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AutorenbildJörg Luibl

Game Studies: Zelda kriegt die Krise

Was denken Soziologen, Philosophen und Kulturwissenschaftler über Spiele? Über was wird in den Game Studies diskutiert? Ich habe diese Reihe mit Auf Abwegen - Folk horror, Videospiel und das Problem der Natur von Daniel Illger begonnen. Es gibt dazu unter Berichte eine eigene Kategorie, in der alle Erkundungen und Podcasts über Game Studies einsortiert werden.


Diesmal geht es um The Legend of Zelda, mit dem sich der Literaturwissenschaftler Phillip Brandes in seinem Aufsatz Zelda kriegt die Krise – Die Krise kriegt Zelda beschäftigt, der 2023 auch in Spiel|Formen Heft 2: Krisen erschienen ist. Ihr hört ihn übrigens am Freitag im Podcast, wenn wir natürlich auch über Zelda sowie ein spezielles Merkmal seiner Story sprechen: das so genannte Wiedererzählen. Aber was genau ist das? Dazu Brandes:


"Wiedererzählen bezeichnet in der Germanistischen Mediävistik ein für nahezu alle relevanten, großformatigen Erzählungen gültiges Phänomen – nämlich, dass diese Erzählungen in ihren Grundzügen bereits bekannt waren, dass sie also einen Stoff, hier vorläufig als grob konzipierte Handlungsabfolge mit festem Figureninventar verstanden, erneut zur Geltung bringen. (..,) Es fällt nicht schwer im Wiedererzählen der mittelalterlichen Literatur Parallelen zu aktuellen Formen von Neuauflagen – Remake, Remaster, Re-

boot etc. – digitaler Spiele zu ziehen."


Seit 1986 wird die Geschichte rund um den Helden Link, Prinzessin Zelda und das von Bösewicht Ganon bedrohte Königreich Hyrule immer wieder aufs Neue erzählt. Und ein wiederkehrendes Merkmal innerhalb der Story ist die so genannte Krise:


"Wortgeschichtlich ist eine Krise – entlehnt aus der Medizin – erst einmal nichts anderes als der Zustand zwischen den Alternativen Gelingen und Scheitern – die Nacht überstehen ist etwa eine topisch gewordene Floskel, die in abundanten Erzählungen begegnet. Die heutige Verwendung von Krise ist damit immer auch eine metaphorische (vgl. ebd., insb. 131–135); es geht nicht in jeder Krise um genesen oder sterben, aber doch immer um

einen positiven oder negativen Ausgang und um ein Überwinden eines Schwebezustands."


Auf The Legend of Zelda: The Breath of the Wild (2017) bezogen, erläutert Brandes: "Für BOTW ist die Abgrenzung zwischen Katastrophe und Krise besonders signifikant, denn das, was die Krise in Hyrule bedingt, ist die Verheerung Ganon. Die Verheerung (im japanischen übrigens 厄災ガノン – Yakusai, was man wörtlich wohl mit Katastrophe übersetzen würde) ist es, die momentartig über Hyrule hereinbricht und letztlich die Welt hinterlässt, in der sich Link und Spieler*innen beweisen müssen."


Wenn es um das Wiedererzählen innerhalb der Reihe geht, hat The Legend of Zelda: Skyward Sword (2011), siehe Bild links, für Brandes eine besondere Bedeutung, denn es bietet eine Art Blaupause des Erzählstoffes:


"Das Spiel begründet gewissermaßen als Paratext der Reihe die bisherigen und alle nachfolgenden Spiele; er begründet, wieso man immer wieder in die Rolle von Link schlüpfen und immer wieder Zelda helfen muss, Ganon loszuwerden, obwohl es sich offensichtlich nicht um dieselben Figuren handelt. Was in den Spielen bis dahin nur angedeutet wurde, – eine Art Kreislauf – wird hier erstmals explizit gemacht. Wiedererzählen als Struktur wird damit Teil der Handlung der Reihe."


Allerdings gibt es mit The Legend of Zelda: Majora's Mask (2000) auch ein Spiel, das nicht in das Schema passen will:

"MM ist das wohl bekannteste Spiel der TLoZ-Reihe, das vom typischen Wiedererzählen ab-

weicht, aber Wiederspielen und Handlung (nicht nur aber auch auf der Mikroebene) korrespondieren lässt. Es weicht insofern vom klassischen Stoff ab, als dass weder Ganon noch Zelda oder Hyrule eine Rolle spielen. Es geht darum, binnen drei Tagen gespielter Zeit zu verhindern, dass der Mond auf Termina herabstürzt." (...) MM erzählt Krise also ebenfalls durch Wiederholung, allerdings nicht durch Wiedererzählen, sondern durch Wiederspielen." Hinsichtlich The Legend of Zelda: The Breath of the Wild sieht Brandes eine Gleichzeitigkeit von erzählerischen und spielerischen Krisen: "Jedes der vier Völker befindet sich in er Krise, die in die Rahmenkrise um Ganon eingebettet ist. (...). Die vier Titanen unter eigener Kontrolle zu haben, raubt Ganon die Hälfte seiner Lebensenergie, während vier Titanen unter Ganons Kontrolle dafür sorgen, dass man sich während des finalen Kampfes neben Ganon mit allen vier Flüchen auseinandersetzen muss. Die vier Krisen auf kleinerer narrativer Ebene korrespondieren mit ludischen Krisen auf Mikroebene. Exemplarisch dafür sind folgende Neuerungen: 1) die bereits erwähnte begrenzte Haltbarkeit der Waffen, 2) ein gerade zu Beginn des Spiels vergleichsweise hoher Schwierigkeitsgrad sowie 3) eine nicht neue, aber erstmals relevante, durch ein Kreisdiagramm vermittelte, Ausdauerbegrenzung."


Der Aufsatz schließt mit:


"Die Krise um Hyrule ist eine, deren Bewältigung von Zelda maßgeblich vorangetrieben wird und deren überwältigendes Potential stets präsent ist. Aufgrund des Wissens zentraler Figuren, dass es zur Wiederholung kommen wird, eignet der Krise ein ambiges Moment.

Ihre Auflösung wird zwar stets von der nahenden Wiederholung unterlaufen, doch ebenso ergeht es der durch die Krise ausgelösten Bedrohung, die durch das Wissen um einen neuen Versuch stets partiell an Schrecken verliert."


Phillip Brandes ist Doktorand der Literatur- und Kulturtheorie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am deutschen Seminar der Universität Tübingen. Der Aufsatz Zelda kriegt die Krise ist auch in Spiel|Formen. Krisen, Jg. 2 (2023) erschienen.


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9 Comments


Wie versprochen, das Gespräch mit Phillip Brandes über Zelda und seinen Aufsatz: https://www.spielvertiefung.de/post/im-gespr%C3%A4ch-phillip-brandes

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Nicht uninteressant, aber ja, die Sprache, bzw. Ausdrucksweise.

Da hat wohl jemand möglichst viele lateinisch-stämmige Adjektive für sich entdeckt?

Klingt glaube ich wichtiger als es tatsächlich ist. Natürlich ist da ein Held, eine Prinzessin, eine Bedrohung und? Ja, am Ende meist ein Happy End. Ob es sich wiederholt, wie bei Zelda oder auch anderen Spielereihen oder nicht, spielt meiner Meinung nach eine untergeordnete Rolle. Es wird wohl keine Zahlen dazu geben, aber mich würde sehr interessieren, wieviele Menschen ein Zelda Spiel wegen der „tollen“ Geschichte spielen?

Kann sein, dass vielleicht bei manchen die latente Bedrohungslage durch Ganon oder dessen Verheerung in ihrer Intensität an Schrecken verliert. Auf mich persönlich hat das aber keinen Einfluss.

Zelda ist für mich ein typisches:…


Edited
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Qugart
Qugart
Sep 25
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Jupp, viele Spielereihen definieren sich ja quasi durch immer die gleiche Story. Ich persönlich hätte Peaches schon längst selbst zu Bowser gebracht, damit endlich Ruhe ist.

Im Grunde hat man ja bei fast jedem Story-Spiel wenn man es runterbricht eine Krise, eine Heldenreise, oder sowas. Interessant macht es zum Schluss dann die Charakterzeichnung, ein Twist oder aber eben die Spielmechanik.

Ansonsten zieht man eigentlich immer aus nicht eigenem Antrieb aus und besiegt das jeweilige Böse.

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Qugart
Qugart
Sep 24

Der Aufsatz ist schon ziemlich interessant. Die verwendete Sprache bzw. der Duktus aber eher der Horror. Klar, Zielgruppe ist da eben Hochschul- bzw. Wissenschaftsbereich.

Kann man jetzt auch nicht Brandes ankreiden. Ist halt in den jeweiligen Kreisen so. Das Betrifft ja nicht nur Wissenschaft.

Aber da merkt man, wie schade es doch ist, dass solche Sachen gar nicht erst für die Allgemeinheit gedacht werden.

Mich persönlich gruselt es, wenn ich in einem Text das Wörtchen abundant sehe. (Obwohl man daran sieht, wie wichtig doch ein einziger Buchstabe sein kann.)

Ich glaube, manchmal werden Texte verkompliziert, damit sie wichtiger erscheinen.

Wie gesagt, ist jetzt nicht speziell auf diesen Aufsatz gemünzt. Mir ist es hier nur mal wieder aufgefallen und ich hab…


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Mein Doktorvater hätte mir meine Dissertation um die Ohren gehauen, hätte ich dort „abundant“ verwendet. Gute Wissenschaft versucht, mit einfachen, kurzen Sätzen komplexe Zusammenhänge zu vermitteln, denn Wissenschaftler wollen beim Lesen eines Textes jeden Satz sofort verstehen, wie alle anderen Menschen auch. Wenn es „sofisticated“ geschrieben ist, haben seriöse Wissenschaftler die Vermutung, dass Banales oder Blödsinn hinter Worten versteckt werden soll.

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