbol für die Besessenheit des Menschen und seinen Kampf mit der Natur gemacht. Und neben einem Ishmael gibt es auch einen Ahab in seiner Geschichte, der einer mythischen Urgestalt nachjagt.
Abe ist jedenfalls Witwer und hat wie sein Arbeitskollege Dan Drescher Frau und Familie verloren. Nicht nur die Trauer verbindet die beiden Männer, sondern auch das Angeln. Also fahren sie zusammen in die Catskill Mountains. Das ist ein Ausläufer der Appalachen, etwa 160 Kilometer nordnordwestlich von New York, der etwas über 1200 Meter Höhe erreicht und mit seinen Wander- und Kajakrouten ein beliebtes Wochenendziel ist. Der Name Catskill stammt nicht von den einheimischen Mohikanern oder Munsee, sondern von den Niederländern, die das Gebiet westlich des Hudson River als erste Europäer Anfang des 17. Jahrhunderts erkundeten. In einer Karte von 1656 wird es "Landt van Kats Kill" genannt.

Ob der erste Teil mit den Katzen von den Rotluchsen aus der Gegend stammt, ist nicht ganz geklärt. Der letzte Teil kommt jedenfalls nicht vom englischen "kill" wie töten, sondern vom mittelniederländischen „kille“, was „Wasserlauf“ bedeutet und damals auch für andere kleine Flüsse der Region gebraucht wurde. Warum erzähle ich so viel über den Schauplatz? Weil ich vorweg nehmen möchte, dass John Langan reale Namen, Orte und vor allem Geschichte geschickt miteinander sowie mit dem Schrecken hinter der Realität verbindet.
Von all dem entstehen zunächst nur Ahnungen, während man Abe und Dan im ersten von drei Teilen des Romans besser kennenlernt. Während das Menschliche und Alltägliche immer greifbarer werden, schleichen sich Andeutungen ein. Irgendwann wollen sie an einem Fluss namens Dutchman’s Creek angeln, den es übrigens nur in North Carolina gibt. Dieser fiktive Fluss in der Wildnis lässt sich natürlich nicht mit H.P. Lovecrafts Innsmouth oder Stephen Kings Castle Rock vergleichen, aber es ist ebenfalls ein Ort, an dem die Realität einige Risse bekommt.
Schon auf dem Weg dorthin erreicht das angenehm unheimliche Rauschen dieses Romans seinen ersten Höhepunkt, als Abe und Dan in Herman’s Diner einkehren. Als der Regen fast unnatürlich laut aufs Dach prasselt und sie sich schon fragen, ob das mit dem Ausflug eine gute Idee war, warnt der Wirt Howard sie vor diesem Dutchman’s Creek, vor dem sich die Einheimischen fürchten. Eigentlich will er sie abwiegeln, aber die Neugier der beiden siegt.
Die Geschichte in der Geschichte
Dann weiht er sie im zweiten Teil des Romans in ein lokales Märchen samt Hexenmeister ein, so dass man einer Geschichte innerhalb der Geschichte folgt. Diese Erzähltechnik kennt man natürlich aus Klassikern wie Robert E. Howards Kurzgeschichte "The Black Stone", aus Peter Straubs Roman "Ghost Story" oder von Stephen Kings "Wizard and Glass", dem vierten Band seiner Turm-Saga. Gleichzeitig habe ich mich an Charles Dexter Ward von H.P. Lovecraft erinnert gefühlt, zumal Langan immer offensichtlicher die Nähe zu ihm sucht, indem er Howard z.B. aus dessen Geburts- und Todesort Providence kommen und über seltsame Fischwesen erzählen lässt.
Das erinnert wiederum an Die Schatten von Innsmouth, als der Student Robert Olmstead auf den seltsamen Zadok Allen trifft, der ihm ebenfalls mehr über die verfluchte Stadt erzählte. Aber Langan hat genug eigene Ideen und Überraschungen parat. Das beginnt schon damit, dass es in Howards Erzählung um einen deutschen Einwanderer und Sprachwissenschaftler namens Rainer und dessen Familie geht, die nach Amerika auswanderte. In ihrer Geschichte geht auch um Erlebnisse in Heidelberg oder Hamburg, die sogar weit zurückreichen bis ins 16. Jahrhundert und in die Zeit der Alchemisten.
Sie suchten bekanntlich nach dem Stein der Weisen, wobei der Hamburger Alchemist Hennig Brand (1630-1692) immerhin Phosphor entdeckte. Um ihn geht es zwar nicht, aber die Überwindung des Todes hat andere seiner Zunft etwas wilder experimentieren lassen und weckt natürlich die Neugier der beiden Männer, die ihre Familien verloren haben. Spätestens mit dieser unerwarteten pseudohistorischen Mystery rund um verbotene Bücher und Geheimorden hatte mich Langan als Leser fest am Haken. Allerdings liegt das auch daran, dass mich Verbindungen zwischen Europa und Amerika ohnehin interessieren.
Ich kann mir vorstellen, dass manch anderer diesen zweiten Teil des Romans, der sich immerhin von Seite 87 bis 280 erstreckt, als zu langatmig empfindet. Zumal mit Lottie eine weitere Erzählerin hinzukommt, Rainers Arbeit als Steinmetz in den Wäldern Neuenglands genau geschildert und weitere Verbindungen zu Europa aufgebaut werden. Wären da nicht Zwischenfälle mit Schreien und angeblichen Dämonen, dazu dieser seltsame Hexenmeister in seiner Hütte, könnte man mitunter eher an einen historischen Roman als Horror denken. Außerdem war der Lesefluss im harmonischer erzählten ersten Teil besser. Aber es gibt ja noch einen dritten.
Finale am Fluss
Auf jeden Fall kann Howards lokales Märchen die beiden Freunde nicht davon abhalten, diesen verfluchten Ort aufzusuchen. Und so beginnt der letzte Teil des Romans, der den Leser zurück in die Gegenwart beamt. Dort nimmt die Geschichte wieder dramatischer Fahrt und situative Spannung auf, denn trotz der Warnung vor dem Dutchman's Creek besuchen Abe und Dan diesen verfluchten Fluss, der sie nach langer Reise mit vielen Verlusten quasi wie Ahab zu Moby-Dick führt, bis der Ozean in schwarzer Unendlichkeit schäumt.
Mehr werde ich nicht erzählen, nur so viel sei gesagt: Geschichte und Fiktion, die ewige Frage nach Leben und Tod, der Konflikt zwischen Mensch und Natur treffen auf ebenso faszinierende wie bizarre Art in diesem Finale aufeinander. Auch wenn manches grotesk und verwirrend anmutet, und der Roman leider nicht ganz aus einem Guss erzählt wird, konnte er einige sehr starke Übergänge in die unheimliche Welt hinter seiner Realität beschreiben und mit seinem ehrfürchtig monumentalen Sense of Horror länger in meinen Gedanken nachhallen als gedacht.
Man erlebt kreativen kosmischen Horror im Stile von Lovecraft, mit einigen figürlichen Bezügen zu Moby-Dick, wobei Langan sein eigenes Fundament des Übersinnlichen aufbaut, indem er Verbindungen zu Alchemie, Hexerei sowie Urglauben schafft. Und weil seine kosmische Schnur tatsächlich von Neuengland bis nach Hamburg, von der Moderne bis in die Zeit der Alchemisten reicht, war das für mich trotz einiger langatmiger Stellen eine lesenswerte Symbiose aus greifbarem Schrecken, pseudohistorischer Mystery und surrealer Alptraumwelt.
(Der Angler ist auf Deutsch beim Wandler Verlag für 20,95 Euro erschienen)







