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AutorenbildJörg Luibl

Esoteric Ebb: Rollenspiel à la Disco Elysium


Um zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart einen Bogen zu schlagen, werde ich parallel zur Themenreihe Geschichte der Rollenspiele auch kommende Titel vorstellen. Gerade in den kleineren Projekten werden die Merkmale dieses Genres oft deutlicher sichtbar. Dazu gehört auch Esoteric Ebb, das seit 2018 von Christoffer Bodegård für PC entwickelt wird (Konsolenversionen sind angedacht) und sich gerade in einem Playtest auf Steam befindet - fragt mal nach, falls ihr teilnehmen wollt.


Esoteric Ebb nutzt die klassische isometrische Perspektive und knüpft an die erzählerische Tradition von Planescape Torment (1999) sowie das Spieldesign von Disco Elysium (2019) an. Es gehört in die lange Reihe der Computer-Rollenspiele (CRPG), die sich je nach Fokus auf Kampf oder Story, je nach Darstellung oder Mechanik in mehrere Untergruppen verzweigten. Ich würde es aufgrund seiner Point&Click-Spielweise sowie der wichtigen Geschichte als Adventure-Rollenspiel bezeichnen.


Den beiden genannten Vorbildern zu folgen, ist natürlich eine Herausforderung. Aber nach dem, was ich bisher gesehen habe, könnte es Bodegård zumindest gelingen, unterhaltsam daran anzuknüpfen. Auch wenn ich noch nicht sicher bin, ob die pastellfarbene Kulisse mit ihren handgezeichneten Hintergründen langfristig überzeugen kann, freue ich mich auf die finale Version, für die es allerdings noch keinen Termin gibt. Hier ein Einblick:



Warum macht mich der Ansatz neugierig? Zum einen inszeniert Bodegård auf Grundlage der Unity-Engine sowie dem Regelwerk der 5. Edition von D&D eine angenehm abgefahrene und satirische Fantasy, die er als Post-Arcanepunk bezeichnet. Dort gibt es noch Schwerter (und Trolle), aber die Leute quatschen wie unsereins und treffen auf ähnliche Probleme wie Arbeitslosigkeit, Korruption und unfähige Politiker. Hier könnte die Story ein unterhaltsamer Spiegel unserer Zeit werden.


Der Mensch hat sich in der Welt namens Jor so schnell aus dem Mittelalter in die Moderne katapultiert, dass ein Ritter auf dem Fahrrad seine Steuererklärung abgibt und dabei so flucht wie ein YouTuber des 21. Jahrhunderts - auch Freunde von Terry Pratchet dürften also auf ihre Kosten kommen, den Bodegård als Inspiration nennt. In welchem Verhältnis Humor und Gesellschaftskritik stehen, und ob er zündet, muss sich natürlich noch zeigen. Bodegård selbst bezeichnet sein Spiel als politisch und seine Sicht scherzhaft als desillusioniert.


Es geht darum, dass eine heile Welt zerstört wird: Es gab in ihrer Geschichte keine industrielle Revolution, aber dafür eine mächtige Art von Magie, die den Fortschritt extrem beschleunigte. Alles lief gut, aber dann kam es zu einem großen Krieg, der für eine gesellschaftliche Ernüchterung und Radikalisierung sorgte. Die Technik gewinnt an Zuspruch und die Magie ebbt ab, was dem Spiel schließlich seinen Namen verlieh. Das klingt nicht ohne Grund nach Arcanum (2001), nach Dampfmaschinen und Feuerbällen, denn das Rollenspiel von Troika Games gehört zu den Vorbildern des Schweden - allerdings wird es hier weniger klassische Kämpfe geben.


Auch hier ist man alleine unterwegs: Man schlüpft in die Rolle eines theokratisch-nationalistischen Klerikers in der Großstadt Norvik, der zunächst das alte Regime und den Glauben verteidigt. Er kann mit seinen Sprüchen nicht nur Wunden heilen, Gut und Böse erkennen, sondern auch mit den Toten sowie Katzen sprechen - und darf im Zweifel ordentlich zuschlagen. Dabei wird er beraten und begleitet von einem Goblin namens Snell. Ob dieses Duo an den Wortwitz zwischen Morte und dem Namenlosen aus Planescape Torment anknüpfen kann?


Die Aktionen des Klerikers werden von seinem Begleiter Snell kommentiert.

Auf jeden Fall haben sie ähnlich viel zu besprechen: In einer Woche wird es die ersten Wahlen in Norvik geben. Und es wird hitzig in drei Fraktionen über die Zukunft debattiert. Neben den religiösen Nationalisten gibt es die Freestrider, revolutionäre Freibeuter, die weltweit demokratische Republiken anstreben, sowie die gottlosen Azgals, pragmatische Zwerge, die Norvik einst erbauten und ihre Stadt sozialdemokratisch im Sinne der Arbeiter regieren wollen.


Die Dialoge sollen "einem Schlachtfeld" gleichen, auf dem man Stellung beziehen und sich entscheiden muss. Sehr spannend: Je nach Aktionen bzw. Antworten soll sich der Charakter des Klerikers ändern können, so dass auch seine politische Weltanschaaung dynamisch wechseln kann, was auf einer so genannten Gedankenkarte festgehalten werden soll.


Sechs Attribute werden zu Beginn modifiziert.

Es soll etwa 30 bis 40 Nebencharaktere sowie einen relevanten Tag- und Nachtwechsel geben, nach dem manche Gebäude, Türme oder Tunnel offen oder verschlossen sind. Da man sich ausruhen muss und ohne Schlaf auch Ausdauer verliert, muss man seine Aktionen gut planen. Die Story will über eine Woche eine Spannungskurve bis zum Wahltag aufbauen. Gerade erst wurde ein Teeladen in die Luft gejagt: Wer steckt dahinter? Warum kümmert sich niemand darum? Mit diesem Anschlag beginnt die erste Quest für den Kleriker im Auftrag der (noch) aktiven Regierung.


Was mir richtig gefällt, ist übrigens die Tatsache, dass man diesen Charakter nicht auf zig Arten anpassen und einkleiden kann. Als Mitglied eines heiligen Ordens und auf "göttlicher Mission" ist man verpflichtet, die Uniform und den Helm zu tragen - sehr gut, endlich mal keine Modenschau. Man kann zwar den Mantel wechseln, Artefakte und Waffen anlegen, aber zu Beginn modifiziert man lediglich die sechs Attribute Intelligenz, Stärke, Geschicklichkeit, Weisheit, Konstitution, Charisma. Die beeinflussen dann direkt die Würfelproben in den Gesprächen.


Wohin führt der Pfad? Alles beginnt mit einem Anschlag auf einen Teeladen.

Auch die rundenbasierten Kämpfe samt Lebenspunkten etc. werden nicht in einem separaten Taktikfeld, sondern über das Dialogsystem ausgespielt. In den Gefechten sind dann auch mehr als einfache Angriffe möglich - manchmal reicht auch ein guter Zauber, um einem Überfall zu überstehen. Das erinnert mich angenehm an Abenteuer-Spielbücher wie Sorcery!, denn es wird situative Entscheidungen geben, ob und welche Hiebe man riskiert, ob man seinem Gefährten hilft oder flüchtet. Die Darstellung der Würfelproben und ihr vertikaler Verlauf erinnern sofort an Disoc Elysium.


Was den Umfang der Story betrifft: Bodegård visiert etwa 500.000 Wörter auf Englisch an. zum Vergleich: Planescape Torment hatte etwa 800.000, Disco Elysium über eine Million. Wenn man Visual Novels weglässt, hält Letzteres zusammen mit oder knapp vor Baldur's Gate 2: Shadows of Amn den bisherigen Rekord innerhalb der Videospielwelt. Der dürfte allerdings am 31. August wieder fallen, denn Baldur's Gate 3 erreicht wohl 1,5 Millionen Wörter.


(Bilder: Esoteric Ebb, PC, offizielle Screenshots)



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6 comentários


Xris
Xris
16 de mar. de 2023

Du bringst mich noch dazu mir doch wieder einen PC anzuschaffen... und das obwohl ich mit Switch und PS5 schon überfordert bin…


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Jörg Luibl
Jörg Luibl
17 de mar. de 2023
Respondendo a

Soll wohl auch für Konsolen kommen.;)

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Nathaniel Simon Laval
Nathaniel Simon Laval
16 de mar. de 2023

Bei Disco Elysium - und Terry Pratchet - werde ich direkt hellhörig. Klingt spannend, wird auf jeden Fall beobachtet. :)

So und bevor ich jetzt wieder mal ins Schwärmen von Erstgenanntem gerate, belasse ich es gleich dabei. XD

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bronto
bronto
16 de mar. de 2023

Guter Tipp! Die schwedische Indie-Szene trägt Früchte, der Talentepool scheint unerschöpflich.

Der Artstyle, angelehnt an Moebius(?), ohne dessen Klasse zu streifen, ist ok. Ob die Welt und ihre Geschichten auch so interessant werden wie bei DE? Schwierig. Die hattens echt drauf. Auf den ersten Blick erscheint mir die Welt hier in EE zu brav, das Setting wenig mitreißend, aber ich kann mich ja täuschen!

Ganz allgemein finde ich, dass im Point&Click Bereich noch immer viel Potenzial liegt, eine gute Geschichte mit cleveren Dialogen kann extrem fesseln.

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Qugart
Qugart
16 de mar. de 2023

Das Spiel hat was. Bodegård nennts ja selber "Disco-like". Und das triffts. Vom Setting her gefällts mir besser als Disco Elysium. Da wurde ich tatsächlich mit dem Hintergrund gar nicht so warm. Die Spielmechanik war aber da schon genial.

Und bei Ebb sieht es auch sehr gut aus. Die Stimmung, bzw. die Welt erinnert mich ein wenig an Disenchantment von Matt Groening. Wenn auch nur von der Stimmung her.

Probleme könnte ich aber wohl wirklich mit dem Artstyle bekommen.

Insgesamt erinnert es mch auch irgendwie ein wenig an Videos von Joel Haver.


Ich werds mir sehr wahrscheinlich antun. Ist schon beeindruckend was so einige alles alleine auf die Beine stellen können.

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Jörg Luibl
Jörg Luibl
16 de mar. de 2023
Respondendo a

Ja, das nötigt mir auch immer Respekt ab; auch bei Roadwarden oder Citizen Sleeper. Danke auch für die Hinweise auf Groening und Haver!

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