Rezension: Dragon Age: The Veilguard (PC, PS5, XBS)
- Jörg Luibl
- 7. Nov. 2024
- 20 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Nov. 2024
Warum ich skeptisch in dieses Abenteuer gehe, habe ich in der Flaschenpost erläutert: Nach meiner letzten Begegnung mit Dragon Age: Inquisition im Jahr 2014 schaufelte ich ein 59 Fuß tiefes Wertungsgrab. Doch jetzt feiern einige die Wiederauferstehung von BioWare in Dragon Age: The Veilguard. Und ich gönne dem Team den Erfolg sowie eine sichere Zukunft. Aber nach den ersten Trailern pochten die alten Narben. Also muss ich für diese Rezension zu Holzpflock und Silberkugeln greifen. Oder kann mich das Rollenspiel etwa mit einem kreativen Biss überraschen?
Vom Fan zum Skeptiker
Bevor ich zum misstrauischen Van Helsing wurde, war ich selbst ein Vampir. Denn ich verdanke BioWare hunderte schöne Stunden: Die verbrachte ich zwar auch in Fallout oder Planescape Torment, aber Baldur's Gate küsste vor einem Vierteljahrhundert ein dahin schlummerndes Genre wach. Ich habe in einer biografischen Vertiefung von dieser Zeit erzählt, als ich mich mit einem Text über Icewind Dale bei Spielemagazinen bewarb und meine erste Rezension über Baldur's Gate 2 veröffentlichte. Ich bin quasi mit dem Berserker Minsc und seinem Hamster Boo in diesen Beruf gestartet:
"I like butt-kicking and I cannot lie. (...) Go for the eyes, Boo! GO FOR THE EYES!"
So im Nachhinein betrachtet ist das eigentlich ein schönes Motto für einen Spielekritiker. Dabei wollte ich in dieser Rezension eigentlich nicht so schnell zur Sache kommen wie das coole Duo. Bevor man als Spieler oder Kritiker jemandem in den Arsch tritt, muss man ohnehin erstmal einen Charakter erschaffen.
Rogue light
Wie schon in Origins kann man für den Helden Rook eine von drei Klassen wählen, entweder Krieger, Schurke oder Magier, in männlicher, weiblicher oder nicht-binärer Variante. Wer möchte, kann auch geschlechtsneutrale Pronomen wie "hen" aktivieren. Zwar kann man diese Klassen später noch spezialisieren, allerdings entwickelt man dafür keinerlei Werte wie etwa Stärke, Geschick oder Intelligenz. Man verteilt auch keine Punkte auf Fähigkeiten wie Schlösser knacken oder Rhetorik, denn die gibt es nicht.
Ich hab ja einen Zwergenschurken gewählt, aber obwohl ich später eine Kiste mit Handwerkszeug zum Schlösser knacken als Andenken in meinem Zimmer platzieren darf, spielen diese Fähigkeiten keine Rolle. Man muss weder einen Dietrich benutzen noch jemanden bestehlen, man muss weder Türen öffnen noch kann man schleichen. Die Kisten werden einfach aufgetreten, hinterhältige Manöver sind nicht möglich und diskutiert wird ohne Fähigkeitenproben in kurzen Dialogen. Was genau daran noch Rogue-like sein soll, habe ich nicht verstanden, obwohl ich diesem Beruf mit der Wahl des Schurken sowie seiner Vergangenheit nachgehen wollte.

Freunde körperlicher Selbstverwirklichung werden hingegen vielfältiger gefordert. Man kann seinen Charakter von den Augenringen bis ins letzte geschlechtsspezifische Detail formen, so wie man das etwa von Cyberpunk 2077 & Co kennt. Zwar erreicht der Editor nicht dessen Komplexität, aber dafür flattern hier die Haare schöner, die in voluminöser Pracht dahin wallen. Sogar der Backenbart meines Zwerges weht so fluffig, als wäre jedes Haar ein Grashalm im Wind von Ghost of Tsushima.
Sechs Fraktionen
In der Charaktererschaffung hat man zudem die Wahl aus sechs Fraktionen samt biografischem Hintergrund, der nicht mehr wie in Origins das einzigartige Startgebiet bestimmt, sondern sich auf die Ausrüstung, einige Boni sowie Dialoge und Quests auswirkt. Allerdings wirkt sich das hinsichtlich des Spielgefühls kaum aus. Ich habe die Krähen von Antiva gewählt, die gefürchteten Meuchelmörder, also bekam ich zum Start einen Heiltrank zusätzlich und verursachte mehr Schaden gegen die Antaam. Aber so richtig gemeuchelt habe ich tatsächlich niemanden, es war eher ein Gemetzel mit Kombos.
Hinzu kommen als Fraktionen die Schleierspringer, die Grauen Wächter, die Schattendrachen und andere mit jeweils eigener Weltanschaung und politischen Zielen. Je höher man in ihrem Rang aufsteigt, desto mehr exklusive Ausrüstung gibt es; dafür gilt es spezielle Gegenstände an ihren Händler zu verkaufen und Quests zu erledigen. Alle sechs Fraktionen sind zugänglich, aber in der eigenen steigt man schneller auf. Das System ist vergleichbar mit jenem aus Star Wars Outlaws, allerdings hat es mir bei Ubisoft aufgrund der taktischen und territorialen Komponente der rivalisierenden Syndikate deutlich besser gefallen.
Alte und neue Gefährten
Und ich muss jetzt schon vorwegnehmen, dass mir in diesem Dragon Age: The Veilguard auch kein Charakter so richtig ans Herz gewachsen ist. Okay, Minsc ist eine barbarisch hohe Messlatte an Charisma und zusammen mit seinen Gefährten war das selbst für die begabten Schreiber der Larian Studios eine große Herausforderung.
Aber wenn ich an Lae'zel, Karlach, Shadowheart, Astarion & Co aus Baldur's Gate 3 denke, dann ist das ein zwei Klassen höheres erzählerisches Niveau. Es ist nicht so, dass alle Charaktere in diesem Dragon Age uninteressant oder schlecht konzipiert sind. Ich mag Solas, den über 8000 Jahre alten elfischen Magier, gegen den man im Einstieg noch kämpft und der danach in seinem unfreiwilligen Exil im so genannten Nichts zu einer Art tückischen Berater wird - er ist mit ein Grund dafür, warum ich irgendwann überhaupt noch richtig zuhörte und es am Ende spannender wird.
Ach so: Varric ist als bärbeißiger Organisator der Heldengruppe auch okay. Er ist ein bekannter Zwergenschurke, der erstmals in Dragon Age 2 auftauchte und hier mit seiner Armbrust Bianca fast wie ein Held der 80er auftritt und einen Saloon stürmt. Nachdem er jedoch verwundet wird, erzählt er erneut die Geschichte, die direkt an die Ereignisse aus Inquisition anknüpft. Zwar fängt sie durchaus dramatisch galoppierend an, denn diesmal wird das Böse ratzfatz vom noch viel Böseren in zweifacher Gestalt überrumpelt.

Nachdem man Solas' Ritual aufhält und er im Nichts gefangen ist, werden zwei andere uralte Elfenmagier befreit, die die Welt so richtig ins Verderben treiben wollen. Solas ist quasi ein listiger Satan, mit dem man diskutieren kann, aber die anderen beiden sind so etwas Cthulhu und Azathoth - die haben mehr Hunger als Humor und können den Geist der Menschen korrumpieren. Doch die Geschichte versandet dann, die Motive und Antagonisten werden ständig in den Texten wiederholt und Varrics Zusammenfassungen wirken fast einschläfernd, bis endlich mal wieder etwas Aufregendes passiert.
Sprecher und Dialoge
Die deutschen Sprecher sind weitgehend gut, Rook hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn mir Neve etwas zu teilnahmslos klang, wirken sie in den besten Situationen angenehm natürlich, die Animationen der Gesichter können sich sehen lassen und passen zur Emotion, auch wenn sie weit weg von der Qualität eines The Last of Us oder Cyberpunk 2077 sind. Allerdings fällt die visuelle Qualität bei Nebencharakteren so rapide ab, dass sie manchmal wie Figuren zweiter Klasse wirken. Und die Texte sind eine Enttäuschung.
Zum einen täuschen die unterschiedlichen Symbole in den Antworten, wie etwa das Herz, die Grinsemaske, der Daumen nach oben oder das Wegstoßen darüber hinweg, dass man hier kaum markante Akzente setzen kann. Zwar kann man widersprechen, aber selbst die negativste Reaktion wirkt im Gespräch positiv oder so glattgebügelt, dass selten Konflikte stehen. Und es ist überaus ärgerlich, wenn die dort angezeigte Schärfe im Kurztext nicht dem entspricht, was tatsächlich ausgesprochen wird. Zum anderen kann man über ein Fragezeichen zwar manchmal nachhaken oder sich Hintergründe holen, aber es gibt keine argumentativen Verschachtelungen oder ausführlichen Gespräche, die man interessiert liest oder über die man mal länger grübelt. Hinzu kommt, dass man sich als Erwachsener veralbert fühlt, wenn alles zig mal wiederholt wird.

In einer Quest hörte ich gefühlt 50 mal innerhalb einer Viertelstunde das Wort "Venatori" - das sind Kultisten aus Tevinter. Diese exzessive Wiederholung erinnerte mich an einige penetrante Lehrer und eine Folge von Captain Future namens "Der Herrscher von Megara", die damit zum Running Gag wurde. Außerdem werden viele Bemerkungen der Gefährten zu früh gemacht, noch bevor man das Gemeinte entdeckt oder erreicht hat.
Cosplayer im Team
Nerviger als diese kleinen Spoiler ist aber das Gequatsche, das bei mir für akute ludonarrative Dissonanzen sorgte. Vor allem die Schleierspringerin Bellara ging mir so richtig auf den Zeiger, wenn sie mit einem "Das muss uralt sein!" für archäologische Euphorie sorgen wollte, obwohl alles um einen herum generisch aussah. Oder wenn sie nicht einmal, sondern mehrmals mit "So etwas habe ich noch nie gesehen!" komplett übertrieben herum staunt, obwohl man durch ästhetisch eher unterwältigende Landschaften spaziert. Zum Fremdschämen schlimm wurde es am ersten eher düsteren Ort, als meine Begleiter sich an gesprochenem Grusel versuchten - ich fühlte mich wie im Kinderhörspiel Hui Buh, das Schlossgespenst.
Es gab auch ein, zwei interessante persönliche Quests wie jene um den Nekromanten Emmrich, dessen Skelett-Assistent Manfred zumindest Erinnerungen an den Schädel Morte aus dem Klassiker Planescape Torment weckt. Auch die Zwergin Harding war mir ab einem gewissen Punkt sympathisch. Aber ich fühlte mich recht früh nicht von Gefährten, sondern von ständig quasselnden Cosplayern umgeben, die mir in Kämpfen um Leben und Tod in Pseudocoolness gratulieren, so als wären wir Buddies in der Arena eines Team-Shooters; selbst Geschütztürme sind übrigens dabei. Aber das Schlimmste war irgendwann die Diskutiercouch im Hauptquartier...
Das alte BioWare
Tja, jetzt hab ich wohl doch mehrfach mit Silberkugeln geschossen. Und Dragon Age: The Veilguard sieht schon recht angeschlagen aus, obwohl ich noch gar nicht alle Kritikpunkte abgefeuert habe. Dabei wollte ich gar nicht mit ihnen anfangen, sondern zuerst meinen Standpunkt klarmachen. Und weil der mit der Geschichte von BioWare zu tun hat, reise ich nochmal kurz zurück. Keine Bange, ich werde nicht den kompletten Weg bis Dragon Age 2 oder Inquisition nachzeichnen.

Ich werde bewusst bei Dragon Age: Origins halt machen, um den Kontrast zu Dragon Age: The Veilguard zu verdeutlichen. Nur so kann ich verständlich machen, warum es aus meiner Sicht ein Fehler war, nicht ästhetisch und spielerisch an diese Wurzeln eines klassischen Rollenspiels anzuknüpfen, sondern sich stattdessen an einem Action-Adventure wie God of War: Ragnarök zu orientieren. Was Kratos mit all dem zu tun hat, werde ich später noch bezüglich des Kampfsystems und der Weltvernetzung erläutern.
Aus der Sicht eines Fantasyfans war Dragon Age: Origins jedenfalls der letzte Höhepunkt dieses Studios, das danach im Schatten von CD Projekt RED, Larian und anderen versank, weil die immer bessere Spiele designten. Paradoxerweise orientierten sich die Newcomer aus Polen, Belgien & Co auf dem Weg zu ihrem Erfolg auch am alten BioWare. Denn das verkörperte ja die Faszination dieses Genres, das aus genau den Pen&Paper-Wurzeln entstanden ist, die sich die Kanadier selbst zum Vorbild nahmen. Sie würfelten sich um die Jahrtausendwende quasi aus dem Nichts neben Riesen wie Interplay, Origin Systems oder New World Computing. Sie saßen nicht nur an einem Tisch mit den großen Rollenspiel-Entwicklern, sondern übertrumpften sie.
Sie eröffneten zwar schon mit Baldur's Gate ihren Tanz der isometrischen Rollenspiele, aber der Nachfolger war erzählerisch reifer, dramatischer und vielfältiger. So erlebte ich wie viele andere im Jahr 2000 nicht weniger als ein digitales Meisterwerk. BioWare avancierte fortan neben Bethesda zum einflussreichsten Studio für westliche Rollenspiele. Zunächst veröffentlichten sie Abenteuer für etablierte Marken wie Star Wars oder Dungeon & Dragons. Aber sie erschufen bald eigene Welten wie 2007 die Science-Fiction von Mass Effect oder 2009 jene Fantasy von Dragon Age.
Dark Heroic Fantasy
Aber Letztere hatte es schwerer, man war intern skeptischer, deshalb plante man zunächst keinen Nachfolger oder gar eine Reihe. Während Commander Shephard auf Grundlage der Unreal Engine 3 überaus elegant durchs Weltall jagte, war das Erlebnis in den Königreichen von Thedas mit der recht limitierten Eclipse Engine (die man nach Dragon Age 2 nicht mehr verwendete) deutlich spröder und im wahrsten Sinne des Wortes mittelalterlicher. Aus rein technischer Sicht ist es übrigens schlecht gealtert, das würde ich so nicht mehr spielen wollen.
Dragon Age: Origins benötigte schon damals einige Stunden, bevor sich die Anziehungskraft einer Spielwelt entfalten konnte, die BioWare als "Dark Heroic Fantasy" und "geistigen Nachfolger" von Baldur's Gate sowie Neverwinter Nights beschrieb. Auch wenn ich den Kanadiern viel zutraute, hegte ich damals meine Zweifel, die in der heutigen Rückschau noch verständlicher sind. Denn obwohl Neverwinter Nights im Jahr 2002 durchaus erfolgreich und für private Dungeon Master aufgrund des Aurora Toolsets interessant war, war es aus der Perspektive eines Hardcore-Rollenspielers ein erster Rückschritt für BioWare.

Doch wie viele andere wurde ich sieben Jahre später von Dragon Age: Origins überrascht. Dem Team um die Lead-Designer Brent Knowles, Mike Laidlaw und James Ohlen sowie dem Storywriter David Gaider war es tatsächlich gelungen, eine glaubwürdige Welt samt eigener Mythologie zu erschaffen und eine dramatische Geschichte zu erzählen, die Vertrautes und Modernes vereinen konnte. Man hatte das Gefühl, dass man ein Abenteuer für Erwachsene voller Gewissenskonflikte und keine glänzende Kitsch-Fantasy mit einfachen Antworten erlebte.
Die alte Welt von Thedas
Sie war zwar recht konservativ designt, denn die Welt von Thedas beruht zu einem großen Teil auf der von J.R.R. Tolkien etablierten Fantasy sowie mittelalterlich-europäischen Einflüssen. Aber sie wurde um Konflikte, Brisanz sowie moralische Graustufen à la George R.R. Martin bereichert und war erzählerisch progressiv. Innerhalb der Geschichte schreckte man nicht vor Gewalt oder Sexualität zurück, wobei Letztere inkl. Homo- und Bisexualität gerade für die nordamerikanische Gesellschaft sowie Videospielkultur nicht selbstverständlich war.
BioWare hatte ja schon mit Mass Effect für einen Aufschrei in religiös-konservativen Kreisen der USA gesorgt, weil man als Mann oder Frau Shephard ein Techtelmechtel mit einem nicht geschlechtsspezifischen Alien eingehen konnte. Aber nicht die für mich komplett nebensächliche Thematisierung von Sexualität war die beachtliche Leistung, sondern das dramatische Schauspiel und der überzeugende Weltenbau dieser Fantasy. Leider gibt es in Dragon Age: The Veilguard trotz der zehn vergangenen Jahre seit dem letzten Spiel keine Einführung in dieses Thedas, daher fasse ich das Wesentliche zusammen, zumal es für meine negative Einschätzung und den Holzpflock relevant ist.
Von Mittelerde bis Italien
Die Zwerge stellten noch die deutlichste traditionelle Verbindung zu Tolkien dar, mit ihrer Heimat unter den Bergen sowie als meisterhafte Verarbeiter von Lyrium, das quasi Mithril ersetzt, wie eine Droge wirken kann und ihr kleinwüchsiges Volk (theoretisch) immun für Magie macht. Ein Dolch aus diesem Metall spielt auch eine wichtige Rolle in der aktuellen Geschichte von Dragon Age, denn mit ihm wollte Solas den Schleier zwischen der Realität und dem Nichts in seinem Ritual zerreißen. Er landet schon im Einstieg als aufrüstbares Artefakt in der Heldengruppe, die verhindern muss, dass die beiden bösen Elfengötter einen neuen schmieden.
Aber zurück zu den Völkern von Thedas: Die Menschen sind in mehrere Königreiche aufgeteilt, die über ihre Namen, Mode und Sprache meist eine europäische Kultur nachahmen. Das mächtigste Reich Orlais erinnert mit seinen Rittern und der Dekadenz an Frankreich. Dort residiert der Templerorden als militärischer Arm der Kirche und Beschützer des Zirkels der Magier, der angehende Magier aus allen Reichen ausbildet. In der Handelsmetropole Antiva, weit im Nordosten, fühlt man sich an Italien bzw. Stadtstaaten wie Venedig erinnert, zumal dort der Orden der Meuchelmörder im Haus der Krähen residiert - für meinen Charakter in Dragon Age: The Veilguard habe ich übrigens diesen Hintergrund gewählt.

Im südöstlichen Königreich Ferelden findet man eher angelsächsische und britannische Einflüsse bis hin zur arthurischen Legende inkl. der Hexe Morrigan, der man auch diesmal begegnet. Spuren deutscher Sprache finden sich im nordwestlichen Königreich Andernfels, wo die Weisshaupt Fortress liegt, das Hauptquartier der Grauen Wächter, deren Unterstützung man im Kampf gegen die Dunkle Brut, die damals an Zombiehorden erinnerten und aus den Tiefen der Erde erst die Zwerge überrannten, ebenfalls in diesem Abenteuer sucht. Von dieser kulturellen Fülle wird man im aktuellen Dragon Age übrigens nur Facetten erleben, man wird auch keine große Metropole wie Novigrad in The Wicther 3 oder weitläufige Dungeons wie in Baldur's Gate 3 erkunden, sondern nur recht kleinräumige städtische, ländliche und höhlenartige Gebiete.
Das Besondere war damals nicht, dass es keine Hobbits oder Orks gab oder dass die hünenhaften Qunari mit ihren Hörnern das einzige neues Volk darstellten, sondern dass die Welt quasi Narben hatte, weil sie schon einige Invasionen durch die Dunkle Brut erlebte. Oder dass Magier in einigen Königreichen verfolgt und dass Elfen von den Menschen versklavt wurden. Sprich: Krieg, Religion und Horror, Ausbeutung, Gier und Rassismus prägten sie. Diese "Dark Heroic Fantasy" war sowohl eine Leitline für die Story mit ihren ernsten Themen sowie das Artdesign, in dem eher gediegene und dunkle Farben, Braun- und Beigetöne statt Glanz und Gloria vorherrschten. Alles fühlte sich im ersten Dragon Age bedrohlich nach innerer Zersetzung und nahender Endzeit an, was weniger an das episch bunte Dungeons & Dragons als vielmehr das apokalyptische Warhammer 40k erinnerte.
Die neue Welt von Thedas
Davon ist in diesem Dragon Age: The Veilguard nichts mehr zu spüren. Zwar flattern direkt zu Beginn einige Dämonen umher und natürlich kriecht die Dunkle Brut aus ihren Löchern, es gibt Kultisten in Kapuzen, wild brüllende Oger und Feuer spuckende Drachen. Aber wenn man das Kreaturendesign mit dem vergleicht, was man in den letzten Jahren von CD Projekt RED, FromSoftware oder Capcom gesehen hat, wirken die Bestien hier wie weich geformte Knetmonster. Sprich: Das Artdesign gefällt mir nicht. Das Beste daran ist die frisch illustrierte Weltkarte von Francesca Baerald, die aber nicht dem Stil von BioWare, sondern ihrer eigenen Kunst folgt.

Die Spielwelt bietet ja auf den ersten Blick hübsche Aussichten, inklusive lichtdurchfluteter Wälder und tosender Wasserfälle. In der Ferne sieht man riesige Statuen oder Festungen, es gibt also idyllische und architektonisch markante Fixpunkte. Da dieses Dragon Age keine offene Welt ist, sondern aus begrenzten Arealen besteht, fällt die Aussicht auf ihre freie Erkundung zwar weg. Aber gerade das hätte für eine visuelle Verdichtung en detail sorgen können, so wie man es aus Action-Adventures von Uncharted bis God of War: Ragnarök kennt.
Ragnarök lässt grüßen
Was Kratos hier zu suchen hat? Im Gegensatz zu allen bisherigen Dragon Ages sowie Mass Effects kann ich nicht mehr alle vier Helden im Gefecht selbst steuern und positionstaktisch agieren. Stattdessen kämpfe ich hier quasi wie in God of War: Ragnarök, das für BioWare nicht nur hinsichtlich des actionreichen Kampfsystems, sondern auch der Weltkonzeption offensichtlich das Vorbild war. Denn die Gebiete sind über den Leuchtturm und das Nichts mit seinen Portalen ähnlich vernetzt wie die neun Reiche der nordischen Götter. Man kann per Schnellreise über die Weltkarte überall hin und schaltet nach dem ersten Besuch weitere Erkundungslevel eines Gebietes frei, um es erneut mit erweiterten Fähigkeiten zu besuchen, weil noch irgendwo eine Quest oder Schatzkiste wartet.
Doch zurück zum pausierbaren Kampf in Echtzeit, der wie eine federleichte Kopie des Systems von Sony Santa Monica anmutet, inklusive der Warnung vor nahendem Schaden. Das steuert und spielt sich so angenehm flüssig, dass man bald den ganzen Bildschirm mit Frost- und Giftwolken überzieht, während man ausweicht, mit dem Bogen auf Schwachstellen schießt und strauchelnde Monster mit einem spektakulären Finisher seiner Doppelklingen hinrichtet. Es gibt wie in fast jedem Action-Rollenspiel Zielfixierungen, Paraden und Konter, spezielle Widerstände gegen Feuer, Kälte, Gift & Co und Zustände, die man ausnutzen kann. Und die Gefährten geben derweil coole Buddy-Kommentare ab, die so gar nicht zur suggerierten Bedrohlichkeit passen.

Sie bewegen sich und kämpfen automatisch, aber man kann die Action über die Schultertaste einfrieren, sie dann auf Gegner hetzen oder ihre Manöver zu Kombos verbinden, die sofort angezeigt werden: Also klickt man Hardings Zerfetzen an, das für den Zustand ausgelaugt sorgt, dazu Neves Eissturz, der das Ziel detonieren lässt - und vorbereitet ist die anschließende Bildschirmexplosion. Von diesen Kombos gibt es natürlich zig Varianten. Und die Pause ist auch ein guter Cheat für den perfekten Konter, der mir hier aber auch ohne so oft gelang wie in keinem anderen Action-Rollenspiel.
Man kann den Schwierigkeitsgrad jederzeit wechseln und en detail anpassen. Man muss sich auch keine langfristigen Gedanken über die Charakterentwicklung machen, denn erstens gibt es ja keine relevanten Attribute, und zweitens darf man alle investierten Fertigkeitspunkte jederzeit wieder anders verteilen, um mit anderen Kombos und Schadenstypen zu experimentieren. Ach so: Pfeile werden automatisch aufgefüllt.
Also: Das flutscht, sieht alles gut aus, aber hat nichts mit cleverer Taktik im Gelände zu tun und erreicht weder den Anspruch noch die Wucht von Kratos' Abenteuer, das übrigens auch dreimal bessere Rätsel hat. Letztlich habe ich immer dasselbe gemacht: Ausweichen oder Kontern, bis sich die Energie der Gefährten wieder aufgeladen hat, um weitere duale Kombos zu zünden. Gestorben bin ich auf der normalen Stufe fast nie, zumal überall grüne Vasen mit Heiltränken warten - in jeder Region von Thedas, egal ob unter oder über Tage.
Betreutes Rollenspiel
In den ersten fünf bis acht Stunden gab es lediglich ein, zwei Entscheidungen mit direkt spürbarer Konsequenz, als es darum ging, welche seiner Gefährtinnen man mit auf eine gefährliche Quest nimmt, was dann tatsächlich sichtbare Folgen hat. Ja, es folgen später weitere, in denen es um Leben und Tod geht. Aber wenn ich das mit dem komplexen Geflecht an kleinen und großen Entscheidungen aus Baldur's Gate 3 vergleiche, ist das einfach nur dünn.
Dafür kann man über freundliche oder flirtende Antworten sowie Hilfe in Quests schneller die Beziehungslevel zu seinen Gefährten steigern. Das bringt einem pro Level zwei Fertigkeitspunkte, und wer es auf die höchste Stufe bringt, schaltet den Heldenmodus des Gefährten und damit einige Spezialfähigkeiten frei. Apropos Kampffertigkeiten: Ihre weit verzweigten Übersichten sehen mit ihren zig verbundenen Punkten aus wie Technologiebäume eines 4X-Strategiespiels, aber dahinter steckt mehr statistische Masse als im Kampf spürbare Klasse.
Natürlich kann man auch Romanzen aller Art eingehen. Mich hat dieser Aspekt innerhalb der Rollenspiele allerdings noch nie so interessiert wie die kommunikative Interaktion. Und selbst die ist hier auf vorgegebene Situationen beschränkt, denn ich kann niemanden unterwegs einfach so ansprechen.

Man erlebt eine derartige Statik und vorhersehbare Linearität, dass man nicht nur wie auf Schienen dem Questmarker folgen kann. Man wird auch fortwährend von seinen Gefährten betreut, wenn es mal im Ansatz etwas zum Nachdenken gibt. Also quatschen sie darüber, was man tun soll oder schon getan hat. Man könnte ja etwas übersehen und dann an einem Rätsel scheitern.
Da geht es um so knifflige Fragen wie diese: Welchen linken Hebel der beiden sichtbaren Hebel muss man wohl bedienen? Auf welches (meist einzig) leuchtende Podest soll man das leuchtende Artefakt platzieren, damit sich ein Weg öffnet? Findet man die zwei oder drei rot glimmenden Artefakte im Umkreis einer Kameradrehung, auf die man mit dem Bogen schießen muss?
Und wenn man mal alleine ist, wie im Hauptquartier rund um den Leuchtturm, gibt es Rätsel auf Kindergartenniveau. Da war selbst Marvel's Midnight Suns deutlich besser, was die Vernetzung und das Mysteriöse der Basis betrifft. Tja, vielleicht hätte man nicht nur den Kampf, sondern auch das Rätseldesign von God of War kopieren sollen. Man möge mir den Sarkasmus verzeihen, aber ich kenne Shooter, die mehr Anspruch in den Ruhephasen besitzen.

Zunächst dachte ich, dieses banale Bewegen von Artefakten von A nach B oder das Abschießen von Kristallen hört mit der Zeit ebenso auf wie das Babysitting. Aber das tut es nicht. Ja, man kommt auch mal an Stellen, die man nicht sofort erreichen kann, sondern erst später, wenn ein Gefährte z.B. die Fähigkeit besitzt Steine zu bewegen oder Plattformen zu erzeugen. Aber selbst das sind keine Rätsel, sondern akrobatische Hindernisse.
Keine Hingabe zum Detail
Zwar gibt es auch finstere Orte, denn schließlich breitet sich das Unheil aus. Doch die wirken hier wie angeklebte Horror-Module, die en detail eben nicht akribisch, sondern oberflächlich designt sind: Hier findet man frisch glänzendes Obst an einem laut Story verdorbenen Ort. Wer in den letzten Jahren durch die markanten Landschaften von The Witcher 3, Elden Ring oder kürzlich Dragon's Dogma 2 gewandert ist, der fühlt sich in diesem Thedas so, als hätte man ihn aus der gefährlichen Wildnis in einen Freizeitpark gebeamt, in dem man von einer Attraktion bzw. Arena zur nächsten springt.
Und man erkennt so viel an Copy&Paste in der Gegend sowie den Höhlen und Räumen. Neben den faden Statuen sind da vor allem die immergleichen, seltsam designten Fässer, Kisten und Truhen, die man nicht etwa öffnet, sondern auftritt, um dann im Goldstaub der meist unspektakulären Beute zu stehen. Kaum betritt man eine Art von Untergrund, fühlt man sich angesichts der bekannten Requisiten wie in der Editor-Vorschau eines Dungeons.

Geklonte Objekte und bunte Farben dominieren, überall flirrt ein Regenbogen, so als hätte man die zauberhafte Welt von Harry Potter mit der Coolness von Fortnite kreuzen wollen. Während diese Stile getrennt in ihren Spielen funktionieren, wirkt ihre Mischung hier wie ein fauler Kompromiss, um jüngere Zielgruppen anzusprechen. Aber selbst wenn ich mich mit dieser dem Zeitgeist unterworfenen Ästhetik abfinden würde: Nahezu allen Schauplätzen fehlt die innere Glaubwürdigkeit, die durch authentische Abläufe und lebendiges Figurenverhalten entsteht.
Städte, Tavernen, Händler...
Als man im Einsteig die erste Taverne in der Stadt Minrathous betritt und lediglich eine Szene in nahezu leerer Kulisse mit einer Wirtin auf der Theke erlebt, ahnte ich schon, dass das hinsichtlich der Kneipen und Städte nicht viel besser wird. Und das wird es auch nicht. Zwar wird es grafisch belebter, man sieht also mehr Bewohner und Händler, aber es gibt kaum erkennbares Figurenverhalten, keinerlei Tagesabläufe oder direkte Reaktionen auf mein Verhalten - selbst wenn man einem Händler hinter die Theke springt.
Angesichts der simulierten Siedlungen und Bewohner eines The Witcher 3, Dragon's Dogma 2 oder Baldur's Gate 3 ist das eine anachronistische Statik, die für ein steriles Spielgefühl in den Straßen und Gassen sorgt. Hier fühlen sich die Viertel in den beiden Städten Minrathous und Treviso an wie Module zum Sammeln oder zum Kämpfen, nicht zum aktiven Erkunden und Entdecken. Man erlebt teilweise absurde Leere, wenn man tagsüber in den Docks an einem Hafen unterwegs ist und dort einfach niemanden auf einem Schiff oder an den Kais sieht.

Falls man mal etwas suchen muss, wie etwa den Weg in einen Tempel oder einen ach so geheimen Zugang, wird man quasi direkt dorthin geführt. Und oftmals sind die Türen schon offen. Wenn es mal voller und visuell belebter wird, verfliegt der Schein, sobald man mit jemandem interagiert. Die Gespräche mit Wirten oder Händlern gehören zum Schlechtesten, was ich seit langer Zeit in diesem Genre gehört habe - hier hat man sich überhaupt keine Mühe geben, für soetwas wie Natürlichkeit oder Glaubwürdigkeit zu sorgen. Eine Elfe bietet mir wie irgendein ein Folterknecht "Verstümmelungsinstrumente" an und ein Händler, der vor seinem Stand mit sichtbaren Gemälden und Portraits steht, und diese anpreist, hat in seinem Sortiment nur irgendwelche Vasen.
Nach dem Besuch von zwei, drei Händlern hatte ich keine Lust mehr darauf. Ich hatte ja diesbezüglich auch Kritik an Final Fantasy XVI oder Dragon's Dogma 2 geübt, aber das hier ist zwei Klassen schlechter. Auch in Gesprächen mit relevanten Charakteren werden die Beschränkungen der Kommunikation schnell deutlich. Die Moral sowie Weltanschauung des eigenen Helden kann man ja nicht im Vorfeld festlegen, das ist okay. Aber man kann sie im weiteren Verlauf der Dialoge auch nicht besonders prägen, und das ist für ein Rollenspiel viel zu restriktiv.

Es ist also nicht wie noch in Origins möglich, wirklich böse zu spielen. Und selbst wenn man in den Gesprächen die größt mögliche Konfrontation wählt, wirkt das manchmal so, als würde die Regie jegliche Eskalation vermeiden wollen. Wenn man Baldur's Gate 3 gespielt hat, ist das nahezu lächerlich, denn es führt oft zu sehr abrupten Übergängen, so als würde eine streitbare Antwort einfach überhört und die Situation beendet.
Ein Beispiel: Als plötzlich ein Mitglied einer mächtigen Adelsfamilie in Antiva starb, die ich gerade erst aufgesucht hatte und auf deren Hilfe ich angewiesen war, hatte ich die Wahl. Ich konnte quasi mein Beileid bekunden, mich zurückzuhalten oder plump die Unterstützung einfordern. Ich wählte in dieser Situation der Trauer die respektlose letzte Antwort. Und was passierte? Einfach nichts. Ebensowenig übrigens als ich tatsächlich jemanden dem Tod überlassen konnte. Aber niemand war wirklich entrüstet, es ging sofort weiter. So erging es mir in vielen Situationen: Ein Grauer Wächter droht mir mit Verhaftung, ich eskaliere bis ins Extrem, weil ich den Typ nicht leiden kann, aber nichts passiert.
Keine Lust auf Ausrüstung und Dialoge
Die plumpe Sprache ist übrigens das Eine, aber hinzu kommt das nervige und alles andere als motivierende Ökosystem. Es entstand überhaupt kein Anreiz, seine Ausrüstung zu managen oder in etwas Kostbares zu investieren, weil einem fast alles als glänzende Brotkrume auf den Weg gelegt wird. Theoretisch kann ich bei einzelnen Händlern Vertrauen aufbauen, indem ich bei ihnen alles Wertvolle verticke, aber das war praktisch nicht nötig. Außerdem findet man mal wieder zig Zutaten, um an einer Werkbank seine Waffen und Rüstungen aufzuwerten. Immerhin hat EA keinen Ingame-Shop eingebaut - angeblich konnte BioWare das Produktmanagement davon abhalten. Das ist gut, aber das Spieldesign ist trotzdem schlecht, weil sich alles so schrecklich platziert und künstlich anfühlt.
Da erkundet man zum ersten Mal die verarmten Docks und findet in einer Schatzkiste einen magischen Ring. Und auf den Wegen durch die Gassen liegt das Gold natürlich nur so rum, obwohl überall Bettler nach Almosen fragen. Hier passt einfach nichts zusammen. Noch abstruser werden die Brüche zwischen Story und Kulisse durch die abrupten Übergänge der Regie: Da wird man in der Stadt überfallen und kämpft endlich mal hitzig um den Sieg, inklusive einer Fremden, aber eine Sekunde nach dem letzten gefallenen Feind steht sie ohne Schrammen da und quatscht so lapidar, als wäre hier nichts passiert. Da liegen in einer Kirche überall Copy&Paste-Tote, eine Gefährtin merkt an, dass man die Hinterbliebenen informieren muss, aber ich kann das Gold in dieser heiligen Stätte einfach so einsacken, ohne dass jemand aus meiner Gruppe mal Einspruch erhebt.

Spätestens an dieser Stelle wollte ich komplett skrupellos und asozial spielen, aber das geht ja wie erwähnt nicht. Da erkundet man ein Hochsicherheitsgefängnis unter Wasser, das sich genau so anfühlt als wäre es an Land, nur dass irgendwo Fische schwimmen. Und in den Zellen der Gefangenen sowie auf den Fluren findet man auch überall Schätze. Ist ja klar, dass die Verurteilten da unten ihren Reichtum mehren. Dann findet man dort endlich den gesuchten Gefangenen, der angeblich für Jahre dort schmoren musste, aber der sieht bei seiner Rettung aus wie geduscht, ist natürlich voll bewaffnet und ist so fidel wie ein Latino-Opernsänger, der gerade seine Bühne betritt. Ach so, natürlich gibt es auch unter Wasser die grünen Vasen mit den Heiltränken.
Da trifft man zum ersten Mal nach einer langen Questreihe wieder auf Morrigan im Wald von Arlathan, die davor wie eine mysteriöse Hexe ex machina auftrat, so dass man natürlich viele Fragen hätte, aber man kann sie ebensowenig ansprechen wie den neben ihr stehenden Anführer der Elfen. Freunde des guten Rollenspiels, ihr werdet es hier nicht finden. Ich gebe es ungern zu, aber als man irgendwann die Wahl hatte, eine der beiden seelenlosen Städte der Menschen zu opfern, musste ich böse grinsen und konnte die mörderische Skrupellosigkeit von Solas gut verstehen.

Last but not least, da ich eingangs Minsc und seinen Hamster Boo erwähnte: Es gibt zwar auch in Dragon Age einen tierischen Begleiter, und zwar den jungen Greifen Assan (das elfische Wort für Pfeil) des Grauen Wächters Davrin, den man etwas später im Spiel als Gefährten gewinnt. Aber bei aller Sympathie für den ebenso hungrigen wie kampftüchtigen Greifvogel konnte er bei seinem Auftritt nicht mehr viel retten, denn da war die Spielwelt schon längst eine Oberfläche zum gelangweilten Durchfliegen.
FAZIT
Dieses Dragon Age konnte mich nicht kreativ beißen, sondern hat mich regelrecht abgeschreckt. Also landet es wie der Vorgänger von Silberkugeln durchsiebt und mit einem Holzpflock gesichert im Grab. Statt einer Wiederauferstehung des alten BioWare, das mich anno 2007 mit Dragon Age: Origins sehr gut unterhalten konnte, sehe ich hier die Entwicklung hin zu einem neuen BioWare, dem ich alles Gute wünsche. Als Rollenspieler alter Schule gehöre ich allerdings nicht zur Zielgruppe dieses weichgespülten Spieldesigns, das mehr ein lineares Action-Adventure mit teils dümmlichen Dialogen als ein episches Abenteuer für Erkunder, Taktiker und Tüftler ist. Selbst wenn man den Schurken wählt, gibt es keinerlei Fähigkeiten, die der Klasse entsprechen! Alles in diesem Spiel ist auf Action, Zugänglichkeit und Service getrimmt, so dass man selbst in Gesprächen kaum auf Widerstände stößt, während man links und rechts Glitzerndes aufsammelt. Ich fühlte mich nicht von Gefährten, sondern von ständig quasselnden Cosplayern umgeben, die mir in Kämpfen um Leben und Tod in Pseudocoolness gratulieren, so als wären wir Buddies in der Arena eines Team-Shooters. Das Ausrüstungsmanagement ist komplett reizlos, die Kämpfe gewinne ich auf immer gleiche Art und die Rätsel haben keinerlei Anspruch. Was die Glaubwürdigkeit der Welt, die Darstellung von Alltag oder das Figurenverhalten betrifft, liegt man mehrere Klassen hinter einem The Witcher 3, Dragon's Dogma 2 oder Baldur's Gate 3. Selbst wenn es im letzten Drittel etwas spannender wird, kann ich mit dieser Fantasy weder ästhetisch noch spielerisch oder erzählerisch etwas anfangen. Und falls da wieder was aus dem Grab steigt, renne ich sofort weit weg.
(Bilder: Dragon Age: The Veilguard, BioWare/EA, PS5, eigene Aufnahmen)
Wenn ein YouTuber wie SkillUp dieses Spiel 45 Minuten lang zerreißt und dann Jörg in seiner Rezension immer noch Punkte findet/anspricht, die SkillUp in seinen langem Video noch gar nicht erwähnt hat, ist das schon ein echtes Armutszeugnis für The Veilguard.
Interessanterweise finde ich den Grafikstil sogar sehr schick und der wäre somit mein geringstes Problem. Aber so gut wie alles andere, also wirklich alles, was das Spiel zu bieten ist einfach nur schlecht. Rätsel, Exploration, Kämpfe, Antagonisten, der Protagonist, Companions, Dialoge, Entscheidungen, (fehlende) Skill-Checks, Anachronismen überall, ludonarrative Dissonanzen an jeder dritten Ecke... also mit Rollenspiel hat das eigentlich nichts mehr zu tun.
Ich gönne jedem Spieler, der es gekauft hat und gerade spielt, Spaß daran. Abgesehen vom Preis ist…
Danke.
Kurz zu mir: Ich liebe RPG's seit den alten SNES Zeiten der 90er und habe alle Bioware Spiele der 00er Jahre verschlungen. Knights of the old Republic war fast 20 Jahre lang meine absolute Nr. 1 in dem Genre bis Baldurs Gate 3 kam. Dieses hat mich komplett umgehauen, trotz eines etwas schwächeren dritten Aktes. Dennoch muss ich sagen, dass ich mit Veilguard meinen Spaß habe. Woran liegt das? Zum einen am sehr zugänglichen und gut umgesetzten Kampf-Gameplay. Das Draufhauen macht mir einfach unglaublich viel Spaß. Leider - und hier liegt der Hund begraben - erwische ich mich oft, dass ich die Dialoge schnell hinter mich bringen will, um wieder drauflos prügeln zu können. So etwas hätte es bei Bioware…
hallo Jörg,
starke Rezension und schön, dass du wieder so ehrliche Worte findest.
Ich war zwar nach den ersten Bildern und Videoschnipseln überhaupt nicht interessiert mehr an diesem Titel interresiert (was alleine schon bei Biowares Historie eine Schande ist). Dann aber wäre ich aufgrund vieler Lorbeeren durch andere Rezensenten doch noch fast schwach geworden. Zum Glück hast du mich vor einem Fehlkauf bewahrt. Das klingt ja wirklich gruselig.
Top Review, danke Jörg