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AutorenbildJörg Luibl

Traveller: Das erste Science-Fiction-Rollenspiel

In den kommenden Wochen und Monaten wird es immer wieder um Dungeons&Dragons gehen. Für die Geschichte der Rollenspiele ist dieses Werk von Gary Gygax (1938-2008) natürlich entscheidend, zumal es im Jahr 1974 genau an der Schnittstelle zwischen der Ära der Großcomputer und jener der Heimcomputer erschien. Diese Gleichzeitigkeit zweier komplett gegensätzlicher Hobbys, die plötzlich fusionierten, sorgte quasi für einen kulturhistorischen Urknall, aus dem die vielen Welten der Computer-Rollenspiele entstehen konnten.


Dass gerade die Fantasy, also das Alte und Sagenhafte von DND, Orthanc und Mines of Moria bis Ultima und Wizardry auf diesen Hightech-Maschinen dominieren sollte, lag auch an der unheimlich starken Nachwirkung von The Lord of the Rings (1954) sowie den literarischen Nachfolgern. Die Science-Fiction war zwar in den 60er und 70ern nicht weniger beliebt: Isaac Asimov lebte schon mit Robotern, Philip K. Dick ließ Androiden träumen und immerhin lief Star Trek seit 1966 in Amerika als TV-Serie; nicht zu vergessen die Pulp-Magazine.


Doch von Space Marines oder Cyberpunk, von Raumschiffen und Weltraumepen für Rollenspieler war bis Mitte der 70er noch nichts zu sehen. Es gab einfach kein kommerzielles Spielsystem, das man als Vorlage für ein digitales Abenteuer hätte nutzen können. Aber das sollte sich tatsächlich in dem Jahr ändern, als Star Wars in den Kinos anlief: Denn 1977 erschien mit Traveller von Marc W. Miller das erste futuristische Pen&Paper-Rollenspiel.


Traveller, Pen&Paper-Rollenspiel, Box und sieben Bücher, Bild von Marshall Stax, Wikipedia.

Es war jedoch nicht von George Lucas' Film inspiriert, sondern von zahlreichen, heute vergessenen SciFi-Kurzgeschichten der 60er, darunter Space Viking, Dumarest of Terra oder Dorsai. Miller war nicht nur passionierter Leser, sondern auch Spieler: Er hatte schon 1973 den Verlag Game Designers Workshop (GDW) mit Freunden gegründet und war Autor von Wargames wie der Europa Series, die Schlachten im Zweiten Weltkrieg simulierten.


Doch Traveller war 1977 ein ganz anderes Kaliber und steckte voller kreativer Ideen: Miller konzipierte zusammen mit Frank Chadwick, John Harshman und Loren Wiseman ein 6. Jahrtausend inkl. Krieg, Wirtschaft und Politik. Zur Zeit des so genannten Dritten Imperiums, einem interstellaren Feudalreich, konnte man endlich seine eigene Space Opera mit Freunden erleben. Zwar wird das Reich von Menschen beherrscht, aber man kann diverse Alienvölker und Roboter treffen bzw. spielen. Außerdem gibt es überall Ruinen einer uralten, extrem fortschrittlichen Zivilisation.


Interessant ist auch, dass man seinen Charakter nach bestimmten Entscheidungen im Leben erstellt, woraufhin die sechs Grundwerte wie Stärke, Intelligenz oder Bildung sowie dessen Fähigkeiten, darunter auch Telekinese & Co beruhen. Danach geht es nicht in erster Linie darum, diese Werte à la D&D zu verbessern oder im Level aufzusteigen, sondern nach Entdeckungen und Erfolgen, Geld, Titeln und Macht zu streben. Dazu gehörten auch Raumschiffkämpfe sowie Bodenmissionen samt Reisen und Handel zwischen den Sternensystemen.


Das Regelwerk für die Weltraumgefechte war so anspruchsvoll, dass man bald unterstützende Software entwickelte. Aber es sollte über ein Jahrzehnt dauern, bis die ersten Rollenspiele für Amiga, Atari ST und PC erschienen: MegaTraveller 1: The Zhodani Conspiracy (1990) und MegaTraveller 2: Quest for the Ancients (1991) wurden von Paragon Software entwickelt und sogar komplett ins Deutsche übersetzt. Allerdings schwankten die Kritiken, wobei die Fans der Vorlage meist sehr angetan waren von der Komplexität der Videospiele, die hinsichtlich der fein verwobenen Fähigkeiten und Talente selbst Wizardry: Bane of the Cosmic Forge (1990) übertrafen.



Weitere digitale Spiele gab es nicht, aber die Pen&Paper-Welt wurde in den Folgejahren bis 2016 stets erweitert, für d20-Systeme sowie GURPS portiert, hat zahlreiche Awards eingeheimst, dem Album der Metal-Band Slough Feg im Jahr 2003 seinen Namen verliehen, und gilt bis heute als eines der besten futuristischen Pen&Paper-Rollenspiele. Seit den 90er Jahren gibt es eigene Kurzgeschichten; die letzte, Agent of the Imperium, hat Miller im Jahr 2015 selbst beigetragen.


Traveller leitete also 1977 endlich die Symbiose zwischen Science-Fiction und Rollenspielen ein, aus der noch viele tolle Abenteuer entstehen sollten. Star Trek folgte als Pen&Paper übrigens kurz darauf 1978. Star Wars brauchte allerdings noch ein Jahrzehnt: Erst 1987 konnt man mit Stift und Papier einen Jedi spielen.


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3 comentarios


Labrador Nelson
Labrador Nelson
31 mar 2023

Toll. Das war mir gänzlich neu. Danke für die schöne Aufarbeitung!

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Sven
Sven
29 mar 2023

Interessanter Artikel. Mir sagte Traveller gar nichts und SciFi Pen & Paper Rollenspiele nahmen in meinem jugendlichen Freundeskreis nur eine Nische ein. Habe diesen Artikel dennoch gerne gelesen. Bin gespannt wie es in Deiner Reihe zu den Einflüssen heutiger Rollenspiele weitergeht.

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Qugart
Qugart
29 mar 2023

Die kleinen schwarzen Büchlein sind mir früher auch al in die Hände gefallen.

War mir damals aber viel zu kompliziert. Und zu englisch. Die scheinen aber heute noch eine kleine aber standhafte Fanbase zu haben.

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