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AutorenbildJörg Luibl

Endeavor: Die Tiefsee (Brettspiel)

Wer schon länger an Bord ist und sich für Brettspiele interessiert, erinnert sich vielleicht an die Rezension von Endeavor: Segelschiffära. In diesem empfehlenswerten Spiel von Carl de Visser und Jarratt Gray, das auf dem Klassiker Magister Navis beruht, expandiert und erobert man von Europa aus auf einer Weltkarte der Kolonialzeit. Daran knüpfen die beiden Autoren an, aber diesmal entführen sie in Endeavor: Die Tiefsee mit U-Booten ins Meer, in dem bis zu vier Spieler um Wissen, Erkenntnis sowie die besten Kettenreaktionen wetteifern.



Kreatives Duo aus Neuseeland


Bevor ich mit meiner Crew in den Ozean abtauche und das Spiel beschreibe, möchte ich kurz auf das neuseeländische Duo dahinter eingehen. Denn die beiden Designer personifizeren die oftmals übersehenen Verbindungen zwischen Brett- und Videospielen. Damit meine ich nicht nur thematische Überschneidungen oder ähnliche Genre wie etwa die 4X-Strategie, das Rollenspiel oder den Dungeon Crawler, sondern den kreativen Prozess von der ersten Idee über konkrete Spielmechaniken bis hin zum Prototypen.


Endeavor: Die Tiefsee bietet z.B. mit seinen Technologiebäumen, den Aufstufungen der Experten, den Kombinationen sowie der modularen Erkundung so einige Déjà-vus für Videospieler. Viele grundsätzliche Gemeinsamkeiten sind kulturhistorisch gewachsen, denn Brettspiele sind natürlich viel älter und haben von Schach über Risiko bis Dungeons & Dragons schon immer digitale Spiele inspiriert. Und wie gegenwärtig diese Verbindungen sein können, zeigt sich in der Vita dieser beiden Autoren.



Jarrett Gray hat z.B. einen Abschluss in Film- und Videoproduktion, war mal TV-Produzent und ist schon seit fünf Jahren bei A44 Games in Wellington als Game Designer aktiv. Aus dem Studio kam 2018 das stimmungsvolle Soulslike Ashen sowie im Juli 2024 das Action-Rollenspiel Flintlock: The Siege of Dawn für PC, PS5 und XBS, das ich kürzlich rezensiert habe. Aber nebenbei war Gray als Brettspieldesigner aktiv. Er hat 2020 das humorvolle The Hobbit: An Unexpected Party veröffentlicht, in dem man in der Rolle der Zwerge möglichst viel singen, sammeln und Chaos in Beutelsend stiften muss, bis Meister Bilbo erscheint.


Und Carl de Visser hat viele Jahre als Producer bei Grinding Gear Games am ersten Path of Exile gearbeitet. Das an Diablo erinnernde Action-Rollenspiel wurde 2013 als Free-to-play veröffentlicht, war überaus erfolgreich und am 6. Dezember startet der Early Access für den Nachfolger Path of Exile 2 auf PC, PS5 sowie XBS. Seit 2019 arbeitet Carl für ein anderes neuseeländisches Studio namens Digital Confectioners. Die haben sich von Last Tide bis Depth schon öfter mit dem Meer sowie Schiffen in Videospielen beschäftigt, so dass er da vielleicht die eine oder andere Inspiration bekam oder einbringen konnte.


Auf jeden Fall arbeitet er schon über Jahrzehnt zusammen mit Jarrett an Brettspielen. Ihr Debüt feierten die beiden wie eingangs erwähnt im Jahr 2009 mit Endeavor, das hierzulande als Magister Navis und 2018 als stark erweitertes Remake namens Endeavor: Segelschiffära bei Frosted Games erschienen ist. Ich habe es in der Rezension empfohlen und es war erst kürzlich wieder auf dem Tisch. Und das liegt an einem zeitlos guten spielmechanischen Kern, den Gray und Visser jetzt in einem neuen Szenario auf clevere Art weiter entwickeln.


In den Tiefen des Ozeans


Nach 15 Jahren streichen sie allerdings die kolonialen Segel und lassen einen bis vier Spieler mit U-Booten der Moderne abtauchen. Nicht auf einer statischen Seekarte, sondern in einem modularen Meer, dessen Tiefe man stückweise erkundet. Die Forschungsteams stehen dabei im Wettstreit, doch es geht diesmal nicht um Kampf, Rohstoffe und Ausbeutung, sondern um Wissen, Entdeckungen sowie Meeresschutz. Zwar kann man in zwei anderen Modi kooperativ oder alleine spielen, aber ich empfehle aufgrund der Spannung den kompetitiven Standardmodus.


Wir haben ihn jetzt über ein dutzend Mal gespielt, waren zu zweit meist eine gute Stunde und zu viert etwas mehr als anderthalb Stunden unterwegs. Aber die Zeit vergeht wie im Flug und meist haben wir uns verblüfft angesehen und vor der Wertung gefragt: Wie, jetzt wird schon abgerechnet? Diese Verwunderung ist zusammen mit der Frequenz meist ein Zeichen für gutes Spieldesign, denn alle wollten die Tiefsee am liebsten länger und erneut erkunden.



Die ansehnliche Kulisse mit dem Meer, seinen Lebewesen und Geheimnissen hat natürlich einen Anteil daran, denn sie sorgt für eine angenehme Atmosphäre. Schon der Aufbau macht Spaß, denn der hellblau illustrierte Ozean fließt fast über den Tisch, wenn man alle fünf Kacheln nebeneinander auslegt. Außerdem ist das Material mit den Holzsteinen, den Vertiefungen im Tableau sowie dem Sortierkasten für die Crew weitgehend hochwertig.


Zunächst sieht man am Rand des Tisches nur die Oberfläche auf Schnorcheltiefe, vielleicht einen Hafen, darunter ein Atoll oder eine stillgelegte Bohrinsel. Aufgrund der vielen Details will man sich diese Orte sofort genauer ansehen. Und die Farbgebung von hell nach dunkel führt den Blick samt der Bewegungen im Meer geschickt nach unten. Dort sieht man vielleicht Korallen, Taucher oder Fische, wobei alles fast freundlich karibisch aussieht. Aber kaum legt man eine Kachel der zweiten Tiefe, die bis zu 200 Meter in das so genannte Epipelagial hinab führt, wird es farblich etwas kühler, man erkennt versunkene Ruinen, Schildkröten auf Wanderung oder Unterwasserhöhlen.


Weiter unten wird es nicht nur abenteuerlicher und für die Route interessant, denn es gibt manchmal verschiedene Zugänge. Je weiter man taucht, desto vielfältiger und komplexer werden die Aktionen, wobei gleichzeitig die Belohnungen steigen. Diese Form der vertikalen Erkundung ist ein einfaches, aber cleveres Mittel, um die Neugier auf das Unbekannte in der Tiefe zu wecken, das ebenfalls einige Videospiele vom Klassiker Boulder Dash (1984) über Ecco the Dolphin (1992) bis hin zu Dave the Diver (2022) kennzeichnet.


Forschung im U-Boot


Jedes Forschungsteam verfügt zu Beginn über ein, später bis zu drei U-Boote, die sich je nach Technik ein bis fünf Kacheln weit bewegen dürfen. Die Zahl Fünf zieht sich übrigens durch das komplette Spielsystem: Es gibt fünf Tiefen, fünf Eigenschaften, fünf Entwicklungsstufen, fünf Rekrutierungslevel und fünf Aktionen. Je nachdem welche Crew man um sich schart, können diese Spezialisten etwas anderes ausführen. Sobald man einen Aktionsstein auf ihr Kärtchen sowie meist eine Meereskachel setzt, kann man einen Tauchgang starten, das Sonar benutzen, einen Forschungsbericht schreiben, das Meer schützen oder sich bewegen.


Manchmal müssen die U-Boote freie Zugänge beachten, aber es gibt auch coole Abkürzungen, die einen fast wie Teleporter durch den Ozean jagen. Dessen Kacheln sind nämlich nicht nur toll illustriert, sondern tragen Namen wie Wal-Brutstätte oder Quallenschwarm und bieten neben allgemeinen auch dazu passende exklusive Möglichkeiten. Oftmals ist es so in Brettspielen, dass man nur noch die Symbole für seine Aktion wahrnimmt, aber hier wird man dazu animiert etwas genauer hinzusehen.


Zwar ist das kein narratives Spiel mit Ereignissen und Entscheidungen wie etwa Pandemic Legacy und der in der Einleitung erwähnte Meeresschutz wird eher am Rande spürbar. Doch manchmal gelingt es den Autoren, thematische Bezüge herzustellen: Wer in der Nähe eines Tiefsee-Hais taucht, bekommt ein Ansehen, wer beim Schiffswrack taucht hat die Wahl aus zwei Belohnungen und wer bei den Meeresschildkröten erkundet, darf sich in ihrer Strömung gratis weiter bewegen. Überhaupt habe ich beim Spielen das gute Gefühl, das ständig etwas im Kleinen passiert.


Entwicklung von Fähigkeiten


Sobald mein U-Boot ein Feld erreicht, erhalte ich keine materielle Beute, sondern die dort in Farbsymbolen markierte Erfahrung. Dazu gehören das orange Ansehen, die grüne Motivation, die gelbe Organisation oder die blaue Genialität. In diesem Moment darf ich ihre Marker auf meinem Tableau ein oder mehrere Felder vorsetzen und so meine Fähigkeiten als Forschungsteam entwickeln - und wer bis zum Finale nach sechs Runden die höchsten Stufen erreicht hat, bekommt dafür jeweils zehn Punkte.



Wenn diese Marker während des Spiels eine der fünf Stufen überschreiten, darf ich bessere Crewmitglieder rekrutieren, mehr Aktionssteine einsetzen, mehr Leute reaktivieren, mehr U-Boote einsetzen und weiter mit ihnen fahren sowie tauchen. Außerdem kann man auf manchen Meeresfeldern oder über die Crew an Einfluss in Form eines goldenen Sterns gewinnen - und hier kommt der Technologiebaum ins Spiel.


Ähnlich wie in Videospielen schaltet man dort schrittweise etwas frei: Das können weitere Boni an Erfahrung, Aktionssteine oder Siegpunkte sein. Je nach Szenario verändert sich die Struktur dieses Baums, so dass man auch dort auf dem Weg zu den besten Belohnungen im Wettstreit steht. Er ist ein weiteres Glied in der Kette möglicher Optionen und Wechselwirkungen, die sich umgehend auswirken: Wenn ich dort z.B. einen Stern auf der blauen Genialität platziere, kann ich sofort ein weiteres U-Boot einsetzen.


Die Qual der Wahl


Aber was bringt mir in welcher Phase des Spiels mehr? Was ist auf lange Sicht effizienter? Besseres Personal, mehr Aktionen oder Reichweite? Genau das war auch die motivierende Kernmechanik von Endeavor: Schifssära, nur ist die Qual der Wahl hier noch etwas größer und das Spielerlebnis fühlt sich freier an. Das Sammeln und Entwickeln wird vielfältiger und vor allem kombinationsreicher inszeniert.


Denn zum einen gibt es mit dem als DNS-Strang markierten Wissen noch eine fünfte Ressource, mit der ich die überaus wichtigen Forschungsberichte schreiben kann. Die gibt es in mehreren Varianten als Karten, manchmal mit direkten Siegpunkten. Und neben anderen Boni sorgen nur sie dafür, dass ich Crewmitglieder befördern kann.



Das erinnert umgehend an ein anderes empfehlenswertes Entdeckerspiel, das ich bereits rezensiert habe: Die verlorenen Ruinen von Arnak. Ähnlich wie in diesem 2020 veröffentlichten archäologischen Abenteuer drehe ich hier Kärtchen meiner Leute auf die goldene Seite, was sofort mehr Erfahrung in einem der vier Bereiche bringen als auch neue Aktionen für diese Person freischalten kann.


So wird z.B. aus dem Pilot der Steuermann, der meine Motivation und Organisation um einen Punkt verbessert. Und aus dem Navigator wird der Hydrograf, der danach in einer Aktion sowohl auf seinem Meeresfeld tauchen als auch das Sonar einsetzen darf. Gerade diese Doppelaktionen können einem in den letzten Runden des Spiels einige Vorteile verschaffen, denn irgendwann gibt es nur noch wenige freie Tauch-, Forschungs- oder Sonarplätze, um die natürlich alle wetteifern.


Zehn Szenarien


Während das Tauchen einen zufälligen Bonus bringt, sorgt das Sonar dafür, dass der zu Beginn nur an seiner Oberfläche erkennbare Ozean weiter in die Tiefe aufgedeckt wird. Man zieht dann zwei zufällige Kacheln und darf eine davon platzieren. So kommt ein Hauch von taktischer Puzzelei hinzu, die bis zu fünf Zonen in das so genannte Abyssopelagial ab 4000 Meter hinab reicht. Dort kann man in schwarzer Dunkelheit den Meeresgrund reinigen oder Tiefseeschnecken begegnen.


In unseren Spielen haben wir diese unterste fünfte Ebene manchmal gar nicht erreicht. Zwar wird man in tieferen Stufen mit etwas mehr Erfahrung und cooleren Aktionen belohnt, aber man kann quasi auch in der Breite oder mit anderen Kombinationen erfolgreich sein, zumal sich die Belohnungen bzw. Siegpunkte je nach Szenario ändern. Es gibt fünf doppelseitig bedruckte Pläne mit exklusiven Zielen, Technologiebäumen und Sonderregeln.



So kann man sich vor jedem Spiel für eines von zehn Szenarien entscheiden. Es beginnt mit "Das Meer ruft" und geht weiter mit "Kartografie" ohne besondere Merkmale zum gemütlichen Erkunden und reicht bis hin zu "Ölkatastrophe" samt neuer Säuberungsmarker sowie "Die tiefste See" mit einem Wettlauf um Ziele. Sie bilden in ihrer Reihenfolge keine erzählerische Kampagne ab, aber sind thematisch locker verknüpft und führen stückweise komplexere Siegbedingungen samt einiger Einschränkungen ein.


Was gefällt nicht so gut?


Ich hatte eingangs die zwei alternativen Modi erwähnt, die man allerdings nicht besonders hervorheben muss. Sie laufen nahezu identisch ab, indem man je nach gewählter Schwierigkeit vier bis sieben Ziele erreichen muss. Wer alleine spielt, wendet also die kooperativen Regel an, nur dass er bis zum Finale eine Runde mehr Zeit hat und eine Karte mehr für Krisen dabei sind. Dahinter verbergen sich quasi Ereignisse mit temporären Zielen, die es nicht im Standardmodus gibt - z.B. ein drohender Vulkanausbruch, der die U-Boote in höhere Zonen treibt.


Unterm Strich gibt es an der Spielmechanik rein gar nichts zu bemängeln - jemand merkte lediglich an, dass er gerne einen epischen Modus mit mehr als sechs Runden spielen würde. Auf der Ebene der ansonsten tollen Präsentation fallen die Illustrationen der Crewmitgleider gegenüber jenen der Meereskacheln qualitativ etwas ab, weil sie manchmal etwas zu dunkel und als Figuren recht ähnlich aussehen. Und vielleicht hätte man die Welle für den Startspieler aus einem anderen Material als Pappe gestalten können. Aber daran erkennt man ja schon, dass es hier eher um Nice to have als wirklich relevante Defizite geht.





FAZIT


Für mich ist Endeavor: Die Tiefsee das bisher beste Spiel der beiden Autoren aus Neuseeland. Ich hab Magister Navis schon gemocht, aber hier passiert einfach viel mehr am Tisch, so dass man schnell ins angenehme Grübeln und Taktieren kommt. Zunächst kann man mit seinem U-Boot gerade mal ein Feld weit fahren oder tauchen, aber die Sogkraft steigt über immer mehr Aktionen und in der letzten von sechs Runden versinkt man fast in Möglichkeiten mit tollen Wechselwirkungen und kleinen Kettenreaktionen. Man erweitert seine Crew, entwickelt Fähigkeiten und erlebt mit Aufstufungen der Experten, den Kombos sowie der modularen Erkundung so einige Déjà-vus für Videospieler. Kaum hat man sich einen genialen Plan mit Doppel- oder Dreifachkombo überlegt, ist das Spiel auch schon vorbei! Die Zeit vergeht bei diesem Wettstreit unter Wasser einfach wie im Flug. Mir gefällt das Szenario ebenso wie die Vertikalität und das Artdesign dieses sehr guten Brettspiels, das wunderbar illustriert und hochwertig designt ist. Es gehört ab sofort in meine Top 20.


(Endeavor: Die Tiefsee ist auf Deutsch bei Frosted Games für knapp 65 Euro erschienen)


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