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Game Studies: Play Me a Story (Claudia Susanne Ofner)

Aktualisiert: 4. Sept.

Was denken Soziologen, Philosophen und Kulturwissenschaftler über Spiele? Über was wird in den Game Studies diskutiert? Ich habe diese Reihe mit Auf Abwegen - Folk horror, Videospiel und das Problem der Natur von Daniel Illger begonnen. Es gibt dazu unter Berichte eine eigene Kategorie, in der ihr alle bisherigen Erkundungen und Podcasts über Game Studies findet.


In der Schatzkiste habe ich ja das fragmentierte Erzählen von Hollow Knight (2017) erwähnt, das an die Soulsreihe erinnert. Dazu gehört auch eine Hintergrundgeschichte, die man zunächst gar nicht wahrnahm, weil man als gehörnter Käfer nur die Folgen und dem aktuellen Schrecken in einem verfallenen Königreich begegnete.



Wie genau das Storytelling im Abenteuer von Team Cherry aufgebaut ist, welche Mittel es einsetzt und wie es wirkt, hat Claudia Susanne Ofner 2021 in ihrer Masterarbeit an der Karl-Franzens-Universität Graz analysiert. Sie ist mit dem Titel "Play Me a Story - Storytelling in the Metroidvania Game Hollow Knight" frei verfügbar.


Aber bevor ich die Kernaussagen der 88-seitigen Studie auf Deutsch zusammen fasse, lohnt sich vielleicht ein Blick auf die Hintergründe für alle, die Hollow Knight nicht kennen oder für die das Abenteuer einfach zu lange zurückliegt. Zumal Ofner in ihrer Einleitung einen schönen Vergleich zieht: "In erster Linie erfordert die Analyse von Videospielen das Sammeln und Interpretieren von Informationen. Daher können Wissenschaftler, die Videospiele analysieren, als Videospiel-Archäologen betrachtet werden."


Der Vergleich passt richtig gut, wenn es tatsächlich vertikale Ebenen in narrativen Videospielen gibt, die wie Schichten oder Strate angelegt sind, die man gar nicht sofort als solche erkennt, weil man als Spieler zunächst Hinweise und Artefakte findet, ohne sie zuordnen zu können - teilweise bleiben Fragen bis zum Finale offen, das wiederum fünf Varianten bietet - dazu Ofner: "Im Gegensatz zu anderen Videospielen des Metroidvania-Genres bietet Hollow Knight dem

Spieler nicht nur einen tiefen Einblick in seine fantastische Welt, sondern auch eine Vielzahl von Überlieferungen und Erzählungen, die in der von Team Cherry geschaffenen Welt verborgen sind. Teil dieser geheimen Überlieferungen sind sozusagen die verschiedenen möglichen Enden, die der Spieler unter bestimmten Umständen erleben kann. Das Spiel selbst bietet fünf mögliche Enden, von denen jedes entweder die Hintergrundgeschichte weiter ausführt oder einen tieferen Einblick in bestimmte Erzählungen und mögliche „Zukunftsszenarien” für das Königreich Hallownest gewährt." Stück für Stück bildete sich ein historisches Mosaik, so dass der Ablauf einer mythischen Tragödie erkennbar wurde, die ich kurz zusammenfasse:


Die Ursachen der Seuche lagen ja weit in der Vergangenheit und beruhen auf einem der beliebtesten Motive der Literatur: Rache. Denn die Göttin der Motten, das "Vergessene Licht", hatte während der Gründung des Königreichs der Käfer nicht nur viele ihrer Anhänger verloren, sondern drohte ganz aus der Erinnerung zu verschwinden. Und so verbreitete sie die parasitäre Pilzseuche, die für Wahnsinn sorgte und fast jedes Wesen mutieren ließ.


Als der Bleiche König zusammen mit seiner Weißen Dame nach einer Heilung suchte, schreckten sie nicht vor nekromantischen Experimenten an fast Verstorbenen zurück, die viele Opfer forderten. Sie erschufen damit den ersten hohlen Ritter, nach dem das Spiel benannt ist. Der besaß als so genanntes Gefäß keine Seele, war innerlich leer und sollte so die Seuche in sich aufnehmen und für immer bannen.


Zwar gelang ihm das, er wurde mit ihr in einem Schwarzen Ei versiegelt und von drei ewig schlafenden, überaus mächtigen Wesen beschützt, die man Träumer nannte: Monomon die Lehrerin, Lurien der Wächter und Herrah die Bestie. Letztere verlangte für ihre Hilfe ein Kind vom König, das zu Hornet heranwuchs; jener Hornissen-Lady, die man später als Spieler erst bekämpfen, dann als Gefährtin gewinnen sollte. Und natürlich der Heldin des kommenden Hollow Knight: Silksong, in dem sie in ein anderes Königreich namens Pharloom entführt wird.


Aber zurück zur tragischen Geschichte von Heilandsnest: Denn trotz dieser Schutzmaßnahmen wurde der erste Hollow Knight von der Seuche korrumpiert, sie breitete sich weiter aus, der König floh und verstarb, während seine Tochter Hornet als letzte Wächterin zurückblieb. Wer hat dann den Spieler gerufen? Das Schwarze Ei! Denn es ist noch nicht ganz von der Seuche vernichtet worden. Dieser kleine gehörnte Käfer zieht dann los, um unter den wenigen Überlebenden Freunde zu finden und sich auf einer überaus gefährlichen Reise dem abtrünnigen Hollow Knight sowie der mächtigen Mottenkönigin zu stellen ...


In der Magisterarbeit geht es übrigens umfassend um jeden Aspekt des Spiels, von der Produktionsgeschichte bis zum Abspann mit allen Enden. Nach einigen Begriffdesfinitionen zu Story und Erzählung, erläutert Ofner ihr Konzept: "Es besteht nicht nur aus Narratologie, sondern auch aus Ludologie und den Theorien des Environmental Storytelling und des Archaeological Storytelling. Beide sind aus einer Überschneidung zwischen Narratologie und Ludologie hervorgegangen. Im folgenden Kapitel werde ich das Spiel Hollow Knight gemäß diesen Theorien analysieren."


Nach einer ausführlichen Vorstellung der Spielmechanik vom Kampf über die Erkundung bis zu den möglichen Enden geht es ab Seite 61 konkreter um die Erzählweise. Ofner analysiert zunächst das direkte Storytelling über Zwischensequenzen sowie Texte, bevor sie auf das indirekte Storytelling über Kulisse, Artefakte und Musik eingeht. Zu Letzterer sagt sie: "Ein Beispiel dafür, wie Hollow Knight Musik einsetzt, um mit dem Spieler zu kommunizieren, ist das plötzliche Verstummen der Musik, wenn der Ritter vor einem Bosskampf einen Bossraum betritt. Nur die akustischen Rückmeldungen des Ritters, wie Schritte oder Nagelschläge, sind in der Stille zu hören. Dieser subtile Hinweis warnt den Spieler vor der bevorstehenden Gefahr und ermöglicht es ihm, zu entscheiden, ob er sich auf einen Bosskampf einlassen möchte oder nicht."

Und im Fazit heißt es:


"Die klare Antwort lautet daher, dass das Storytelling im Metroidvania-Spiel Hollow

Knight durch eine Kombination aus direktem und indirektem Storytelling erfolgt, das

nicht nur durch Exposition, sondern auch durch die Spielmechanik ermöglicht wird. Dies ermöglicht nicht nur die Darstellung und Interpretation der Spielhandlung, sondern auch die Schaffung einer Spielergeschichte durch Interaktivität. Indem dem Spieler durch

systemische Handlungsfähigkeit sowie räumliche Handlungsfähigkeit und Planungsfähigkeit, wie von Worch definiert, sinnvolle Entscheidungen angeboten werden, schafft jeder

Spieler eine für sich einzigartige Geschichte. Abgesehen von der Geschichte des Spielers ist das Spiel selbst voller Nebengeschichten. Diese sogenannten Mikronarrative (Jenkins) bereichern die

Spielwelt und schaffen durch die Umgebung des Spiels ein immersives Erlebnis. Diese

Umgebung ist voller Gegenstände, Orte, Designs und Kreaturen, denen der Spieler begegnen und die er manipulieren kann, was Interpretationen ermöglicht und den immersiven Effekt verstärkt."


Etwas Kritik gibt es zwar auch ...


"Allerdings hat das Spiel, wie alle Spiele, seine Grenzen. Die Erzählungen sind vorgegeben, und

obwohl NPCs auf die Handlungen des Spielers reagieren können, ist dies nur unmittelbar und hat daher keine lang anhaltende Wirkung."


... aber letztlich ist diese Studie eine Hommage an das Spiel, das für die Autorin sogar noch wichtiger ist als die Forschung: "Es ist ein Spiel, das reich an Erzählungen ist, aber dennoch durch Interaktivität immersiv wirkt. Anstatt also zu mehr Forschung im Bereich der Videospiele und deren Potenzial für den

akademischen Bereich der Spielwissenschaft aufzurufen, möchte ich an die Spieledesigner appellieren, mehr Spiele zu entwickeln, die Erzählung und Interaktivität in einer nahezu perfekten Symbiose verbinden, wie es Hollow Knight tut."


Weitere Artikel der Rubrik Game Studies findet ihr hier auf Spielvertiefung unter Berichte - dort könnt ihr danach filtern.


Ich heiße Jörg Luibl, bin freier Journalist und biete mit Spielvertiefung seit November 2021 ein unabhängiges Magazin an, in dem die Kultur und nicht der Klick relevant ist. Ich arbeite alleine und verzichte komplett auf Werbung, Kooperationen sowie über KI erstellte Inhalte. Diese Alternative zum Reichweiten-Journalismus ist nur dank der Unterstützer über Steady möglich. Vielen Dank an alle Abonnenten!


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