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Rezension: Rise of the Ronin (PS5)

Team Ninja präsentiert nach den Soulslikes Nioh (2017, 2020) und Wo Long: Fallen Dynasty (2023) erstmals eine offene Welt. Rise of the Ronin entführt in einer Mischung aus Assassin's Creed und Sekiro in das Japan des 19. Jahrhunderts. In der Spätphase der Edo-Zeit trifft eine mittelalterliche Samurai-Kultur auf die Kanonenbootpolitik der Amerikaner. Zwei Welten kollidieren, ein innenpolitischer Konflikt entbrennt und man ist mittendrin. Aber was macht der Historiker, der gerade in der TV-Serie Shogun versinkt und so richtig Lust auf ein Abenteuer à la Ghost of Tsushima hätte? Er lässt die Rebellion ruhen, das Katana stecken und sucht lieber Katzen...





Zwillingsklingen auf Mordmission


Angesichts der brisanten Ausgangslage hätte ich diese Rezension gerne mit einer spielerisch packenden Szene eingeleitet. Doch obwohl ich schon in der ersten Mission wie ein Ninja an Bord eines schwarzen Dampfschiffs unterwegs bin, um den US-Kapitän Perry zu ermorden, entsteht auf dem Weg dorthin weder atmosphärische noch spielerische Hochspannung. Mit ein wenig Altersmilde könnte ich einlenken, dass diese schwache Infiltration ja noch zum Prolog gehört. Hier lernt man noch das Kampfsystem im Duett kennen, bei dem man blitzschnell während eines Gefechts zwischen einem selbst erstellten männlichen und weiblichen Charakter wechseln kann.


Sie wurden als so genannte Zwillingsklingen von einer toughen Lady zu Attentat-Geschwistern ausgebildet. Allerdings wird diese Mentorin als grob geschnitzter Charakter kaum greifbar, und als man in der Nacht das Dampf betriebene Flaggschiff betritt, zeichnet sich sowohl die Oberflächlichkeit in der Schleichmechanik als auch in der Kulisse ab. Ich habe an Bord vielleicht keine Intensität à la Metal Gear Solid oder gar Thief erwartet, aber dass es keine Reaktion auf Geräusche und so einfache Wege an dummen Wachen vorbei zum Ziel gibt, war selbst für ein Action-Rollenspiel ernüchternd. Falls man entdeckt wird, sorgt das rasante Schlitzen inkl. rollender Köpfe und Blutfontänen für so viel knallrot spritzende Farbe, dass ich fast an Splatoon denken musste.


Rauchsäulen zeigen Banditenlager an.

Das wirkt natürlich komplett arcadig, aber hier entsteht das brachiale Flair taktischer Kämpfe mit Hack'n Slay, wie man es von Team Ninja kennt. Nur kann es das eher fade Erlebnis an Bord nicht aufwiegen. Mal abgesehen davon, dass sich bei Berührung oder Sprung selbst schwere Kisten mit Kanonenkugeln einfach so in Luft auflösen, ist das Copy & Paste des Interieurs, sogar in der Kajüte des Kapitäns, ein früher Dämpfer. Ich werde ja als Eindringling dazu animiert, mir die Tische und Regale genauer anzusehen. Dort erkenne ich oberflächlich designte Gegenstände sowie tatsächlich 1:1 kopierte Bücherreihen. So entsteht ein steriles Baukastengefühl, das sich durch nahezu alle Räume einer Welt zieht, die stilistisch und technisch deutlich unter dem abliefert, was man von den PlayStation Studios gewohnt ist.


Angriff mit Gift-Katana.

Aber genug Innenarchitektur, ich hab ja noch einen Auftrag. Also klettern wir im Duo die Leiter hinauf und treffen an Deck endlich Commodore Matthew Perry. Der schwadroniert in der Pose eines bizarren Superschurken mit arroganten Sprüchen über Japan als weißen Wal. Hier begegnet man in Person des protzigen Amerikaners dem außenpolitischen Konflikt der späten Edo-Phase. Und natürlich erkennt man die Sympathie der Entwickler für die Revolutionäre, die später meist cooler und sympathischer charakterisiert werden als die Europäer oder die engstirnigen Anhänger des regierenden Shoguns. Es gibt durchaus mal Graustufen, aber die Dialoge sind meist recht kurz und oberflächlich; außerdem wirken so einige Situationen künstlich bis unfreiwillig komisch. Man merkt einfach, dass dieses kampfgeschulte Studio mit dem Aufbau einer glaubwürdigen Welt samt Rollenspielflair fremdelte.


Das Ende des Shogunats


Aber Team Ninja bildet die beteiligten Fraktionen auf der politischen Ebene und teilweise sogar in der Welt ordentlich ab. Sie schürfen dabei nicht so tief in den Konflikten der Gesellschaft wie Rockstar im Wilden Westen, doch einige relevante Aspekte dieser Zeit werden sichtbar. Schon vor dieser so genannten Bakumatsu-Periode, die das Ende des Shogunats einleitete, brodelte es ja unter der Oberfläche einer von Tradition und Disziplin, aber auch Ungleichheit geprägten Ständegesellschaft. Kleinbauern konnten sich kaum über Wasser halten, es gab eine Landflucht in die Städte, Kaufleute wurden benachteiligt, Einflüsse aus dem Westen blockiert und aus dem Handwerk entwickelte sich nur schleppend eine Industrie. Sprich: Japan hatte im 19. Jahrhundert einen ganz anderen Rhythmus, eine ganz andere, mit der Vergangenheit und Traditionen stärker verbundene Gesellschaft als Europa oder Amerika.


Wie kommt man nach Yokohama? Mit freundlicher Hilfe...

Zwar prägten Samurai die Kultur, aber sie spielten als Kriegerklasse in dieser längsten Friedenszeit des Landes kaum noch eine Rolle und viele verarmten als Handlanger. Das wird zwar nicht auf den ersten Blick sichtbar, weil sie im Spiel recht dominant auftreten und man am Straßenrand öfter auf Meister und Schüler trifft, die wie in Zeiten von Miyamoto Musashi (1584-1654) zum Duell bitten. Aber manchmal wird das auf Missionen angerissen, wenn Mitglieder alter Familien von der Enteignung durch Beamte erzählen, die dem Shogun dienen. Er herrschte wie ein König im Mittelalter mit einem bürokratischen Apparat namens Bakafu aus Kanzlern und Kommissaren, deren brutale Handlanger in Missionen des Spiels auftreten. Er war zwar ein Nachfahre des berühmten Tokugawa Ieyasu (1543-1616), aber der Ruhm dieses Reichseinigers war nach dreihundert Jahren längst verblasst. Und der Kniefall des Shogun vor den schwarzen Schiffen der Amerikaner mit der erzwungenen Öffnung des Landes, darunter übrigens auch Handelsverträge mit Preußen im Jahr 1861, führte zu dem inneren Konflikt, den das Spiel thematisiert.


Verehrt den Kaiser, vertreibt die Barbaren!


Die Fürsten und Samurai sind gespalten, in eine Fraktion für und eine gegen den amtierenden Shogun. Letztere entwickelte einen neuen Nationalismus und sehnte den eigentlich entmachteten Kaiser zurück, um die so genannten Barbaren aus dem Westen zu vertreiben. Ausländer raus war quasi der Slogan, den man aufgrund der militärischen Erpressung der Amerikaner allerdings in einem ganz anderen Kontext einordnen muss als heutzutage. Der geistige Anführer dieses Widerstands, Yoshida Shōin (1830-1859), ist sogar eine zentrale Figur in einer der Hauptmissionen des Spiels. Der intellektuelle Rebell ist zu Spielbeginn verschwunden und man kann sich mit einigen seiner Getreuen auf die Suche nach ihm machen. Sogar bis hin zum Gefängnis des Shogun, in dem er tatsächlich inhaftiert war, weil Kapitän Perry ihn an den damaligen Shogun verriet.


Der Shogun regiert Japan wie ein König. Man kann seine Fraktion unterstützen.

Aber man kann auf diesen Shoin auch pfeifen und sein eigenes Ding durchziehen. Partei für ihn zu ergreifen legt einem die Regie zunächst nahe, zumal man bereits in der ersten Mission Kapitän Perry töten soll. Also schwenke ich nochmal kurz zurück auf sein Schiff, denn er wartet dort ja noch ganz alleine auf die Zwillingsklingen, um zum Bosstanz zu bitten. Immerhin befinden sich die Nioh-Macher in dieser Arena wieder auf vertrautem Terrain. Und so erlebt man einen durchaus anspruchsvollen Kampf, bei dem ähnlich wie in Wo Long: Dynasty gut getimte Konterstaffetten nötig sind, um das KI bzw. die blaue Widerstands-Leiste des Feindes mehrmals zu dezimieren, so dass er für fatale Treffer verwundbar wird. Aber plötzlich taucht ein blauer Dämon auf, Perry überlebt knapp, das Duo wird getrennt und man ist erstmal alleine auf dem Festland unterwegs.


Mit dem Gleiter und Greifhaken


Dort sieht Rise of the Ronin deutlich besser aus als an Bord. Es gibt im fahlen Licht einige schöne Momente zwischen Reisfeldern und Pampasgras, so manches Bauernhaus oder Turm an der von Felsen und Klippen zerfurchten Küste lockt aus der Ferne. Aber die Regie ist seltsam ungeduldig, fast hastig und lässt so einiges einfach vom Himmel fallen. Man hat genauso plötzlich ein Pferd wie ein Fluggerät, ohne dass diese über eine Mission mit der Geschichte verwoben werden. Regelrecht bizarr wirkt die späte Einführung des Bogens, nachdem man schon mit Bomben, Shuriken, Pistolen und Gewehren hantieren und zahlreiche Bogenschützen erledigen durfte. Mit den Revolvern kann man direkt im Nahkampf ablenken und später auch Finisher einleiten, mit den Gewehren erzielt man direkte Kills aus der Distanz. Es dauert nicht all zu lange, dann kommt eine Art Flammenwerfer hinzu, der wie ein Fremdkörper des Ersten Weltkriegs wirkt - ich hab ihn nie benutzen wollen.


Sehr früh verfügt man über einen Gleiter.

Er ist für mich auch ein Symbol für die Brüche und fehlende Eleganz eines Spiels, das sich zwar offensichtlich an Ghost of Tsushima orientiert, aber nicht über das Nacheifern hinaus kommt. Man kann Pferde reiten und aus dem Sattel heraus diverse Pflanzen oder gar Fleisch von davon jagenden Tieren abgreifen, ohne dass man sie töten muss - trotzdem wird man mal wieder von Wölfen und Ebern attackiert. Das Reiten sowie Kämpfen aus dem Sattel heraus wirkt allerdings fahrig und Pferde sind nicht mehr als ein Transportmittel, das man mit Sätteln aufrüsten kann. Man kann in den Buchten oder Flüssen schwimmen und tauchen, sich mit dem Greifhaken unter Wasser beschleunigen oder natürlich in die Höhe schwingen, teils in kombinierten Stafetten in die Gipfel hinauf, dann mit dem Gleiter hinab in Täler segeln oder an Wettbewerben mit Highscore teilnehmen. Mal findet man Schreine für ein Gebet, mal Tempel, in denen Ronin lauern. Doch je mehr man sieht, je näher man Flora und Fauna oder Sehenswürdigkeiten kommt, desto deutlicher lichtet sich der Nebel visueller Hoffnungen. Die Welt wird immer mehr zur funktionalen Oberfläche und manchmal wirkt sie fast trostlos leer.


Keine lebendige Stadt


Ich finde in diesem Japan weder die stilistische Schönheit noch die filmische Ästhetik eines Ghost of Tsushima. Ich finde auch nicht die atmosphärische Dichte eines Red Dead Redemption 2, das mich über das Licht in der Natur fast magisch in seinen Wilden Westen lockte. Natürlich gibt es zwischen Ronin und Revolverhelden sehr große Unterschiede, aber beide Spiele thematisieren einen Kulturkonflikt zwischen der vermeintlichen Idylle alter Zeiten und dem brutalen Fortschritt des Industriezeitalters. Rise of the Ronin lockt zwar auch über den architektonischen Kontrast von Mittelalter und Moderne in seine große Stadt - da gibt es Rotlichtviertel und europäisch anmutende Uhrentürme, große Villen und Armenviertel, Parks und Tempel, die je nach Tageszeit ein etwas anderes Flair verströmen.


Aber da trifft man nicht auf das quirlige Milieu eines Yakuza oder Like A Dragon Ishin, sondern auf altbackenene Statik. Und es ist mir unbegreiflich, wie man diese Designentscheidung treffen konnte, dass sich nicht nur Kisten auf Schiffen oder in Räumen, sondern auch ganze Auslagen und Stände von Kaufleuten bei Kontakt in Luft auflösen. Da spaziere ich an einem Maskenhändler in Yokohama vorbei, will sie mir gerade ansehen, entdecke aber noch eine Katze auf den Dächern und springe hoch. Nach ein, zwei kleinen Kollisionen sind alle Masken und Regale verschwunden und der Händler steht doof rum. Zwar ist es ganz nett, dass einige Leute tatsächlich während der Kämpfe in der Stadt mal schreien oder fliehen, aber meine Güte, was sind die Reaktionen der Zivilisten spartanisch. Man hat übrigens dutzende Gesten von der Verbeugung über das Beten bis zum Winken, aber nicht einmal hat jemand darauf reagiert.


Die Botschaft der Amerikaner, kurz vor einem Blutbad.

Und natürlich stehen nicht nur in Räumen von Händlern, sondern auch in Bordellen und Botschaften diverse Kisten, die man einfach so vor den Augen der Anwesenden plündern darf. Hier drücke ich allerdings ein kleptomanisches Auge zu, denn das ist selbst in Dragon's Dogma 2 so. Aber wenn man im Jahr 2024 eine Stadt des 19. Jahrhunderts inszeniert, dann muss man mehr bieten als derart robotisches Verhalten, bei dem das Zusammenzucken bei einem Rempler schon das Maximum der Gefühle ist. Zwar sieht man unterschiedliche Mode vom Kimono bis zum Anzug, die Leute spazieren, aber hier kommt keinerlei lebendiges Gefühl auf, keinerlei städtisches Milieu. Stattdessen begegnen mir neben zig Klonfiguren die immer selben Kutschen am Straßenrand, die als Copy&Paste-Requisiten natürlich niemals mit Pferden unterwegs sind. Auch im Vergleich zu einem Assassin's Creed Mirage, das ich kürzlich aus anderen Gründen kritisierte, ist das eine schwache Inszenierung.


Moment, es gibt Katzen!


Trotzdem kann dieses Rise of the Ronin kurzweilig unterhalten, vielleicht gerade weil es so durchschaubar und damit Stück für Stück genießbar ist. Und es sieht ja nicht schlecht aus. Es gibt wie gesagt ansehnliche Regionen und die Landschaft kann durchaus stimmungsvoll sein. Aber ich bleibe nicht stehen, um staunend die Kamera zu drehen. Moment, das stimmt nicht ganz - gerade eben hab ich wieder das Miauen gehört, also suche ich die Gegend natürlich ab! Aber anstatt mich eifrig am Kampf um Japan zu beteiligen oder zumindest meinen verschwundenen Zwilling zu suchen, was ich in den ersten Stunden tatsächlich noch vorhatte, reite ich mittlerweile im Galopp von A nach B, kraule zwischendurch Hunde und suche für eine Geisha streunende Katzen. Die miauen auf Dächern, vor Tempeln und Gasthäusern. Man kann sie kurz in den Arm nehmen, streicheln und dann verschwinden sie erstmal. Doch sie tauchen wieder im Langhaus auf, dem eigenen Hauptquartier, in dem ich gerade die Rüstung eines Samurai, dazu Schwerter, Vasen und anderes Zeug aufbewahre - weniger als tolle Schätze, mehr als nützliche Deko.


Katzen, überall kann man sie finden und sammeln.

Denn je nachdem, was ich dort ins Regal stelle, bekomme ich Besuch von Bekannten, denen ich neben Hilfe in Missonen spezielle Geschenke anbieten kann, um die Beziehung zu stärken. Da sitzt übrigens neben einigen anderen auch Gonzo und wartet auf ein Gespräch. Er ist der erste Boss eines Videospiels, bei dem ich Gnade vor Todeshieb walten ließ. Nicht etwa weil er mir so sympathisch wäre, schließlich wollte mich der unflätige Bandit zermalmen. Und gemordet hat er auch. Aber ich wollte ausprobieren, was passiert, wenn ich diese Dialogoption nutze. Letztlich sind alle recht rudimentär, aber je nachdem wie ich meine eigene Stärke, Charisma, Intelligenz und Geschicklichkeit aufrüste, schalte ich das Überzeugen, Lügen oder Bedrohen in mehreren Stufen frei und kann auch Konflikte umgehen. Punkte dafür bekomme ich durch den Aufstieg oder auch für Hol- und Bringdienste; Intelligenz gibt es z.B. beim Fotografen für diverse Motive.


Dialoge mit Konsequenzen


Gerade in den ersten Stunden war ich noch besonders neugierig, ob diese oberflächlich inszenierte Welt irgendeine Art von erzählerischer Dynamik mit Überraschungen bieten könnte. Und als Rollenspieler wurde ich zumindest in Ansätzen abgeholt, denn Team Ninja bietet manchmal Multiple-Choice mit Konsequenzen, in dem sich die rhetorischen Fähigkeiten auswirken. Gonzo floh übrigens nach meiner Begnadigug erstmal Hals über Kopf. Aber dann gab es irgendwann ein erneutes Treffen, bei dem man ihn eines weiteren Verbrechens beschuldigte. Ich verschonte ihn abermals. Tja, und jetzt sitzt er mit mir im Langhaus, ich hab ihm sogar Sake geschenkt und die Beziehung auf Freundschaft erhöht.


Diese Geisha ebnet den Weg zur Katzenpension.

Neben den Katzen kann man also auch Menschen einfangen und ihre Gunst gewinnen.

Und je höher die Stufe von 1, wie flüchtig bekannt, bis 4, wie schicksalhaft verbunden, desto mehr automatische Boni bekomme ich von ihnen. Manchmal steigt bloß irgendeine Statistik, aber die Geisha übertrug mir den Nebenjob als Katzenpension, es werden auch neue Kampfstile verfügbar und Gonzo ist neben anderen Samurai als Gefährte in Missionen wählbar. Da teilt er ordentlich aus und man kann auf Knopfdruck in seine oder die Rolle anderer Gefährten schlüpfen, was nützlich ist, wenn deren Waffen besser gegen den Feind geeignet sind. Manchmal ist man sogar zu dritt unterwegs, hat also einige taktische Auswahl und auch in Bosskämpfen sind die Gefährten nützlich.


Zwei Fraktionen oder Ronin bleiben


Die meisten anderen Bekannten sind allerdings politisch motivierter als Gonzo. Sie wollen mich entweder auf die Seite des polizeistaatlich regierenden Shoguns ziehen, der kürzlich mit den Amerikanern verhandelte und die Häfen öffnen ließ. Oder auf jene der nationalistischen Revolutionäre, die darin einen Verrat sehen, den Westen ablehnen und Japans Kaiser wieder an der Macht sehen wollen. Ähnlich wie bei den persönlichen Bindungen gibt es auch hier je nach Stufe diverse Fraktionsboni, andere Kampfstile und Missionen. Nur spüre ich kaum relevante Veränderungen für die Taktik oder das Erlebnis, kann also lediglich die Story in eine andere Richtung bringen.



Über vier Charakterwerte entwickelt man seinen Ronin. Geschick schaltet hinterhältige Manöver frei.

Das Spiel plätscherte irgendwann mit einem halben Dutzend offener Missionen so vor sich hin, dass ich mir als herrenloser Samurai alles offen ließ und mal hier oder da was erledigte. Fast immer ohne größeres Interesse für eine Mission, denn das Holen und Bringen, Schlitzen und Töten, Jagen und Fotografieren wiederholt sich in immer gleicher Routine. Irgendwann war die größte Überraschung, dass ich tatsächlich Katzen-Concierge werden und die Vierbeiner für Boni im Dutzendpack verleihen konnte. Nett ist auch, dass man Tempelhunde mit einem Beutel voller Geld auf die Reise schicken kann. Nach etwa einer Stunde kommen die Vierbeiner zurück und liefern ihre Beute aus. Man trifft sie häufiger auf den Straßen, wenn man Dörfer von Banditen befreit - hat man den letzten erledigt, verwandeln sie sich wie in The Witcher 3 oder Ghost of Tsushima nach einer kleinen Melodie in einen friedlichen Ort, wo man auch Händler und Schmiede aufsuchen kann.


Die Flut der Gegenstände


Aber daraus entsteht keine weitere Entwicklung oder neue Spielfreude. Denn man wird in Rise of the Ronin so von Ausrüstung aller Art überschwemmt, dass man in der Flut regelrecht untergeht. Man hat dutzende Schwerter, Speere, Hüte, Handschuhe, Rüstungen, Bögen, Pistolen und Gewehre in mehreren Seltenheitsgraden, managt sein Inventar und Lager fast wie ein Kaufhaus. Zwar kann man Sets zusammen stellen, die je nach Anzahl der Teile in mehreren Stufen die Kampfstatistiken verbessern, aber was hab ich bitte von ein paar Prozent mehr Schaden in der Nacht oder sonstiger flüchtiger Arithmetik? Wer Wertschätzung für das handwerklich Besondere als Teil der japanischen Kultur sucht, wird hier jedenfalls nicht fündig.


Zwar erliegen viele Spiele dieser Flut, aber Rise of the Ronin ist der tosende Wasserfall unter ihnen. Die Beute rauscht im Minutentakt ins Inventar, wo theoretisch 2000 Gegenstände ihren Platz finden; Überschüsse werden automatisch ins Lager gebeamt. Natürlich kann man auch alles zerlegen. Und Kram herstellen, von Kugeln über Pfeile bis hin zu Heilmitteln. Aber spezielle Voraussicht oder Planung ist kaum nötig. Man findet dermaßen häufig Waffen aller Art und Kleidung aller Art, die meist etwas bessere Statistiken und Boni bietet, dass man ständig zum Wechsel aufgrund höherer Werte animiert wird. Das war schon in Nioh 2 sowie Wo Long: Dynasty nervig und erreicht hier einen fast industriell anmutenden Höhepunkt.



Zwar passt das fast wieder zum Szenario, aber so sind Spielmechaniken wie Schmiede, Waffenverbesserungen sowie Übertragung von Spezialeigenschaften fast sinnlos - es gab nicht einmal einen Grund für mich, eine neue Klinge zu kaufen oder herzustellen. Noch schlimmer ist die damit verbundene Entzauberung der Erkundung: Irgendwann traf ich einen weißen Wolf in der Wildnis, der mich zu einem geheimen Ort locken wollte. Ich wollte mich gerade freuen, als er etwas freischarrte, aber es gab einen Talisman, von dem ich tatsächlich schon drei bessere Varianten im Rucksack hatte. Und genauso wenig Vorfreude verspürt man beim Öffnen von Kisten, die man in herrenlosen Häusern findet, denn meist hat man schon Besseres.


Kampfsystem in bekannter Manier


Team Ninja ist spätestens seit dem knallharten Ninja Gaiden von 2004 bekannt und gefürchtet für seine anspruchsvollen Kämpfe. Aber im Gegensatz zu den Soulslikes Nioh sowie Wo Long: Dynasty hat man hier von Anfang an die Wahl zwischen drei Stufen. Auf der normalen Schwierigkeit wird man zwar gefordert, aber nicht so wie in den vorherigen Abenteuern oder gar in einem Sekiro: Shadows Die Twice. Es ist erneut ein taktisches Hack'n Slay, das schnelle Reaktionen und effizient dosierte Angriffe mit den richtigen Waffen verlangt, nur dass man jetzt auch aus Pistolen feuern kann. Man verliert Ausdauer und muss auf die blaue KI-Energie achten. Zwar reicht bei einfachen Feinden auch mal mehrfaches Draufhauen samt Ausweichen, aber in der Regel muss man die Verteidigung des Gegners erst über rechtzeitige Konter sowie Angriffe auf dessen KI brechen, um ihn dann schwer zu treffen.


Das bedeutet: Verteidigung über L1 hoch, abwarten, Dreieck entweder einmal kurz vor dem Treffer drücken oder bei Kombos des Feindes mehrfach. Danach nicht simpel, sondern über R1 plus Viereck verstärkt zuschlagen, damit das KI schneller sinkt. Im Idealfall nach einem eigenen Angriff sofort mit R1 das Blut der Klinge abschütteln, damit das eigene KI steigt. Aber nicht zu oft zuschlagen, sondern zurückziehen, ausweichen, verteidigen und kontern. Wenn man das Prinzip einmal verinnerlicht hat, das bei gegnerischen Kombinationen auch mehrmals hintereinander ausgeführt werden muss, wird man zwar von Anführern gefordert, aber nur noch von besonderen Feinden oder Bossen ins Schwitzen gebracht.


In Tempeln warten oft Ronin für ein Duell.

Dann entsteht ein sehr rasanter Tanz aus Kontern und Riposte, man muss das KI seines Gegners mehrfach bis zur fatalen Attacke brechen und sich währenddessen heilen. Natürlich gibt es aufgrund des historischen Szenarios keine Bildschirm füllenden Bestien, aber so richtig spektakuläres Arenagefühl will selbst dann nicht aufkommen, wenn man es mit Hünen zu tun hat. Ähnlich wie in bisherigen Spielen von Team Ninja kann man seine Effizienz über die Wahl des Waffentyps sowie des Kampfstils erhöhen. Wenn man auf einen Gegner trifft, wird umgehend angezeigt ob das Schwerterpaar oder der Säbel eine gute Wahl ist, oder ob man lieber auf Speer, Odachi, Stangenwaffe oder ein übergroßes Langschwert im Stile eines Berserk wechseln sollte. Weil mich das so krass an Guts erinnert hat, hab ich damit alles kurz und klein gehauen. Falls man stirbt, gibt es übrigens noch einen Rest an Soulslike, denn man kann die bis dahin gewonnene Erfahrung zurückgewinnen, wenn man Rache übt und den Feind besiegt. Aber das wirkt eher wie ein Überbleibsel aus alten Zeiten, denn man spürt den Verlust kaum.


Zurückziehen und Schleichen


Überhaupt ist der Anspruch eher moderat, da man in offener Welt viel mehr Möglichkeiten gegen Feinde und ein größeres Arsenal hat. Man kann seine Waffen nicht nur mit Gift-, Feuer- oder Lähmungswirkung versehen, sondern auch aus der Distanz mit Shuriken, Pistolen, Gewehren oder Flammenwerfer agieren. Man kann die Umgebung wie etwa höhere Plattformen ausnutzen und in vielen Fällen auf die Dummheit der Gegner spekulieren, die sich irgendwann verwundet zurückziehen und einfach wieder attackiert werden können. Zu den Tiefpunkten der Kampfinszenierung gehört übrigens die Gatling-Gun, wenn man wie in einem Call of Duty mit dem Maschinengewehr um sich ballert.


Und gerade weil Rise of the Ronin auch das hinterhältige Töten forciert, indem man sich in den Rücken schleicht oder von Dächern aus den Wurfhaken zum direkten Kill einsetzt, fallen die Schwächen dieser Stealth-Action light sofort auf. Zwar gibt es Sichtlinien mit langsam anwachsender Alarmierung, Gras zum Verstecken, aber ich habe selten so viele unrealistische Situationen erlebt, in denen es teilweise komplett willkürliche Kletterpunkte gibt, gegenseitige Alarmierungen kaum und Geräusche fast gar keine Rolle spielen, so dass man gar nicht erst die Nacht abwarten muss, die immerhin für einige Missionen relevant ist. Man kann von Dächern aus meist in aller Ruhe mit dem Greifhaken meucheln, ohne dass es der Wache daneben auffällt. Warum es tatsächlich eine Glocke gibt, mit der die Konturen der Feinde kurz durch Wände sichtbar werden, ist mir schleierhaft - ich hab sie nie gebraucht.


Das Infiltrieren ist recht einfach, erst recht bei Nacht.


Jetzt war auch Ghost of Tsushima nicht besonders anspruchsvoll, was Stealth-Action angeht, aber das hier hat mich noch schneller gelangweilt und ist weit vom Nervenkitzel eines Sekiro entfernt. Rise of the Ronin wirkt an einigen Stellen regelecht unfertig und schnell zusammen gezimmert, weil entweder die Menschen fehlen oder die Räume wie Platzhalter aussehen. Man kann mittags mitten im Chinesenviertel von Yokohama minutenlang alleine durch die Gassen streifen, alles wirkt wie ausgestorben; doch man ahnt aufgrund des Leveldesigns, dass hier irgendwann mal in einer Mission ein Trigger ausgelöst und gekämpft wird. Oder man befreit eine Frau von Banditen, die sie in ihrer großen Villa gefangen haben, geht nach dem Dank hinein und befindet sich in einem abstrus winzigen Raum mit lieblos arrangierten Möbeln.


Man hat auch viel zu früh alles Relevante innerhalb seines Charakters entwickelt oder beim Erfinder freigeschaltet, bekommt also kaum noch sinnvolle Ergänzungen, die das Spielerlebnis nach zehn oder zwanzig Stunden nochmal bereichern würden. Es geht irgendwann nur noch um Komplettierung. Hier sind es die Gebiete rund um Yokohama, die man zu einhundert Prozent abhaken kann. Dafür muss man alle Banditenlager ausmisten, flüchtige Samurai besiegen sowie alle Schatzkisten, Sehenswürdigkeiten und diese verflixt niedlichen Katzen finden - für sie hab ich bis zum Finale durchgehalten. Ach so: Wer PS Plus abonniert hat, kann Missionen der Kampagne kooperativ mit bis zu drei Freunden oder angeheuerten KI-Gefährten spielen.



Die Begegnung mit den weißen Wölfen ist ernüchternd.


FAZIT


Selbst wenn ich berücksichtige, dass es das Spiel nicht leicht bei mir hatte, weil Ghost of Tsushima die Samurai-Ästhetik von Kurosawa so eindrucksvoll einfangen konnte: Rise of the Ronin ist sowohl im Kontext offener Welten als auch als Exklusivtitel von Sony eine Ernüchterung. Dieses Japan des 19. Jahrhunderts sieht aus der Distanz einigermaßen ansehnlich aus, es kann als taktisches Hack'n Slay kurzweilig sein, aber es erreicht weder spielmechanisch noch ästhetisch oder technisch die Qualität deutlich älterer Spiele. Es hat im Ansatz stimmungsvolle Momente in der Landschaft, aber wirkt stellenweise wie ein steriler Baukasten und enttäuscht in der Darstellung des städtischen Lebens. Letztlich ist es dem historischen Szenario mit den Entscheidungen und Konsequenzen zu verdanken, sowie den Katzen und Shiba Inus, dass ich weitergespielt habe. Und der Kampf beruht natürlich auf dem ebenso konterfreudigen wie vielfältigen System von Team Ninja. Die Stealth-Action ist hinsichtlich der KI-Routinen allerdings schwach und die Erkundung der Welt bis auf wenige Ausnahmen zu gleichförmig, voller Copy&Paste in Räumen und mit teils leblosen Straßen. Man versinkt zudem in einer regelrechten Flut an sinnloser Ausrüstung, so dass man kaum noch einen Fund zu schätzen weiß. Schon nach wenigen Stunden hab ich Rise of the Ronin trotz des interessanten innenpolitischen Konflikts nicht mehr wie ein Abenteuer erlebt, sondern wie ein digitales Workout mit einer Liste zum Abhaken. Auch das kann ausreichend unterhaltsam sein. Und ich konnte nicht aufhören, bis ich alle Katzen gefunden hatte.


(Bilder: Rise of the Ronin, PS5, eigene Aufnahmen)

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