Als Alex Crispin, Thomas Pike und James Shelton im Jahr 2016 einen Verlag für Brettspiele namens Themeborne gründeten, haben sie weder damit gerechnet, dass sie aufgrund des Erfolges bald ihre normalen Jobs aufgeben könnten, noch dass irgendwann mal Neil Druckmann aus Kalifornien anklopfen würde. Das Trio aus Norwich in England ist seiner Lust auf Dungeons & Dragons sowie Gamebooks der Fighting Fantasy gefolgt, um daraus eine eigene Art von Abenteuer zu erschaffen. Und mittlerweile führen sie auch Joel, Ellie & Co mit Karten, Würfeln sowie Charakterentwicklung durch eine markant illustrierte Finsternis.
Monochromes Artdesign
Denn was sofort ins Auge sticht, ist das komplett monochrome Artdesign von The Last of Us: Escape the Dark, das einem in der bunten Welt der Brettspiele sehr selten begegnet. Egal ob Anleitung, Spielplan, Charakterbögen, Würfel oder Karten: Es gibt hier nur Schwarz, Weiß und dazwischen Graustufen. Natürlich passt diese Dunkelheit samt ihrer harten Kontraste zu einem Abenteuer, das sich mit menschlichen Tragödien einer Postapokalypse beschäftigt. Nach dem Ausbruch einer Pilzinfektion steht die Zivilisation immerhin vor dem Abgrund, während Menschen zu Monstern aller Art mutieren.
Doch als The Last of Us im Jahr 2013 auf der PlayStation 3 erschien, gab es zwischen all dem Verfall und überwucherten Ruinen durchaus idyllische und sogar Licht durchflutete Szenen. Auf diese farbenfrohen Panoramen haben die Entwickler von Themeborne in Absprache mit Sony und Naughty Dog für die Variante am Tisch verzichtet, aber in den tollen Zeichnungen wird immer mal wieder das verwittert Schöne von Lost Places sichtbar. Dieser Stil war angesichts der bisherigen Brettspiele von Themeborne konsequent und aus künstlerischer Sicht eine gute Entscheidung, denn so entsteht umgehend eine bedrohliche Stimmung.
Schwarz steht bekanntlich für Gefahr, Tod und Trauer, aber auch für Eleganz, Stärke sowie das Unbekannte. Genau dem müssen sich bis zu fünf Spieler stellen, wenn sie in der ersten Runde aus ihrer autoritär geführten Quarantänezone fliehen, um sich danach über mehrere Tagesmärsche durch die amerikanische Wildnis zu kämpfen. Dort gibt es auch einige hoffungsvolle und sogar schöne Begegnungen, aber der Weg ist gefährlich. Die wunderbaren Zeichnungen von Alex Crispin fangen in ihrem scharf konturierten Realismus das Gnadenlose und die alltägliche Härte des Videospiels ein. Die Gruppe kann sich unterwegs aus taktischen Gründen trennen, aber ihr gemeinsames Ziel ist eine Stadt im weit entfernten Wyoming namens Jackson, wo es frei und selbstbestimmt zugehen soll.
In der Tradition von Dark Castle & Sector
Mit ihrem schwarzweißen Stil haben die Briten bereits zweimal international überzeugen können: Einmal 2017 mit Escape the Dark Castle, einem über Karten inszenierten Dungeon-Crawler, der überaus kreativ an die Tradition der ersten Abenteuer-Spielbücher anknüpft. Ich hab das Spiel damals besprochen und kann es wärmstens empfehlen - es hatte übrigens beim Start von Spielvertiefung einen Ehrenplatz auf dem Regal.
Diese Premiere legte den Grundstein für den Erfolg des Verlags, der bis heute drei Adventure-Packs und 2020 eine futuristische Variante namens Escape the Dark Sector nachlegte. Dort kämpft sich eine Crew von bis zu vier Leuten durch eine Raumstation, auf der Suche nach ihrem Schiff. Das Spieldesign wurde ein wenig ergänzt und das Abenteuer dauerte schon etwas länger, so dass man etwa eine Dreiviertelstunde turbulente Science-Fiction mit einem Schuss Survival-Horror erlebt.
Zwar habe ich bis hierher viel über das Artdesign gesprochen, aber beide Spiele konnten auch aufgrund der innovativen Symbiose aus Rollenspielflair samt Würfelproben sowie dem offenen Storytelling über Kapitelkarten ihre Awards gewinnen. Die Spannung entsteht in dem Moment, wenn man sie aufdeckt, denn sie zeigen auf der Vorderseite vielleicht nur einen Eingang oder eine Tür. Und dahinter könnte ein Monster, Banditen, Fallen oder eine Dialogszene warten.
Erzählen mit illustrierten Karten
Es ist also fast so, als würde man in einem Abenteuer-Spielbuch weiterblättern, aber nicht wissen, was einen auf der Seite 46 oder 157 erwartet. So entsteht erzählerische Spannung aus Ungewissheit und Hoffnung. Und genau daran knüpft Themeborne für The Last of Us: Escape the Dark an, denn jeder Ort besteht aus einem gemischten Kartendeck, in dem sich kleine Szenen und Geschichten verbergen.

Man deckt eine Karte um und blickt vielleicht auf eine Hausfassade mit einem seltsamen Lichtblitz. Je nachdem, wer die Gruppe anführt, liest er dann einen Stimmungstext vor, auf den eine Würfelprobe oder ein Kampf folgt. Da kann es z.B. heißen:
"The streets here are unnervingly quiet. Suddenly you see why - a shape, a glint of light in the top window. Sniper! Shots ring out as you scramble to withdraw, scurrying between the abondoned vehicles that line the street."
All Survivors present must roll HIT dice equal to the Threat Level, losing 1HP for each [crosshair] rolled. If you survive, discard a Threat token, then SEARCH.
Natürlich haben die Briten so einige bekannte Szenen des Videospiels integriert, so dass es tolle Déjà-vus gibt, Stichwort: Giraffe. Und anhand der Folge-Aktionen der obigen Szene erkennt man schon, dass Themeborne das Prinzip erweitert hat, so dass ein epischeres Survival-Gefühl in offener Welt entsteht. Es kommt noch mehr auf das Management von Ressourcen sowie die Entwicklung und Taktik der Charaktere an. Escape the Dark Castle war ja sehr kurz und knackig, mit etwa 20 bis 30 Minuten pro Sitzung, wohingegen man hier je nach Spielerzahl mindestens eine, aber bei vier, fünf Leuten durchaus zwei oder mehr Stunden einplanen sollte.
Sechs Charaktere von Joel bis Tess
Allerdings gilt das nur, wenn man es als Team erfolgreich bis nach Jackson zum finalen Kampf schafft, denn es kann viel früher Schluss sein. Sobald jemand aus der Gruppe stirbt, heißt es nämlich: Game Over. Also muss man gut aufpassen, wenn man sich trennt, um hier oder da mehr Beute zu machen, denn Verbände und Heilung sind ebenso kostbar wie die verlorene Zeit.
Neben Joel und Ellie gibt es vier weitere Charaktere: Tommy, Bill, Tess und Marlene. Sie alle haben 14 Lebenspunkte und sechs freie Plätze im Inventar, aber unterscheiden sich ein wenig in den drei Attributen Stärke (Faust), Klugheit (Auge) und Weisheit (Kreuz). Joels Bruder Tommy hat z.B. Weisheit 4, Stärke 3 und Klugheit 2, wohingegen der mürrische Einsiedler Bill Stärke 4, Klugheit 3 und Weisheit 2 besitzt. Schön an den massiven Charakter-Tableaus sind übrigens auch die Vertiefungen für Würfel, die es als exklusive Sets für jeden Charakter gibt.

Das Besondere auf den Tableaus ist, dass jeder mit einem psychologischen Makel wie etwa Einsamkeit bei Ellie startet. Und dieser kann in drei Stufen überwunden werden, um eine von fünf Fähigkeiten freizuschalten. Dafür muss Ellie z.B. erst einen unbekannten Gegenstand ziehen, dann eine Kapitelkarte als Anführerin umdrehen und schließlich erfolgreich schleichen. Erst wenn sie diese drei Voraussetzungen nacheinander erfüllt hat, darf sie aus dem Deck der fünf Spezialfähigkeiten eine Karte wählen, darunter z.B. permanent doppelte Treffer.
Gegenstände herstellen und Route planen
Ein weiterer Unterschied zu den bisherigen Abenteuern von Themeborne ist, dass man die Schauplätze inklusive einer Reise- und Aktionsphase auf einem Spielplan samt Zeitleiste erkundet, auf der sich zwei Marker aufeinander zu bewegen. Am Tag kann man Orte durchsuchen oder campieren, nachladen, handeln, Gegenstände benutzen oder herstellen. Falls man genug Alkohol, Lappen, Klingen & Co hat, entstehen daraus die aus dem Videospiel bekannten Nützlichkeiten wie Messer, Heilpaket, Rauchbombe, Nagelbombe oder Molotow-Cocktail.
In der Phase der Erkundung kann man Gegenstandskarten aufdecken, sichtbare auswählen oder das Risiko eingehen und blind ziehen. Und falls man einen ganzen Tag investiert, gibt es statt zwei sogar vier Bonuskationen. Es gibt auf dem Spielplan sechs sichtbare Orte mit Wegen dazwischen, so dass man eine Route wählen kann. Wenn die Gruppe in der Quarantänezone startet, kann sie z.B. entweder nach Westen in die Innenstadt oder nach Osten in die Vororte gehen, wo der oben erwähnte Sniper lauert.

Dahinter warten wiederum die Kanalisation, die Universität sowie die Seeufer, bevor jeweils ein Weg nach Jackson führt. Bei unserem ersten Abenteuer sind wir dort zwar angekommen, aber waren im Finale gegen den Boss deutlich unterlegen, denn Joel, Ellie, Tommy und Marlene ging die Munition aus; außerdem waren zwei schon so schwer verwundet, dass ein Sieg ohne Verluste kaum noch möglich war. Sprich: Wir waren zu schwach und zu früh. Aber wir hatten Lust auf einen neuen Versuch.
Effiziente Survival-Taktik gesucht
In diesem kooperativen Brettspiel ist die Balance zwischen dem täglichen Überleben sowie der Vorbereitung auf die Gefahren der nächsten Tage entscheidend. Allerdings läuft gleichzeitig die Zeit ab und es gibt alle zwei, drei Tage Ausbrüche von Infizierten, so dass die Bedrohung wieder ansteigt. Man muss seinen Charakter sowie dessen Ausrüstung möglichst effizient auf das Finale hin entwickeln, indem man an neuen Orten ausreichend Erfahrung, Waffen sowie Beute sammelt.
Zumal man ohnehin nicht einfach schnell weiter wandern kann. Sobald man an einem Ort gelandet ist, erkennt man oben mehrere Monstermarker. Sie symbolisieren die vier Gefahrenstufen, die meist bis Stufe 2 den Weg in andere Gebiete versperren. Also muss man einige der vier verdeckten Begegnungskarten zwingend meistern. Falls die Gruppe den Ort sogar komplett befriedet, darf sie umgehend alle Verletzungen heilen, Gegenstände plündern und die Werkbank nutzen, um Waffen aufzurüsten oder zu laden.

Der Kampf wird über Würfel ausgetragen, die in der schwarzen Variante sowohl die Anzahl der Feinde als auch die Fähigkeiten symbolisieren, die man für ihre Vernichtung braucht. Falls dort acht schwarze Würfel mit vier Fäusten, zwei Augen, einem Kreuz und einem Doppelsymbole wie Faust/Auge liegen, muss man das mit seinen weißen Würfeln treffen, wobei man in seiner Runde nachladen, schießen, schlagen, werfen oder sich zurückziehen kann.
Ein Hauch von Stealth-Action
Das läuft angenehm schnell und logisch, denn alle würfeln gleichzeitig und danach werden passende Würfel aussortiert, wobei es auch kritische Treffer geben kann, die unabhängig vom Symbol einen Würfel erwischen. Und falls man ein Symbol mit einem Schild würfelt, blockt man den Folgeangriff. Das kennt man aus anderen Brettspielen, aber hinzu kommen einige taktische Kniffe, die die Stealth-Action des Videospiels simulieren und gleichzeitig für etwas Rollenspielflair sorgen.
Man kann vor dem Kampf lauschen oder sich verstecken, wobei der ausführende Charakter beim Lauschen das Symbol für Weisheit und beim Verstecken das Symbol für Klugheit würfeln muss. Und da die sechsseitigen Charakterwürfel exklusiv an die Werte angepasst sind, sollte man statt Joel lieber Ellie schleichen lassen. Bei einem Erfolg kann man entweder Würfel der Feinde auf andere Symbole drehen - das ist z.B. hilfreich, wenn es schwarze Doppelsymbole gibt, denn für ihre Vernichtung braucht man selbst zwei passende Symbole- oder aus dem Hinterhalt angreifen. Wenn das gelingt, verliert der Gegner auch seinen Angriff.

Sehr schön ist, dass das Schleichen nicht mehr zur Verfügung steht, falls jemand beim Lauschen entdeckt wurde. Oder dass man Gegenstände werfen und auf seine Munition achten muss, denn jeder Schuss aus der Distanz ist auch deshalb kostbar, weil nur wenige Feinde selbst über Fernangriffe verfügen, so dass man zumindest kurzzeitig geschützt ist. Außerdem kann man je nach Feurrate bzw. Durchschlagskraft der Waffe mehrmals schießen bzw. stärker treffen, so dass es klare Unterschiede zwischen Revolver und Schrotflinte gibt.
Spannung bis zum Boss
Das klingt alles recht explosiv, aber manchmal ist es klüger, die Feinde zu umgehen: Wenn alle zustimmen, kann man den Kampf sofort abbrechen, die Kapitelkarte entfernen und sogar einen Bedrohungsmarker vom Ort entfernen. Aber: Alle Gefährten verlieren dann auch zwei Lebenspunkte sowie einen vollen Tag, so dass der Marker der Spieler auf der Zeitleiste nach rechts vorrückt - und sobald der auf den Marker der Infizierten trifft, heißt es ebenfalls Game Over. Außerdem dürfen sie nicht nach Beute suchen und im fernen Wyoming wird der Stadt Jackson ein weiterer Bossmarker hinzugefügt.
Sobald man dieses Ziel erreicht, kommt es zum finalen Kampf mit einem der drei möglichen Bosse, der natürlich nochmal schwieriger ist. Man kann hier weder lauschen noch schleichen, um hinterhältig anzugreifen, sondern muss sich frontal stellen. Je mehr Boss-Marker sich in dessen Leiste angesammelt haben, desto schlagkräftiger ist er, dargestellt durch eine schwarze Phalanx an Würfeln.

Was gefällt nicht so gut?
Es gibt zwar die Möglichkeit alleine zu spielen, aber keine speziellen Regeln: Man steuert einfach zwei Charaktere gleichzeitig, wobei ich das Spiel ab drei oder vier Leuten empfehlen würde, weil es auch durch die Gespräche untereinander sowie die wechselnde Position des Anführers mehr Rollenspielflair erzeugen kann. Ich kann ansonsten recht wenig an diesem Brettspiel kritisieren, vielleicht bis auf die Kleinigkeit, dass es lediglich fünf wählbare Spezialfähigkeiten nach der Überwindung des eigenen Makels gibt, die mitunter etwas unspektakulär wirken. Aber letztlich geht es in The Last of Us um normale Menschen. Ach so: Wer die Variante mit Miniaturen für die Clicker erwirbt, wird solide bis ansehnliche, aber nicht besonders fein skulpturierte Plastikfiguren vorfinden. Last but not least gibt es bisher nur eine englische Version.
FAZIT
Für viele Brettspieler war diese Kooperation zwischen Naughty Dog und Themeborne Games eine Überraschung. Denn es handelt sich um einen kleinen Independent-Verlag, dessen Escape the Dark Castle eher ein Geheimtipp ist. Aber das Team aus Norwich hat die große Aufgabe gemeistert, ein stimmungsvolles Brettspiel zu The Last of Us zu designen, das nicht nur mit seinem markanten monochromen Artdesign auffällt, sondern auch Kennern des Videospiels gefallen und einige schöne Déjà-vus bescheren dürfte: spielmechanisch in Form der simulierten Stealth-Action und erzählerisch mit bekannten Szenen bis hin zur Begegnung mit der Giraffe. Die Briten erweitern ihr erfolgreiches Prinzip der Kapitelkarten, so dass ein umfangreicheres kooperatives Abenteuer samt Routenplanung, Erkundung, Charakterentwicklung und Kampf entsteht. Das Überleben der Gruppe ist angenehm anspruchsvoll, verlangt einiges an Taktik, Rohstoff- und Waffen-Management sowie Kommunikation. Das Würfelkampfsystem geht flott von der Hand, man freut sich über jeden Schuss Munition und atmet durch, wenn man etwas Nützliches in den Ruinen findet oder eine Würfelprobe besteht. Das ist ein richtig gutes Survival-Abenteuer mit wunderbar illustrierten Karten, viel Rollenspielflair und Spannung bis zum finalen Boss, das das gnadenlose Spielgefühl von The Last of Us einfangen kann.
(Bilder: Eigene Aufnahmen. The Last of Us: Escape the Dark ist für 85 Euro ist auf Englisch bei Themeborne Games erhältlich.)
PS: Damit die Diskussion an einer Stelle gebündelt wird, kann man nicht hier, sondern nur im Forum unter Kommentare zu Berichten kommentieren.
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