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Eureka: Ein Spiel, ein Rätsel und eine Karriere

Wenn man nach Eureka sucht, findet man auf den ersten Seiten etwas über eine TV-Serie, eine Kaffeemaschine oder ein Forschungsprojekt - und auf Steam ist es eine Wirtschaftssimulation im Early Access. Es gab aber auch ein sehr interessantes, historisch inspiriertes Spiel namens Eureka! von Ian Livingston, das 1984 für C64 und ZX Spectrum veröffentlicht wurde.


Im Rahmen meiner Recherchen zur Geschichte des Rollenspiels bin ich auf dieses Adventure gestoßen. Der "Vater der Fighting Fantasy" und Mitbegründer von Games Workshop hat ja so einiges gemacht: Er verfasste nicht nur Abenteuerspielbücher, sondern war Redakteur des Magazins White Dwarf, entwarf Brettspiele, Miniaturen und hat kürzlich ein Buch geschrieben, das ich eigentlich mal vorstellen müsste: Dice Men: The Origin Story of Games Workshop.


Was ich nicht wusste: Bevor er 1991 zusammen mit Steve Jackson die erfolgreiche Firma für (heutzutage schlappe) zehn Millionen Pfund verkaufte, arbeitete er Mitte der 80er Jahre erst kreativ beim britischen Publisher Domark Software (1983 - 1995), bevor er dort später relativ erfolglos als Gesellschafter investierte.


Eureka!, offizielles Cover, C64/ ZX Spectrum 1984.

Er schrieb zunächst das Grafik-Adventure Eureka!, in dem man auf der Suche nach fünf Teilen eines Talismans durch die Zeit reist, um die Erde vor einer Katastrophe zu retten. Die Story sowie Rätsel stammten aus der Feder von Livingston, aber programmiert wurde das Spiel vom ungarischen Team Andromeda Software - das übrigens auch Tetris für den Brotkasten umgesetzt hatte. Wie kam es zu dieser Ko-Produktion?


Sie war quasi aus Hybris und Not geboren: Die beiden Londoner Gründer von Domark hatten viel Geld und wollten, obwohl der große Videospielcrash von 1983 noch spürbar war, unbedingt ein Spiel auf den Markt bringen. Aber sie hatten keine Ahnung von Programmierung. Ihr Ziel: Das Spiel sollte "extrem schwer" sein, eine riesige Belohnung bieten und von einem großen Marketing-Tamtam begleitet werden. Ihr Problem: Sie hatten diese Idee im Frühling 1984 und das Spiel sollte bereits im September des Jahres im Handel sein. Tja...


Da alle britischen Studios angesichts dieses unrealistischen Termins abwinkten, kam der Vertrag mit Andromeda Software zustande. Schon damals war die Konkurrenz in der Spielebranche groß und es begann ein Outsourcing nach Osteuropa, wo Entwickler für weniger Geld Aufträge annahmen. Außerdem braute sich in Ungarn recht viel Kreativität zusammen, auch im Bereich der Animation und des Codens, die auch später in Spiele wie The Last Ninja (1987) fließen sollte.


Der Budapester Publisher Novotrade (1996 in Appaloosa Interactive umbenannt, die später für Konami u.a. Contra machten), der hinter Andromeda Software stand, wollte sogar in so großem Stil Spiele entwickeln, dass die Los Angeles Times 1985 darüber berichtete. Daraus ein Zitat des damaligen Geschäftsführers Gabor Renyi:


“We are aiming to compete with U.S. firms--the best play, best graphics, best music, and the best use of the computer’s abilities.”


Und Eureka! sollte der Startschuss für Novotrade (und Domark) in die "Top-Liga" der internationalen Spielestudios sein. Man wollte Spieler mit einem anspruchsvollen Adventure "monatelang" beschäftigen, das mal eben aus der Hüfte zwischen London und Budapest entwickelt wurde. Gabor Renyi klapperte zwar ordentlich mit Superlativen, investierte aber letztlich in ungarische Nerds (damals auch als Whiz-Kids bezeichnet), die, wie er sagte, auch freiwillig coden würden. Für Eureka! wurden sie allerdings auch gut von Domark bezahlt, zumal die Briten keine Wahl hatten, als diese sich bereit erklärten, das sportliche Ziel in so kurzer Zeit zu erreichen.


Startbild von der Version für ZX Spectrum.

Das ungarische Team um Gründer und Programmierer András Császár bestand jedenfalls aus vier Grafikern, zwei Musikern und einem Professor für Logik. Apropos Crunch: Im Studio hing eine Warnung, dass jeder zusätzliche Tag über die mit den Briten vereinbarte Frist hinaus 660 Pfund kosten würde. Das führte dazu, dass schließlich fast alle in den Büros wohnten. Und Andromeda lieferte fast auf die Minute pünktlich, es wurden die ersten 10.000 Stück produziert - auch wenn einige im Team befürchteten, dass sie mind. einen fiesen Bug übersehen hatten. Aber Eureka! hatte tatsächlich keinen Gamebreaker.


Das Spiel selbst war allerdings ein buntes Flickwerk aus fünf grafischen Abenteuern, mit selbst für damalige Verhältnisse langen Ladezeiten von sechs (!) Minuten zwischen den Abschnitten. Einige Aspekte sind durchaus interessant, andere skurril, doch in seiner sehr schlichten Präsentation und der gewöhnlichen Verwendung von Textbefehlen war es auf den ersten Blick nicht besonders auffällig oder gar technologisch innovativ. Aber eine große Leistung von Császár & Co bestand darin, dass der Code für C64 und ZX Spectrum nur einmal geschrieben werden musste. Und das Spiel hat auch sonst eine interessante Geschichte.


Zum einen war da das historische Thema, denn man musste sich über Textbefehle durch fünf Epochen kämpfen: angefangen bei der Flucht vor Dinosauriern in der Steinzeit, dann in der römischen Sklaverei, im frühmittelalterlichen Britannien mit der Artussage, in einem deutschen Kriegsgefangenenlager zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und schließlich in den 80er Jahren, um mit ein wenig Agentenflair einen Oberbösewicht auf seiner Karibikinsel zu stoppen - später sollte Domark übrigens von der James-Bond-Lizenz profitieren.


Alles beginnt in der Steinzeit im Angesicht eines Trex, C64, Mobygames.

Doch Eureka! war seltsam zweigeteilt: Vor jedem der Kapitel gab es deplatziert wirkende Arcade-Minispiele, in denen der Held quasi seine Kräfte für das Rätselabenteuer aufbaute, denn er konnte auch angegriffen werden, sich mit Waffen ausrüsten und entscheiden, ob er kämpfen oder fliehen wollte. Zum Finale in der Karibik gelangte man schließlich nur, wenn man alles an einem Stück überlebte (natürlich ohne die Möglichkeit, vorher zu speichern!), um dann vor dem fünften und letzten Kapitel noch Fragen zu den vergangenen Epochen richtig zu beantworten.


Ungewöhnlich für ein Adventure, aber ein klarer Hinweis auf Livingstons Wirken, war übrigens, dass man wie in einem D&D-Rollenspiel tatsächlich Hitpoints durch Verletzungen verlieren und durch Nahrung gewinnen konnte. Außerdem musste man in einigen Räumen gegen die Zeit spielen, was in diesem eher statischen Genre völlig unüblich war. Am ungewöhnlichsten war aber sicherlich die Idee der Belohnung, dass nämlich der erste Spieler, der das Finale vor dem 31. Dezember 1985 meistern könnte, satte 25.000 britische Pfund von Domark gewinnen sollte.



Das war ein ebenso cleveres wie riskantes Marketing für ein Spiel, das damals knapp 15 Pfund kostete und für die bis dato unbekannten Briten eine Premiere war. Jedenfalls wussten sie, wie man Schlagzeilen macht. Es gab zwar auch einige sehr hohe Wertungen (übrigens im White Dwarf Nr. 60, quasi Livingstons Hauspost, eine 9/10) , aber einige kritische Redakteure waren von der finalen Produktionsqualität wenig begeistert, von "best graphics" und "best music" konnte keine Rede sein, so einiges nervte am Spieldesign. Aber der Preis von 25.0000 Pfunf lockte auch die Presse außerhalb der Computerspielmagazine an - was sicher dazu beitrug, dass auf beiden Systemen 50.000 Käufer zuschlugen; was wiederum nicht ganz den internationalen Ansprüchen gerecht wurde. Zum Vergleich: Eines der erfolgreichsten Spiele des Jahres war Boulder Dash, das mehrere hunderttausend Stück von Atari bis C64 absetzen konnte. Die bestverkauften Videospiele 1984 (Duck Hunt, NES) und 1985 (Super Mario Bros., NES) knackten locker mehrstellige Millionenmarken.


Trotzdem war Eureka! auf seine Art bemerkenswert: Denn auch der Weg zu diesem Geld war als Rätsel eingebaut, denn in jedem Kapitel gab es einen Hinweis, der schließlich einen Code mit der richtigen Nummer ergab. Damals gab es natürlich kein Internet, keine aufrufbaren Tipps und Guides, und es sollte tatsächlich mehr als ein Jahr bis nach dem Release dauern, bis jemand den Code von Eureka! knacken und anrufen konnte. Das muss man sich mal vorstellen, dass das so lange Zeit ungewiss war - einige der Entwickler dachten schon, dass niemand das Spiel meistern würde.


Tja, null Lebenspunkte = Game Over. C64, Mobygames.

Aber das gelang 1985 dem 15-jährigen Briten Matthew Woodley. Zwar meldete sich niemand am anderen Ende der Leitung, da hörte man nur einen Anrufbeantworter. Erst beim dritten Mal traute sich Matthew darauf zu sprechen und bekam auch tatsächlich das Geld. Natürlich nicht einfach als anonyme Überweisung, sondern medienwirksam als Scheck in der TV-Show Splash, überreicht von Ian Livingston persönlich. Und die beiden sollten sich später noch näher kennenlernen, zumal Livingston als Manager bei Domark aktiv wurde, bevor er bei Eidos und Tomb Raider mitmischte - aber das ist eine andere Geschichte.


Denn auch für Matthew, der nicht nur spielen konnte, sondern auch Code-Skills besaß, begann bald der berufliche Aufstieg in der Spielebranche, die in Großbritannien ihren zweiten großen Boom vor sich hatte. Angefangen hat er bei Domark, wo er u.a. am Championship Manager, dem Vorläufer des Football Managers arbeitete. Sein Weg führte ihn dann über bekannte Spiele wie Sensible Soccer & Co. als Creative- und Marketing-Director zu Sega, wo er bis Mitte der 2000er Jahre u.a. an OutRun, Sonic, Virtua Tennis, Yakuza und Rome: Total War beteiligt war.


Auf jeden Fall hatte da ein Zocker aus Leidenschaft ein Rätsel gelöst und seine Karriere gefunden. Wenn das nicht wunderbar zum griechischen Heureka passt: Angeblich lief ja Archimedes nackt durch die Gassen von Syrakus, als er das Prinzip des Auftriebs schwimmender Körper formulierte und rief vor lauter Freude: Ich habe es gefunden! (Literatur zum Thema: Video Games Around the World, Mark J. P. Wolf, 2015; Dice Men: The Origin Story of Games Workshop, Ian Livingston, 2022)


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