Rezension: Ghost of Yōtei (PS5)
- Jörg Luibl

- 25. Sept.
- 17 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Okt.
Irgendwann nach der Schlacht von Sekigahara, in der das Haus Tokugawa im Jahr 1600 entscheidend siegen und das von Kriegen verheerte Japan langsam unter einem Shogun einen konnte, kehrt die Söldnerin Atsu in ihre Heimat zurück. Denn weit im Norden, auf der Insel Ezo, wo der Vulkanberg Yotei alles überragt, will sie eine alte Rechnung begleichen. Es geht um sechs Mörder, die ihre Familie umbrachten und sie als kleines Mädchen zurückließen, aufgespießt an einen brennenden Baum. Doch Atsu überlebte, reifte zu einer Kriegerin und will Rache.
Die zeitlose Rache
Als die Mörder, die so genannten Yotei 6, in ihren dämonischen Masken als Oni, Kitsune & Co auftreten und das Abenteuer mit Atsus Jagd auf die Schlange beginnt, musste ich umgehend an Assassin's Creed Shadows denken. Das hab ich im März dieses Jahres besprochen und es spielt nur wenige Jahre früher in der Tenshō genannten Zeit von 1573 bis 1592, also in derselben Epoche samt Feuerwaffen. Außerdem ähneln sich neben dem Szenario sowie der offenen Welt die Motive und Strukturen der Erzählweise fast schon frappierend.
Auch in Ubisofts Abenteuer ist die Rache das zentrale Motiv. Und dort überlebt ebenfalls ein Mädchen, das Hinweise auf maskierte Mörder sammeln und sich stückweise über kleine Missionen vorarbeiten muss, bis es irgendwann zum Duell kommt. Zwar hat es Naoe mit zwölf Tätern zu tun und führt mit dem Weg der Shinobi die Tradition ihrer Familie fort. Aber selbst wenn Atsu nicht als Ninja dargestellt wird und sich wie ein Samurai ausrüsten sowie kämpfen kann, ist sie mit dem Heranpirschen durch Gras, den Ablenkungsmanövern sowie hinterhältigen Kills nicht weit davon entfernt.

Oder anders: Naoe und Atsu könnten tödliche Schwestern im Geiste sein, die beide von Dämonen ihrer Vergangenheit angetrieben werden und in ihren ansehnlichen Welten blutige Spuren hinterlassen. Sie haben sogar in der Regie einiges gemeinsam, bis hin zu gespielten Rückblicken, in denen man Episoden aus der Kindheit von Atsu und ihrem jüngeren Bruder erleben kann. So erfährt man irgendwann mehr über die Hintergründe des brutalen Überfalls.
Diese Zeitreise kann man selbst auslösen: Nach einem Druck auf das Touchpad materialisiert sich die Vergangenheit und der verbrannte Ort verwandelt sich in eine sonnige Idylle. Dann kann man als Mädchen den elterlichen Hof mit der Schmiede des Vaters erkunden, der um einen prächtigen Gingko-Baum mit strahlend gelben Blüten errichtet wurde. Sie bleiben als Symbol übrigens relevant, denn sie markieren auf der Karte die möglichen Aufenthaltsorte der Yotei 6, die mittlerweile gefürchtet sind und als Anführer einer Banditen-Armee die Herrschaft über Ezo an sich reißen wollen.
Schön an den Rückblicken ist, dass sich manche erspielten Erlebnisse auswirken, so dass Atsu z.B. als erwachsene Frau in einem alten Versteck der Gegenwart etwas finden kann. Außerdem entsteht früh eine rätselhafte Beziehung zu einem Wolf, der als Symbol das kostbare Katana ihres Vaters ziert, der seine Kinder zudem Zwillingswölfe nannte. Er ist kein ständiger Begleiter, aber erscheint Atsu manchmal wie aus dem Nichts und hilft ihr. Allerdings nicht an jenem Tag, als Fürst Saito und seine maskierten Gesetzlosen sie verbrennen wollten. Auch diese Alpträume, die sie im Schlaf verfolgen, sind teilweise spielbar.

Schon wieder Samurai?
Das klingt bis hierher fast so, als hätten zwei Studios parallel an einem Thema gearbeitet. Wenn man das Abenteuer von Ubisoft spielt, meint man den Einfluss von Sucker Punchs Spieldesign zu spüren, wenn man etwa Tieren folgen und an bestimmten Orten meditieren kann. Und wenn man jetzt Ghost of Yotei spielt, scheint es fast umgekehrt. Mir geht es nicht etwa um den Vorwurf der Abkupferung, dafür sind sie dann doch en detail zu unterschiedlich und die dargestellten Motive zu allgemein, sondern um den unvermeidlichen Kreislauf der gegenseitigen Beeinflussung, gerade bei populären Themen.
Sucker Punch dürfte das zur Kenntnis genommen haben und vielleicht wie mancher Japaner mit der Kehrseite der steigenden Anziehungskraft dieses faszinierenden Landes und seiner Geschichte hadern. Denn so wie in den letzten Jahren immer mehr Touristen die Straßen von Tokyo bis Osaka fluteten, erschienen nach Ghost of Tsushima (2020) immer mehr Spiele wie Ghostwire Tokyo (2022), Trek to Yomi (2022), Rise of the Ronin (2024), The Spirit of the Samurai (2024) usw., die sich im weitesten Sinne mit der fernöstlichen Kultur beschäftigten.
Und jetzt kommt es also innerhalb eines Jahres zur Begegnung von Assassin's Creed Shadows und Ghost of Yotei. Ich habe in meinem Umfeld zwei, drei mal ein geseufztes "Schon wieder Samurai?" gehört, was darauf hindeutet, dass sich da eine gewisse Gewöhnung einschleicht. Für mich stieg die Vorfreude eher, nachdem mich Ubisofts Abenteuer im März solide bis gut unterhalten, mit einigen Ideen sogar überraschen, aber letztlich nicht begeistern konnte. Trotz der Kritikpunkte habe ich immerhin kein Assassin's Creed der letzten Jahre so lange gespielt.

Nur war ich irgendwann selbst wie ein Tourist auf einer Ninja-Safari unterwegs, der auf lange Sicht die Abwechslung unter der schicken Oberfläche vermisste. Und um es vorweg zu nehmen: Dem Fluch der meisten offenen Welten, der die anfängliche Neugier langsam in Gewöhnung verwandelt, während man Punkte einer Karte abklappert wie Geräte auf einem Spielplatz, entkommt auch Ghost of Yotei nicht. Das war für einen Nachfolger auch nicht zu erwarten, selbst wenn Sucker Punch vor fünf Jahren etwas gelang, an dem Ubisoft mehrfach scheiterte: das Abenteuer in offener Welt so zu modernisieren, dass es sich zumindest frisch anfühlt.
Selbst wenn man in der Struktur den bekannten Mustern folgte, verströmte Ghost of Tsushima ein malerisches Flair mit kreativen Ideen und erhielt sogar in Japan viel Anerkennung. Und auch Ghost of Yotei unterscheidet sich im Erlebnis in etwa so von Assassin's Creed wie ein poetisch angehauchter Abenteuerfilm von einem ernsthaft bemühten Historienfilm. Obwohl Atsu ebenso wie Naoe in Blut versinkt und hunderte Feinde aufschlitzt, obwohl die Regie manchmal zu schnell von der Idylle ins Gemetzel wechselt, verströmt ihr Abenteuer dieselbe ästhetische Eleganz.
Zwischen Realismus und Fiktion
Sie entsteht, weil sich Sucker Punch so einige künstlerische Freiheiten nimmt. Trotz authentischer Bezüge in Story, Mode und Architektur dominiert die idealisierte Fiktion, in der die fast märchenhafte Beseeltheit der Natur mit ihren hilfreichen Tieren und magischen Momenten immer einen Kontrapunkt zur harten Realität schafft. Also folgt man den gelben Vögeln zu einer heißen Quelle, in der man seine Gedanken schweifen lässt und seine Lebenskraft stärkt. Oder man verneigt sich vor dem Gipfel des Yotei, um plötzlich von Schmetterlingen umringt zu werden.
Die Geschichte orientiert sich ebenfalls weniger akribisch an tatsächlichen Ereignissen und Figuren. Dazu trägt natürlich der abgelegene Schauplatz bei, denn Ezo, das heutige Hokkaido, war in der Sengoku-Zeit nur sehr dünn besiedelt und lange nicht so umkämpft wie die große Hauptinsel im Süden mit ihren zahlreichen Clans und Schlachten. In der Heimat der indigenen Ainu, deren isolierte Sprache man übrigens im Spiel hören kann, siedelten selbst im 15. Jahrhundert nur wenige Japaner an der Südküste von Oshima, zumal man dort keinen Reis anbauen konnte.

Zwar trägt Fürst Saito, der Anführer der Yotei 6, ebenso einen bekannten Familien-Namen wie der von ihm angegriffene Matsumae-Clan. Und der erhielt im Jahr 1599 tatsächlich die Insel Ezo vom Shogun als Lehen und organisierte den Pelz-Import von den Ainu. Deren Artefakte kann man ebenso wie ihre Händler im Spiel finden, doch sie bleiben zunächst im Hintergrund und man bekommt nicht das Gefühl eines nördlichen Außenpostens. Auch der Konflikt zwischen der Banditen-Armee unter Saito und den Samurai von Matsumae ist letztlich fiktiv und wirkt dramaturgisch eher wie eine bemühte Nachahmung der historischen Invasion der Mongolen aus Ghost of Tsushima.
Also erlebt man parallel zu Atsus persönlichem Rachefeldzug erneut einen Krieg mit Überfällen, Belagerungen und Schlachten, an denen man teilweise selbst teilnimmt - entweder um Burgtore zu verteidigen, Lager einzunehmen oder mit Geschützen und Bomben einige Wellen an Invasoren abzuwehren. Das wird teilweise im Vorfeld lebendiger inszeniert als im Vorgänger, wenn man schon aus der Distanz brennende Pfeile fliegen sieht oder Kampflärm hört, so dass man den Ort umgehen kann. Falls man ihn befreit, ziehen umgehend die Bauern oder die Samurai der Matsumae ein, die vielleicht einen Auftrag haben.

Vom Winde verweht
Im Gegensatz zu dieser Wiederholung einer militärischen Bedrohung, die manchmal etwas plump konstruiert wirkt, verströmt das Artdesign erneut die angesprochene Eleganz mit idyllischen Ausblicken. Das drückt sich vor allem in den fließenden Farben und Formen einer ansehnlichen Landschaft aus, die weniger fotorealistisch als vielmehr malerisch wirkt. Apropos: Atsu kann an bestimmten Aussichtspunkten im japanischen Tuschestil ihre Umgebung malen, wobei man mit dem Finger auf dem Touchpad die gestrichelten Linien nachzieht.
Noch schöner ist das Spiel aber in Bewegung, wenn die Musik im richtigen Moment aufspielt. Das ist nicht ganz so erhebend und atmosphärisch intensiv wie in Death Stranding, aber die Gräser werden fast nonstop vom Winde verweht und man reitet durch violett leuchtende Blumenwiesen vor untergehender Sonne, während Schwärme von Reihern aufgescheucht werden und Wildpferde in Herden davon galoppieren.
Das wirkt zu Beginn allerdings manchmal so, als hätten Thomas Kinkade oder Bob Ross sie mal eben per Pinsel herbeigezaubert. Für Freunde des Naturalismus könnte manche Szene also durchaus kitschig wirken. Und wer sich mit rein technischem Blick umschaut, wird fünf Jahre nach Ghost of Tsushima nicht viele Fortschritte en detail erkennen, was etwa Texturen von Felsen oder das Interieur angeht. Das Gefühl der Vertikalen ist zwar im Gebirge gegeben, aber hinsichtlich der Tempel und Festungen wird das trotz Greifhaken nicht immer für das Klettern ausgenutzt - manchmal darf man einfach nicht ganz hoch hinauf.

Hier hat Assassin's Creed Shadows ebenso die Nase vorn wie beim Wetter, denn Tag und Nacht wechseln sich ab, es kann regnen, vernebelt oder sonnig sein, aber es wirkt sich nicht etwa physikalisch aus. Es entsteht auch nicht diese starke Anziehungskraft über natürliches Licht und Landschaft oder diese Gefährlichkeit der Wildnis wie in einem Red Dead Redemption 2 oder Death Stranding 2, zumal die meisten Flüsse hier eher flach als reißend sind und man kurz unter Wasser, aber nicht richtig tauchen kann.
Und spätestens wenn man die wie Straßen angelegten, weißen Blumenwiesen zur Aufnahme von Tempo beim Galoppieren nutzt, ist klar, dass Flora & Fauna hier zum malerischen Spielplatz gehören. Nichtsdestotrotz sieht dieses Ezo von der Wellen umtosten Küste bis zu den Wäldern unter dem alles überragenden Vulkanberg des Yotei verdammt gut aus. Insbesondere die Kletterpartien bis hoch in die Gipfel oder an Steilküsten vorbei sorgen für tolle Panorama-Blicke in die Ferne. Allerdings ist dieses Kraxeln über Abgründe samt Greifhaken und der wagemutigen Sprünge von Ast zu Ast noch einfacher zu meistern als in Uncharted. Es gibt ab und zu mal alternative Wege, aber man kann letztlich nicht viel falsch machen und wird sehr offensichtlich zum Ziel geführt.

High Noon in Japan
Diese elegante Ästhetik und der gefühlte Komfort ziehen sich durch das komplette Abenteuer, wobei der Wind erneut ein Leitmotiv ist. Ghost of Tsushima gehört ja zu den wenigen Spielen, die ich sehr lange nach dem Finale immer wieder mal gestartet habe. Nicht etwa um alles zu vervollständigen, sondern einfach nur, um ein paar Minuten in dieser ebenso malerischen wie martialischen Welt zu verbringen. Meist folgte nach einem Galopp durch ein wogendes Blumenmeer noch irgendwo ein blutiges Duell, bei dem die Klinge von Jin Sakai zwei, drei mal aufblitzte.
Ich mag diese zwei Arten, wie Duelle auch in diesem Nachfolger inszeniert werden. Der spielt zwar 300 Jahre später in der Epoche der Feuerwaffen, aber davon oder gar der Moderne des 17. Jahrhunderts bemerkt man sehr lange nichts. Im Gegenteil: Man fühlt sich so, als wäre die Zeit stehen geblieben, sowohl was Sitten und Gebräuche als auch das Spieldesign der Duelle angeht. Und das ist gut so, denn sie gehörten zu den markanten, filmisch inspirierten Höhepunkten des Abenteuers.
Gegen relevante Feinde wechselt die Perspektive zunächst in eine Seitenansicht der Kontrahenten. Sie beobachten sich aus der Distanz, bis Atsu langsam ihr Katana zieht und die Kamera so nah an sie heran fährt, dass man jeden Blutspritzer in ihrem Gesicht, jede Naht an ihrer Rüstung und die Wellen auf der leicht gebogenen Klinge erkennen kann. Und in diesen Szenen ist Ghost of Yotei übrigens viel ausdrucksstärker als Assassin's Creed Shadows. Danach kommt es zu einem regulären Kampf.

Gegen normale Feinde, die man auch in der Wildnis zum Duell fordern kann, wechselt die Perspektive in eine frontale Ansicht für ein kleines, aber feines Psychospiel. So kann man aus Atsus Sicht die Haltung sowie das Gesicht des Gegners beobachten, der seine Waffe meist schon gezückt hat, während ihr Katana noch in der Scheide steckt. Jetzt gilt es, den richtigen Moment abzuwarten, und sich nicht von einer oder sogar zwei Finten täuschen lassen, damit man den heran stürmenden und weitere Feinde mit nur einem Hieb töten kann.
In diesen wunderbaren Szenen führt Ghost of Yotei die Hommage an den großen Regisseur Akira Kurosawa (1910-1998) fort, außerdem kann man erneut komplett im schwarzweißen Stil seiner Filme spielen oder andere Filter aktivieren. Noch mehr als in Tsushima weht übrigens ein Hauch von Western durch dieses Abenteuer. Wenn etwa die Shamisen-Musik im Hintergund wie ein Banjo aus Red Dead Redemption klingt. Und vor allem wenn Atsu wie eine Revolverheldin ein Gasthaus betritt, sich alle anwesenden Banditen still umsehen und die Kamera den funkelnden Blick unter ihrem Strohhut einfängt. Mir hat das sehr gut gefallen.
Toughe Atsu
Überhaupt mag ich Atsu als Charakter, denn sie ist nicht nur tough, sondern pragmatisch, trocken und direkt. Sie kämpfte in der Schlacht von Sekigahara auf Seiten der Verlierer gegen den amtierenden Shogun Tokugawa Ieyasu, hält nichts vom Ehrenkodex der Samurai und die Treue zu einem Fürsten ist ihr fremd. Sie strebt nicht nach gesellschaftlicher Anerkennung oder gar Ruhm, sondern individueller Freiheit und folgt ihrem eigenen Gerechtigkeitssinn. Es gibt ab und zu Dialoge mit Entscheidungen über Leben und Tod, aber man kann ihren Charakter nicht prägen.
Auch unter ihrer harten Schale gibt es Zweifel, die später genauso thematisiert werden wie ihre Beziehung zu den Ainu - so gewinnt sie weit mehr Facetten als eine reine Kriegerin. Aber sie hat sich letztlich ganz ihrer blutigen Mission verschrieben. Sucker Punch gelingt es durchaus, Konflikte glaubwürdig in Dialogen darzustellen und selbst manchen Feinden menschliche Motive hinter den Masken zu verleihen, aber das Thema Gewalt wird hier nicht so reflektiert wie in einem The Last of Us.
Es geht in erster Linie um Kampf. Und nachdem sie im Einstieg mit der so genannten Schlange einen der Yotei 6 tötet, die überall in Ezo als brutale Gesetzlose bekannt sind, wird sie schon bald per Steckbrief gesucht und von der Bevölkerung sowie ihren Feinden gefürchtet. Denn sie gleicht immer mehr dem überaus bösartigen Geist der Rache, dem so genannten Onryo der japanischen Mythologie. Er ist bis heute in Mangas und Animes bekannt und wird meist als alte Frau mit langen schwarzen Haaren dargestellt. Apropos Mythologie: Sage und Legende werden manchmal in den Aufträgen des Geschichtenerzählers lebendig, die meist zu einer Rüstung führen. Darunter jene des Spinnenlilien-Generals oder jene des unsterblichen Samurai, wobei in Rätseln und Kampf das Übernatürliche spürbarer wird.

Und wenn Atsu fünf Feinde hintereinander tötet, baut sie ebenfalls eine übernatürliche Energie auf, mit der sie wie ein Onryo brüllen kann, um alle Gegner in der Nähe zu verängstigen. Mir ging das etwas zu schnell mit der dämonischen Aura, zumal sie mir etwas zu stark war, so dass ich recht früh die Schwierigkeit im Kampf um eine Stufe erhöhte. Immerhin sorgt Sucker Punch schon auf der normalen Stufe dafür, dass man nicht einfach alles wegmetzeln kann und sich entwickeln muss. Denn selbst wenn sie sofort wie ein Onryo heulen kann, kann sie zu Beginn nur ein Katana führen. Außerdem kann sie lediglich Standardmanöver ausführen, hat keinen Bogen und kann kaum den schweren, rot leuchtenden Hieben ausweichen, so dass sie von den Hünen mit ihren Keulen schnell erledigt wird.
Charakter-Entwicklung
Aber sobald man das Charaktermenü öffnet, bekommt man einen Vorgeschmack auf die Vielfalt in Kampf sowie Akrobatik. Und die Neugier wird durch Fragezeichen für Fähigkeiten sowie Waffentypen geweckt, die man nicht einfach so kauft oder erhält. Das gefällt mir genauso gut wie die Tatsache, dass man in diesem Spiel endlich mal nicht die Waffen wechseln muss, denn man behält die eine Klinge bis zum Finale.
Erst nach dem Aufsuchen von Meistern kann man das neue Doppel-Katana oder mit dem Yari den japanischen Speer führen, wobei sie alle wie Schere, Stein und Papier aufeinander reagieren. Falls man von Feinden mit Stangenwaffen angegriffen wird, sollte man z.B. zum Doppel-Katana wechseln, um sie besser zu parieren und früher ins Taumeln zu bringen.
Dabei kommt grundsätzlich dasselbe Kampfsystem zum Einsatz, das über blaue, gelbe oder rote Symbole anzeigt, mit welchem Hieb der Feind gleich angreift. So weiß man, ob man ausweichen oder wie man am besten verteidigen kann, damit man z.B. nicht entwaffnet wird - dann versuchen einen die Gegner übrigens daran zu hindern, dass man die Klinge aufnimmt. Im Kampf hilft der direkte Wechsel zwischen Waffen ebenso wie das schnelle Parieren und Kontern bei gutem Timing. Letzteres kann man über Fähigkeiten sowie Ausrüstung noch verbessern.

Zwar kann man Gegner nicht so fest fixieren wie in der Soulsreihe, denn man wechselt Ziele mit einem Schwenk des Analogsticks, so dass man im Getümmel vielleicht mal jemand anderen trifft. Aber ich habe mich früh an diese fließenden Übergänge gewöhnt, die bei Attentaten zu wunderbaren Kombos führen. Irgendwann ist der Controller allerdings voll belegt, denn man kann seine Feinde selbst mit herum liegenden Waffen oder Flaschen bewerfen oder ihnen Sand ins Gesicht werfen, was selbst gegen Bosse hilfreiche Sekunden bringt. Außerdem kommen Feuer- und Blendbomben hinzu.
Man kann nicht nur für jede Waffe weitere Manöver freischalten, darunter mächtige Hiebe, die Gegner sofort entwaffnen und ängstigen, aber die dann bis zu drei Geist verbrauchen können - das ist wie im Vorgänger die Energie für Spezialattacken. Es gibt zudem Fähigkeiten in Bereichen wie Onryo oder Rache, die z.B. tödliche Sprünge vom Pferd, weniger Fallschaden, mehr Zeit für Bogenschüsse, das Abwehren von Pfeilen oder ein häufigeres Auftauchen sowie mehr Kampfkraft für die Wölfin bieten. Dafür muss man entweder Altäre der Besinnung besuchen, die oft in feindlichen Lagern stehen, oder Wolfshöhlen finden, die dann nach einem Ritt durch die Widlnis zu Jägerlagern führen.
Stealth-Action light
Hier kann man zwar frontal angreifen, aber wird vom hüfthohen Gras, Luken in Häusern und Seilen zwischen Dächern meist zum Schleichen und Meucheln animiert. Das läuft wie gehabt, indem man von oben oder im Rücken von Feinden zum direkten Kill ansetzt, wozu es keine Alternative wie etwa das bewusstlos Würgen oder Ausknocken gibt. Das ist also Stealth-Action light, zumal man seine Opfer nicht wegschleppen, in Truhen verstauen oder wie eine Spinne vom Deckenbalken aus töten kann.

Man kann auch keine Kerzen oder Laternen aus der Distanz löschen, denn Dunkelheit ist für die Sichtbarkeit weniger relevant als Atsus aktuelle Kleidung, die einen jeweils anderen Tarnwert hat. Hier hat Naoe aus Assassin's Creed Shadows als Shinobi deutlich mehr heimtückische Möglichkeiten.
Auf die Toten reagieren die Wachen immerhin, indem sie Hilfe herbei holen und das Gebiet absuchen. Dabei kommt es manchmal zu nervigen Wiederholungen in der Sprachausgabe, wenn sie sich zum x-ten Mal fragen, ob jemand etwas gefunden oder gesehen hat. Das Figurenverhalten hat sich kaum verbessert und erreicht in der Verfolgung nicht die Qualität eines The Last of Us: Part 2, bei dem man u.a. gezielt umzingelt wird.

Wie gehabt kann man Wachen jedoch mit dem Wurf von Sake-Flaschen in eine Richtung locken, im Laufe der Entwicklung nicht nur einen, sondern zwei oder drei Feinde auf einmal töten oder am besten gleich den Anführer, damit die anderen vor Angst aufgeben. Wer vom Meucheln früher genug hat, kann irgendwann auch den Rest des Lagers zum Duell bitten.
Noch ein Wort zum Figurenverhalten: Es gibt von Bewohnern oder Wachen keine Reaktionen darauf, ob man seine Waffe zieht oder nicht - das wirkte in Assassin's Creed Shadows lebendiger, wo es sogar subtile Reaktionen der Befremdung gab, wenn sich Naoe zu nah neben Zuschauer eines Puppentheaters oder den Gläubigen an einen Schrein stellte, denn dann wichen sie kurz zurück und murmelten etwas auf Japanisch.
Survival-Flair ultralight
In diesen Kleinigkeiten zeigt sich, dass Ghost of Yotei weniger Action-Rollenspiel als vielmehr Action-Adventure sein will, nicht mit simuliertem Alltag, sondern mit Kampf und Abenteuer. Apropos: Wer mehr Geist für Spezialangriffe sucht, muss die Bambus-Stände finden, an denen es in einem Reaktionstest bei steigender Schwierigkeit darum geht, drei bis sieben Treffer in schneller und korrekter Folge zu landen - das sind übrigens die anspruchsvollsten Minispiele des Abenteuers.
Letztlich hat man in der Charakterentwicklung die Qual der Wahl: Soll man sich erst auf das Katana spezialisieren oder lieber alle Gattungen gleichmäßig entwickeln? Soll man sich auf das Schleichen und Attentate oder eher auf den Fernkampf mit dem Kurz- und Langbogen konzentrieren? Apropos: Letzterer wirkt mit einem Preis von 2000 zunächst unerschwinglich. Doch bald fließt das Geld, denn Atsu kann nicht nur Holz verkaufen und Feinde plündern, sondern wird nach Hilfe gegen Banditen belohnt und kann selbst üppige Kopfgelder kassieren.
Neu ist das Glücksspiel, bei dem man ähnlich wie im Brettspiel Carrom eine Scheibe mit den Fingern über das Touchpad schnipsen muss, so dass sie nur eine andere Scheibe treffen darf, die dann wiederum gewählt werden muss. Hindernisse und der Rand des Tisches erschweren das, aber das funktioniert so präzise, dass ich fast alle Duelle gewonnen habe. Sprich: Es gibt keine Geldprobleme.

Außerdem erntet man wie im Vorgänger im Vorbeigehen oder Galoppieren den aufleuchtenden Bambus, die Blüten oder das Erz. Immerhin gibt es nicht einen derartigen Klingen- und Rüstungs-Überschuss wie in Rise of the Ronin, denn Atsu trägt wie erwähnt nur eine Waffe einer Gattung, wie z.B. das Katana ihres Vaters, dessen Aussehen sie ebenso verändern kann wie die Farben bzw. Stoffe ihrer Kleidung und Rüstung. Hier wie bei den vielen Masken und Hüten steht eher die Ästhetik als die Funktionalität im Vordergrund. Nur in wenigen Situationen ist es z.B. relevant, welche Maske man trägt - von dieser Art der Auswirkung von Kleidung hätte ich gerne mehr gesehen.
Hinzu kommt allerdings erneut die Unsitte, dass Atsu in allen Häusern oder selbst in Lagern, wo man sie als Fremde sogar misstrauisch beobachtet, alles an Geld und Gegenständen einsacken kann. So entsteht nach wenigen Stunden erstens ein Überfluss und zweitens der bekannte Immersionsbruch, denn das passt natürlich weder zur Abgelegenheit des eher armen Ezo noch zur angeblich leidenden Bevölkerung oder Bettlern, die um eine Spende bitten.
Hinzu kommt, dass es das leichte Survival-Flair konterkariert. Das entsteht zu Beginn durchaus, wenn man seine ersten Lager in der Wildnis aufschlägt. Immerhin kann man das Feuer manuell entzünden, indem man mit dem Touchpad die Funken in den getrockneten Zunder schnipst. Und sobald es lodert, kann man Pilze oder Fische mit der Bewegungssteuerung des Controllers über der Flamme schwenken und sie wenden, sobald es qualmt und brutzelt. Das wirkt zunächst ganz stimmungsvoll, aber ich war irgendwann froh, dass man alles auf Knopfdruck erledigen kann.

Letztlich findet man immer so viel zu essen, dass man vor jedem Kampf all sein Leben sowie seine Geistenergie aufladen und sich on top einen temporären Vorteil verschaffen kann; wobei je nach Nahrung mal der Nahkampf, die Tarnung oder etwas anderes profitiert. Außerdem dient der letzte Standort des Lagers der Schnellreise. Aber weil auch alle anderen entdeckten Orte dafür geeignet sind, ist das kaum ein Vorteil. Immerhin bewahrt das Fernglas eine gewisse Nützlichkeit, denn mit ihm kann man sichtbare Orte auf der Karte markieren.
Komprimierte 30 Quadratkilometer
Die sieht sehr elegant in ihrem Tuschestil aus, bildet die kompletten Umrisse von Ezo mit der südlichen Oshima-Küste, dem Vulkanberg des Yotei im Westen sowie den unbekannten Regionen im Norden sowie Osten ab. Sobald man Orte besucht, werden sie mit kleinen Zeichnungen markiert. Und je nachdem welches Lied Atsu auf ihrer Shamisen spielt, führt der Wind sie zu weiteren heißen Quellen, Bambus-Ständen oder Wolfshöhlen, wobei man sie alle auch so entdecken kann.
Trotzdem kann man sich Karten kaufen und auf Nummer sich gehen: Das wird als kleines Minispiel inszeniert, bei dem man ein Puzzlestück mit Umrissen in das sichtbare Gelände der Karte einfügt. Das ist ganz nett, allerdings hält sich der Anspruch der Suche so in Grenzen, dass das korrekte Gebiet irgendwann erleuchtet wird. Immerhin gibt es andere Rätsel, die ebenfalls nicht besonders komplex sind, aber etwas mehr Spaß machen, wie etwa jene an Monumenten, wo ein kleiner Vers verrät, in welche Richtung man die Wolfs- oder Yokai-Statuen drehen muss.
Und wer die Gedichte an heißen Quellen liest, kann auf ähnliche Art ein Rätsel lösen. Zu den Knobel-Highlights gehören manche Missionen, in denen man z.B. ein Labyrinth durchqueren muss, aber selbst dort wird man letztlich auf die Lösung aufmerksam gemacht. Die Karte dient mit den goldenen Gingko-Blättern auch als Wegweiser für die Hauptquest, denn sie zeigen irgendwann die Orte der Yotei 6. Nach der schnell erledigten Schlange des Einstiegs wird es mit dem Oni und Kitsune, der Spinne und dem Drachen sowie dem Anführer nicht so leicht, zumal sie jeweils andere Taktiken erfordern und auf Waffen oder Elemente wie Feuer spezialisiert sind.

Auf jeden Fall hat man mehr als genug zu tun und die Spielzeit dürfte sich wie in Ghost of Tsushima bei 25 bis 60 Stunden einpendeln, je nachdem ob man seine Mörder direkt jagt oder alles sehen will. Das reale Ezo bzw. Hokkaido ist als zweitgrößte Insel Japans mit über 78000 Quadratkilometern zwar hundertmal größer als Tsushima, aber Sucker Punch bildet das natürlich nicht ab und sprach im Vorfeld von einer ebenso großen Spielwelt, die man auf knapp 30 Quadratkilometer komprimiert hat.
FAZIT
Sucker Punch gelang vor fünf Jahren das, woran Assassin's Creed immer scheiterte: Das Erlebnis in offener Welt frischer zu gestalten. Auch wenn man in der Struktur den bekannten Mustern von Ubisoft folgte, verströmte Ghost of Tsushima eine fast poetische Stimmung mit kreativen Impulsen und erhielt selbst in Japan viel Anerkennung. Es war zu erwarten, dass Ghost of Yotei diesem erfolgreichen Spieldesign sowie der eleganten Ästhetik treu bleibt, in der Farben und Formen ineinander fließen. Dabei erlebt man denselben Kontrast zwischen Ruhe und Gemetzel, Besinnung und Blutlachen, Panoramen und Kitsch wie im Vorgänger. Die Duelle sowie das Kurosawa-Filmflair sind für mich immer noch die Highlights, während das Figurenverhalten, die Rätsel sowie die Akrobatik kaum entwickelt wurden. Diesem Nachfolger fehlt trotz Lagerfeuer und Shamisen die erwähnte Frische, zumal er technisch und spielerisch weitgehend stagniert. Außerdem überfluten seitdem zig Abenteuer das alte Japan fast so wie Touristen das gegenwärtige. Und Ubisoft hat mit Assassin's Creed Shadows einiges richtig gemacht, denn das wirkte wie ein ernsthaft bemühter Historienfilm in fotorealistischer Kulisse, der mich solide bis gut unterhalten konnte. Und es ist frappierend, wie sehr sich die Motive der beiden Heldinnen sowie die Stilmittel der Regie ähneln. Aber es hatte diese harten Brüche, symbolisiert in dem überflüssigen Rollenwechsel mitsamt dem spielerischen Qualitätstverlust sowie der gefühlten Leere. Ghost of Yotei hat auch seine Widersprüche und Probleme, ist in der Stealth-Action schwächer und kann letztlich keine Begeisterung auslösen. Aber es wirkt wie ein poetisch angehauchter Abenteuerfilm aus einem Guss, in dem man vom Winde verweht eine malerische Insel erkundet. Ich mag Atsu als Charakter, das Westernflair und den Wolf, die Geschichten des Erzählers und natürlich diese immer noch wunderbaren Duelle. Unterm Strich wurde ich von Ghost of Yotei gut unterhalten. Nur wünsche ich mir von Sucker Punch, dass sie auf der PlayStation 6 zuerst zum Waschbären zurückkehren, bevor sie einen weiteren Rachegeist beschwören - immerhin hat es seine Maske schon ins Spiel geschafft. (Bilder: Ghost of Yotei, Sony/Sucker Punch, PS5, eigene Aufnahmen )









