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Ein Bumerang von Baldur's Gate zum Berg der Weißen Feder

Baldur's Gate 3 fasziniert gerade die halbe Welt auf dem PC und ich versuche noch knapp drei Wochen, möglichst wenig von dem aufzuschnappen, was Leute so erleben. Dass selbst Josh Sawyer von Obsidian Entertainment (Pillars of Eternity, Pentiment) schwärmt, macht es nicht gerade einfacher. Also ignorier ich öfter mal das digitale Gezwitscher und stöber in den angestaubten Pen&Paper-Kisten, in denen sich neben Harnmaster, Runequest, Cadwallon & Co auch einige ältere D&D-Module befinden.


Und manchmal führt mich diese Vergangenheit der Rollenspielgeschichte erst zurück in die eigene Biografie, nur um mich dann auf überraschende Art wieder in die Gegenwart zu schleudern. Fast wie ein Bumerang, so dass ich dann doch beim aktuellen Spiel der Larian Studios lande. Also dachte ich mir, dass ich diese (zumindest für mich) interessante Flugkurve mal beschreibe, denn sie führt sogar durchs Multiversum. Das Stöbern begann nämlich auf dem Berg der Weißen Feder...


Der befindet sich ursprünglich nicht in den Vergessenen Reichen (kennt jemand den höchsten Berg Faeruns?), also nicht an der Schwertküste, sondern in der viel älteren Welt von Greyhawk, auf einem Planeten namens Oerth - nein, nicht Middleoerth. In dieser mittelalterlichen Fantasy, die erstmals 1976 im Dragon-Magazin erwähnt wurde, habe ich einige Zeit verbracht. Da war nicht Elminster der mächtige Zauberer, sondern Mordenkainen, den Gygax höchstselbst entwarf und spielte.


Nicht wenige kennen Greyhawk vielleicht aus The Temple of Elemental Evil, einem seiner bekanntesten Abenteuer-Module für Charaktere der Level 1 bis 8, das er 1985 veröffentlichte. Das war auch das erste von ihm, das 2003 als Computer-Rollenspiel (CRPG) umgesetzt wurde, und zwar von Troika Games, die zwei Jahre zuvor mit der Steampunk-Fantasy von Arcanum positiv überraschten, so dass ich mich sehr darauf gefreut hatte.


In meiner Rezension konnte es aufgrund der erzählerischen Schwächen, der statischen Gruppe und der vielen Bugs zwar nicht begeistern, aber immerhin solide 70% ergattern - die Edge hat es damals mit 40% verrisssen, GameSpy mit 90% gefeiert. Ich meine, ich hab es für Kenner der Vorlage noch empfohlen. Vielleicht müsste ich es einfach jetzt, zwanzig Jahre später im voll gepatchten Zustand zocken; für 5,59 Euro gibt es den Tempel des Elementaren Bösen auf GOG.


Schade übrigens, dass Castle Greyhawk nie als CRPG folgte. Noch heute sollen manche Abenteurer durch die Ruinen dieser Burg irren, die Gygax schon lange vor der offiziellen Veröffentlichung von 1988 mit ihren drei Türmen, Katakomben und Krypten als ersten Mega-Dungeon konzipierte - vielleicht war das also der Urvater aller Katakomben.


Aber dieses Modul besitze ich nicht und als ich in der Kiste stöberte, fand ich ein ganz anderes, das 2017 in der empfehlenswerten Abenteuer-Sammlung Tales from the Yawning Portal für die 5. Edition von D&D (mit einigen Änderungen) neu aufgelegt wurde. Daher begann die kleine Reise auf dem White Plume Mountain, den auch jemand anderes als der D&D-Schöpfer designt hat, und zwar Lawrence Schick. Das war quasi sein Bewerbungsschreiben für einen Job bei TSR - den er auch prompt bekam.


1979 wurde dieses Abenteuer für die erste Edition von Advanced Dungeons & Dragons veröffentlicht. Es wurde meines Wissens nie ins Deutsche übersetzt, obwohl es laut einiger Rezensionen zu den besten seiner Art gehört. Die Ausgangslage mit einem verrückten Magier namens Keraptis, der sich vor hunderten Jahren in einen Berg zurückgezogen hatte, galt zwar damals schon eher als gewöhnlich denn innovativ, aber das Spieldesign war überaus kreativ. Es ging nicht nur um Kampf und Fallen im Angesicht des Todes, sondern um clevere Rätsel und Teamwork angesichts vielfältiger Probleme zwischen glutheißer Lava oder Räumen in totaler Dunkelheit.


Das mythologisch Interessante war ein Trio aus magischen Artefakten. Drei legendäre Waffen galt es in dem Berg zu finden, die natürlich von mächtigen Wesen bewacht wurden: Der Kriegshammer Wave, der Dreizack Whelm und das mächtige Schwert Blackrazor. Was ich damals noch nicht erkannte, war der lange Schatten von Michael Moorcocks Elric, der in dieser schwarzen, natürlich übergroßen Klinge, mit ihren Runen und ihrer tragischen Macht spürbar wurde.



Wer den Podcast mit Christian Endres gehört hat, weiß jetzt vielleicht, dass im Oktober bei Tor eine Gesamtausgabe in neuer Übersetzung erscheint, die neben den Comics ganz oben auf meiner Wunschliste steht. Es kann auch sein, dass ich im Herbst nochmal mit Christian über diesen faszinierenden Antihelden quatsche, der ja auch Sapkowski und dessen Hexer inspiriert hat. Lawrence Schick gab übrigens offen zu, dass Elrics Schwert das etwas zu offensichtliche Vorbild für Blackrazor war - aber er rechnete damals nicht damit, dass TSR seine Bewerbung als Abenteuer ohne Änderungen veröffentlichen würde.


Letztlich steht natürlich auch Stormbringer in einer viel älteren Tradition übernatürlicher Schwerter, die z.B. in der nordgermanischen Sagaliteratur auftauchen: Als zwei Zwerge dazu gezwungen wurden das Schwert Tyrfing zu schmieden, das immer trifft und selbst Stein zerhaut, verfluchen sie es damit, dass es seinem Besitzer dreimal großes Unheil bringen soll. Aber bevor ich mich jetzt zu tief in diesem Weißen Berg verirre, über den man noch einiges erzählen könnte, möchte ich dem Bumerang zurück in die Gegenwart folgen.


Was hat das also alles mit Baldur's Gate 3 zu tun? Der erwähnte Lawrence Schick machte nicht nur über zwanzig Jahre Karriere bei TSR als Autor von Abenteuern, sondern wechselte 2009 zu Bethesda, wo er u.a. als Lead Content Designer für The Elder Scrolls Online verantwortlich war und sich mit den erzählerischen Hintergründen beschäftigte. Aber seit 2021 ist dieser Veteran der Pen&Paper-Geschichte, der schon mt Gygax zusammen Abenteuer entwarf, als "Expert Writer" bei den Larian Studios aktiv. Wenn das nicht noch ein Grund ist, sich auf den 6. September zu freuen. So, der Bumerang ist gelandet.


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