Rezension, Teil 2: Baldur's Gate 3 (PS5)
Ich habe kürzlich den dritten Patch auf der PlayStation 5 installiert und sehe vor mir die Stadtmauern von Baldurs Tor. Das ist nach etwa 90 Stunden Spielzeit ein schöner, fast schon wehmütiger Anblick. Allerdings gibt es kein Zurück mehr in alte Gebiete. Und ich bereue ein wenig, dass ich manches nicht erkunden konnte. Mein Ratschlag an alle, die das Abenteuer noch vor sich haben: Lasst euch mehr Zeit. Und sobald ihr eine Tür öffnen wollt, die davor warnt, dass man danach alles andere hinter sich lässt, schaut lieber nochmal in euer Tagebuch oder stöbert in den unerforschten Bereichen der Karte - es lohnt sich.
Die Anziehungskraft steigt
Natürlich hab ich das auch gemacht, aber die Neugier, was da auf der anderen Seite wartet, war einfach stärker. Hinzu kommt, dass ich den düsteren Schrecken der letzten Stunden hinter mir lassen und endlich etwas anderes sehen wollte. Außerdem darf man die Regie nicht vergessen, die angesichts der bedrohten Welt eine immer größere Dringlichkeit aufbaut, endlich Baldurs Tor zu erreichen. Auch die Gefährten mahnen zur Eile, zumal einige ihrer Schicksale eng mit der Stadt verbunden sind. Aber bevor ich weiter dorthin ziehe und mit dem letzten Akt beginne, blicke ich in diesem zweiten Teil der Rezension auf die Erlebnisse zurück, die mich hergeführt haben. Und die hatten es in sich.
Konnte mich die Oberwelt des ersten Aktes nicht begeistern, so steigerte sich der Spielspaß unter Tage in all den Grotten, Katakomben, Labyrinthen und Tempeln. Irgendwann hat man ja in der Hauptquest die Wahl, ob man über den Gebirgspass oder das Unterreich weiter ziehen möchte - und ich kann nur dringend Letzteres empfehlen. Denn schon auf dem Weg dorthin zeigen sich Stärken, die weiter ausgebaut werden, je tiefer man voranschreitet. Man spricht mit Wächterspiegeln, trifft auf legendäre Kreaturen wie Betrachter, wird vom Mondlicht aus Statuen versengt, findet verwaiste Magiertürme, öffnet Geheimwege und mit jeder ausgelösten Falle geht man langsamer voran, während Astarions Geschick als Entschärfer und Schlossknacker immer relevanter wird.
Allerdings ist er viel zu früh so unheimlich gut darin, dass er W20-Proben gegen eine Schwierigkeit von 20, 25 oder sogar 30 aufgrund all seiner Boni und spätestens durch erneutes Würfeln meistern kann. So richtig spannend ist das leider nicht mehr, zumal man ihn in jeder Situation außerhalb eines Kampfes einfach herbeirufen kann, wenn man das Lager öffnet. Diese dynamischen Wechsel in der Vierergruppe sind zwar taktisch hilfreich, aber zehrten irgendwann aufgrund der verpflichtenden Dialoge an den Nerven. Sprich: Man muss jedesmal den Charakter ansprechen, der die Gruppe verlassen soll, hört sich jedesmal dieselbe Enttäuschung an, und muss dann den Ersatz fragen.
Führungs- und Stimmungswechsel
Irgendwann hab ich mir einen direkten Beam gewünscht. In einer Sechsergruppe wäre das natürlich weniger oft notwendig. Aber es spricht natürlich auch für das Level- und Questdesign, dass man immer öfter über die optimale Zusammensetzung der Gruppe nachdenkt. Man kann ja jederzeit in die Rolle eines anderen Charakters schlüpfen, ihn als Anführer markieren und Situationen aus seiner Perspektive erleben. Das kann zu ganz anderen Möglichkeiten in den Dialogen sowie Erkenntnissen und Lösungen führen. Ein Magier hat etwas anderes zu einem nekromantischen Buch zu sagen als ein Druide. Dem fällt wiederum etwas am Verhalten eines Tieres auf. Und nur wer als Dunkelelf mit einem Goblin spricht, kann sich seiner Unterwürfigkeit sicher sein. Das sind tolle Rollenspielmomente, die immer wieder zum Experimentieren einladen.
Es lohnt sich also auch spielerisch, die Führung der Gruppe zu wechseln. Und gerade wenn man in neue Gebiete kommt, kann diese anhand ihrer Werte in Charisma & Co darüber entscheiden, ob man einen Kampf hinauszögern oder verhindern kann. Innerhalb der Multiple-Choice-Dialoge erkennt man bei aktivierten Hinweisen, welche statistischen Boni man beim versuchten Überzeugen oder Einschüchtern aufgrund seiner Fähigkeiten erhalten würde. Sehr schön zu beobachten sind zudem die exklusiven klassentypischen Gesprächsoptionen, denn nur als Hexenmeister konnte ich mir z.B. den Rat des Großen Alten holen, der sich meist in Dialogen anbot, wenn es um uralte oder mächtige Magie ging. Dafür wusste nur Gale die Antwort auf die Frage eines magischen Spiegels, in der es um das versunkene Reich von Nesseril ging.

Wirkte das Abenteuer über viele Stunden noch etwas zu verspielt, so erweiterte es sich jetzt in seinen Möglichkeiten und verdichtete sich in seinen inneren Bezügen. Sprich: Die Welt gewinnt an Herausforderungen und Zusammenhängen, auch wenn die Ziele der Antagonisten nebulös bleiben. Neben den Gedankenschindern taucht nicht nur der Dämon Raphael auf, da ist die Rede von einer Göttin, der so genannten Absoluten, die ihren Kult über Wurmjünger steuert, von ihrem General namens Ketheric und schwarzen Paladinen, die Städte erobern. Außerdem taucht eine mysteriöse Gestalt in Träumen auf, die einen dazu bringen will, die Absolute zu unterwandern und die Macht der Gedankenschinder dafür zu nutzen. Das klingt wenig vertrauenswürdig, aber durchaus verlockend. Immer wieder wird man in Dialogen dazu verführt und kann sogar, falls man die Larven verspeist, dem erwähnten Fähigkeitenbaum folgen.
Aber man kann sich noch keinen Reim darauf machen, wer da eigentlich warum die Strippen zieht, was das eigentliche Ziel ist. Zwar deuten schon die blutroten Tränen des Bhaal im Hauptmenü darauf hin, dass wie schon in BG2 einige der bösen Götter involviert sind, aber es bleibt nebulös. Man fühlt sich von höheren Mächten umzingelt und fragt sich, warum ausgerechnet eine Gruppe unerfahrener Abenteurer mit Wurm im Auge die Welt retten soll? Spätestens an dieser Stelle werden natürlich einige Widersprüche von D&D offenbar, darunter die Diskrepanz zwischen biografischer Erfahrung und aktueller Stufe. Denn auch der erfahrene Zauberer Gale aus Tiefwasser, der so viel erlebt hat, oder die Gladiatorin Karlach, immerhin toughe Leibgardistin einer Teufelin, beginnen bei Level 0. Sie alle durchlaufen quasi spielerisch mit jedem Aufstieg eine Karriere, die sie erzählerisch schon hinter sich haben, und stehen als Weltenretter in einer Verantwortung, obwohl es weitaus mächtigere Gestalten gibt.
Elminster und die Harfner
Und wo ist eigentlich das Gute? Wo sind die ebenso wichtigen wie berühmten Protagonisten der Forgotten Realms? Wo sind die Waldläufer der Harfner, wo ist die Magie von Elminster? Diese Fragen beantworten die Larian Studios endlich gegen Ende des ersten Aktes, indem sie diese Fraktionen einführen. Das hat mich sehr beruhigt, denn bis dahin gab es ein erzählerisches Vakuum, das immerhin in Gestalt des berühmten Zauberers sowie der von der Druidin Jaheira unterstützten Harfner gefüllt wird. Das sind zwei tolle Begegnungen, in denen endlich mal etwas Hoffnung und Unterstützung zu spüren ist. Allerdings gerät auch der berühmte Elminster, eine Art Gandalf von D&D, in arge Erklärungsnöte, als man ihn fragt, warum sich nicht mächtigere Leute um die Rettung der Welt bemühen? Er flüchtet sich in die unergründlichen Wege des Schicksals, bevor er nach einem ernsten Wörtchen mit Gale wieder verschwindet.

Immer mehr Figuren betreten das Schachbrett, neben all den schwarzen endlich auch weiße. Und so steigt die Anziehungskraft dieses Rollenspiels kurz vor Ende des ersten Aktes spürbar, fast parallel zur Erkundung des gefährlichen Unterreichs mit seinen monumentalen Kathedralen, um danach im zweiten Akt und den verfluchten Schattenlanden mit ihrer verwinkelt-verwurzelten Düsternis so richtig anzuziehen. Zwar war das Gasthaus der Harfner eine klitzekleine Enttäuschung, denn hier habe ich etwas mehr Trubel und Leben erwartet. Außerdem wies ein Schild an der Tür zwar darauf hin, dass man keine Waffen tragen dürfe, aber als ich voll ausgerüstet eintrat, interessierte das niemanden. Aber hier, zwischen Blut, Nebel und Todesalben wurde sogar ein Hauch von Bloodborne spürbar, wenn in manch überwucherten Ruinen ein gotisches Horrorflair mit verdrehter Architektur um sich griff. Dann wiederum erkundete man organisch anmutende Fleischkorridore im Stile eines Scorn.
Spätestens hier war die Skepsis hinsichtlich des Artdesigns sowie der Tonalität komplett verflogen. Es war fast so, als würde man atmosphärisch ein neues Spiel erleben. Ich habe das sofort an meinen Sitzungen bemerkt, die immer länger am Stück, teils bis spät in die Nacht liefen. Zwar wurde die Kontraliste sogar länger, was auch in dieser Rezension deutlich wird. Aber es ging fast nur noch um spielmechanische Details oder kleine Steuerungszicken, um das zu überfüllte Inventar und nervige Charakterwechsel, die aber im immer tieferen Spielerlebnis regelrecht versanken. Trotzdem sind das für ein vermeintliches Meisterwerk gar nicht wenige. Also bleibe ich zunächst beim Technischen und Offensichtlichen, bevor ich weiter auf den Stimmungswechsel eingehe.
Kontrapunkte und Ärgernisse
Denn das Spiel ist mir bis kurz vor der Veröffentlichung des dritten Patches mehrfach abgestürzt, sowohl beim eigenen Markieren der Karte als auch mitten im Abenteuer. Außerdem gab es sporadisch späteres Nachladen von Texturen sowie Bildratenprobleme und kleinere Glitches. Zwar hatte ich keinen fatalen Bug, der ein Weiterspielen verhinderte, aber auch bei einer Quest in einem Tempel war einer von mehreren Lösungswegen anscheinend versperrt. Dieses BG3 ist also trotz vieler Jahre im Early Access leider mit sehr vielen Fehlern und technisch nicht sauber veröffentlicht worden; schon der zweite Patch behob ja an die 300 Bugs.
Allerdings haben die Larian Studios sehr zügig nachgeliefert und der Zustand auf der PS5 ist bei weitem nicht vergleichbar mit jenem von Cyberpunk 2077 anno 2020 auf den alten Konsolen. Man erlebt ein ansehnliches Abenteuer, das weitgehend ohne Abstriche läuft, wobei man sich zwischen einem Grafik- und Leistungsmodus mit besserer Bildrate entscheiden kann. Zwar lief es auch mit Letzterer nicht immer flüssig und ich bin gespannt, wie das in Baldurs Tor aussieht. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass ein Computer-Rollenspiel (CRPG) wie dieses, mit einer Gruppe von Gefährten, mit multiplen Lösungen sowie physikalischer Spielwelt, dazu kooperativem Abenteuer für bis zu vier Leute, eines der komplexesten Genre ist, dem man sich als Entwickler widmen kann.
Solide Konsolensteuerung
Auch die wichtige Steuerung auf der Konsole ist zwar nicht perfekt, aber unterm Strich solide. Das Gamepad ist natürlich komplett belegt und man muss sich an all die Funktionen erstmal gewöhnen. Sehr angenehm ist der stufenweise Wechsel der Perspektive über den Analogstick, von einer nahen in eine entferntere Schultersicht, bevor man die klassische Draufsicht von oben aktivieren kann. In manch ausufernden Kämpfen, vor allem mit Höhenunterschieden, hätte ich mir allerdings einen noch weiteren Zoom hinaus gewünscht. Und es gibt so einiges an Gefummel, wenn man etwa ein kleines Scharnier einer Lampenaufhängung anvisieren will, um diese per Schuss von der Decke jagen zu lassen, damit ihr Feuer das Öl am Boden entfacht und den Oger grillt.

Wenn die manuelle Fixierung nicht sofort klappt, hilft in friedlichen Situationen das Scannen des lokalen Bereichs über das Halten der x-Taste, denn so werden alle möglichen Interaktionen in einem Radius gelb markiert, so dass man einzelne Elemente direkt im Menü auswählen kann. In einer Rätselsituation konnte ich übrigens nur auf diese Art die nötige Aktion einleiten, weil das manuelle Auswählen partout nicht funktionierte - das war sehr ärgerlich. Sprich: Man wird immer wieder mal mit der Steuerung zu kämpfen haben. Die Spielwelt ist ja prall gefüllt mit Gegenständen und Elementen, die verschiedene Zustände haben und wechseln können - von der Kerze, die man entzünden, bis zur Wasseroberfläche, die man elektrisieren oder vereisen kann. Es lohnt sich fast immer, die Gegend genau zu studieren. Was mich wunderte, war angesichts dieser Fülle an Möglichkeiten die geringe Zahl an Ratschlägen in den Ladephasen, die sich recht schnell wiederholten.
Nur rudimentäres Baukastenflair
Das Hantieren mit und optionale Drehen von Objekten innerhalb der Spielwelt wirkt zudem etwas bemüht und fast überflüssig, nicht nur wenn man gerade den magischen Baukasten eines Zeldas erfahren hat. Aber bis man das Stapeln von Kisten für das Errichten einer Plattform oder anderswo tatsächlich mal braucht, oder es endlich mal in Rätseln relevant ist, wenn man z.B. mehrere Kerzen am Boden platzieren kann, vergeht zu viel Zeit. Aufgrund der Seltenheit dieser Interaktionen wirken sie hier wie ein stiefmütterlich integriertes Überbleibsel aus Divinity: Original Sin 2, wo man quasi ständig damit zu tun hatte und der Spielspaß direkt von diesen regelmäßigen Experimenten im Raum profitierte.
Und es ist zwar löblich, dass man nahezu alles als 3D-Objekt im Inventar näher betrachten kann, vom Apfel bis zum Buch, vom Schlüssel bis zum Pilz. Allerdings wirkt diese Ansicht en detail nicht immer besonders hübsch und reiht sich damit ein in die ästhetischen Defizite der nicht illustrierten Bücher. Richtig schade ist allerdings, dass es für mich im ersten und zweiten Akt noch nichts Tolles zu entdecken gab, wenn ich hier die Lupe ansetzte, also kein geheimes Fach oder eine Art von Inventarrätsel. Bei einem Messingmedaillon war sogar zu lesen, dass man es mit einem Fingerschnipsen öffnen könne, aber genau das war leider nicht möglich. Ich erwarte hier kein The Room, aber etwas mehr Spielerei im Inventar wäre schön gewesen. Das Menüdesign dort ist ohnehin recht kleinteilig und tabellarisch, was natürlich der Masse an Gegenständen geschuldet ist, die man in zig Kategorien filtern kann. Schön ist übrigens, dass man die Tooltips schnell deaktivieren kann. Trotzdem war es irgendwann fast unüberschaubar, denn man findet einfach so viel, dass ich mir fast eine automatische Ausrüstungsfunktion wie in God of War: Ragnarök gewünscht habe.

Immerhin geben einige Texte, vor allem in Büchern, durchaus relevante Hinweise auf Tränke, Rätsel oder Feinde. Apropos: Diese wurden in der Direktansicht wiederum ansehnlich visualisiert und dort findet man auch die wichtigen Hinweise auf ihre Schwächen bzw. Widerstände. Allerdings dürfte Rollenspieler durchaus stören, dass man sofort alle Fakten erkennt, egal ob man das erste Mal ein Monster oder gar einen Boss trifft. Diese Sofortübersicht ist natürlich hilfreich, denn man weiß, dass Feuer oder Gift nichts bringen werden. Aber sie entzaubert natürlich auch ein wenig die Erkundung. Mir gefällt es besser, wenn man sich diese Erkenntnisse schrittweise über aktives Kämpfen, Dialoge oder Buchlektüre aneignen muss, so wie das in Pillars of Eternity gehandhabt wurde.
Auf den Spuren des Dungeon-Crawlers
Aber diese Schwächen wurden nicht nur über starke visuelle Eindrücke, sondern auch spannende Verwicklungen, markante Antagonisten sowie das so wichtige Abenteuer-Gefühl kompensiert, das durch Geheimgänge, Fallen und Rätsel entsteht. Spätestens als ich über die Aktivierung von Schaltern grübelte, vor einem Abgrund eine kleine Karte zeichnete, über die korrekte Reihenfolge von Strophen vor einer Statue nachdachte, mit Ratten sprechen wollte oder einfach nur prüfte, ob ich genug Fackeln dabei habe, hatte mich dieses Rollenspiel so richtig gepackt. Denn neben der lebendigen Party-Interaktion knüpfte es damit an eine weitere, noch ältere Tradition an, mit der spielhistorisch betrachtet nahezu alles begann, was dieses Genre so auszeichnet: an den Dungeon-Crawler. Und in diesem wichtigen Bereich überholt man Dragon Age: Origins sowie viele andere moderne Computer-Rollenspiele der letzten zehn Jahre.
Man konnte ihn in seiner puren Form zwar in nostalgischen Neuinterpretationen wie Legend of Grimrock (2012, 2014) erleben, die ich übrigens beide sehr schätze, aber dieser Aspekt wurde eher vernachlässigt. Umso mehr freut es mich, dass ich mich in diesem BG3 stellenweise an die tödliche Atmosphäre aus The Temple of Elemental Evil erinnert fühlte. Das war ein Computer-Rollenspiel (CRPG), das 2003 von Troika Games auf Grundlage eines bekannten D&D-Moduls aus dem Greyhawk-Universum entwickelt wurde. Das PC-Spiel selbst war sehr verbuggt und letztlich solide, weit weg von der Anziehungskraft eines Arcanum, dem Steampunk-Rollenspiel, das zwei Jahre zuvor von Tim Cain und Leonard Boyarski designt wurde. Doch das analoge Vorbild wurde 1985 von Gary Gygax höchstselbst designt und taucht nicht selten unter den besten Dungeons aller Zeiten auf.
Im Schatten eines vergessenen Berges
Und genau an dieser Stelle ist eine weitere Verbindung zwischen BG3 und der Pen&Paper-Geschichte interessant, denn ein gewisser Lawrence Schick wurde von den Larian Studios als "Expert Writer" engagiert. Seine Mitwirkung meine ich am Ende des ersten und vor allem im zweiten Akt zu spüren. Er hat ja nicht nur viele Jahre für Bethesdas The Elder Scrolls Online geschrieben, sondern als junger Autor ebenfalls einen Dungeon entworfen, der ihm 1979 sofort einen Job bei TSR einbrachte. Der hieß Berg der Weißen Feder (White Plume Mountain) und war ebenfalls in der Greyhawk-Welt zu finden, für die er noch gemeinsam mit Gygax schrieb; falls euch das interessiert, findet ihr hier eine Erkundung dazu.

Dieses Abenteuer wurde meines Wissens nie ins Deutsche übersetzt, obwohl es laut einiger Rezensionen zu den besten seiner Art gehört. Es ging nicht nur um Kampf und Fallen, sondern um clevere Rätsel und Teamwork angesichts vielfältiger Probleme zwischen glutheißer Lava oder Räumen in totaler Dunkelheit. Das mythologisch Interessante war zudem ein Trio aus magischen Artefakten. Was ich damals übrigens noch nicht erkannte, war der lange Schatten von Michael Moorcocks Elric, der in einer schwarzen Klinge mit ihren Runen und tragischen Macht sichtbar wurde. Aber warum ist das für BG3 relevant?
Weil hier ähnliche Elemente und Herausforderungen wie in diesen klassischen Dungeons auftauchen, weil man auch magisch mit Licht und Dunkel spielen sowie Teamwork abseits des Kämpferischen benötigt. Wenn man z.B. die Katakomben der Dunkelzwerge erforscht, die sich als sklavenhalterische Tyrannen in einer weit älteren Anlage eingenistet haben, wird man die Geheimnisse des monumentalen Labyrinths nur lüften, wenn man seine Gruppe auch mal trennt und auf subtile Hinweise achtet. Man bewegt sich durch eine Art labyrinthisches Moria mit riesigen Hallen und Schienen sowie beweglichen Plattformen, die man von getrennten Orten aktivieren kann.
In den Tempeln des Bösen
Und während man durch diese Hallen schleicht, begegnet einem Tod und Verderben auf unheimlich ruhige Art, während man gleichzeitig geheime Wege und Rätsel findet. Außerdem wird über all die Leichen der Priester, die weder zu den versklavten Tiefengnomen noch zu den Herren der Dunkelzwerge gehören, eine weitere Geschichte erzählt. Denn wie Zwerge nunmal so sind, graben und schürfen sie in ihrer Gier immer tiefer. Und wie Rollenspieler nunmal so sind, würfeln sie sich Hals über Kopf immer weiter in genau diese Abgründe, während sich das Abenteuer wie ein Kaninchenbau verzweigt und die Stunden so schnell verrinnen, dass einen manchmal nur das Miauen der Katzen aus diesem Strom des Zeitvertreibs rettet.
Noch deutlicher werden die Bezüge zu Dungeons der Pen&Paper-Tradition im Tempel der Göttin Shar, wo es spezielle Prüfungen in Räumen zu meistern, eine stille Bibliothek zu entdecken und Artefakte wie einen Speer zu finden gilt, während man die ganze Zeit über ein Nachtlied und dessen Bedeutung nachdenkt. Spätestens hier kommt auch Ordnung ins dämonische Chaos, wenn man mit Schattenherz und Karlach über die Shar und ihre Rolle als böser Spiegel der Mondgöttin spricht. Außerdem erlebt man hier auf eindringliche Art, wie sich Schattenherz im Angesicht ihrer Göttin verändert, wie sie immer mehr zu einem fanatischen Zombie zu werden droht und einige Gefährten regelrecht Angst bekommen.

Je nachdem wer in diesen Situationen in der Gruppe ist, erlebt man tolle Momente, in denen es vor Anspannung knistert. Und je nachdem wie man das löst, denn nahezu alles bis hin zur kompletten Tragik und bösartigen Opferung ist möglich, verändert sich die Stimmung. Die Gruppe mit diesen exzentrischen Charakteren, die alle ihre eigenen, meist sogar tödlichen Probleme haben, kann in diesen Situationen aber auch so zusammenwachsen, dass man sich gegenseitig aufbaut und im Lager sogar Mitgefühl für die Probleme der anderen zeigt.
Freiheit im Angesicht der Feinde
Der Tempel der Shar war für mich auch deshalb ein atmosphärischer Höhepunkt des zweiten Aktes, weil ich mehrere Tage dort umher irrte und die Regie einfach mal drei Antagonisten auf erzählerisch tolle Art inszeniert und verbindet: Vor dem Abstieg wird man noch von Raphael gewarnt, dass dort ein alter, überaus teuflischer Feind wartet, den man bitte sofort töten soll. Dass dieser zunächst so allmächtig wirkende Teufel selbst Angst hat, ist eine neue Erfahrung. Also ist man natürlich neugierig, was es damit auf sich hat. Gleichzeitig entdeckt man mit Balthazar einen weiteren Schergen, der mit seinen nekromantischen Körperexperimenten auch Resident Evil gut zu Gesicht stehen würde.
An dieser Stelle muss ich die Qualität der Charakterzeichnung und der Dialoge auch deshalb ausdrücklich loben, weil sie sich komplett auf das auswirken, was man in diesem Tempel erlebt und wie man die Herausforderungen meistern kann. Es ist gibt natürlich den direkten Kampf, der gegen diese beiden Herrschaften und ihre Entourage allerdings sehr anspruchsvoll ist. Aber man kann sich Hilfe verschaffen oder beide schwächen, man kann Schwachstellen in der Argumentation finden und sogar versuchen, manche Probleme komplett rhetorisch bzw. über Würfelproben zu lösen.

Auch in den Schattenlanden hält die Regie daran fest, so dass man große Gefechte vermeiden oder sich ins tödliche Chaos stürzen kann. Es bleibt zwar dabei, dass man kein Gefühl für die Region als alltägliche Welt bekommt, dass man zwar von Eroberungen und Städten wie Reithwin hört, aber diese erst nach ihrer Zerstörung erkundet und nicht wirklich erlebt oder territorial einordnen kann. Dafür gibt es immer mehr kleine Geschichten, die für erzählerische Dichte sorgen, darunter sowohl persönlich tragische Liebesgeschichten als auch politische Überraschungen, wie etwa die Erzählung über einen Prinzen der Githyanki, die wiederum Lae'zels Weltbild widerspricht.
So werden diese exotischen Forgotten Realms etwas greifbarer, zumal auch das eigene Lager ständig wächst. Recht früh hat man dort nicht nur Kampfgefährten, sondern auch einen Besucher namens Lazarus, einen Hund namens Kratzer sowie andere, die man evtl. eingeladen oder gerettet hat. Die unterhalten sich sogar, was teilweise köstlich ist, selbst wenn diese Dialoge irgendwann in Endlosschleife laufen. Auch so manche potenziell tödlicher Konflikt wie jener zwischen Wyll und Karlach kann evtl. zu früh entschärft werden und auch die Anspannung rund um Astarion, der nachts als Vampir umher schleicht und eine Gefahr für alle anderen darstellt, verliert sich irgendwann. Vielleicht lag das auch an der Art und Weise, wie ich mit ihm interagiert habe. Aber die besondere Stärke dieses CRPG liegt in dieser enormen Freiheit, wie man mit Konflikten innerhalb der Party sowie der Welt umgeht, die ich in dieser Form in den letzten Jahren nicht erlebt habe.
Arkane Gleichmacherei
Die Charakterentwicklung ist unterhaltsam, gefällt mir allerdings nicht besonders gut. Ich hatte die relative Gleichmacherei schon angesprochen, da jeder bis hin zum Barbaren irgendwie zaubern kann, sei es über magische Ausrüstung oder genutzte Schriftrollen. Von Letzteren findet man auch so viele, dass man Feuerbälle, Unsichtbarkeit, Schneestürme & Co immer irgendwo zur Hand hat. Das entwertet leider die Klassen, die sich komplett auf Magie spezialisieren und vielleicht habe ich deshalb z.B. Gale so selten in der Gruppe gehabt.
Ähnlich gleich verhält es sich bei der Auswahl spezieller Talente, die man ab gewissen Stufen aktivieren kann, darunter z.B. die Funktion des Wächters, der automatisch angreift, wenn ein Feind sich nähert, diverse magische Starterpakete oder Rüstungstalente, um schwere Plattenpanzer tragen zu können, oder einfach nur die Erhöung von Attributen. Hier greifen alle auf denselben Pool zurück, was natürlich sehr flexible Charaktervarianten ermöglicht, aber mir wäre eine exklusive Spezialisierung mit klassenspezifischen Fähigkeitenbäumen lieber gewesen. Natürlich mussten sich die Larian Studios an diese 5. Edition halten und das machen sie letztlich ausgesprochen vorbildlich.

Andererseits gibt es einen gewissen Punkt ab dem zweiten Akt, ab dem z.B. die Klerikerin Schattenherz, aber auch der Druide Halsin sehr nützlich sind, weil man es dort vor allem mit Untoten zu tun hat. Der gleißende Schaden oder das klassische Vertreiben von Untoten ist dann unheimlich effizient. Und selbst wenn jeder irgendwann etwas zaubern kann, wird es immer wichtiger, dass man seine Sprüche nicht nur an die Widerstände der Feinde anpasst, sondern dass man sie gerade gegen Horden so kombiniert, dass man Gruppen verlangsamt und dann Bereiche trifft. Man wird nur über die Wahl des maximalen Schadens in einigen Gefechten nicht weit kommen. Soll heißen: Der Anspruch wächst parallel mit dem arkanen Repertoire. Das gipfelt in regelrechten Arena- und Bosskämpfen, bei denen man von zwei oder drei Seiten bedrängt wird. Und als man ein Dimensionstor wie in einer Tower Defense gegen die Zeit halten sollte, während immer mehr Schatten und Untote heran schlurfen, hab ich mehrere Versuche und Herangehensweisen gebraucht.
Taktisches Tüfteln
Gerade dieses taktische Tüfteln macht ab dem zweiten Akt so richtig Spaß. Die Freiheit ist auch hier ein großer Motivationsfaktor, denn man kann Feinde auf viele Arten besiegen. Man kann z.B. das Gelände nutzen und Wasser unter Strom setzen oder Feuerschalen von der Decke schießen. Man kann seine Gruppe trennen und ein oder zwei mit guten Fernkampfwaffen oder Distanzmagie ins Gebälk schicken, wo sie mit einem spürbaren Höhenvorteil schießen, während die anderen einen schmalen Eingang halten, indem vorne die Barbarin einen Trank einschmeißt und dahinter jemand mit Schmieren oder Netzen dafür sorgt, dass heran stürmende Feinde ausrutschen oder festgeklebt werden. Natürlich klappt das dann manchmal nicht wie gewünscht, wenn die Rettungswürfe entsprechend fallen oder die KI überraschend clever agiert: Als Astarion per Nebelschritt auf einen Balkengang sprang, um später von hoch oben aus dem Schatten anzugreifen, eilte ihm ein Dunkelelf hinterher und schubste ihn tatsächlich runter. Überhaupt sollte man die Gegner nicht unterschätzen, gerade nicht jene, die einen Namen tragen oder in der Story relevant sind, denn sie nutzen Magie sehr effizient.
Bei der Positionierung der Sprünge kann die Kamera allerdings mal wild hin und her jagen. Zwar mag ich die Integration dieser superheldenähnlichen Akrobatik nicht. Außerdem nervt es, wenn klar sichtbare und freie Plätze weder durch den klassischen Sprung noch durch Magie erreicht werden können. Die Meldung, dass ein Zielpunkt nicht erreichbar ist, hat mich schon einige Nerven in Kampf und Erkundung gekostet. Aber auch hier folgt Larian letztlich den akrobatischen Möglichkeiten des Regelwerks und mit der Zeit kann man so ganze Abgründe überqueren, was in einigen Dungeons zu neuen Bereichen führt.

Es ist natürlich schade, dass man nur vier Gefährten steuert. Aber auch mit diesem Quartett kann man wie ein Kommando mit Spezialfähigkeiten agieren. Dabei hilft auch Teamwork untereinander, denn gerade simpel anmutende Manöver wie das erwähnte Wegstoßen oder auch Angriffe mit Nebenwirkung wie betäubt oder liegend eröffnen benachbart stehenden Helden fatale Angriffe bis hin zur hinterhältigen Attacke mit immensem Schaden. Und diese Aktionen werden sehr ansehnlich animiert, von wuchtigen Hieben über das Abfangen von Geschossen bis hin zu den eleganten Konterzaubern: es rummst, es kracht und zischt. Auch wenn mir das duale Schadensprinzip von D&D ebensowenig gefällt wie die magische Verallgemeinerung, haben mich die Gefechte sehr gut unterhalten.
Aktuell, kurz vor Baldurs Tor, bereue ich die Berufswahl allerdings klein wenig, denn erstens habe ich Wyll selten dabei, der ja auch Hexer ist. Zweitens ist der arkane Fernkampf bisher recht eindimensional, und drittens kann der Hexer seine kleinen Kreaturen, wie die beschworenen Katzen oder Ratten, nicht in die kleinen Löcher schicken, die als Abkürzungen recht oft am Boden oder in Felswänden sichtbar werden. Es kann also sein, dass ich doch noch auf zwei Krummsäbel und den Weg des Assassinen wechsle. Auf jeden Fall freue ich mich auf die Metropole.
Im dritten und letzten Teil der Rezension wird es vor allem um zwei Fragen gehen: Wie inszenieren die Larian Studios die große Metropole? Und wie führen sie die erzählerischen Fäden zusammen? Die Antworten darauf sind natürlich entscheidend für die finale Einschätzung. Ich bin sehr gespannt, was mich hinter den Stadtmauern erwartet.