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Rezension: The Outer Worlds 2 (PC, PS5, XBS)

Aktualisiert: vor 4 Tagen

Ich habe The Outer Worlds sehr gemocht. Das war trotz der Schwächen im Figurenverhalten und einiger grober Kanten eine charmante Mischung aus Fallout New Vegas und Firefly. Timothy Cain und Leonard Boyarsky, dieses Dreamteam aus Entwicklung und Artdesign, lieferte 2019 einen Space Western, der wie eine Punkrock-Variante von Mass Effect wirkte, mit schrillen Charakteren und schwarzem Humor. Das Action-Rollenspiel verkaufte sich gut, Obsidian konzipierte früh diesen Nachfolger und versprach nicht wenig: Er soll doppelt so groß und dank Unreal Engine 5 hübscher, für Shooterfreunde flüssiger, für Schleicher subtiler, aber vor allem als Rollenspiel komplexer und on top so immersiv sein wie ein Deus Ex. Ach so: Weniger albern stand ebenfalls auf dem Zettel. Wie will man das bloß alles unter einen Hut kriegen? Zumal ein eher unbekannter Director namens Brandon Adler die Regie führt?



Willkommen im Kolonialkrieg


Ich frag einfach mal den Mondmann. Denn der kennt sich in dieser Science-Fiction-Welt aus und ist in den letzten Wochen fast so etwas wie ein Kumpel geworden. Er ist ja seit sechs Jahren das bleiche Maskottchen von Spacer's Choice. So heißt der zu Spielbeginn bereits aufgekaufte Weltraum-Walmart aus dem ersten Teil, der das Universum damals mit Billigware überschwemmte. Werbung und Konsumgüter gibt es natürlich immer noch ohne Ende, von Dosenfleisch bis Whisky. Nur ist nach einer feindlichen Übernahme aus Spacer's Choice mittlerweile der Megakonzern Auntie's Choice gewachsen, der gerade aus Gier einen Kolonialkrieg gegen ein autoritäres Regime namens Protektorat führt.


Willkommen auf Paradise Island.
Willkommen auf Paradise Island.

Keine Bange aufgrund all der Namen: Ihr braucht keinerlei Vorwissen. Obsidian bietet Kennern des Vorgängers zwar kleine Déjà-vus wie das Comeback des Mondmanns oder des Schrumpfgewehrs. Außerdem wird man natürlich in das bekannte alternative Universum des 23. Jahrhunderts gebeamt. Hier verlief die Geschichte der Erde seit 1901 etwas anders, wenn man so möchte turbokapitalistisch beschleunigt. Denn weil Roosevelt nie US-Präsident wurde, konnten amerikanische Industriemagnaten ohne Regulierung über Menschen sowie Rohstoffe herrschen, fleißig an ihrer Effizienz bis hin zur Transplantation experimentieren und irgendwann den Weltraum samt neuer Planeten erobern.


Aber diesmal geht es im Auftrag des so genannten Erd-Direktorats mit ganz anderen Charakteren in eine neue, weit entfernte und überaus reiche Kolonie namens Arcadia. Dort herrscht das Protektorat, das von der Erfinderin der Sprungantriebe gegründet wurde, die ihre fürstlich elitäre Kultur seitdem abschottet. Planeten wie Eden oder Dorado klingen bereits nach schöner neuer Welt und Goldrausch. Genau den erlebte vor allem die herrschende aristokratische Elite, doch die coolen Sprungantriebe beeinflussen wohl die Raumzeit, denn plötzlich tauchen überall Risse auf und der Kontakt zu dieser Grenzwelt ist seitdem abgebrochen.


Tja, hier herrscht Krieg.
Tja, hier herrscht Krieg.

Weil auch im Vorfeld so einiges an politischem und persönlichem Drama geschieht, das man hautnah im sehr guten Prolog auf der Forschungsstation Horizon Point erlebt, wird man als Agent des Erd-Direktorats dorthin geschickt. Man ist also diesmal kein Unbekannter, sondern ein amtlicher Ermittler. Und die werden regelmäßig im interstellaren TV natürlich wie anständige Superhelden gefeiert. Doch vor Ort muss man mit Misstrauen und weitgehend verfeindeten Fraktionen klarkommen, die sich teils wie im Ersten Weltkrieg in Schützengräben einbuddeln und mit Gewalt sowie Propaganda um das Land sowie die Köpfe der Leute kämpfen. Selbst Giftgas und mutierte Riesenkäfer werden eingesetzt. Das kann einem theoretisch alles egal sein, aber praktisch wird man natürlich in vielen Quests mit Schicksalen und Ideologien konfrontiert. Außerdem hat man noch eine persönliche Rechnung in Arcadia offen.


Sechs Fraktionen, drei mit Ruf


Das einheimische Protektorat predigt jedenfalls Pflicht, Moral und will von Konsum und Freiheit à la Auntie's Choice nichts wissen. Es wird wie eine Monarchie geführt, die über ihre Untertanen herrscht und Abtrünnige einer Gehirnwäsche namens "mentale Auffrischung" unterzieht, um sie wieder zackig auf Linie zu bringen. Hinzu kommt der religiöse Orden des Aufsteigenden als Fraktion, der in seiner Anbetung der Mathematik und daraus resultierender Vorhersagen fast wie eine exotische Variante von Isaac Asimovs Psychohistorik aus der Foundation-Trilogie anmutet. Der Orden erscheint mit dem fair klingenden Ziel, den Aufstieg aller Menschen anzustreben, zunächst harmlos. Aber dieser Glaube hat ebenfalls seine Schattenseiten, Kultisten verehren sogar die Risse - und, ups: er ist auch im Krieg.


Was hat es mit den Rissen auf sich?
Was hat es mit den Rissen auf sich?

Es gelingt Obsidian auf erzählerischer Ebene gut, das Verhältnis zwischen Besatzern und Verteidigern samt der Graustufen zwischen Wahnsinn, Widerstand und Opportunismus darzustellen. So kann man sich langsam ein eigenes Bild über die sechs Fraktionen machen, darunter der eigene Auftraggeber von der Erde. Allerdings kann man seinen Ruf nur gegenüber den Invasoren von Auntie's Choice und dem einheimischen Orden, nicht jedoch gegenüber dem Protektorat oder den Kultisten verbessern, die lediglich als Feinde auftreten. Denn als dritte Fraktion samt Ruf, den man von der neutralen vierten bis zur siebten Stufe steigern kann, um Rabatte sowie Zugang zu Händlern zu erhalten und freundlicher begrüßt zu werden, gibt es nur das politisch kaum aktive Sub Rosa. Das ist eine Art neutrale Mafia im Untergrund, von der man zunächst nicht viel hört und sieht.


Gilded Age und Star Wars


Apropos Kulisse: Die ist überaus ansehnlich. Kaum landet man mit seinem Raumschiff namens Incognito auf dem Planeten Paradise, verschmelzen Landschaft und Architektur exotisch bunt bei weiter Sicht. Die Beleuchtung wirkt harmonischer als noch im Vorgänger, Tiere huschen davon und kleine Partikel wabern in der Luft. Gleichzeitig sorgen all die schrägen Felsformationen und Bauwerke in der Ferne für reizvolle Aussichten, so dass man sich gerne umschaut und schon früh Ausflüge zu Türmen und Sehenswürdigkeiten plant. Und das ist nur der erste von mehreren Planeten und Raumstationen, die neben Dschungel auch Wüste, Schnee und Eis sowie deutlich mehr blitzumtoste Finsternis als der Vorgänger zu bieten haben.


Obsidian erreicht vielleicht nicht die landschaftliche oder kieselfeine Pracht eines Horizon Forbidden West oder Death Stranding 2, aber es gibt so einige Highlights. Denn hier wirkt mehr als nur die Technik der Unreal Engine 5. Begabte Künstler sorgen für ein markantes Kultur-, Planeten- und teilweise großartiges Gebäudedesign, in dem Jugendstil und Retrofuturismus ineinander fließen. Irgendwann grübelte ich staunend über einem Rätsel in einem riesigen Planetarium und dachte, dass das auch deshalb einer der prächtigsten Schauplätze der letzten Jahre ist, weil man erst dort einige wichtige astronomische Zusammenhänge dieser Welt namens Arcadia versteht. Sprich: Story und Design gehen eine Symbiose ein.


Im Planetarium wird gerätselt.
Im Planetarium wird gerätselt.

Dabei orientiert man sich rein visuell oft an der extravaganten Architektur des so genannten Gilded Age, mit all den Schnörkeln, Säulen, Fresken und üppigen Vergoldungen, als sich seit Ende des 19. Jahrhunderts der extreme Reichtum in Palästen und Schlössern der amerikanischen Ostküste zeigte. Dishonored lässt ebenfalls des Öfteren grüßen, zumal das Leveldesign innerhalb der mehrstöckigen Gebäude ähnlich verschachtelte Wege bietet. Und gleichzeitig erinnert dieses The Outer Worlds 2 mit seiner wabernden Beleuchtung in den tiefen Schächten sowie der 80er-Elektronik viel häufiger als der Vorgänger an Star Wars. Leuchtende Schwerter, Umhänge und schwarze glänzende Vollhelme gibt es übrigens auch.


Zwischen Propaganda und Gewalt


Aber von all dem ahnt man kurz nach der Landung auf Paradise in der Stadt Fairfield nichts. Dort begegnet man erstmal aggressiven Drohnen des Protektorats, die wie verirrte Wespen um ihre ehemalige Stadt schwirren, die ja kürzlich von Auntie's Choice erobert wurde. Ansonsten herrscht hier eine militärische Pattsituation, denn hinter einer schwer bewachten und verminten Brücke regiert weiter das Protektorat. Ach so: Man kann dem wachhabenden Offizier auch Verräter ausliefern, wenn man auf skrupellose Art sein Ziel erreichen will. Denn auf deren Gebiet schwebt eine Raumstation, die in unregelmäßigen Abständen seltsame lila Druckwellen aussendet. Und genau da soll man laut Hauptquest rein...


Wer von der Politik genug hat, erkundet Höhlen.
Wer von der Politik genug hat, erkundet Höhlen.

Doch zunächst gilt es, Fairfield samt Status quo zu erkunden. Dort erlagen schon einige der neuen Freiheit samt Berufswahl und Konsum, andere befinden sich als trotzige Gefangene im Knast. Ob man mal mit ihnen redet? Auch wenn diese Siedlung, genauso wie die kommenden, nicht besonders belebt ist, und man nicht jeden Passanten ansprechen kann, entsteht umgehend diese Fallout-New-Vegas-Coolness zwischen Kopfgeldjagd-Automaten und Neon-Saloon. Die Bar gehört allerdings mal wieder in die Kategorie hübsch designt und kaum was los, so dass man nach kurzer Visite gelangweilt von dannen zieht...


Spannender wird es dann im Rathaus. Dort erlebt man gleich zu Beginn einen tollen atmosphärischen Moment. Denn man trifft Auntie herself, die einen mit ihrem Adlerblick auf fast unheimliche Art von einer Leinwand aus erkennt, als man sich einem laufenden Meeting mit ihren zwei Lakaien nähert, die ihr gerade Bericht darüber erstatten, wie die Invasion so läuft. Ihre Manager bilden das neue Führungsduo vor Ort in Fairfield, das einen gleich vor eine strategische Qual der Wahl zwischen Manipulation und Gewalt stellt.


Gewalt oder Propaganda?
Gewalt oder Propaganda?

Denn beide suchen Freelancer, aber man darf nur einem helfen. Soll man mit dem blumigen Bürgermeister invasive Propaganda in einer weiteren Siedlung des Protektorats betreiben? Also eher gewaltfrei agieren? Oder soll man mit dessen militärischer Beraterin den Kampf mit Kommandotaktik suchen? Jeder will einem zur Belohnung bei dem eigentlichen Auftrag helfen, nämlich in diese am Himmel schwebende Raumstation in Feindesland zu kommen, in deren Nähe einer der Risse zu sehen ist. Was hat es damit eigentlich auf sich? Das Schöne ist: Man kann auch auf beide pfeifen oder wie oben erwähnt zwei Verräter an das Protektorat ausliefern. Oder man sucht einen ganz anderen Weg hinein. Genau so muss Rollenspiel sein!


Die Mondmann-Show


Und während sich die Story langsam entfaltet und Wege öffnen, begegnet man immer wieder dem Mondmann im Hauptmenü. Auf den hab ich mich irgendwann richtig gefreut. Wie so vieles am allgemeinen Spielgefühl erinnert auch er als Maskottchen ein wenig an Fallout, und zwar an den Vault Boy, der ja ebenfalls von Leonard Boyarsky entworfen wurde. Er begrüßt einen vor jedem Laden eines Spielstandes. Dort tritt er im Laufe der Geschichte als Kommentator und irgendwann fast wie ein gefühlter Kumpel auf, der einen beim Spielen beobachtet und einschätzt.


Denn wenn ich einen Spielstand lade, kommentiert er die letzten Ereignisse, mal trocken, mal süffisant - am Anfang z.B. den Schwierigkeitsgrad. Ich hatte das Abenteuer auf normal begonnen und das hielt er für eine "weise Entscheidung" für den ersten Durchlauf. Man kann aber jederzeit alles anpassen, falls man zu oft stirbt. Nach dem Prolog, der sich übrigens wie ein kleines Erdbeben spielt, schlussfolgerte er, dass ich mich wohl an die Mechaniken gewöhnt hätte. Danach hat man allerdings nur einmal die Gelegenheit, alle Werte neu zu verteilen. Denn ab der Landung auf Paradise gibt es kein zurück mehr - man muss den Charakter dann so spielen, wie man ihn entwickelt, was ich konsequent und gut finde.


Das Protektorat führt ein autoritär-aristokratisches Regime.
Das Protektorat führt ein autoritär-aristokratisches Regime.

Die frühen Kommentare des Mondmanns sind noch nicht der Rede wert. Aber in den folgenden Stunden geht er selbst auf die Story, Charaktere und meine Entscheidungen ein. Als Ex-Maskottchen von Spacer's Choice stichelt er sogar gegen Auntie's Choice. All das trägt dazu bei, dass man immer wieder schmunzelt. Und er hat mich tatsächlich vor einem Fehler bewahrt: Einmal fragte er mich nämlich voller Verblüffung, ob ich wirklich diese eine Lady gekillt hätte? Ich war verdutzt. Wen meinte er bloß? Bis er sie näher beschrieb und ich ahnte, dass ich da vielleicht in der Hitze des Gefechts einen Fehler gemacht hatte. Also lud ich einen älteren Spielstand, achtete besser auf sie und bedankte mich beim Mondmann. Das war ein cooler Moment.


Das Spiel mit dem Spieler


Ich liebe es jedenfalls, wenn Spiele auch außerhalb der Story irgendwie mit mir spielen oder mit Kommentaren diese Wand zur Couch durchbrechen. Und das macht The Outer Worlds 2 famos. Sogar mitten im Spiel mit Vorschlägen von außen, wenn man gefragt wird, ob man angesichts all des Schleichens nicht "kaputte Knie" als permanentes Merkmal aktivieren will, damit man geduckt noch schneller ist. Klingt gut, nur beim Aufrichten würden sie dann immer so laut knacken, dass Wachen alarmiert werden. Wer Rollenspiele mag, wird diese Feinheiten bis zum angebotenen Makel lieben.


Da sitzt ja jemand am PS5-Controller und grübelt vielleicht darüber, ob er einen Schalldämpfer und einen Plasmalauf an sein Gewehr schrauben soll, während um ihn herum ein galaktischer Krieg zwischen einem Megakonzern, einer Diktatur und einem Kult tobt, ganz zu schweigen von Mord, Attentat und Verrat. Eigentlich ist man als Spezialagent all dem auf der Spur, aber die zersplittert bald in viele Scherben, denen man nachjagt. Die Hauptquest selbst ist schön klar, man angelt sich immer weiter ran, aber wird von Nebenquests und dringenden Begleiter-Aufträgen gekonnt abgelenkt. Soll man nicht mal eben diesen alten Kumpel befreien?


Agentin Marisol ist ein Profi und eine fähige Begleiterin.
Agentin Marisol ist ein Profi und eine fähige Begleiterin.

Da kann man schonmal jemanden brauchen, der einen beim Nachladen etwas wachrüttelt, indem er über all die wichtigen Dinge sinniert. Selbst wenn das oft nur ein, zwei Sätze sind und der Mondmann nicht ausführlicher in erzählerischen Tiefen wühlt, wurde er über die knapp 50 Stunden zu einem Ratgeber, dem ich gerne zugehört habe. Hinzu kommt, dass ähnlich wie in Fallout auch die Radio-Stationen von Arcadia einen großen Anteil daran haben, dass diese für Rollenspieler so wichtige, leicht knisternde kommunikative Atmosphäre entsteht.


Es gibt drei Sender mit unterschiedlicher Musik, Werbung oder Propaganda, die dafür sorgen, dass man auch abseits der Gespräche ein Gefühl für die ideologischen und kulturellen Unterschiede bekommt. Hier hat sich Obsidian inkl. des Humors selbst übertroffen, mit einigen köstlichen Interviews und herrlich bekloppten Beiträgen sowie eigens erfundenen Produkten. Manchmal kann man beim Hören sogar nützliche Hinweise aufschnappen.


Rohstoffe und Crafting, Mods und Verbesserungen sind auch an Bord.
Rohstoffe und Crafting, Mods und Verbesserungen sind auch an Bord.

Besonders stimmungsvoll wird es, wenn das eigene Verhalten kommentiert wird. Zumal es manchmal zu einer Tragödie führen kann, denn ähnlich wie in Mass Effect kann es schonmal um das Opfern eines Gefährten oder einer Bevölkerung gehen. Oder man hat die überaus gefährliche Wahl, was man mit einer herrenlosen Raumstation machen will und muss je nach Entscheidung mit den Reaktionen in der Öffentlichkeit leben, die nicht lange auf sich warten lassen. Und danach bekommt man noch einen bissigen Kommentar vom Mondmann beim Nachladen, so dass man es doch lieber anders machen will!


Brandon Adler im Trio


Ach, Moment: Ich bin ja noch eine Antwort von ihm schuldig. Ich hatte im Einstieg etwas Skepsis bezüglich der vielen Ziele dieses Nachfolgers geäußert. Darauf erwidert der Mondmann, dass man bei Obsidian deshalb alles unter einen Hut bringen konnte, weil dort reichlich Erfahrung auf kreatives Talent treffen würde, das noch nicht so von Microsoft verbrannt wurde wie die Mitarbeiter von Auntie's Choice. Es gibt übrigens eine tolle Quest rund um einen Streik vor einer Fabrik ausgebeuteter Arbeiter, die man ebenfalls auf mehrere Arten mit köstlichen Dialogen lösen kann.


Aber zurück zum Mondmann, denn der betont, dass Brandon Adler natürlich kein Unbekannter ist: Er arbeitet schon seit Neverwinter Nights 2 für das Studio, war als Producer an Alpha Protocol, Fallout: New Vegas und Pillars of Eternity beteiligt. Und ganz alleine ist er als Game Director nicht: Leonard Boyarsky war als leitender Creative Director dabei und Fallout-Schöpfer Tim Cain beratend im Hintergrund aktiv. Außerdem ist die kreative Vision der Spielwelt etabliert und er musste sie lediglich verfeinern.


Ob man da rüberkommt?
Ob man da rüberkommt?

Ja, okay, sage ich, aber als er in einem Interview das verbesserte Waffenhandling und die Ratschläge des Halo-Teams für ein flüssigeres Shootergefühl erwähnte, schrillten meine Alarmglocken. Der Mondmann schaut in mein Charaktermenü, auf meine Entscheidungen und grinst: Tja, so wie ich das sehe, hast du diese knapp 50 Stunden mit Entscheidungen und Konsequenzen eher als geschwätzig schleichender Rollenspieler denn als schweigsam regelnder Masterchief genossen. Und falls du doch mit Granaten, Schrot oder Plasma um dich geschossen hast, hattest du offensichtlich deinen Spaß, denn der Bodycount ist recht hoch. Da hat er Recht, der bleiche Stalker.


Flüssige Kämpfe


Denn jetzt kann man aus dem Spurt heraus grätschen, aus dieser schlitternden Horizontale heraus feuern, sogar wie im Vorgänger à la Max Payne mit Zeitlupe. Überhaupt fühlen sich die explosiven Gefechte mit ihrem Gebrutzel aus Strom, Feuer, Säure & Co flüssig und knackig an, außerdem spürt man jetzt tatsächlich einen Rückstoß und ganz andere Waffenwirkungen. Je nach Feind sollte man den Schadenstyp wechseln und genauer zielen, denn es gibt Immunitäten und Schwachstellen wie Kopf oder Hinterteil. Zwar geht das nicht so weit wie in Fallout mit seinen Trefferzonen am ganzen Körper, aber man kann Feinde markieren und sie später je nach Treffer gezielt von den Beinen holen.


Langsam im Schnee heran pirschen.
Langsam im Schnee heran pirschen.

Auch Nahkämpfer kommen auf ihre Kosten: Es gibt weder Ausdauer noch Seitwärtsrollen oder eine Zielfixierung. Das ist also alles andere als ein Soulslike. Aber man kann sich von Dolch über Schwert bis Speer auf diverse Hieb- und Schlagwaffen samt Konter spezialisieren, die so richtig schlimm als bizarr modifizierte Waffen austeilen. Der mächtige Schrotflintenhammer feuert z.B. nach dem Aufprall noch eine explosive Ladung ab - autsch. Und natürlich kann man Feinde wieder winzig schrumpfen und dann zertreten - nochmal autsch.


Jump'n Run im Gelände


Zwar wirkt die Bewegung zunächst etwas eingeschränkt, denn man kann z.B. nicht wie in The Legend of Zelda überall hoch klettern, man hat auch keinen Greifhaken oder Ähnliches, so dass Mauern und steile Hänge tatsächlich Hindernisse sind. Und wer ins Wasser springt, der stirbt sofort. Aber gegenüber dem Vorgänger ist man wesentlich agiler, denn man kann sprinten, gleiten und doppelspringen, so dass man sich an gewissen Stellen fast wie in einem Jump'n Run oder einem Parcours fühlen kann.


Sehr schön ist, wie das oft zerfurchte Gelände als Level zum Lesen aufgebaut ist, so dass man immer wieder alternative Routen oder ganze Höhlensysteme durch Berge hindurch findet. Es lohnt sich auch die Gebietskarte zu öffnen und genauer hinzusehen, wo Zugänge sein könnten. Manchmal kann man Gefahren wie Minenteppiche oder ganze Horden von Monstern umgehen, indem man langsam durch das Gebiet schleicht - gerade wenn man hohe Werte im Schleichen hat und dazu kniehohe Büsche zur Tarnung nutzt.


Verflixt, ich darf nur beobachten, nicht anfassen!
Verflixt, ich darf nur beobachten, nicht anfassen!

Neben der Gesundheit und Energie für Geräte hat der Held nur noch eine dritte Leiste für den Vergiftungsgrad. Sobald man sein Spray inhaliert, um Leben zu regenerieren, steigt dort die Toxizität. Außerdem gibt es Zonen mit Giftgas, in denen man es ohne spezielle Maske plus Zeitverlangsamung nicht lange aushält. Es gibt übrigens keine Ausdauer, so dass man endlos rennen kann, was sich wunderbar zur Flucht aus Höhlen eignet, die gerade von Riesenkrebsen oder Spinnen geflutet werden. Aber Vorsicht: Endlos stürzen kann man nicht.


Das alles funktioniert wunderbar präzise in Egosicht. Zwar kann man eine Schultersicht aktivieren, aber die hat Obsidian erst spät in der Entwicklung auf Wunsch von Fans integriert und ich hab sie nach kurzer Probe wieder deaktiviert. Fest steht: Dieser Nachfolger macht mit seiner Akrobatik und Action in Egosicht mehr Laune als der etwas hüftsteife Vorgänger. Aber so richtig motivierend waren für mich die spürbaren Fortschritte in zwei anderen Bereichen, die so unheimlich selten aufeinander treffen: Rollenspiel und Immersive Sim.


Vielfältige Charakter-Entwicklung


Denn Brandon Adler hat auch die anderen Versprechen aus seinen Interviews gehalten. Er betonte ja im Vorfeld, dass er der Studio-Philosophie treu bleiben und das Rollenspiel weiter vertiefen will, indem er den Spielern mehr Freiheiten und spürbare Auswirkungen in der Charakter-Entwicklung bieten will.


Ach so, ganz kurz zur Erstellung: Wie man als Mann oder Frau en detail aussieht, darf man im Editor festlegen. Dabei geht Obsidian lange nicht so weit wie ein Cyberpunk 2077. Zwar kann man sich mit Prothesen ausrüsten oder mit Altersfalten einen Senior spielen, aber hinsichtlich Mimik, Gestik oder Statur bleiben so einige technische Wünsche offen - und die Gesichter wirken recht grob geschnitzt. Dafür geht es nach der Erschaffung in die Vollen, denn die Entwicklung ist ein reaktiver Traum für Rollenspieler, weil man so früh so viele unterschiedliche Aktionen einleiten kann.


AUf der rechten Seite sind die aktiven Vorteile.
AUf der rechten Seite sind die aktiven Vorteile.

Zwar gibt es diesmal auf dem Papier weniger freischaltbare Fähigkeiten aka Perks als im Vorgänger. Aber die etwa 90 sind besser verzahnt, so dass man seinen Helden effizienter spezialisieren und regelrecht mit der Ausrüstung verweben kann. Auf jeden Fall macht die vielfältige Entwicklung des Charakters richtig Laune. Sie ist fast ein Spiel im Spiel, denn man puzzelt sich langsam einen Abenteurer nach Maß. Man steht bei jedem Stufenaufstieg vor der Qual der Wahl, welche der zwölf Fertigkeiten man mit den beiden Punkten verbessern soll.


Zumal man ja weiß, was man bisher so verpasst hat: Sollte man dieses eine Level-5-Schloss nicht doch noch knacken - also seine Fähigkeit von 3 auf 5 erhöhen? Und was verbirgt sich eigentlich hinter der Datenbank, die man für Hacking 6 knacken kann? Nicht zu vergessen all das, was man aufgrund zu schwacher Medizin, Technik, Beobachtung, Führung oder Rhetorik schon alles verpasst hat!


Den Boss im Dialog besiegen


Ich habe selten so vielfältig beeinflussbare Dialoge erlebt. Auch der biografische Hintergrund wie etwa Professor, Psychopath oder Krimineller wird angenehm häufig abgefragt. Mal kann er dem Gespräch nur eine weitere Facette abgewinnen, aber manchmal hat er sogar Relevanz. Und genau das sind Momente, die mich als Rollenspieler freuen, wenn so etwas über den Kampf und die Statistik hinaus spürbar wird. Ich hatte z.B. den Glückspilz als Eigenschaft in der Charaktererschaffung gewählt, und der hat mir in so einigen heiklen Situationen geholfen, in denen ich z.B. etwas raten musste.


Natürlich ist die Rhetorik als Fertigkeit der Motor dafür, dass man andere überzeugen kann. Aber sie wird von nahezu allen anderen flankiert, denn es gibt Situationen, in denen die eigenen Werte in Führung, Technik oder Sprengstoff zu neuen Antworten führen können. Falls die zu gering ausfallen, werden sie ausgegraut.


Ob man den Boss als Professor beeindrucken kann?
Ob man den Boss als Professor beeindrucken kann?

Verstärkt wird das Grübeln durch die so genannten Vorteile, aus denen man alle zwei Stufen wählen darf und die teils coole Boni liefern oder sogar neue Manöver ermöglichen, aber dafür eine Kombination aus Fähigkeiten verlangen, deren Werte immer höher ausfallen.


Wer z.B. Rhetorik 9 und Führung 9 besitzt, kann den Vorteil "Verhandler" freischalten, der einem nebenbei noch einen deutlich besseren Ruf bei allen Fraktionen beschert. Selbst die Waffenskills reichen in die Gespräche hinein, so dass genügend Punkte auf Nahkampf oder Fernkampf dafür sorgen können, dass man mit seinem Wissen einen anderen Satz aktivieren oder mit ihnen zur Abschreckung rumfuchteln kann. Man kann sein Gegenüber auch direkt mit einer Antwort so verblüffen, dass sie der Startpunkt für einen Angriff samt Vorteil ist.


Last but not least lassen sich selbst Bosskämpfe komplett verhindern, indem man clever diskutiert. Obwohl die Arena am Ende eines Labyrinths schon geschmückt ist, obwohl da schon jemand mit gezückter Waffe und todesmutig wartet, kann man die Situation vielleicht friedlich lösen. Dafür braucht man neben den eigenen rhetorischen Fertigkeiten meist Hinweise auf Fehler und Schwächen, die man vorher an Computern oder in Dialogen gesammelt hat.


Vorteile für alle Spielarten


Und natürlich eignen sich die Vorteile auch, um sich auf Kämpfe aller Art vorzubereiten. Das fängt mit kleinen Kombinationen an: Schusswaffen 1 plus Beobachtung 1 schaltet z.B. "Scharfschütze" als Vorteil frei, so dass man als Angreifer 100% Schaden aus dem Hinterhalt verursacht. Damit fallen nicht alle Feinde, manche haben über tausend Lebenspunkte oder starke Rüstungen und Immunitäten. Aber der Schaden lässt sich mit der Zeit weiter steigern, sowohl mit Fertigkeiten wie Schleichen, Beobachtung oder Fernkampf als auch weiteren Vorteilen, sowohl mit Waffen, Munition als auch Ausrüstung. Das geht so weit, dass die richtige Kleidung oder der richtige Hut die Entfernungsmessung erleichtert oder sogar on top den Schall im Umkreis dämpft, so dass man nicht sofort umzingelt wird. So kann man sich langsam einen Sniper deluxe basteln. Und genau dieser wunderbar verwobene Charakterbau lässt sich auch auf alle anderen Spielarten übertragen.


Tristan haut gut rein, der Feind ist rot markiert, jetzt alles klar machen.
Tristan haut gut rein, der Feind ist rot markiert, jetzt alles klar machen.

Nahezu alles lässt sich mit Vorteilen verstärken: Man kann sich auf schnelles Run&Gun mit multiplen Treffern samt Akrobatik konzentrieren, so dass man nur so durch die Level jagt. Man kann sich wie ein Berserker in Nahkämpfe stürzen, bei jedem Kill heilen lassen und in schwerer Rüstung samt Vollhelm umher stampfen. Man kann als Hacker mächtige Kampfroboter auf weite Distanz kurzschließen, sie in Lagern wüten lassen und Stromschläge mit Kettenwirkung entfesseln. Oder man lässt den Schaden seiner Pistolen mit den rhetorischen Fähigkeiten skalieren und wird zum Space Cowboy, der sowohl smart quatschen als auch zielsicher schießen kann.


Sprich: Man kann sich auf jede Distanz und nahezu jedes Waffensystem vom Schwert bis zum Maschinengewehr und Raketenwerfer spezialisieren oder eine flexible Kombination suchen. Diese Charakterentwicklung fühlt sich auch deshalb einzigartig an, weil sie die oben erwähnten negativen Eigenschaften bietet. Denn nicht nur bei der Erschaffung hat man die Wahl, ob man z.B. mit dem Makel "aggressiv" oder "dumm" startet, damit man andere Vorteile freischalten kann. Auch während des Abenteuers wird man beobachtet und bekommt je nach Spielweise vom Erd-Direktorat das Angebot für eine permanente Eigenschaft, die immer einen negativen und positiven Effekt hat.


Rollenspiel und Immersive Sim


The Outer Worlds 2 verbindet auf schöne Art klassisches Rollenspiel mit Merkmalen der Immersive Sim. Schon auf dem ersten Planeten kann man diese Symbiose spüren, denn es gibt meist mehrere Lösungen im Raum, sowohl in der Landschaft und vor allem in Gebäuden. Dort kann man meist versteckte Weg oder Abkürzungen finden: Da fehlt einem vielleicht ein Schlüssel oder die Kraft, eine Tür aufzustemmen, aber wenn man erst auf ein, zwei Schränke springt und sich dann an einer Balustrade hoch zieht, kommt man vielleicht von der anderen Seite dorthin.


Im Gegensatz zu einem BioShock oder anderen eher auf Kampf fixierten Science-Fiction-Shootern, gehen das Knobeln im Raum samt alternativer Lösungen und der Einsatz von Fähigkeiten hier eine ähnliche Verbindung ein wie in System Shock, Deus Ex & Co. Also kriecht man durch Luftschächte, klettert auf Dächer und öffnet Luken, stemmt Türen mit Muskelkraft auf oder hackt Computer, wählt subtile Manöver samt Attentat oder legt einen Minenteppich aus und lockt die Wachen in ihr Verderben.


Inez hat Gesprächsbedarf!
Inez hat Gesprächsbedarf!

Letztlich erlebt man Stealth-Action light mit recht verzeihlichem und leicht auszurechnenden Gegnerverhalten, aber man kann Wachen mit Geräuschgranaten von ihren Posten locken und muss ihre Leichen am besten sofort in Säure auflösen, sonst schlagen sie Alarm und holen Verstärkung. Und wer weiß, vielleicht kann man ja alle auf einen Schlag beseitigen? Das Schleichen macht jedenfalls mehr Laune als im Vorgänger. Auch die Ausrüstung trägt dazu bei: Man kann mit bestimmten Helmen etwa durch Wände sehen und den Weg der Drähte verfolgen, um an Schaltkästen die richtigen Stromkreise zu schließen. Außerdem werden erst durch diese Sicht unsichtbare Feinde erkennbar. Hinzu kommen tolle Fallenräume, in denen man beweglichen Lasern ausweichen oder über Sprengdrähte hüpfen muss.


Es lohnt sich jedenfalls, seine Umgebung in den teils mehrstöckigen Gebäuden sowie der Landschaft genauer zu erkunden. Was mich besonders gefreut hat: Die Beobachtung ist als entwickelbare Fertigkeit sowohl in Gesprächen zur Aufdeckung von Lüge oder Nervosität als auch in der Erkundung relevant. Auf der Suche nach einem geheimen Versteck zeigte sie mir z.B. kurz vorher den Mechanismus, der den Eingang öffnete. Zwar wurde ein gewisser Radius auf der Karte markiert, in dem man suchen soll, aber es gab keinen markierten Weg zum Ziel. Die Beobachtungslupe zeigt auch Sprengstoff in der Nähe, den man mit genug Fertigkeit entschärfen kann. Und selbst wenn eine Konfrontation unvermeidlich erscheint, weil z.B. die einzige Brücke über eine Schlucht besetzt ist, sollte man Ausschau halten, denn vielleicht kann man ja auf ihren unteren Streben hinüber klettern ...


Figurenverhalten nur solide


Ärgerlich beim Erkunden in Fairfield und anderen bewohnten Siedlungen ist, dass man als Fremder nahezu jedes Gebäude betreten darf, ohne dass sich jemand wundert - was recht hanebüchen mit nicht ausgetauschten Schlössern erklärt wird. Auch sonst erreicht das Figurenverhalten kein lebendiges reaktives Niveau: Die Leute halten durchaus Schwätzchen, aber spazieren wie Bots umher und wundern sich weder über gezückte Waffen noch über Besucher, die mal eben mit Raketenstiefeln auf ihre Dächer springen. Immerhin darf man nicht alles mitgehen lassen, denn private Objekte werden rot markiert und man kann selbst als Verbrecher mit einem Kopfgeld gejagt werden.


Wer klaut, macht sich strafbar...
Wer klaut, macht sich strafbar...

Obsidian macht es sich zugunsten des Spielfluss' also recht leicht. Aber sie wissen natürlich, dass glaubwürdige Reaktionen ein Rollenspiel verstärken. Also lassen sie es später in einigen Szenen aufblitzen: Nachdem ich viele Stunden einfach überall reinplatzen konnte, schmeißt mich eine Verkäuferin auf einem Raumschiff von Aunties's Choice plötzlich aus ihrem Laden und droht. Als ich ein Kampfgelände wie stoisch nach Beute absuche und nach einem markierten Körper greife, giftet mich jemand entsetzt an, dass die Leiche ja noch warm sei. Davon hätte ich gerne früher mehr erlebt, aber dafür gibt es mehr Reaktionen in der eigenen Gruppe, die samt dem Helden als Trio unterwegs ist.


Dialoge und was man alles verpasst


Recht häufig liest man während der Gespräche einen Hinweis, dass sich einer der zwei von sechs möglichen Begleitern eine Antwort gemerkt hat. Gerade bei Fragen hinsichtlich der eigenen Moral oder politischen Haltung hören sie offensichtlich genauer zu. Schon sehr früh geht es mit dem von der Erde bekannten Agenten Niles z.B. um die Frage, ob der einzelne Mensch oder die Mission wichtiger ist. Hier kann man sich als Commander eiskalt, professionell oder empathisch geben - man kann seine Rolle vom Menschenfreund bis zum Psychopathen in vielen Facetten auslegen.


Und es fällt den Begleitern durchaus auf, wenn man davon abweicht. Da geht es auch um Nuancen: Wenn man all zu schnell in Anwesenheit der knallharten Ordens-Spionin Marisol das Töten rechtfertigt, nur weil man ihr vielleicht imponieren will, irritiert sie das. Und wenn man Inez, der ehrgeizigen Soldatin von Auntie's Choice verspricht, dass man ihr bei den medizinischen Problemen mit dem Transplantat hilft, sollte man sich daran halten. Zwar trägt der Schwebe-Roboter Valerie nicht all zu viel charakterliche Spannung in sich, aber Tristan, der Hammer schwingende Inquisitor vom Protektorat und Aza, die lustmordende Kultistin, drohen als Paar wie Feuer und Schwefel zu explodieren.


Die Bars hätten belebter sein können.
Die Bars hätten belebter sein können.

Sehr schön ist, dass sie einen auf Handlungen in späteren Dialogen oder Situationen ansprechen, zumal es nicht selten um die Frage geht, wen man für welche Sache zu opfern bereit ist. Oder ist Krieg nicht per se sinnlos? Man kann sich als Agent von der Erde komplett aus der Politik heraushalten oder bis hin zum Todesurteil eine Partei ergreifen. Und wenn man nach einer Mission zurück an Bord ist, gibt es dort oft Sprechblasen, sobald jemand aus der Crew etwas zu sagen hat. Allerdings kann man das Verhältnis zu ihnen nicht in Vertrauensstufen oder Ähnlichem numerisch messen.


Das Gruppenverhalten ist nicht so dynamisch wie in einem Baldur's Gate 3, was Kommentare zum Verhalten des Helden oder Gespräche untereinander angeht. Aber es gibt sie und es ist überaus amüsant, wenn man zwei Erzfeinde im Team hat, die sich nicht nur zoffen, sondern fast ein wenig annähern, wenn Tristan z.B. schüchtern die Malereien von Inez lobt. Je nachdem, welche Mischung man dabei hat, werden andere Themen diskutiert. Und manchmal müssen sie sich zurückhalten, dass sie sich nicht an die Gurgel gehen. Ach so: Wer Sex mit seiner Crew sucht, wird ihn hier nicht finden. Aber dafür sind sie auf andere Art hilfreich.


Verhalten auf der Reise


Man kann Niles z.B. unterwegs fragen, ob er etwas herstellt oder modifiziert. So kann man auch ohne Werkbank mal schnell die Munition auffüllen, falls einem die Kugeln für das Scharfschützengewehr oder die Schrotflinte ausgegangen sind. Außerdem kann er mit Bauplänen eine Modifikation für Waffen, Rüstungen oder Helme einsetzen, so dass man ganze Sets für jede Herausforderung von Plasma über Strom bis N-Strahlung vorbereiten kann.


Mit dem Held sieht man sogar, was die eigenen Begleiter so denken.
Mit dem Held sieht man sogar, was die eigenen Begleiter so denken.

Das ist sehr praktisch, aber innerhalb des umher ziehenden Trios ist man ansonsten auf die eigenen Talente angewiesen, wenn es irgendwo um Proben der Fertigkeiten geht. Für eine klemmende Tür (davon gibt es viele!) fehlt die Stärke? Für einen Computer (davon gibt es ebenfalls viele!) reicht das Hacking nicht? Und die Ausbildung in Medizin ist zu schlecht für eine Einschätzung des Patienten? Hier kann keiner der Begleiter mit seinem Wissen helfen.


Natürlich wollte man so verhindern, dass der Spieler im Trio zu schnell vorwärts kommt und beim zweiten Anlauf motiviert wird, sich anders zu entwickeln. Außerdem gibt es fast immer alternative Wege zum Ziel und keine Sackgassen durch fehlende Fertigkeiten. Trotzdem geht so etwas Rollenspielflair verloren, wenn man z.B. weiß, dass einer der anderen aufgrund seiner Ausbildung genau das können müsste, denn man ist ja mit Spezialisten unterwegs.


Auf den kleineren Planeten wird es düsterer.
Auf den kleineren Planeten wird es düsterer.

Ihre Fähigkeiten z.B. in Technik, Schlösser knacken, Rhetorik & Co werden allerdings nicht so aufgelistet und numerisch bewertet wie jene des Spielers. Und man kann sie als Charaktere nicht so komplett entwickeln oder ausrüsten wie in Baldur's Gate 3. Man darf sie allerdings ein wenig für den Kampf anpassen: Wenn sie mit dem Spieler im Level aufsteigen, hat man alle fünf Stufen die Wahl zwischen einem defensiven oder offensiven Fortschritt.


Manchmal hab ich die Expertise der Gefährten in Dialogen vermisst: Als ich mit Inez in einem Militärlager auf Dorado auf einen Offizier traf, der genau wie sie ein Alien-Transplantat hatte und so angeblich mit einem riesigen Mantis sprechen konnte, kommentierte sie die interessante Szene nicht. Und das, obwohl ihr eigenes Schicksal eng mit diesen medizinischen Experimenten verwoben ist. Andererseits gab es genug andere Szenen, in denen die Begleiter lebhaft ihre Kommentare abgaben.


Kein taktisches Kommando


Im Gruppenkampf hat man nicht viel Auswahl zur Vorbereitung und führt kein taktisches Kommando mit direkten Befehlen. Man kann weder Positionen im Gelände besetzen lassen noch speziellen Waffeneinsatz oder das Flankieren zuweisen. Zu unterstützendem Verhalten kann man leider nur indirekt über die Entwicklung der Gefährten animieren, damit sie z.B. heilende Wolken hinterlassen, schwache Gegner von der Seite angreifen oder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.


Tja, wen nimmt man mit auf die Reise?
Tja, wen nimmt man mit auf die Reise?

Sobald man zum Schleichen ansetzt, gehen sie immerhin automatisch mit in die Hocke. Auch in klarer Sichtweite für Gegner bleiben sie unsichtbar, so dass man sich auf seine Infiltration oder hinterhältige Manöver konzentrieren kann. Daran beteiligen sie sich allerdings nicht, selbst wenn sie das laut Biographie könnten, sondern werden erst im offenen Gefecht aktiv - und wenn man Pech hat, stürmen sie schon vorher los.


Erst dann kann man ihre Spezialfähigkeiten mit dem linken oder rechten Steuerkreuz auslösen, sobald ihre Energieleiste aufgeladen ist und man den Feind im Visier hat. Dann kracht und knallt es zwischen Plasmafeuer und Stromschlägen so lange, bis sie ihre Lebenspunkte verlieren. Sie sterben allerdings nicht, sondern gehen in die Knie und rufen um Hilfe. Dort kann man sie wiederbeleben, was allerdings ein, zwei Sekunden benötigt. Apropos Feinde: Sie leveln nicht mit, sondern haben feste Werte.


Die Spielwelt ist doppelt so groß wie im Vorgänger.
Die Spielwelt ist doppelt so groß wie im Vorgänger.


FAZIT


The Outer Worlds hat mir damals schon richtig gut gefallen. Aber diese Nachfolger ist deutlich reifer und vielfältiger. Wer Fallout New Vegas und Mass Effect mag, wird sich schnell in Arcadia verlieren. Und was mich besonders freut ist, dass Game Director Brandon Adler seine Versprechen gehalten hat: Dieses Action-Rollenspiel ist nicht nur größer und dank Unreal Engine 5 hübscher, oder für Shooterfreunde flüssiger und samt Doppelsprung akrobatischer in der Erkundung. Das Wichtigste ist für mich, dass es als Rollenspiel in der Charakter-Entwicklung sowie der wunderbar beeinflussbaren Dialogführung komplexer ist - man kann selbst Bosskämpfe rhetorisch meistern. On top ist es im Raum so frei wie eine Immersive Sim à la Deus Ex oder Dishonored, so dass man Stealth-Action light samt Fallen und Rätseln erlebt. Sprich: Meist führen mehrere Wege zum Ziel, sei es kriechend durch Luftschächte oder dank Hacking an Sicherheitstüren und Robotern vorbei. Zwar erreicht das Figurenverhalten im Alltag nur solides Niveau, man kann seinem Trio keine taktischen Befehle geben, es gibt lediglich drei Fraktionen und man kann den Ruf bei ihnen zwar verbessern, aber das führt nicht zu derart interessanten Möglichkeiten wie etwa in Star Wars Outlaws. Trotzdem sorgen die Begleiter mit ihren Quests und Kommentaren immer wieder für köstliche oder tragische Momente und man kann sich als Commander frei entscheiden, welche moralische oder ideologische Route man zu ihrer Freude oder ihrem Entsetzen einschlägt. Hinzu kommt, dass sich diese charmante Science-Fiction-Welt ihren Humor samt all der absurden Waffen bewahrt hat und man immer wieder schmunzeln muss, aber dass ernste Themen von der Ausbeutung über die Opferung oder Verrat bis zum Sinn des Krieges für ein angenehmes Gegengewicht sorgen. Es gab in diesem Jahr einige gute bis sehr gute Rollenspiele, darunter Citizen Sleeper 2, Kingdom Come Deliverance 2 und Clair Obscur: Expedition 33. Aber The Outer Worlds 2 ist mein Favorit.


(The Outer Worlds 2, Obsidian / Microsoft, PS5, eigene Aufnahmen)

13 Kommentare


Shake_s_beer
Shake_s_beer
vor 3 Tagen

Wow, das ist ja mal eine umfangreiche Review! Vielen Dank dafür.


Nachdem mir schon der Vorgänger extrem gut gefallen hatte, freue ich mich sehr auf das Spiel. Bin jedoch aktuell noch daran, Starfield nachzuholen - da weiß ich noch nicht, ob ich Lust habe, zwei Mal RPGs mit SciFi-Weltraum-Setting hintereinander zu spielen. Auch wenn der Ton in Outer Worlds sicher ein ganz anderer ist. Outer Worlds 2 steht aber definitiv ganz oben auf der Liste.


Zunächst mal will ich aber - neben Starfield - noch einige Blutfontänen in Ninja Gaiden 4 produzieren. 😀

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Shake_s_beer
Shake_s_beer
vor 2 Tagen
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Ja, ich habe mich da zeitlich leider etwas verplant. Anfang September fing ich mit Starfield an, in der naiven Annahme, bis Ende Oktober damit durch zu sein. Und auch wenn ich bei Starfield über so vieles fluchen könnte, macht es mir am Ende doch Spaß und ich stecke jetzt mittendrin. Das will ich dann jetzt auch noch beenden, bevor ich mich einem neuen "Brocken" zuwende.


Kürzlich ist mir dann auch noch Ninja Gaiden 4 reingegrätscht. Das war überhaupt nicht geplant, die Reviews (unter anderem von Ben bei Eurogamer) haben aber dazu geführt, dass ich es mir spontan gekauft habe und jetzt viel Spaß mit den brachialen Kämpfen auf Speed habe. :D

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Sven
Sven
vor 4 Tagen

Spannend! Ich hatte das Spiel null auf meinem Zettel. Teil 1 wurde an mir vorbeidesignt, ich mochte Art- und Erzählstil nicht, fand beides überdreht. Hinzukommt, dass ich auch auf kein RPG a la Fallout warte. Die hatten ihre Zeit und die ist nun vorbei. Einzig: Ist sie das wirklich? Ich entnehme Deiner Rezension jedenfalls zahlreiche frische, coole Ideen, die dann auch noch gekonnt implementiert worden zu scheinen (allen voran der Mondmann, aber auch ein endlich mal frisches, tiefes, schlüssiges Perksystem). Mit jedem Absatz bis zum dritten Viertel deines Berichts entwickelte sich Neutralität zu Neugier, zu aktivem Interesse und letztlich zu Begeisterung! Ich kenne Deinen Anspruch an das NPC Figurenverhalten und v.a. ob die Umwelt in sich schlüssig auf den Spieler…


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Jörg Luibl
Jörg Luibl
vor 3 Tagen
Antwort an

Wobei ich im spielhistorischen Rückblick von Morrowind -- > Oblivion ---> Skyrim tatsächlich eine Abwärtstendenz sehe. Bethesda hat quasi den wichtigsten Trend des Genres verpasst. Ich meine, ich bin in DoubleXP darauf eingegangen. Aber das erläuter ich später mal.;) Fallout 4 sehe ich ähnlich, aber großer Widerspruch: Da konnten sie durchaus Gefährten! Nick Valentine? Klasse geschrieben, ganz neue Facetten für einen Synth als Noir-Detektiv, blieb mir bis heute in Erinnerung. Auf den lass ich nix kommen!;)

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themistios
themistios
vor 4 Tagen

Super, vielen Dank! :-) Hab auf die Rezension gewartet und weil ich mit Teil 1 nie wirklich warm geworden bin war ich Skeptisch. New Vegas war mit einer der Besten Fallout, finde ich, aber auch sehr "für sich". Genau das hab ich gehofft (und auch wieder nicht, weil ich nicht mehr hoffen mag) für die Monate am Ende de Lichts und bevor es dann wieder "besser" wird :-)


Kurz: Reifer, vielfältiger, schöner, besserer Shooter, komplexeres Rollenspiel, Immersive Sim... alles die Punkte, die mich am Vorgänger gestört haben sind besser und das ist sogar besser als gehofft!


Falls ich das nun nicht richtig verstanden, bitte nicht korrigieren :-)


Auch wenn Pillars Of Eternity (oder so :-) gut war und der Nachfolger…

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Jörg Luibl
Jörg Luibl
vor 4 Tagen
Antwort an

Ja, das ist Obsidians Fallout Space Vegas - der erste Teil war das in Ansätzen, dieser hier ist es in Gänze. Hat er gut gemacht, der Brandon Adler.;)

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Sehr schön, freu mich drauf. :)


Bzgl. kein Respec, muss ich aber sagen, dass mir das in meinem zweiten Run samt DLC des Erstlings durchaus den Hintern für meinen Charakter gerettet hat. Dort musste man ja auch schon ordentlich planen und sich an eine begrenzte Auswahl an Skills halten, um überhaupt eine Chance zu haben, diese zu maximieren. Gerade nach hinten raus, fand ich aber perfekt passende Ausrüstung, die meine Werte ergänzt hat. Nur wären diese Punkte ohne Respec völlig verschwendet gewesen, weil ich den Wert schon (fast) auf max hatte. Da ich ich sowas im Voraus nicht wissen kann, ärgert es mich dann.

Gibt es hier auch wieder Ausrüstung mit Werte-Boni? Wie sieht es da mit den Begleitern aus?…


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Jörg Luibl
Jörg Luibl
vor 4 Tagen
Antwort an

Ich bin da als Rollenspieler vielleicht fehlerverständlicher. Wer gibt meinem Commander das Recht auf Perfektionierung im ersten Run? So läuft weder Science-Fiction noch das Leben!;) Die Ausrüstung und die Begleiter geben keine direkten Boni für die zwölf Fertigkeiten. Aber Erstere wirkt sich auf vieles über den reinen Schaden hinaus aus (Immunitäten, Energieaufbau, Lautstärke, Begleiterfähigkeiten etc.) und sind durch Mods so anpassbar, dass man seinen Charakter zusammen mit den Vorteilen sehr gut spezialisieren kann. Ich denke, du wirst sehr viel Spaß auf Arcadia haben, wenn du vegas in so guter Erinnerung hast.

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IEP
IEP
vor 4 Tagen

Das klingt doch schon mal super. Ich denke irgendwann lege ich mir den Teil zu. Teil 1 fand ich auch gut, auch wenn ich fast alles davon wieder vergessen habe. Überragend war er nicht. Aber der Stil und die Atmosphäre haben mir gut gefallen - wenn das im zweiten Teil von ähnlicher Qualität ist, bin ich dabei. Auch, dass die Dialoge noch mehr Freiheit und Diplomatie bieten überzeugt mich zumindest von deiner Einschätzung her

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Jörg Luibl
Jörg Luibl
vor 4 Tagen
Antwort an

Ich finde die Atmosphäre besser, zwischen Humor und Tragödie vielfältiger.;)

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