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Die vergessene Welt von Glorantha

Zu den bekanntesten Fantasywelten außerhalb von J.R.R. Tolkiens Mittelerde zählen sicher die Forgotten Realms, die Ed Greenwood zum ersten Mal 1979 im Dragon-Magazin erwähnte - und die viele von euch vermutlich am 31. August in Baldur's Gate 3 erkunden. Außerdem dürfte deutschsprachigen Lesern sofort Aventurien einfallen, obwohl das ja nur ein Kontinent in der Welt Dere von Das Schwarze Auge ist, das 1984 als Pen&Paper-System startete.


Weniger häufig dürfte Glorantha genannt werden. Und das, obwohl diese von Greg Stafford (1948-2018) erschaffene Welt tatsächlich noch älter, sehr einflussreich und bis heute auch digital relativ lebendig ist. Zwar gibt es weder Kinofilme noch Triple-A-Produktionen, aber man findet heute noch ihre Spuren, die weit zurückreichen.


Glorantha wird 1975 in Staffords Wargame White Bear and Red Moon zwar noch nicht explizit genannt, aber das dort skizzierte Gebiet rund um den Dragon Pass beruht ebenso auf dessen mythologischen Ideen wie sein Wargame Nomad Gods von 1978: beide skizzieren dieselbe Fantasywelt mit frühgeschichtlichen und schamanistischen Bezügen, denn diese beiden Themen interessierten den Amerikaner sehr.


Stafford beschäftigte sich bereits Mitte der 60er Jahre an der Uni in Wisconsin mit alten Kulturen sowie den Werken von Mircea Eliade (1907-1986) und Joseph Campbell (1904-1987). Letzterer beschrieb ja die so genannte Heldenreise, in dem er eine Quest als zeitlose Wiederkehr sowie strukturierte Entwicklung von Motiven darstellte, der eine Figur nicht nur in Mythologien, sondern auch in Literatur, Film und Spiel folgt. Um es auf drei abzukürzen (denn manche nennen 17): Reise, Verwandlung, Rückkehr.


Es passt daher ganz gut, dass sich Stafford für die ausführliche Darstellung von Glorantha kein Wargame, sondern ein Pen&Paper-Rollenspiel aussuchte: und zwar RuneQuest von Steve Perrin, das 1978 und auch heute noch bei Chaosium erscheint; die deutsche Version wird bei Uhrwerk veröffentlicht:


Für dieses System lieferte Stafford quasi den kompletten Hintergrund. Und diese Welt, die hinsichtlich der Geographie, Geschichte, Religionen und Götter wesentlich besser ausgearbeitet war als jene von D&D, konnte sich in den Folgejahren direkt dahinter etablieren.


Vor allem die Vielfalt der Kulturen, die an die europäische Bronzezeit erinnerten, aber auch nichtmenschliche Völker wie Echsenwesen oder Geister sowie die enge Beziehung der Charaktere zu ihren Göttern und Kulten prägten die Spielwelt. Jene gewinnen dort mehr Einsicht und damit runenmagische Kräfte, die im Kultrang aufsteigen. Reiternomaden, Schamanen & Co erinnerten auch eher an die Sword & Sorcery im Stile eines Conan als an Tolkiens Fantasy.


An dieser Stelle fehlt die Zeit, das ebenfalls sehr kreative Charakter- und Kampfsystem von RuneQuest vorzustellen, das sich z.B. nicht so strikt einem Levelsystem mit XP unterordnet, das Magie bzw. die Verbindung zu Runen für alle und nicht nur Zauberer erlaubt, und das Trefferzonen für einen realistischen Kampf nutzt. Aber das wird bald mal auf Spielvertiefung folgen, zumal Hidetaka Miyazaki gerade RuneQuest als eine Inspiration für die Soulsreihe nannte.


Wenig erfolgreich waren zwei weitere Pen&Paper-Systeme von Stafford auf Grundlage von Glorantha, und zwar Hero Wars von 2000, das nochmal 2003 als HeroQuest herauskam - und nur so heißen durfte wie das wesentlich bekanntere Tabletop-Brettspiel von Games Workshop aus dem Jahr 1989, weil dessen Lizenz auslief.


Abschließen möchte ich diese Erkundung mit dem Hinweis auf drei außergewöhnliche Videospiele von A Sharp, die ebenfalls in der Welt von Glorantha angesiedelt sind, wobei an Ersterem ebenfalls Stafford beteiligt war: King of Dragon Pass von 1999 (PC, iOS), den Nachfolger Six Ages: Ride Like The Wind von 2018 (iOS, PC) und das bald erscheinende Six Ages 2: Lights Going Out (PC, iOS), zu dem es eine Demo auf Steam gibt. Ich spiele es gerade und bin mal wieder recht angetan von diesem komplett anderen Ansatz.



Falls ihr ein erzählendes Strategiespiel sucht, in dem ihr über viele Jahre mit euren Entscheidungen die Geschicke eines Clans beeinflusst, könnte das interessant sein. Ähnlich wie man in Paradox-Spielen die Geschichte einer Nation erlebt, ist es hier ein Clan. Man kann kleine Rädchen drehen und Ereignisse auslösen, wobei es nicht in erster Linie um Wirtschaft oder Krieg, sondern um Kulte und Götter, Ernte und Wanderungen geht. Das ist sicher nichts für pragmatische 4X-Strategen, sondern eher für lesende Strategie-Rollenspieler, die nicht in erster Linie das Gewinnen von Territorien, sondern das Erleben von mythologisch geprägter Geschichte interessiert.


Ach so: Da es hier auf Spielvertiefung auch mal um Elric gehen wird, sei erwähnt, dass der umtriebige Stafford (der sich auch mit König Arthus und sogar Ghostbusters würfeltechnisch beschäftige) dem Helden von Michael Moorcook schon 1977 ein Brettspiel widmete, das 1982 bei Chaosium und 1984 bei Avalon Hill erschien. Die Themenreihe zur Geschichte der Rollenspiele wird immer mehr zu einem Labyrinth mit ungeahnten Schätzen.


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