Rezension: The Alters (PC, PS5, XBS)
- Jörg Luibl

- 16. Juni
- 12 Min. Lesezeit
Die 11 Bit Studios haben einen beachtlichen Weg hinter sich, der meist einen kreativen Schritt weiter führte. Schon als sie mit Anomaly: Warzone Earth im Jahr 2011 debütierten, bewiesen sie innovatives Gespür, drehten die Tower Defense um und heraus kam Tower Offense. International bekannt wurden sie 2014 mit This War of Mine, das die Fratze des Krieges samt all ihrer Narben auf einen Spieler projizierte, der um eine Gruppe Überlebender und sein Gewissen kämpfte. Dieser narrativen Survival-Strategie mit moralischen Konflikten folgten sie 2018 in Frostpunk, aber in größerer Dimension mit dem Aufbau einer Stadt, der letztes Jahr überzeugend samt Diplomatiesystem fortgesetzt wurde (siehe Breitseite #15) - und der aktuell für PS5 in Entwicklung ist. Um das Überleben, Rohstoffe sowie Infrastruktur geht es auch in The Alters. Doch die Polen wagen sich damit erneut in die nächste Dimension, in der Fallout Shelter, Die Sims und Mass Effect grüßen lassen.
Kreativer Schub
Das mag übertrieben klingen, aber im Kontext der Geschichte dieses Studios sowie der Herausforderungen für das Spieldesign ist The Alters ein großer Schritt. Und als ich das erste Mal die Basis in Form eines leuchtenden Riesenrades sah, musste ich anerkennend nicken - das ist mal ein imposantes futuristisches Bauwerk, das schon aus der Ferne strahlt und mich so manches Mal nach Hause gelotst hat. Denn das über drei Akte und knapp 25 Stunden laufende Abenteuer von Jan Dolski spielt nicht nur im Weltraum auf einem fremden Planeten, sondern man erkundet ihn nach der Bruchlandung wie in einem ausgewachsenen Action-Adventure.
Zwar hat man die erwähnte Basis, die mit ihrem Querschnitt an die Bunkerwelt von Fallout Shelter sowie die bescheidenen 2,5D-Anfänge von This War of Mine erinnert. Dort kann man von der Werkstatt über den Fitnessraum bis zum Gewächshaus zig Räume als modulare Container errichten, sie mit Fahrstühlen verbinden und aktiv in seitlicher Perspektive herumlaufen. So weit, so gewöhnlich.

Doch sobald man die Luftschleuse in seinem Raumanzug verlässt, durchstreift man in voller Schultersicht eine lebensfeindliche Wildnis, mit hoher Strahlung in der Nacht, muss dabei auf seine Energie sowie Batterieleistung achten. Und ich fühlte mich sowohl bei manchen Elementen des Artdesigns, wie etwa dem Regal mit Ausrüstung, als auch in der Wildnis ein klein wenig an Death Stranding erinnert. Zumal es im weitesten Sinne ebenfalls darum geht, Verbindungen zu anderen Menschen zu schaffen und Material effizient von A nach B zu transportieren. Aber Jan Dolski ist weder ein Bote noch muss er einen Rucksack turmhoch beladen.
Die körperliche Präsenz von Sam Porter Bridges oder die außergewöhnliche landschaftliche Anziehungskraft von Death Stranding erreicht man ohnehin nicht. Aber die von der Unreal Engine 5 inszenierte außerirdische Umgebung kann sich mit unwirklichen Stränden und schroffen Gebirgen, dampfenden Rauchschwaden sowie Lichtverzerrungen sehen lassen. Dahinter verbirgt sich keine offene Welt, sondern jeweils ein verwinkeltes Areal mit mehreren Zonen, diversen Hindernissen und Gefahren. Diese Erkundung samt Akrobatik und Rohstoffabbau, auf die ich später genauer eingehe, ist jedoch nur ein Teil des kreativen Schubs.
Kammerspiel im Weltraum
Der zweite Teil entsteht durch eine Crew, die bei sehr guter englischer Sprachausgabe und deutschen Texten für ein amüsantes Kammerspiel mit reichlich Anekdoten und Konfliktpotenzial sorgt - vom Besäufnis beim Bier-Pong über die Krisensitzung mit Abstimmung bis zur offenen Revolte. Und mit dieser Integration eigenwilliger Charaktere, die nicht nur robotische Befehlsempfänger, sondern alternative Varianten von Jan Dolskis Persönlichkeit sind, düsen die 11 Bit Studios in eine neue Dimension, in der sich Die Sims und Mass Effect zuzwinkern. Denn als er auf einem Planeten abstürzt und als einziger der Firmencrew überlebt, bleibt ihm nach dem Fund der menschenleeren Basis nichts anderes übrig, als mit Hilfe eines außerirdischen Rohstoffs namens Rapidium eine neue Mannschaft aus seinen Genen zu klonen.

Eigentlich will er das nicht, nachdem er in einem ersten Experiment am Quantencomputer ein Schaf namens Dolly erschafft. Aber die Bergbaufirma drängt ihn per Funk dazu. Er hat bei ihr auf der Erde mehrere Ansprechpartner, darunter den dubiosen Firmenchef, dessen Assistenten sowie seine Ex-Frau Lena, die dort arbeitet. Allerdings muss er auf Anrufe von außen warten, die dann mit neuen Aufträgen und Erkenntnissen eine Story vorantreiben, in der es auch um Ausbeutung sowie die Grenzen und Hybris der Menschheit geht.
Diese Gespräche bilden den Rahmen für die rätselhaften Hintergründe dieser Expedition sowie Jans belastete Beziehung zu Lena. Sie erreichen nicht die erzählerische Qualität narrativer Abenteuer wie etwa Under the Waves, wo es wunderbar natürliche Dialoge in einer ähnlichen Situation gab - nur war der Held dort allein in einer Unterwasserstation. Aber in den Gesprächen kann man unterschiedlich reagieren, sich empören oder misstrauisch nachfragen, dem Chef wütend Paroli bieten und sogar seine Ex-Frau gegen die Firma aufstacheln.
Inwiefern sich dieses Verhalten auswirkt, zeigt sich - wenn überhaupt - erst später. Und es führt letztlich kein Weg an dieser Kooperation sowie den relevanten Entwicklungen der Story vorbei. Zumal die Zeit drängt, jeder Tag ist kostbar, denn die Sonne droht alles um Jan herum zu verbrennen.
Gott spielen
Also spielt Jan quasi Gott an der Gebärmutter und erschafft Menschen. Sie sehen rein körperlich, bis auf die Frisur und manche Gesichtszüge, exakt so aus wie er - es gibt also keine korpulenteren oder größere Erscheinungen. Nur sind das keine Kopien, sondern Varianten seiner selbst. Sie haben an bestimmten Punkten des Lebens eine andere Entscheidung getroffen und sich deshalb anders entwickelt - der eine wurde Arzt, der andere Wachmann oder Botaniker.

Es gibt insgesamt zehn dieser Alters mit unterschiedlichen Berufen und Fähigkeiten, etwa mehr Tempo bei Reparaturen oder dem Abbau von Metallen, und für manche wie den Wissenschaftler gibt es exklusive Räume wie das Labor, die nur sie nutzen können. Wobei man sie nicht ganz frei wählen und in einem Durchlauf gerade mal eine Hand voll kennen lernen kann. Während man den Techniker und Wissenschaftler z.B. recht früh erschaffen kann, muss man für den Arzt erst eine höhere Stufe erreichen. Manche andere tauchen zwar erst nach einer bestimmten Spielweise auf. Aber das ist kein Sandkasten und wenn man einen neuen Durchlauf beginnt, erlebt man so einige Wiederholungen und festgelegte Ereignisse, um die man nicht herum kommt.
Am Quantencomputer kann man sehr schön seinen Lebensweg von der Geburt über die Kindheit und das Erwachsensein bis zur Gegenwart verfolgen, mit kleinen Beschreibungen der jeweiligen Situation und Konflikte - das ist eine Art biographisches Bilderbuch mit Abzweigungen. Während der originale Jan sich z.B. nicht getraut hat, seinem dominanten Vater die Stirn zu bieten, hatte der spätere Techniker den Mut, ihn rauszuwerfen, um seine Mutter zu beschützen. All das wird dann in den Dialogen überaus kontrovers mit einigen schmerzhaften Vorwürfen ausdiskutiert. Gibt man gegenüber seinem tougheren Ich zu, dass man damals feige und egoistisch war?
Eine schrecklich nette Familie
Schon wenn die Alters aufwachen, sind sie zwar alle irritiert, aber reagieren etwas anders auf Jan und ihre Umgebung - an dieser Stelle macht die Regie durchaus gute Arbeit. Und sofort kommen reichlich Emotionen ins Spiel, die sofort in Form gelber oder roter Wolken samt Bezeichnung wie "weniger Angst", "mehr Frustration" oder "Trübsal" visualisiert werden. Der Gefühlszustand reicht von positiven bis negativen Aspekten wie Motivation oder Spaß bis Belastung und Rebellion, die sich jeweils dynamisch ändern.

Recht schnell wird aufgrund dieser eingeblendeten Belohnungssignale allerdings klar, dass man sich in den Gesprächen auf ihre Persönlichkeiten einstellen und in seinen Antworten anpassen muss - was zu einer recht opportunistischen Spielweise führen kann, wenn man Everybody's Darling sein will. Zwar versetzt man sich damit durchaus in sein Gegenüber, aber eher um dieses psychologische Minispiel zu gewinnen und nicht auf dem natürlichen kommunikativen Weg eines Rollenspielers, der seinem Charakter treu bleibt. Man kann das dennoch machen, aber das Spiel fordert und belohnt eher die flexible Anpassung.
Es ist nicht all zu schwer, aber durchaus amüsant, den Code der anderen Gemüter zu hacken, um in den Multiple-Chopice-Dialogen die optimale Antwort zu geben. Hier wirken Situationen und Charaktere manchmal etwas holzschnittartig, weil die Regie gewisse Szenen erzwingen muss und dabei auf recht knapp geschnittene Diskussionen setzt. Das kann man nicht mit den Texten aus Beziehungen eines Baldur's Gate 3 vergleichen, zumal Jan manchmal nur unpassend formulierte Fragen stellen kann. Aber sie leben von der Vielfalt und dem psychologischen Puzzleflair.
Während der auf Effizienz fixierte Wissenschaftler die direkte und schonungslose Art der Kommunikation mag, kommt Tacheles reden bei anderen schlechter an. Als ich dem Botaniker sage, dass er eine Kopie ist und Lena nicht seine, sondern meine Frau ist, verdüstert sich sofort die Stimmung. Und wie bei Die Sims unterscheiden sich die Bedürfnisse in dieser schrecklich netten Familie ebenfalls, denn der Techniker spielt gerne Bier-Pong und der Raffinerie-Arbeiter hätte gerne Hanteln. Der eine ist fleißig und motiviert, der andere faul und erfindet immer mehr Ausreden. Und was ist eigentlich mit dem depressiven Arzt, hat er ein Trauma hinter sich?

Die Biographien der Alters sind sehr gut ausgearbeitet, werden aktiv im Quantencomputer weiter geschrieben und leben natürlich von den Verbindungen zum Helden. Während der spätere Wissenschaftler die Ex-Frau von Jan gar nicht erst kennenlernte, weil er nur seine Karriere im Sinn hatte, hat der spätere Botaniker wie erwähnt eine sehr starke Bindung und einen wesentlich verständnisvolleren Zugang zu Lena als Jan selbst. Wenn man in seiner Gegenwart irgendwie negativ über sie redet, wird er sauer.
Und er fordert quasi ein, dass er mit ihr per Funk sprechen kann. Das geht nicht nur so weit, dass es zu Eifersucht kommt, sondern dass es anderen Alters auffällt, die ihn als liebestollen Pavian bezeichnen - es gibt so einige amüsante Zickereien untereinander. Und trotz der kritisierten Oberflächlichkeit mancher Gespräche gibt es durchaus Überraschungen. Falls man z.B. auf diesen Jan zugeht und auf seine Ratschläge bezüglich Lena hört, kann man an Erkenntnis gewinnen - dieser Erfolg wird "Vertrauen erlernt!" genannt und ermöglicht z.B. neue Dialogoptionen für die eigenen Gespräche mit Lena; so gewinnt man über die Verbindungen quasi neue Fähigkeiten und lernt etwas über seine eigenen Defizite.

Auf die wird man auch von den anderen aufmerksam gemacht: Hält man sein Versprechen und baut einen Fitnessraum? Gibt es genug Mahlzeiten? Hat man für genug Strahlungsfilter gesorgt? Man kann sich in einem Ereignisprotokoll genauer anschauen, welche Aktionen wie etwa ein Filmabend, Geschenke oder neue Räume sie wie stark beeinflusst haben. Außerdem sieht man in den Charakterdaten, wie es um ihre Gesundheit in den drei Bereichen Verletzungen, Strahlung sowie Nahrung geht. Denn nicht nur die Psyche ist relevant.
Wir müssen reden
Dieses Babysitting wird immer wichtiger, je mehr Leute an Bord sind und je mehr man zwischen Wirtschaft, Forschung sowie deren Bedürfnissen abwägen muss. Und all das kann so richtig eskalieren, wenn es zu Strahlungsstürmen kommt und Überschichten aufgrund von Systemausfällen und Reparaturen notwendig sind. Man fühlt sich bald wie in einem futuristischen Theaterstück, bei dem man unter Zeitdruck ständig zum Handeln und Reden aufgefordert wird. Das ist gerade in den ersten Stunden, wenn man einen oder zwei Alters erschaffen hat, überaus interessant.
Aber spätestens wenn man zu viert oder fünft im Raumschiff aufeinander hockt, beginnt das aus den Lautsprechern mahnende "We need to talk" durchaus zu nerven. Denn man ist vielleicht gerade dabei, in der Werkstatt die wichtigen Brückenpfeiler herzustellen oder will unbedingt noch diese Pflanzen ernten, aber darf diese Anfragen nicht einfach ignorieren. Das Spiel vermittelt recht gut den Stress, wenn man sich um alles und jeden kümmern muss.

Zumal man von den anderen Alters als Anführer betrachtet wird, der für deren Sicherheit und Zukunft verantwortlich ist. Das wird in den ernsteren Meetings deutlich, wenn sich alle über ein Thema streiten und von Jan eine Entscheidung verlangen - da fühlt man sich ein wenig an Commander Shephard erinnert: Soll man z.B. das tote Schaf obduzieren und die Todesursache klären oder es begraben? Und falls ja, hier auf dem Raumschiff verbrennen oder bis zur Erde konservieren?
Diese Konflikte werden immer ernster und man kann es natürlich nicht allen recht machen. Außerdem sind die Alters einem nicht blind ergeben, sondern stellen die Kompetenz in Frage, wenn z.B. wichtige Rohstoffe oder Mahlzeiten fehlen und Räume nicht mehr funktionieren. Man bekommt dann mit, wie sie über einen lästern, langsam an der Autorität zweifeln und Gespräche verweigern. Plötzlich gibt es Tumulte, die an eine Meuterei erinnern: Reagiert man mit Härte oder Verständnis? Daher ist man manchmal einfach nur froh, wenn man in seinen Raumanzug schlüpfen und per Luftschleuse in die Wildnis des Planeten entfliehen kann, um ihn zu erkunden.
Zurück zur Erkundung
Dabei kann man in abgestürzten Rettungskapseln auch Souvenirs finden, die als Geschenke für die Alters ihre Stimmung heben, darunter sogar Filme, die man gemeinsam im Freizeitraum in Kurzvarianten ansehen kann. Aber es geht vor allem darum, möglichst effiziente Wege zu den Bodenschätzen zu finden, wobei man die Werkzeuge dafür über Forschung des Wissenschaftlers freischaltet. Man kann mit Lasergeschützen felsige Hindernisse wegbrutzeln und mit dem Greifhaken mehrere Meter hohe Steilwände erklimmen, um selbst zerklüftete Canyons nach ihnen zu durchforsten. Eine automatisch ergänzte Karte zeigt an, was man bisher gefunden hat und wo es weitere Ausgänge gibt.

Die Erkundung lebt von einem angenehmen Mysteryflair, das ein wenig an Pacific Drive erinnert: Manchmal trifft man auf außerirdische Anomalien, die friedlich sein können oder einen verfolgen. Dann kann man seine spezielle Taschenlampe zücken, um den Kern dieser wabernden Seifenblasen mit ihren tanzenden Lichtern zu beschießen, bis sie in sich zusammen fallen - auch sie hinterlassen verwertbares Material. Das ist spielerisch eine angenehme Abwechslung, die neben dem Kampf auch kleinere Rätsel birgt. Außerdem sorgen diese Anomalien zusammen mit der Neugier des Wissenschaftlers für einen interessanten Nebenstrang der Geschichte mit einer coolen Überraschung - falls man dem denn nachgeht.
Überhaupt ist die Forschung sehr wichtig, denn es gibt mit Erkundung, Wirtschaft, Basis und Sonstiges immerhin vier Technologiepfade in je vier Stufen: Dort kann man z.B. die erwähnte Taschenlampe oder bessere Raumanzüge entwickeln, die Haltbarkeit der Batterien oder Leistung der Bohrer für spezielle Rohstoffe erhöhen oder neue Räume wie Krankenstation oder Recycler konzipieren. All das kostet natürlich etwas, wenn man es in der Werkstatt herstellt. Und die ist quasi ebenso im Dauerbetrieb wie die Küche.

Es gibt sehr nützliche automatische Wartschleifen für die Produktion, so dass man z.B. festlegen kann, dass immer mind. sechs Filter oder zwölf gekochte Mahlzeiten auf Vorrat da sein sollen. Aber wenn man so vorausschauend plant, hat man natürlich weniger Material für die akut wichtige Produktion. Daher steht im Zentrum von The Alters der effiziente Abbau von Rohstoffen. Die findet man zum Abgreifen an der Oberfläche, aber man braucht sie zwingend in viel größeren Mengen, wenn man überleben und irgendwann zur Erde zurückkehren will.
Arbeiten gegen den Untergang
Die Zeit ist in diesem Spiel wie erwähnt kostbar und der Druck wird durch Herausforderungen immer größer, was zusammen mit der Reise von Ort zu Ort an die apokalyptische Dramaturgie von Frostpunk erinnert. Nicht nur weil man bei der Arbeit ermüdet und es zu Strahlungsstürmen kommt, die sehr bedrohlich samt Systemausfällen inszeniert werden, sondern weil die Sonne jeden Tag näher rückt und alles zu verbrennen droht. Also gilt es sein Riesenrad mit genug Treibstoff zu füllen und rechtzeitig zu fliehen bzw. wegzurollen, um in einem anderen Gebiet weiter zu ernten.
Und da muss man einiges berücksichtigen: Wie baut man eine Brücke über den Lavastrom? Hat man überhaupt genug Platz für den nötigen Treibstoff? Zwar beißt das Spiel nicht ganz so eiskalt zu wie Frostpunk, denn die Mangelwirtschaft ist etwas verzeihlicher und trotz Zeitdruck hat man mehr flexible Möglichkeiten. Aber ich bin in meinem ersten Durchlauf mit der nahenden Sonne untergegangen, weil ich vergessen hatte, ausreichend Treibstoff zu lagern und den Motor quasi nicht starten konnte. Es gibt theoretisch drei Lagerräume mit verschiedenen Kapazitäten, aber der Platz ist sehr knapp und erst wenn man seine Basis auf eine neue Stufe bringt, gibt es mehr Raum an Bord.

Die Frage ist nur, wie schnell einem das gelingt und was man dafür nicht entwickeln kann. Dieser Aufbau-Aspekt ist in The Alters also überaus relevant. Und man muss die Infrastruktur dafür selbst errichten - das kann man nicht an seine Alters delegieren. Dazu gehört auch die kleinräumige Suche. Erst wenn man in einem Gebiet Metalle, organische Stoffe, Mineralien oder Ähnliches über einen dreidimensionalen Tiefenscan des Bodens findet, kann man einen Bohrtum errichten und muss diesen über Pylonen mit seiner Basis verbinden, um Rohstoffe dorthin zu liefern. So errichtet man langsam ein Netz an Leitungen für den Abbau, das man auch zur Schnellreise nutzen kann.
Allerdings muss man dort entweder selbst aktiv den Bohrer bedienen oder einer seiner alternativen Persönlichkeiten diese Arbeit zuweisen, die man dann dort malochen sieht. Wie lang sie arbeiten und wieviel sie abbauen, hängt wiederum von ihrer Motivation ab. Zwar sprechen sie einen im Gelände nicht an, wenn man sie besucht, aber seine Ruhe hat man hier draußen nicht. Denn haben sie in der Werkstatt, dem Gewächshaus oder im Labor keine Aufträge in der Warteschleife, dann melden sie sich per Funk und fragen, was sie als Nächstes tun sollen - teilweise alle paar Sekunden. Schön ist, dass sie direkt etwas vorschlagen, das man mit dem Steuerkreuz schnell bestätigen kann.

Aber kaum kommt man nach einem langen Tag zurück ins Raumschiff, hört man am Abend das unvermeidliche "We need to talk" und will manchmal am liebsten die Tür seiner Kapitänskajüte zuknallen. Ignoriert man die Anfrage oder sucht man das Gespräch? Gönnt man sich vielleicht einen Filmabend? Diesem Kreislauf aus immer mehr Todos und dem Gefühl des Dauerdrucks kann man in The Alters jedenfalls nicht so leicht entkommen. Schafft man es, seine Riesenrad-Basis zu befüllen und vor der Sonne zu fliehen, erreicht man eine andere Region des Planeten und freut sich erstmal über die veränderte Vegetation sowie all die neuen Phänomene. Aber hier muss man ebenso schnell alles wieder aufbauen, um Rohstoffe für die nächste Etappe zu sammeln. Und je länger man unterwegs ist, desto anspruchsvoller wird die Reise. Ich habe wie immer mit den Standardeinstellungen gespielt, aber man kann den Schwierigkeitsgrad in mehreren Stufen anpassen.
FAZIT
Mit The Alters gelingt den 11 Bit Studios nach This War of Mine und Frostpunk erneut ein kreativer Schritt nach vorne. Sie bleiben dem Kampf ums Überleben treu, aber wechseln erstmals in die Perspektive eines ausgewachsenen Action-Adventures mit ansehnlicher Planetenerkundung. Darüber hinaus ergänzen sie den modularen Ausbau einer Basis um psychologische Konflikte einer Crew, so dass man sich fast wie in einem Theaterstück fühlt. Das sind keine reinen Befehlsempfänger, sondern Charaktere mit Emotionen und Ängsten, so dass es an Bord eskalieren kann. Hinzu kommt der psychologische Reiz, denn sie alle sind Varianten des Helden Jan Dolski, die sich an bestimmten Punkten des Lebens anders entschieden haben - man schaut also nicht einfach in einen Spiegel, sondern erkennt dahinter eine andere Persönlichkeit. Und man muss sich mit ihr gedanklich auseinander setzen, auf sie eingehen und zuhören. Hinzu kommt eine Gruppendynamik, denn man ist offiziell der Anführer, gegen den die anderen rebellieren, wenn sie unzufrieden sind. Zwar können die ständigen Gespräche irgendwann nerven, zumal sie mitunter künstlich wirken. Manchmal ist das Korsett der Regie vielleicht etwas zu eng, zudem wiederholen sich einige Routinen im wirtschaftlichen Aufbau. Außerdem braucht man Geduld sowie die Lust auf mehrere Durchläufe, denn es gibt Zeitdruck und man erlebt je nach Handlung erst recht spät andere Konsequenzen. Aber die können durchaus überraschen und ich würde sagen, dass sich der Weg dorthin lohnt. Das ist eine sehr erfrischende Art von Survival-Abenteuer mit einem angenehm mysteriösen Flair, das wie eine Mischung aus Fallout Shelter, Die Sims und Mass Effect anmutet. Ich wurde über die knapp 25 Stunden jedenfalls gut unterhalten. (Bilder: The Alters, 11 Bit Studios, PS5, eigene Aufnahmen)
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