Rezension: Armored Core VI (PC, PS5, XBS)
- Jörg Luibl

- 28. Aug. 2023
- 15 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Aug. 2023
Vielleicht hatte Zeus die Gefahr erkannt und deshalb sein Verbot ausgesprochen. Als Prometheus den Menschen trotzdem das göttliche Feuer brachte, ahnte er vermutlich nicht, dass sie damit nicht nur Fleisch garen und Holz entzünden, sondern mit dieser Macht letztlich die Erde ausbeuten würden. Und schon gar nicht ahnte er, dass sie irgendwann selbst zu Titanen mutieren und sogar das Weltall plündern würden.
In Armored Core VI fressen sich Konzerne durch einen Planeten namens Rubicon. Denn dort gibt es die letzten Reste einer überaus kostbaren Energie, eine Art Wunderstoff namens Coral, den die Einheimischen sogar als göttliche Ressource verehren. Es schwelt ein militärischer Konflikt zwischen den gierigen Wettbewerbern und dem lokalen Widerstand. Also braucht man Söldner, die keine Fragen stellen und als stählerne Kampfkolosse mächtig Feuer spucken.
Zwei Traditionen
FromSoftware knüpft mit diesem Spiel an zwei Traditionen an. Auf der einen Seite an die antike Vorstellung von Titanen und Göttern, von planetaren und personalisierten Urkräften, die sich vor dem Hintergrund eines drohenden Weltenbrandes bekämpfen. Die Vorstellung dieser so genannten Ekpyrosis ist nicht nur bei den Griechen, sondern schon im alten Babylon und bei den iranischen Zarthustriern erkennbar. Und Hidetaka Miyazaki, der das Weltkonzept für dieses Spiel entwarf, hat bekanntlich genug Feuermetaphern im eigenen Hause. Natürlich erinnern die einleitenden Worte "Feed the Fire." und "Let the last cinders burn." auch an Dark Souls.
Und damit komme ich zur zweiten Tradition. Denn auf der anderen Seite steht die eigene Firmengeschichte, deren fast vergessener Kern zwölf Jahre älter ist als die Soulsreihe: Und der heißt natürlich Armored Core. Ohne diese Stahlkolosse, die 1997 auf der PlayStation in Erscheinung traten, und die vor allem in Japan erfolgreich waren, hätte sich FromSoftware vermutlich nicht so entwickeln können. Im Westen erreichte die Reihe mit ihren fünf Hauptspielen und zig kleinen Ablegern nie große Popularität.
Von der Zeichnung zum Videospiel
Das waren auch keine Hits, denn sie versprachen mit ihrem coolen Artdesign und in pompösen Trailern meist mehr als sie in ihrer gewöhnlichen Action in kleinen Arealen einlösen konnten. Außerdem erschien Armored Core hierzulande relativ spät, zudem nur auf Sonys Konsole. Da war in Amerika und Europa schon über ein Jahrzehnt das Pen&Paper-Universum von BattleTech etabliert, das Anfang der 80er von seinen Hexfeldern aus die Wohnzimmer eroberte. Aber kulturgeschichtlich sind die Mechs aus Japan älter und bedeutender.
Denn aus ihren Wurzeln entwickelten sich die Transformers. Über viele Jahre hat nämlich kein Geringerer als Shōji Kawamori, heute ein bekannter Anime-Produzent, die Kampfroboter für FromSoftware designt. Ihm verdanken sie sowohl den Namen Armored Core als auch die Funktion der Verwandlung eines Roboters in einen Jet oder eine Fahrzeug. Selbst Optimus Prime & Co beruhen auf den Ideen des Mangazeichners. Mehr dazu in dieser Vertiefung: Armored Core: Der unbekannte Traditionskern.
Der heute 62-Jährige entwarf 1980 mit Diaclone die ersten wandelbaren Spielzeugroboter, wenn man so möchte den Urvater der digitalen Kampfroboter, die 1997 gerade in Japan so richtig auf der PlayStation gefeiert wurden. Schon damals schlüpfte man übrigens in die Rolle eines Söldners namens Raven, der als menschlicher Pilot im Auftrag von Firmen einen Mech in den Kampf führt. Sechsundzwanzig Jahre nach dieser Premiere hat sich an diesem Prinzip fast nichts geändert, aber das Spiel wird in eine ganz andere künstlerische Dimension katapultiert.
Nicht mehr als ein Söldner
Begleitet von einem Laser der Planetenverteidigung und einem verächtlichen Gruß wird man als Kampfroboter auf die Oberfläche des Rubicon geschossen. Dem darin eingepferchten augmentierten Menschen mit dem "frittierten Gehirn" traut man höchstens zu, dass er als Pilot genug Geld scheffeln will, um sich irgendwann freikaufen zu können. Offenbar ist man in diesem Konflikt nicht mehr als ein dummes Werkzeug.
Hier erschafft man keinen individuellen Charakter, hier beginnt man nicht als potenzieller Weltenretter, sondern als illegaler Eindringling und unsichtbarer Söldner mit der Nummer 621. Es gab also schon hunderte zuvor, die man verheizt hat. In dieser wenig heroischen Kanonenfutter-Rolle fühlt man sich vielleicht an all die Seelenlosen und Befleckten erinnert, die FromSoftware so gerne in den sicheren Tod schickt. Und es werden weitere Déjà-vus folgen.

Auch hier ist man einer von vielen, der im Kampf so einzigartige Stärken entwickeln kann, dass er irgendwann wie ein Halbgott im Angesicht von Titanen wütet. Nur mit dem Unterschied, dass das Gefühl der Anonymität und Auftragsarbeit zunächst weit größer ist. Man wird nicht vom Pathos eines verlorenen Königreichs angetrieben, das sich in uralten Ruinen und verwaisten Thronen zeigt, und das man als törichter Ritter vielleicht restaurieren möchte.
Die Konzerne bezeichnen einen nur als Hund, der Befehlen gehorcht. Aber schon bald nimmt man die Identität eines gefallenen Piloten namens Raven an. Kaum wird man so genannt, schlüpft man unbewusst in eine Rolle mit mehr Persönlichkeit. Dieser Name, der ja eng mit der Geschichte der Serie verbunden ist, reicht aus, um die Fantasie anzuregen: Ist man vielleicht mehr? Ist da draußen doch etwas anderes als Geld, für das es sich zu kämpfen lohnt?
Eine freundliche Stimme
Danach sieht es erstmal nicht aus. Aber nachdem man wie ein Komet in einer Industriehalle landet, dampfend und ahnungslos, hört man tatsächlich eine fast freundliche Stimme, und zwar die von Walter. Das Persönliche will nicht so ganz in die militärische Kälte einer weitgehend sterilen Maschinenwelt passen, in der man ja nie einen Menschen sieht.
Walter ist der Betreuer, der sich regelmäßig per Funk meldet und Aufträge im Namen diverser Konzerne vergibt. Um den illegalen Status zu verlieren und offiziell arbeiten zu dürfen, beginnt man mit der Suche nach einer Söldner-Lizenz und wird so zum erwähnten Raven.
Diese Kommunikation setzt den ersten Bezugspunkt für die Story sowie den ersten wichtigen Ankerpunkt für die Atmosphäre des Spiels. Sie hat mich angenehm an den Codec aus Metal Gear Solid erinnert. Wie Colonel Campbell gibt Walter nicht nur Befehle und taktische Tipps, sondern wird in sehr guter englischer Sprachausgabe (mit deutscher Übersetzung) als Charakter und Mittelsmann greifbar. Gesprochen wird er übrigens von Patrick Seitz, den einige vielleicht aus Tekken, Fire Emblem oder Xenoblade Chronicles kennen.

Auch die ebenso klare wie reduzierte Darstellung der Symbole, Texte und Menüs trägt zur Stimmung bei. So manches erinnert hier visuell sowie hinsichtlich der Dialogführung an Death Stranding; die Japaner haben bekanntlich ein Händchen für stilistische Ordnung und die Reduzierung auf das Wesentliche. Walter ist zunächst der einzige Kontakt in einer ansonsten menschenleeren Welt. Er warnt vor bösen Überraschungen, er schickt Nachschub, aber er verschwindet auch mal mit eigener Agenda. Welches Ziel hat er überhaupt? Und warum ist er so bemüht um diesen Raven?
Ich war jedenfalls überrascht angesichts der subtilen Untertöne in den Dialogen. Bald melden sich die Sprecher der Konzerne oder andere Mech-Piloten, es gibt mal Lob nach erfolgreichen Aufträgen, mal kleine Spitzen und Trashtalk, so dass eine durchaus lebendige Atmosphäre vor und während der Aufträge entsteht. Allerdings darf man daran nicht aktiv teilnehmen. Man wählt keine Antworten, bleibt stumm und tut, was einem gesagt wird. An so einigen Stellen hätte ich mir mehr Interaktivität, mehr Rollenspiel gewünscht. Aber in diesem nebulösen Smalltalk zeichnen sich langsam Persönlichkeiten sowie die Konturen eines Konfliktes ab, der für alle Beteiligten inkl. Raven so einige Überraschungen parat hat.
Verlangen nach mehr Freiheit
Und mit jeder Stunde schleicht sich diese seltsame Hoffnung, ja fast ein Verlangen danach ein, dass man mal irgendetwas frei entscheiden und beeinflussen kann. Das liegt auch an einer Story, die nicht nur wirtschaftspolitische Konflikte zwischen Konzernen, sondern auch einen kulturpolitischen Konflikt zwischen den Ausbeutern und den Rebellen des Planeten darstellt, die als Rubicon Liberation Front ihre Heimat verteidigen.
Wer die begrenzten und nach den Kämpfen weitgehend statischen Areale erkundet, findet manchmal Notizen, die auf Intrigen hinweisen. Aber dafür muss man wirklich alles absuchen, denn sie werden im Gegensatz zu nahen Feinden nicht über den Scan sichtbar. FromSoftware lässt Figuren zwar viel mehr sprechen als in der Soulsreihe, aber bleibt in dieser Hinsicht des Storytellings fragmentiert und lässt Raum für Spekulationen. Aber auch wenn man nicht alles findet, entwickelt man langsam unterschiedliche Sympathien, zu Konzernen und anderen Mechs. Interessant ist, dass gewisse postnationale Merkmale erkennbar werden, nicht nur was die Namen betrifft, wie etwa die Klingen von Takagawa, die an japanische Katanas erinnern, oder die besonders aerodynamischen Modelle von Schneider, die deutsche Assoziationen wecken.

Dabei ist die Spielerführung vorbildlich und für FromSoftware fast ungewöhnlich fürsorglich. Zwar serviert man schon früh einen Boss als tödlichen Aperitif. Aber man wird auch als Einsteiger und ohne Vorkenntnisse der Reihe schrittweise in das Handwerk der Kampfroboter eingeführt. Man tastet sich langsam an komplexe Mechaniken sowie den Roboterbau heran, schaltet neue Bereiche im Menü frei und wird frühzeitig mit Ausrüstung belohnt, wenn man am z.B. am optionalen Training teilnimmt und dort immer mehr taktische Manöver sowie Waffenfunktionen verinnerlicht. Man wird also nicht komplett ins kalte Wasser geworfen. Aber man darf sich davon nicht täuschen lassen: Es gibt zwar keine Nebelwände. Aber sobald sich ein Tor zu einer Arena öffnet und ein Koloss aus Stahl in drei Phasen zum Tanz bittet, ist Schluss mit lustig.
Linear und künstlich begrenzt
Auf dem Weg dorthin laufen die Aufträge sehr linear ab. Zwar sieht man im Briefing mal einen Teil eines Kontinents namens Belius mit markierten Orten. Es gibt auch mal einige Missionen zur Auswahl, aber das ist lange Zeit nicht von Bedeutung. Sprich: Es gibt keine übergeordnete strategische Ebene, auf der man Gebiete sichern oder Stützpunkte erobern könnte. Man ist weder ein Anführer noch ein General. Hier und in vielen anderen Bereichen des Spieldesigns bleibt sich Armored Core zehn Jahre nach dem letzten Auftritt treu. Director Masaru Yamamura, der Sekiro: Shadows Die Twice konzipierte, knüpft direkt an die Tradition an, flechtet aber vor allem in das Kampfsystem kreative Impulse ein, indem es ebenfalls die kontrollierte Offensive belohnt.
Es gibt hier jedoch weder eine offene Welt noch Crafting. Es geht nicht um Freiheit und Erkundung, sondern um Montage und Ausrüstung sowie Fokussierung im Gefecht. Innerhalb des Geländes hat man dann allerdings sehr viel taktische Freiheit, was die Route betrifft: So kann man z.B. die Artillerie an der Seite umgehen, unaufmerksame Wachen aus versteckter Position überraschen, aus weit erhöhter Position kämpfen oder die Deckung einer Hochhausreihe nutzen, während man tonnenschwere Container wie Spielzeuge zerstampft.
Die Städte und offenen Areale wirken oft leblos, grau und en detail nicht besonders ansehnlich. Selbst die etwas zu sensible Physik fällt negativ auf, wenn Dinge bei Kontakt zu weit wegfliegen. Apropos: Wenn man selbst zu weit fliegt, wird man von roten Grenzlinien aufgehalten, die im Zeitalter offener Welten fast anachronistisch anmuten. Aber mit jeder neuen Mission gibt es abwechslungsreiche Stimmungswechsel im Leveldesign.
Zunächst wirkt das noch wie ein Flickenteppich, man erkundet recht unspektakuläre Areale. FromSoftware steigert sich dann von mehrstöckigen Industrie-Anlagen und öden Stadtkulissen, hin zu riesigen Staudämmen im Eis, deren Wände man selbst mit voll ausgenutztem vertikalen Schub nicht auf Anhieb überwinden kann. Also braucht man selbst als Stahlkoloss den Schwung der Katapulte, um so richtig in die Höhe zu jagen.
Es gibt an Katakomben erinnernde Schachtanlagen, architektonisch beeindruckende Mega-Anlagen, die wie Achterbahn-Landschaften aus Riesenhand anmuten. Mit der Zeit entsteht eine eigenwillig markante Atmosphäre, so dass man dem Planeten mit immer mehr Neugier begegnet. Denn das Gefühl von maschineller Kälte, Tod und Trostlosigkeit wird um eine futuristische Erhabenheit ergänzt, sobald man den Blick vom Boden in die Ferne oder die Wolken richtet.

Ein imposantes Déjà-vu
Und schon im ersten Kapitel setzt FromSoftware mit all der künstlerischen Erfahrung ein imposantes Zeichen im Wüstensand: Da stapft in weiter Ferne ein gigantisches Bergbauschiff durch den okkerfarbenen Nebel. Man nähert sich wie ein kleiner Grashüpfer, während man von Lasern erfasst und in null Komma nichts weggebrutzelt wird. Wenn man es in die Nähe dieses Ungetüms schafft, erkennt man, dass man als Zehn-Meter-Roboter nicht mal die Höhe der Fußsohle erreicht.
Wenn man dann verzweifelt versucht mit dem vertikalen Boost irgendwo am Bein hinauf zu düsen, um Halt auf einer Plattform zu finden, fühlt man sich unweigerlich an Shadow of the Colossus erinnert. Zwar erreicht dieser sich im Level bewegende Mega-Level anno 2023 nicht diese unfassbare Wirkung des Drachen Phalanx aus dem Jahr 2005 - so hieß dieses elegant fliegende Wesen, dieser dreizehnte, größte sowie friedlichste und mit Abstand beeindruckendste Koloss dieses Meisterwerks. Aber nichtsdestotrotz sorgt das mehrstufige Erklimmen dieses Bergbaugiganten für einen ersten Wow-Effekt.

Ab dem zweiten Kapitel wird die Architektur immer öfter zu einem gewaltigen Monument, zu einem mehrstöckigen Megakomplex aus Stahl und Türmen in teils Schwindel erregender Höhe. Der Himmel in der Ferne wird immer mehr zu einer ebenso galaktischen wie malerischen Leinwand, auf der trotz der actionreichen Kämpfe die friedliche Schönheit eines Gemäldes sichtbar wird. Spätestens dann wirkt Rubicon nicht mehr wie eine Ansammlung von Industriebrachen, sondern wie ein apokalyptischer Lost Place, wie ein heimgesuchtes Königreich.
Der Planet erwacht
Plötzlich erscheint dieser frühe Gedanke, ob man nicht doch ein Ritter aus Stahl ist, der hier etwas retten könnte, gar nicht mehr so abwegig. Zwar bleibt es über viele Stunden sehr linear: Gerade eben hat man noch den Nachschub der Rebellen vernichten müssen, dann ist man auf einmal in ihrem Auftrag unterwegs. Hier wechselt man als Söldner ratzfatz die Seiten, ohne Veto einlegen zu können. Diese Erzählweise fühlt sich ebenso eindimensional wie beliebig an, bis man endlich den feurigen Hauch des Planeten spürt und eine neue weibliche Stimme hört. Sie benutzt einen wie Walter nicht nur für Aufträge, sondern öffnet die Tür zu einer apokalyptischen Facette der Story, die eng mit dem Schicksal von Rubicon verbunden ist. Auf einmal gibt es Entscheidungen. Auf einmal erfüllen sich die Ahnungen. Denn bald gibt es miteinander konkurrierende Missionen, so dass man sich für die Unterstützung einer Fraktion entscheiden muss, was wiederum nach 25 bis 30 Stunden zu einem anderen Ende führen kann.
Aber das klingt viel kürzer als erlebt, denn manchmal hängt man mehrere Tage an einem Boss fest. Der Weg ins Ziel ist brutto deutlich länger. Bevor es zu den visuell stärksten Momenten kommt, muss man sehr geduldig sein und wiederholt dieselben Feinde bekämpfen. Es geht in den Arealen von Zielmarker zu Zielmarker letztlich zu einem Boss, wobei man überraschend faire, aber leider nicht immer konsequent platzierte Kontrollpunkte aktiviert.
Selbst wenn diese Routine zu einem Spielprinzip gehört, das auf Scheitern und Lernen setzt, hätte man beim Zwischenspeichern etwas mehr Komfort anbieten können; zumal die Kontrollpunkte kurz vor einem Boss beim Beenden des Spiels futsch sind. Es gibt ja nur einen Speicherplatz und einen Schwierigkeitsgrad, der es ganz à la FromSoftware in sich hat. Sprich: Es gibt Bosse, an denen man dutzendfach scheitert. Schon der erste richtig große namens Balteus hat mich drei Tage beschäftigt.

Wer also dazu tendiert, seinen Controller zu werfen, sollte einen großen Bogen um Armored Core VI machen. Denn hier kann man sich nicht wie in Elden Ring einfach mal woanders hin teleportieren oder sich leichtere Wege suchen. Hier muss man sich auf geradem Wege durchbeißen. Und die Wanderung hat es aus mehreren Gründen in sich, die mit dem Spielgefühl sowie der Ästhetik zu tun haben. Also zoome ich mal etwas mehr rein in den harten Kern.
Steuerung & Spielmechanik
Zunächst erlernt man die Steuerung des Mechs aus der Egosicht, wie man Ziele manuell anvisiert oder automatisch fixiert, um zu strafen; die Steuerung lässt sich dabei komplett anpassen. Doch was vertraut kling, entwickelt im futuristischen Raum natürlich eine ganz andere Dynamik als auf den Fundamenten der Fantasy.
Hier gibt es keine permanente Bodenhaftung, hier weicht man nicht wie ein gepanzerter Waschbär rollend aus, sondern jagt wie ein Grashüpfer mit Jetpack durch die Luft. Das fällt tatsächlich ein wenig negativ auf. Denn obwohl man ein Riese von zehn Metern und hundert Tonnen an Gewicht ist, fühlt man diese Schwere nicht in der Bewegung. Man erlebt hier keine physikalische Simulation von Masse und Trägheit, sondern die typisch japanische Arcade-Interpretation. Das ist der für das rasante Spielgefühl wichtige Kompromiss, der die Serie schon immer gekennzeichnet und von westlichen Mech-Spielen unterschieden hat.
Faszinierende Mech-Ästhetik
Allerdings erreicht die visuelle Anziehungskraft in diesem sechsten Teil eine ganze andere Dimension. Und die sorgt für einen neuen Realismus in der Darstellung der Kampfroboter. Denn indem das Kleine und das Große selbst in Bewegung unheimlich flüssig ineinander greifen, wirken sie so glaubwürdig wie nie zuvor. Man kann quasi von der glänzenden Schraube bis zum glühenden Draht nahezu alles erkennen. Es gibt nicht nur fulminante Explosionen und eine Phalanx an unterschiedlichen Raketenflugbahnen, bei denen sich Geschosse erst teilen und dann zusammen auf ein Ziel jagen, bei denen sie zu zweit, zu fünft oder zu zehnt wie an Silvester kreischend in den Himmel fliegen, nur um dann nach einem Kurswechsel auf dem Feind zu detonieren.

Hinzu kommt all das, was sich während eines Gefechts am eigenen Mech abspielt, wenn die Kanonen glutrot überhitzen, Laserklingen blitzend ausgefahren werden, Booster dampfen oder Generatoren abkühlen. Man glimmt und wabert manchmal so ansehnlich, dass man sich selbst die Zerstörung des eigenen Kampfroboters gerne anschaut. Noch schöner sind die tollen Zeitlupen, wenn die kolossalen Feinde mit der letzten Rakete in einer Wolke aus Splittern, Rauch und Feuer aufgehen. Das Figurendesign der Gegner ist vom kleinen Wächter bis zum Boss klasse: es gibt brachial panzerartige, anmutig insektoide oder bizarr verdrehte Roboterwesen. Ein ebenso eindrucksvoll animierter wie schmerzhaft starker Gegner ist z.B. eine riesige Seespinne, die weit springt und ihre Hauer in die Erde donnert; gleichzeitig hat sie unfassbar starke Laser auf Distanz. Oder anders: FromSoftware inszeniert Mech-Ästhetik auf allerhöchstem Niveau.
Spielgefühl à la Returnal
Auch wenn auf der Meta-Ebene manches an die Soulsreihe erinnert, fühlt sich das Spiel eher an wie ein Returnal, wenn man von einfliegenden Salvenkombos und akustischen Warnsignalen in einer Bullet Hell begrüßt wird, in der hunderte Raketensprengköpfe wie eine Flutwelle heran rauschen. Man muss sehr schnell reagieren und verfügt dafür über drei Arten von Boosts in jede Richtung. Der Mech kann zwar nicht dauerhaft wie ein Jet fliegen, zumal er mit jedem Schub Energie verliert, aber man fühlt sich hier wie ein Pilot im Dogfight. Man kann schweben, beschleunigen, ausweichen, in die Höhe springen und wie eine Rakete in eine Richtung jagen. All das so zu timen, dass man nach einem Turboboost samt Bremsmanöver auf einem Turm mit einer Fläche von wenigen Quadratmetern landen oder einem Feind aus dem Flug heraus erfolgreich einen Tritt verpassen kann, verlangt einiges an Übung.
Und während man navigiert, kann man gleichzeitig auf mindestens vier Waffensysteme an beiden Armen und Schultern zugreifen, von der Laserklinge über die Plasmaschrotflinte oder den Napalmwerfer bis zum Raketenwerfer in zig Ausführungen; für jede erdenkliche Distanz ist etwas dabei, in mehreren Schadenstypen von Kinetik bis Impuls. Man kann auf Dauerfeuer aus allen Rohren, auf kombinierte Treffer, auf Nah- und Fernkampf, auf Streuung, Bereichswirkung oder Punktkonzentration setzen.
Sekiro lässt grüßen
Obwohl man in der Vertikale mit ihren vielen Nischen und Plattformen auch wunderbar Deckung nutzen kann, geht es auch abseits der Bossgefechte manchmal nur im direkten Duell, und da ist die Offensive Trumpf. Hier hat Director Yamamura wie erwähnt Sekiro einfließen lassen: Gegen stärkere Feinde gilt es deren Haltung über mehrfache Treffer in einem kleinen Zeitraum zu brechen, so dass sie ins Taumeln geraten und besonders anfällig sind. Aber keine Bange, das ist wesentlich einfacher als in Sekiro und man hat nicht diesen rhythmischen Konterstress. Falls man es schafft und sein Laserkatana zur Hand hat, sollte man direkt hinein jagen.

Alle Waffen werden von ebenfalls anpassbaren Feuerleitsystemen je nach idealer Reichweite mehr oder weniger erfolgreich ihr Ziel erfassen, verfügen über eigene Videos mit kurzer Präsentation sowie detaillierte Statistiken, was Gewicht, Nachladezeiten, Aufprallschaden, Munition etc. betrifft. Als ich den Button zum Aufklappen der Werte entdeckte, war ich regelrecht geschockt, wie unfassbar viel da an Daten aufgelistet wird.
Und damit nicht genug. Schon bald kann man nicht nur einen zweibeinigen Mech, sondern einen auf vier Beinen oder einen Mega-Panzer steuern. Jeden dieser Typen kann man wiederum komplett unterschiedlich designen. Ohne eine Ader fürs Basteln, Modifizieren und Bemalen wird man dieses Armored Core vielleicht nicht wertschätzen können. Dafür gibt es keine Garage, denn man baut sich stets modular um, von Kopf bis Fuß, vom Kern bis zum Generator, wobei man die Ergebnisse als Blaupausen speichern kann.

Die flexible Verwandlung in die für den Auftrag passende Kampfmaschine ist jedenfalls das A und O, gerade im ersten Drittel dieses Spiel. Man muss wesentlich dynamischer agieren als in der Soulsreihe, denn hier kann man nicht jeden Boss mit jedem Build knacken. Man kann nicht nach Schema F den Tank mit Schild und mächtig Schaden oder den flinken Ausweichexperten ins Gefecht schicken, sondern muss sich und seine Ausrüstung immer wieder neu anpassen. Das bedeutet, dass es dazu gehört, aus falschen Kompositionen zu lernen und sich dann auf andere Art auszurüsten, weil man den Impulsschild des Feindes eben nicht mit Raketen durchdringen kann.
Ausrüstungskauf statt Levelaufstieg
Es gibt keine Erfahrungspunkte samt Aufstieg und keine Charakter-Entwicklung mit Attributen, nach denen etwa der Schaden skaliert. Man gewinnt lediglich Geld, das man in neue Teile investieren kann, um sich einen immer größeren Pool an Ausrüstung zuzulegen. Das ist zwar zunächst knapp, zumal man auch seine verschossene Munition bezahlen muss, deren Preis je nach Macht der Waffe enorm steigen kann - das wird einem quasi in Rechnung gestellt. Allerdings kann man alles Gekaufte zum selben Preis wieder abstoßen, so dass zumindest kein Verlust und keine Sackgasse entsteht.
Um Geld zu machen, kann man auch alte Missionen wiederholen, was man durchaus gerne macht. Entweder weil sie militärtaktisch cool oder einfach imposant inszeniert werden. Wenn man mit einem zehnfachen Raketenwerfer erfolgreich alle Ziele markiert, und danach die Einschläge wie Trommelfeuer klingen, oder wenn man mit einem vertikalen Raketenwerfer weit entfernte, hinter einer Deckung wartende Mechs mit Plasma brutzelt, kommt auch beim zweiten Mal explosive Freude auf, die die Kasse klingeln lässt.

Neben den Mechteilen und Waffen gibt es die wichtigen Chips für permanente Verbesserungen, die man in Arenaduellen gegen einzelne Feinde verdienen kann. So kann man z.B. den Schaden eines Waffentyps prozentual steigern, die Anzahl der erhaltenen Reparaturpunkte erhöhen, einen Tritt oder eine Drehung sowie temporäre Impulsschilde und coole Kernexplosionen freischalten, die einen im Moment der Detonation schützen und den Feind schocken. So steigt man auch langsam im Rang als Kampfroboter auf, obwohl man diese Duelle bald etwas zu leicht ohne variable Taktik gewinnen kann.
Und damit komme ich zu einem weiteren finalen Kritikpunkt: Denn je mehr und je mächtigere Waffen man zur Verfügung hat, je mehr sich ein Optimum aus Gewicht, Beweglichkeit und Feuerkraft heraus bildet, desto weniger muss man im letzten Drittel des Spiels variieren. Sprich: Irgendwann kann man mit seiner Idealkombo fast alles wegpusten. Ach so, ob das auch gegen menchliche Piloten reicht? Das kann man im Multiplayer-Modus herausfinden, der nach dem Ende von Kapitel 2 mit Arena-Gefechten im 1vs1 oder 3vs3 freigeschaltet wird. Es gibt keine kooperativen Optionen für die Kampagne wie in Elden Ring.
FAZIT
Armored Core VI ist ein ästhetischer Genuss. Man erlebt ein ebenso explosives wie anspruchsvolles Spektakel. Von hunderten tödlichen Projektilen verfolgt, kämpft man in offensiver Waghalsigkeit wie ein Raketen-Samurai mit Ungetümen aus Stahl. Damit lösen die Japaner 26 Jahre nach dem ersten Armored Core ein gefühltes Versprechen ein: Denn all das, was diese Reihe in der Vergangenheit nur in Trailern suggerieren, aber nicht wirklich im Spiel realisieren konnte, wird jetzt als ebenso brachiale wie malerisch apokalyptische Mechfantasie lebendig. Es gibt einige kleine Defizite, ich hätte mir z.B. früher mehr Freiheit, etwas mehr Speicherkomfort und später mehr taktischen Anspruch gewünscht. Und ein Returnal konnte mich erzählerisch neugieriger machen. Aber in Armored Core VI zeigt sich erneut die meisterhafte Expertise dieses Entwicklers. Zwar hat Hidetaka Miyazaki diesmal nicht das Spieldesign, sondern das Weltprinzip entworfen, aber die Harmonie, in der Story, Szenario, Kampf und Kulisse zusammenfließen, ist vielleicht auch eine Art von persönlicher Wiedergutmachung. Denn als er gerade junger Director war, erlebte das unter seiner Führung entwickelte Armored Core 4 im Jahr 2006 auf PS3 seinen Tiefpunkt. Danach ließ er für viele Jahre die Finger von stählernen Robotern und widmete sich bekanntlich seelenlosen Rittern. Es ist schön zu sehen, dass deren Erfolg jetzt auf diese spektakuläre Art den alten Traditionskern wachküsst. Wer bisher noch nie etwas mit den Kampfrobotern zu tun hatte, könnte in diesem sehr guten Abenteuer auf den Geschmack kommen. Aber Vorsicht: Ohne viel Geduld, flexible Taktik und schnelle Reflexe wird man den Kern der Faszination, der sich für mich nach etwa einem Drittel der knapp 25 bis 30 Stunden zeigte, gar nicht erst erreichen. Aber wer sich durchbeißt, wird eines der besten Spiele dieses Jahres erleben.
(Bilder: Armored Core VI, PS5, eigene Aufnahmen)









