Zwar konnte man in Elden Ring den Spuren eines mythologischen Dramas folgen, sich im Blut all der Dämonen und Halbgötter zum Fürsten empor schwingen und sogar ein neues Zeitalter einleiten. Aber so einige Zusammenhänge und Gestalten blieben rätselhaft - was bisher geschah, hatte ich in einer Vertiefung angerissen. Mit dieser Erweiterung öffnet FromSoftware den Vorhang zu einem finalen Akt, beantwortet Fragen und vollendet eine außergewöhnliche Fantasysaga.
Im Land der Schatten
Wenn man sich nach dem Sieg über den Blutfürsten Mohg in dessen Palast dazu entscheidet, dem mysteriösen Miquella zu folgen, trifft man auf Lady Leda. Sie sieht in ihrem weißen Umhang mit dem Vollhelm fast wie eine Templerin aus, und ist sichtlich erfreut, dass man diesen "ehrenhaften Weg" gehen will. Sie fordert den Spieler auf, den verdorrten Arm zu berühren, der wie ein viel zu langes Spinnenbein aus einem Kokon ragt.
So soll man in "das Reich der Schatten" gelangen, wo "Miquella der Gütige" wohnt. Man wird sofort in diese neue Welt gebeamt, landet in einer Höhle und tritt bald hinaus. Es gibt also keine sichtbare Route oder eine Reise über die bekannte Karte. Die kann man zwar auch aufrufen, und jederzeit zurück an alle Orte der Gnade, aber man betritt quasi eine Terra incognita. Das Land wirkt in seiner von Ruinen durchzackten Weite und der tückischen Ruhe zunächst vertraut, vor allem aufgrund des zentralen Symbols am Horizont.
Aber das Licht ist ein anderes und so einige Verfremdungen werden sichtbar. Im Nordosten erkennt man den so genannten Scadubaum, der aussieht wie ein gespenstisch verkohlter Zwilling des goldenen Erdenbaums. Der erste Teil des Wortes lässt sich direkt zum gotischen Skadus zurückverfolgen, was Schatten bedeutet, so dass sich der überaus passende Name Schattenbaum ergibt. Er scheint den Himmel wie einen Schleier zu tragen, der sich über eine turmartige Kathedrale legt, die wiederum Schattenbergfried genannt wird.
Interessant ist zwar, dass es in dieser Erweiterung recht früh einige germanische Bezüge gibt, darunter eine Kriegerin namens Freyja oder einen Hohepriester Ymir. Später findet man einen Hammer als Waffe, der fast so designt ist wie die Amulette der Wikingerzeit und der wie Thors Mjölnir nach einem Wurf in die Hand seines Besitzers zurückkehrt. Aber Elden Ring spielt bekanntlich mit vielen Sprachen und Mythen, mit Namen und Symbolen von biblisch bis keltisch und fernöstlich, so dass sich ein kulturhistorisches Mosaik der Fantasy ergibt.
Ein frisches Abenteuer
Viel wichtiger als die Frage der Herkunft von Namen sind für den Spieler natürlich die einfachen Fragen nach seiner Ankunft. Wo befindet man sich eigentlich? Ist man auf einem anderen Kontinent gelandet? In einer Parallelwelt? Alles scheint nach den Spekulationen über das, was bisher in diesem Abenteuer geschah, möglich, selbst eine Zeitreise. Man kann zunächst nur spekulieren, wo man gelandet ist. Aber noch schöner als dieses erste Rätsel ist das Gefühl, dass man hier tatsächlich ein frisches Abenteuer beginnt.
Denn selbst als erfahrener Held, ab einer minimalen Stufe von 120 und einer empfohlenen von 150, oder gar als Eldenfürst, kann man böse überrascht und im wahrsten Sinne des Wortes zerhackt werden. Und zwar so, dass man seine Umgebung danach so vorsichtig erkundet, als hätte man gerade das Tutorial verlassen. Diese Relativität von Macht, die der bisherigen Karriere zum Überhelden widerspricht, der ja Drachen und Halbgötter dutzendfach besiegte und sich vielleicht sogar Eldenfürst nennen darf, ist natürlich unbedingt notwendig, wenn man ein Action-Rollenspiel rund um den Kampf erweitert.
Andererseits wusste man spätestens im Finale, dass man als Held nur ein kleiner Faktor in einer kaum zu erfassenden Spielwelt ist, in der man selbst mit seinen 150 Stufen letztlich nur eine gepanzerte Raupe ist. Denn sie beschränkt sich nicht auf ein Land mit ein paar Kriegen und Königen, sondern erreicht mit ihren diffusen Göttern und Mächten ebenso außerirdische wie Lovecraft'sche Dimensionen, erstreckt sich damit ähnlich wie die epische Sword & Sorcery eines Elric oder Berserk auf einen ganzen Kosmos des übernatürlichen Fantasy-Horrors.
Als Spieler der Soulsreihe weiß man, dass es in diesen Welten immer stärkere Feinde gibt, vor allem in Erweiterungen, die sich an Veteranen richten. Also reitet man nicht übermütig von Fanfaren begleitet los, sondern schlägt vielleicht lieber einen Bogen um diesen turmhohen Koloss, der einen bizarren Feuerkorb als Kopf trägt und diesen wie eine Kanone abfeuert, wenn man zu nahe herankommt. Natürlich gibt es auch reichlich Hack'n Slay, mit der Gewöhnung wächst der eigene Mut und man frisst zehntausende Seelen im Minutentakt. Doch die ersten Schritte erinnern in dieser Art der Bedrohung sowie der Freiheit des Ausweichens auf angenehme Art an den Einstieg von damals.
Odyssee zwischen Schatten und Feuer
Man trifft auch früh auf Nebencharaktere, entdeckt Spuren von Miquella und wird umgehend von Festungen und Ruinen in der Ferne angelockt. Darunter der erwähnte dunkle Turm, der in seiner imposanten Monumentalität auch Stephen Kings gleichnamiger Saga böse zu Gesicht stehen würde. Wenn man ihn später erkundet, fühlt man sich wie in einem naturhistorischen Museum des gotischen Horrors, mit riesigen ausgestopften Bestien, die als begehbare Trophäen wie monströse Balken an den Decken hängen, während untote Gelehrte zwischen Bücherwänden umher huschen und rote Priester nur darauf warten, den all zu neugierigen Besucher zu verbrennen.
Diese Erweiterung spielt sehr gekonnt mit Schatten und Feuer, mit Ahnungen und Zerstörungen aller Art. Bis ich mich in diesen schwer bewachten Turm getraut habe, sollten viele schöne Stunden der Erkundung vergehen, von Dungeons und Mausoleen bis hin zu Burgen, die mich abseits des Weges angelockt haben. Dazu gehören auch kleine Funde, die man gar nicht einordnen kann, wie etwa eine vertrocknete Schlangen- oder Drachenhaut mitten in einem Wald. Wer hat sich hier gehäutet? Oder eine begehbare Säule, die als Zentrum dieser Welt bezeichnet wird. Aber was kann ich hoch oben auf ihrem Dach bloß machen? Und was passiert, wenn ich diesen geografischen Mittelpunkt mit jenem der Zwischenlande vergleiche?
Akrobatik und Mut am Abgrund
Manchmal locken schon die Namen der Orte mit einem Versprechen: Es gibt eine Festung des Tadels, die Ruinen von Moorth, ein leidendes Dorf, eine Kirche des Trostes, die Stadt Weitblick oder eine Drachengrube. Man kann ja fünf Teile einer Karte finden. Doch selbst wenn ihre Standorte wie gehabt angezeigt werden, kann der Weg dorthin ein weiteres Rätsel und fast schon ein Abenteuer für sich sein. Ich kann nur empfehlen, sich einfach im Sattel treiben zu lassen.
Zumal sich Torrent in dieser Welt noch besser wie ein Steinbock austoben kann, weil er viele Gelegenheiten der waghalsigen Kraxelei bekommt, vor allem über die gigantischen Stufen, die an manchen Felswänden nur darauf warten. Kaum wagt man sich mit ihm in Schwindel erregender Höhe hinab auf die erste Plattform, erkennt man schon die nächste und der Abstieg beginnt. Die Soulsreihe hat schon immer meisterhaft mit der Ungewissheit der nächsten Meter gespielt, mit diesem Blick in den Abgrund.
Manchmal ist auch gar nichts anderes zu sehen als ein klaffendes Loch von hunderten Metern, obwohl es doch weitergehen müsste. Also wirft man leuchtende Steine hinunter und sie verschwinden im Nichts. Erkundet man die Umgebung, findet man allerdings einen Hinweis auf das Vertrauen des Gläubigen. Und man ahnt angesichts der zentralen Stelle, und angesichts des bösen Humors dieser Entwickler, dass es irgendwie weitergehen müsste. Soll man also einfach in diese Leere springen?
Die Rätsel abseits des Kampfes
Abseits des Mutes werden auch andere Sinne auf die Probe gestellt, darunter die geografische Orientierung. Denn man studiert angesichts von seltsamen Sackgassen oder Abgründen immer wieder die Karte, zoomt hinein und schaut sich die topographischen Zeichnungen genauer an. So erkennt man nicht nur Gebäude, sondern kann auch Wege unter Klippen oder hinter Seen erahnen. Und es gehört zu den schönen Momenten, wenn man dort tatsächlich durch eine Höhle hindurch kommt - macht man dann die Karte auf, sieht man seinen Marker zwar, aber befindet sich offensichtlich weit unter der Oberfläche.
In Dörfern können Leitern von Brunnen tief hinab unter Tage führen, es gibt erneut Teleporter, die mit einem magischen Schlüssel aktiviert werden und in komplett andere Bereiche der Karte führen, die mit ihren Wasserfällen und Dschungel wie eine Region aus Uncharted anmuten. Wo ist eigentlich diese Kirche, die der Zauberer sucht? Manchmal findet man Wege hinaus aus Tälern oder auch in andere Gebiete der riesigen Festungen und erblickt eine vertraute Gegend aus anderer Perspektive. Vor allem seit Dark Souls prägen diese schönen Déjà-vus die Reihe.
Einen Weg von A nach B zu finden ist aber nur ein Teil der Rätselkultur, die an jene aus Elden Ring anknüpft. Es gibt z.B. erneut Gemälde, die einen Ort zeigen, den es zu finden gilt. Hinzu kommen situative Rätsel: Wie bringt man den schweigsamen Mönch zum Reden? Wie aktiviert man den Windsog an der Turmruine? Und was soll man bloß mit diesem speziellen tödlichen Gift machen? Irgendwann findet man verborgene Pfade und Geheimgänge, löst über die richtigen Gesten tatsächlich Ereignisse aus oder setzt am richtigen Ort den richtigen Gegenstand ein. All das sorgt abseits des Kampfes für Rollenspielflair.
Hinzu kommen Höhlen und Katakomben, in denen es auch um das Aktivieren von Hebeln geht, um weitere Zugänge zu öffnen und den Schatz am Ende zu erbeuten. Und natürlich sind da einige überaus gefährliche Dungeons, in denen Monster hinter den Ecken lauern und fiese Fallen dafür sorgen, dass man in tödliche Abgründe stürzen oder von Decken mit Speerspitzen zermalmt werden kann. Hier muss man mit dem richtigen Timing losrennen, Nischen finden und gleichzeitig darauf achten, nicht böse von Feinden überrascht zu werden, die mit List und Tücke, Gift und Gekicher irgendwo im Nebel lauern.
Magische Momente
Und wenn man sich Zeit lässt, kann man im Schatten des Erdenbaums so einige magische Momente der Ruhe erleben, etwa mit einem traurigen Steingolem in einer alten Schmiedehöhle. Während seine Artgenossen mit Feuerkörben langsam durch die Gänge stampfen und im Zweifel wuchtig angreifen, sitzt er da unbeteiligt in einer Ecke - und streichelt tatsächlich eine Lavaschnecke. Er krault das Feuerwesen fast zärtlich.
Er sitzt still da, ich hatte keine Lust ihn anzugreifen und ließ ihn in Frieden. Diese Szene weckte Erinnerungen an eines der finalen Kapitel aus dem Fantasyroman Elric von Michael Moorcock. Es heißt "Der Schild des traurigen Riesen" und dort verzichtet der Albino, der zuvor noch in einem Blutrausch hunderte Seelen mit seinem Schwert Sturmbringer fraß, ebenfalls auf Gewalt. Ich weiß nicht, ob das eine direkte Hommage ist, aber Elden Ring zitiert bekanntlich so einige Klassiker der Fantasykultur. Und gerade mit diesen kleinen Szenen unterstreicht dieses Spiel seine Größe.
Labyrinthische Landschaft
Aber das Abenteuergefühl beschränkt sich nicht auf Dungeons. Die wunderbar weite und zerklüftete Landschaft ist selbst eine labyrinthische Quest. Sie ist so verschachtelt und verschlungen, so von Höhlen und Wegen in vertikaler Dimension durchdrungen wie keine andere mir bekannte Spielwelt. Man kann Geisterquellen aktivieren, falls man kleine Steinhaufen findet, und sich weit in den Himmel katapultieren, man kann an titanischen Steilwänden hinab kraxeln oder nach einem Ritt durch eine tiefschwarze Schlucht in einem sanften Meer aus hellblauen Blüten versinken - es gibt einige idyllische Orte, die mich sogar an Ghost of Tsushima erinnert haben.
Aufgrund der Berichterstattung sowie des Feedbacks in sozialen Medien über den angeblich zu hohen Schwierigkeitsgrad konnte man leider den Eindruck gewinnen, dass man in diesem Shadow of Erdtree keine zwei Schritte gehen kann, ohne zu sterben. Ich werde später nochmal darauf eingehen, aber die bemerkenswerte Ästhetik und das grandiose Leveldesign dieser Erweiterung gingen zwischen der Angst vor Bossen und der Hysterie des Unschaffbaren leider unter. Natürlich ist das ein anspruchsvolles Abenteuer, aber schon der Weg hindurch ist die Reise wert - selbst wenn man nie das Finale sehen sollte.
Es gibt grandiose Ausblicke bis zum Horizont und man kann alles zu Fuß oder im Sattel erreichen, selbst das, was einem zunächst unmöglich vorkommt. Das Land ist so durchfurcht wie das Antlitz einer uralten Kreatur, die mal wunderschön war und die das trotz der Narben immer wieder zeigen kann. Es strahlt in einer satteren Farbgebung etwas mehr Kontraste zwischen Blutrot und Glanzgold aus, hinzu kommen die umher wandernden Schatten sowie die aschfahlen Ruinen. Man hört das Klagen knieender Untoter, riesige Geier lauern auf Bäumen und plötzlich kann sich alles zwischen Wind und Regen verdunkeln.
Manchmal erfolgen diese Wetterwechsel zu abrupt, es gibt aus technischer Sicht einige zu schnelle Farbwechsel sowie Popups. Aber diese Welt bewahrt sich die bekannte Schönheit im Schrecken, fühlt sich dabei apokalyptischer und, wenn man so möchte, frischer verwundet an als das fast romantische überwucherte Limgrave. Hier ist es so, als hätte gerade eben noch eine Schlacht getobt. Man erkennt überall die Trümmer, die Heerlager und Palisaden. Außerdem findet man glutrote Spuren, die wie Blutflecken aussehen und "Messmers Flamme" genannt werden. Es war mehr als ein Gefecht, ein Raubzug oder ein Krieg, es war ein heiliger Kreuzzug, der hier wütete.
Auf der Suche nach Miquella
Und trotzdem ist dieses jetzt vor sich hin schwelende und teils zerstörte Reich anscheinend ein Ort für Reisende aus den Zwischenlanden, denen man als Spieler hierher folgt. Zum einen war es das Ziel für Miquella, den mysteriösen Sohn von Königin Marika und ihrem zweiten Eldenfürsten Radagon. Miquella trägt ja ebenso wie seine von der Scharlachfäule heimgesuchte Zwillingsschwester Malenia einen Fluch in sich: jenen der ewigen körperlichen Jugend. Er wollte ihn selbst brechen, indem er den mächtigen Haligbaum pflanzte, einen der gefährlichsten Orte der Zwischenlande, weit im Norden zwischen Schnee und Eis. Doch dieser Plan trug im Reich der Goldenen Ordnung keine Früchte.
Und im Gegensatz zu seiner Schwester, der man als einem der stärksten Bosse entgegen treten konnte, blieb Miquella für den Spieler immer verborgen, in einem Kokon im Palast des Blutfürsten schlafend. Er wurde von Mohg dorthin entführt, der den Königssohn heiraten, sich so zum Eldenfürsten krönen und mit ihm als Gott über die Zwischenlande herrschen wollte. Aber aus dieser unheiligen Hochzeit wurde bekanntlich nichts, denn er konnte ihn nicht wecken. Doch Miquella, der so genannte Gütige, ist irgendwann aufgewacht und in dieses Land gereist. Aber warum? Wollte er hier seinen Fluch brechen? Wollte er der mütterlichen Macht der Goldenen Ordnung entfliehen?
Pilger, Gefährten & Feinde
Auf jeden Fall folgten ihm einige Befleckte und Abenteurer aus den Zwischenlanden, denen man schon bald begegnet. Sie werden von der erwähnten Lady Leda angeführt und alle scheinen Miquella zu folgen. Aber ihre Motive unterscheiden sich stark und selbst wenn sie zunächst friedlich beisammen sind, fühlt sich das recht brüchig an, zumal einige schon wie Ausgestoßene oder als Einzelgänger abseits der Gruppe warten, wie der Giftmischer Thiollier oder Dain der stille Mönch. Es gibt auch einen Händler namens Moore, und sie alle haben teilweise eigene Quests, tolle Geheimnisse oder rufen Erinnerungen an die Vergangenheit im Spieler wach.
Die erwähnte Rotmähne Freyja hat z.B. als Kriegerin an der Seite von General Radahn gekämpft. Sie sucht selbst nach Hinweisen, man kann sie manchmal in den Kampf rufen und irgendwann trifft man sie in der Bibliothek des Schattenturms über Büchern grübelnd. Zu den Nebencharakteren gehört auch der oben erwähnte Hohepriester Ymir, der zu einem Haus namens Metyr gehört, das an die carischen Zauberer erinnert. Er erzählt über seine Herkunft aus Sternenstaub und schickt einen mit einer seltsamen Pfeife und einer (viel zu kleinen) Karte auf die Suche nach einer verfluchten Kirche. Fast alle dieser Figuren knüpfen mit ihren Worten oder Taten an bekannte Ereignisse oder Fraktionen der bisherigen Geschichte an. In den Gesprächen hat man ab und zu die Wahl, kann irgendwann sogar entscheiden, wer gejagt werden soll - oder sich raushalten.
Einer der markantesten Nebencharaktere ist Sir Anselm, der wie eine in Ehren ergraute Mischung aus Kreuzritter und Pilgervater an einem Ort der Gnade auf den Spieler wartet. Er grübelt ebenfalls darüber, was mit Miquella geschah und erwähnt, dass dieser den Schattenturm aufsuchen wollte. Sir Anselm hilft dem Spieler mit kleinen Karten, die dessen Weg nachzeichnen, allerdings kann man sie nicht gut vergrößern. Dort sind jedenfalls goldene Kreuze markiert, die es zu finden gilt, um die Gespräche bei Anselm weiter anzustoßen.
Der Gott der Liebe
An diesen Orten hinterließ Miquella jeweils Teile seines verfluchten Körpers, mal einen Arm, ein Bein oder ein Auge. Man findet sie dort nicht physisch, sondern bekommt lediglich eine Notiz. Spätestens mit diesen Symbolen und Opfern drängen sich natürlich die biblischen Vergleiche auf, zumal Marika eine Koseform von Maria ist und ihr Sohn anscheinend wie ein Gott der Liebe, wie eine Art Jesus verehrt wurde.
Lag der Fokus der Geschichte bisher eher auf den anderen Söhnen, vor allem auf Godwyn den Goldenen, dessen Ermordung der Auslöser für Marikas zerstörerischen Wahn sowie den Ringkrieg war, wird hier ein komplett unbekannter Handlungsstrang offenbart. Und so gut wie er sich einfügt, war er von Anfang an ein Teil der Story. Zumal Hidetaka Miyazaki erklärte, dass man jetzt endlich Miquellas Geschichte erzählen könnte, die eigentlich schon im Hauptspiel auftauchen sollte und die in ihren Gestalten und Fakten auf dem beruht, was George R.R. Martin an historischen Fundamenten konstruiert hat.
Dieser Einstieg ist natürlich von alten Widersprüchen und Fragen geprägt, außerdem kommen neue hinzu: Am Schattenturm wurde angeblich ein Gott geboren, außerdem wollte Miquella die Sünde des Erdenbaums tilgen. Meint er damit den Kreuzzug von Messmer? Aber das Wunderbare an dieser Erweiterung ist, dass sie das unvollendete Mosaik der Geschichte mit jeder Begegnung und fast jedem Fund weiter füllt - ich hab mich gefühlt wie auf einer Schnitzeljagd mit Flavor-Texten für nahezu jede Beute.
Das Inventar als Erzähler
Neu und überaus hilfreich ist dabei, dass gerade erhaltene Gegenstände in einem eigenen Bereich des Inventars landen und markiert werden. So kann man sie geordnet aufrufen und ihre Beschreibungen lesen, die wertvolle Hinweise zur Story geben, manchmal sofort Fragen beantworten und die aktuelle Lage beleuchten. Denn es gibt einige Konflikte und konkurrierende Mächte, zwischen denen sich der Spieler irgendwann entscheiden kann und muss. Zunächst sind sie alle eher neutral bis freundlich, aber das ändert sich im weiteren Verlauf, der erzählerisch angenehm dynamisch inszeniert wird.
In Gestalt der Hornherolde ist z.B. eine Fraktion aktiv, die den Erdenbaum samt Königin Marika ganz offen verachtet, denn sie waren die Opfer eines brutalen Krieges, den sie anordnete. Schon im Hauptspiel symbolisierten die Hörner ja das Verfluchte, das man im Reich der Goldenen Ordnung am liebsten verbergen wollte - hier werden sie zum Leitmotiv, auch symbolisiert durch spiralenförmige Artefakte und Formen. Zwei von Marikas und Godfreys Söhnen, die Zwillinge Morgott und Mohg, trugen ja als Omen-Kinder ebenfalls Hörner und mussten in den Katakomben von Leyndell wie Aussätzige hausen, bevor sie sich in den Wirren des Bürgerkriegs befreiten.
Messmer und das M
Aber Marikas Goldene Ordnung war für die normale Bevölkerung noch grausamer, denn Kindern der Zwischenlande wurden die Hörner bei der Geburt abgeschnitten. Und sie entsandte Messmer samt einer Armee in dieses Land der Schatten - man liest davon, dass er den zentralen Turm mit Feuer befreien sollte. Sollte er eine rivalisierende Fraktion oder sogar ein ganzes Volk von Gehörnten für Marika ausrotten? Ist Miquella vielleicht hierher gezogen, um sie wie ein Messias zu retten? Hat der Sohn der Königin also rebelliert und eigene Pläne für dieses Land geschmiedet?
Als Spieler erkundet man jedenfalls die Hochebene namens Scadus Altus, auf der der Kreuzzug des Feuers von Messmer offensichtlich begann, und noch immer wandern Soldaten und Kreaturen seiner Armee durch das Land. Aber wer war Messmer überhaupt? Nur ein Feldherr von Marika oder doch ein bisher unbekannter Verwandter? Aufgrund der Tatsache, dass sein Name mit M beginnt, könnte man in ihm sogar einen Sohn vermuten, so wie man in Melina, der hilfreichen Lady aus Limgrave, die einem im Einstieg von Elden Ring das Reittier Torrent schenkte, eine Tochter von Marika zu erkennen glaubte.
Schon nach dem frühen und sehr ansehnlichen Bosskampf mit Rellana, der Mondritterin und Schwester von Rennala, bei der man seine Wiedergeburt und damit jedweden Klassenwechsel einleiten kann, erfährt man mehr über ihn. Denn sie gab ihr königliches Geburtsrecht aus dem Hause Caria auf, um an seiner Seite zu kämpfen. Sie wird sogar "Das Schwert Messmers" genannt und FromSoftware lässt sie sowohl mit der blauen Magie ihrer Ahnen als auch mit dem glutroten Feuer ihres Gönners angreifen.
An dieser Stelle verlasse ich allerdings die Ebene der Hintergründe sowie Interpretation und kann vorwegnehmen, dass fast alle Fragen, die ich auch in meiner Vertiefung aufwarf, beantwortet werden. Sprich: Auf der erzählerischen Ebene schließt FromSoftware hinsichtlich vieler Gestalten und Mächte endlich Kreise. Das war für mich neben der Erkundung dieser außergewöhnlichen Landschaft die größte Motivation und Befriedigung, dass mit dieser Erweiterung nicht nur mehr Waffen, Feinde und Bosse auftauchen, sondern dass diese Fantasysaga wirklich gewissenhaft vollendet wird. Man spürt auch an Kleinigkeiten, wie etwa der Ergänzung bisher fehlender Talismane, dass hier zwei Jahre an Entwicklung mit sehr viel Bedacht investiert wurden.
Anpassung der Spielweise
Wenn man hunderte Stunden in ein Abenteuer investiert hat, ist man mit einem routinierten Held unterwegs. Eine gute Erweiterung schafft es, im Kampf zu überraschen und frische Akzente zu setzen, und zwar nicht nur über einen höheren Schwierigkeitsgrad. Dazu gehört auch, dass man zum Ausprobieren neuer Spielweisen animiert wird, indem sich Gegner anders verhalten und andere Taktiken belohnt werden. Das erlebt man recht früh, denn einige Feinde sind sehr agil und beweglich. Und manche Bosse springen einem fast ins Gesicht, sobald man durch die Nebelwand tritt - sprich: Man kann die Geisterasche erst später einsetzen.
Wer hinter seinem Großschild versteckt die kämpfende Schildkröte spielt, wird sich jedenfalls öfter wundern als in den Zwischenlanden. Zwar kann der Fokus auf die Stärke, die Zweihandwaffe und schwere Rüstung immer noch erfolgreich sein. Es gibt auch einen Weg des Bären, der komplett auf wilde Krallenattacken mit Blutungen und Stärke als Schlüsselfähigkeit ausgerichtet ist. Außerdem gibt es sogar eine ganz neue Martial-Arts-Taktik, in der man mit Faustschlägen und Tritten wie ein Kung-Fu-Kämpfer agieren kann, was mir jedoch wie ein Fremdkörper vorkam.
Allerdings wird man nicht nur durch die Beweglichkeit der Feinde dazu angeregt, selbst auf leichte Rüstung, das Ausweichen und Parieren zu setzen. Hinzu kommen neue Waffen, Fähigkeiten und Geisteraschen, die eher die flinke Rückhandklinge, das elegante Stichschwert oder die wie in einem Tanz wirbelnden Krummsäbel empfehlen. Oder wie wäre es z.B. mit einem Fokus auf Wurfwaffen? Da gibt es jede Menge interessante Klingen und Verstärkungen, die gegen agile Feinde hilfreich sind. Außerdem werden Zauberer und Priester ihre Arsenale mit einigen spektakulären Sprüchen erweitern können. Sprich: Ich hatte richtig Lust auf eine Wiedergeburt, um mal anders zu spielen.
Die Frage der Schwierigkeit
Aber zum Schluss noch etwas zum Schwierigkeitsgrad. Zwar gibt es zwei, drei richtig harte Bosse, an denen man verzweifeln kann, aber das ist eine Endgame-Erweiterung und trotzdem kann man einen Großteil des Abenteuers frei erleben. Auf dem Weg in die finalen Arenen habe ich einige Bosse sogar auf Anhieb besiegen können. Zwar habe ich offline gespielt, aber natürlich nutze ich alle anderen Hilfen wie Geisteraschen oder Nichtspielercharaktere als Verbündete aus.
Ohnehin kann man den Schwierigkeitsgrad weiter abmildern, wenn man aufmerksam die Welt erkundet und die zwei neuen exklusiven Zutaten sammelt, und zwar den Segen des Scadubaums und den Segen der verehrten Geisterasche. Beide kann man an einem Ort der Gnade quasi wie einen Level-up einsetzen, um entweder seine eigenen oder die Fähigkeiten der beschworenen Geister zu steigern. Und da das in mehreren Stufen erfolgt, wirkt sich das spürbar auf die Schlagkraft aus. Dieser gold markierte Boost gilt allerdings nur im Reich des Schattens, denn wenn man in die Zwischenlande reist, werden sie zurückgesetzt.
Außerdem hat FromSoftware wie gesagt mit Bedacht neue Waffen integriert, wie etwa ein Großkatana, das besonders viel Schaden gegen Drachen verursacht. Und diesen Echsen begegnet man in Shadow of Erdtree des Öfteren, entweder im Schlaf lauernd oder in laufenden Schlachten kämpfend - darunter eine, die fast ewig läuft und die der Drache natürlich gewinnt, wobei er selbst verwundet nicht zu unterschätzen ist. Man erfährt auch bald etwas von einem besonders fürchterlichen Drachen. Und der thront in einem beeindruckenden Gebirge, in einer apokalyptischen Version des Himalaya, das einen auf Torrent in immer halsbrecherische Höhen führt, während die Welt um einen herum in Blitzen und Gewitter vergeht. Dort oben wartet Bayle der Schreckliche, wie eine verdammt böse Variante von Smaug - ich wünsche viel Spaß im Fokus seiner glutroten Augen.
FAZIT
Shadow of Erdtree ist keine Erweiterung, sondern die meisterhafte Vollendung von Elden Ring. FromSoftware hat sich hinsichtlich des Welt- und Leveldesigns selbst übertroffen, schließt erzählerische Lücken und verdichtet ein mythologisches Mosaik mit Gestalten und Mächten, über die man noch viele Jahre so sprechen wird, als würde es um eine Parallelwelt gehen. Ich habe mich über die 40 Stunden gefühlt wie auf einer archäologischen Schnitzeljagd, jeden Fund und seine Beschreibung gelesen und mich über die Handlungsstränge der Nebencharaktere gefreut. Diese Erweiterung bietet viele ruhige Passagen und inszeniert ein angenehm entspanntes Abenteuer, voller Rätselflair und versteckter Reiserouten in einer wunderbaren Fantasy-Landschaft. Natürlich ist da viel Kampf, viel Schweiß und Tod im Angesicht teils fürchterlicher Bosse. Aber man muss sie nicht alle besiegen, man kann seine Route frei wählen und es gibt viele interne Hilfen sowie Möglichkeiten der Unterstützung. Man wird natürlich dazu animiert, seine Taktiken und seinen Charakter flexibel anzupassen, indem man die mit Bedacht integrierten neuen Waffen, Talismane und Fähigkeiten einsetzt. Wenn man hier einen Dungeon meistert oder mit letzter Kraft aus einer Arena taumelt, ist man einfach unfassbar froh. Aber nicht nur, weil man siegreich war, sondern weil da noch so viel Unentdecktes in einem der besten Action-Rollenspiele aller Zeiten wartet. Es hat mich jeden Abend eingeladen, hinter den Vorhang zu treten und einen weiteren Schritt in dieses verfluchte Reich mit einer verflixt faszinierenden Mythologie zu wagen. Und dafür liebe ich Videospiele.
(Bilder: Elden Ring: Shadow of Erdtree, Bandai Namco, PS5, eigene Aufnahmen)
Ein Gedanke: Jörg, planst Du evtl. diesen Test oder auch die Vertiefung zu Elden Ring zuvor weiter zu vermarkten? Ich denke, das sind zwei größere Potenziale, um etwas zusätzliche Reichweite zu gewinnen. Beispielsweise Abdrucken in der Gee mit Verweis auf Spielvertiefung, falls das möglich ist. Etwas Werbung in eigener Sache und die Qualität dieser Texte einem weiteren Publikum zukommen zu lassen.
Danke für den lesenswerten Test.
Ich für meinen Teil bin derzeit privat etwas stark eingebunden und viel unterwegs, sodass ich noch nicht starten konnte. Und ich warte auch noch zwei, drei weitere Wochen. Das, da meine Frau vor hat, in den Sommerferien mit unseren Jungs für ein paar Tage ihre Eltern zu besuchen.
An jenem sturmfreien Wochenende werde ich dann nichts anderes machen als schlafen, essen und zocken. Da kommt mir die Elden Ring Erweiterung gerade richtig. Ich freu mich wahnsinnig darauf in das Spiel komplett und ohne Ablenkung einzutauchen.
Einzig der Schwierigkeitsgrad, der ja From Software-typisch in den DLC´s nochmal anzieht, macht mir etwas "Angst". Aber ich denke, es werden noch genügend Spieler unterwegs sein, die online ihre Hilfe…
Danke Jörg für den - wie immer - sehr gut geschriebenen Artikel.
Dir(noch zu 4Players Zeiten) habe ich es zu verdanken, dass ich mich intensiv mit allen Fromsoftware Souls Spielen auseinandersetzt habe und es zu meinen Lieblings Spieleserien gehört. Mein erster Kontakt war mit Dark Souls Remastered, wobei ich da schnell das Tuch geworfen habe, ich bin da gleich am start immer in die falsche Region gerannt (das vergiftete Gebiet) und bin da dauernd drauf gegangen, weil ich da keinen Schaden machen konnte (ich glaube da ging nur Magie oder Heilig?), bin da nicht auf die Idee gekommen einen anderen Weg zu probieren. Ende Schluss. Nächster Versuch war Bloodborne - Anfangsregion, wo man ganz schnell die Aufmerksamkeit von ganz vielen…
Lieber Jörg,
auch von mir ein riesiges Lob für diese geile Rezension und die davor veröffentlichte Zusammenfassung der Lore!
Sind die gezeigten Bilder dein Charakter? Würde mich mal interessieren, was du und die Community für Ausrüstung mit sich tragen.
Lieber Jörg (und liebe Community), könnt ihr ein Spiel empfehlen, dass zugänglicher ist als Elden Ring, aber eine ähnliche Erzählweise bietet? Spontan fällt mir nur 'Blasphemous' und sein Nachfolger ein oder 'Eldest Souls', wobei letzteres allerdings ein Boss-Rush-Spiel ist und sehr sehr kurz.
Vielen Dank!