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Zwei Jahre Spielvertiefung: Langsame Fahrt voraus

Seit zwei Jahren gibt es Spielvertiefung. Zwar habe ich schon Ende Oktober kleine Artikel veröffentlicht, über Schiffskatzen und neue Türme. Aber offiziell ging es ab 1. November 2021 mit der Erkundung über C64, Amiga & Cracker sowie den Abos über Steady los. Es war und ist ein redaktionelles Experiment, bei dem ich nach über zwanzig Jahren im Reichweiten-Journalismus von alten Gewohnheiten loslassen und eine Alternative anbieten möchte.


Etwas maritim und historisch inspiriert, vielleicht wie eine gemütliche Schiffsreise, mit dem Blick in die Ferne, auf sonst kaum erwähnte Kleinigkeiten, so dass Verbindungen zwischen Spiel und Kultur erkennbar werden. In den ersten Rezensionen ging es um das Brettspiel Nemo's War, das Rätselspiel Bonfire Peaks und den Kampfplattformer Metroid Dread. In den Vertiefungen ging es um Jules Verne und seine Science-Fiction, um Isaac Asimov und die Psychohistorie sowie die historische Carta Marina, die immer noch den Hintergrund dieser Seite ziert.


Casino Blankenberge, Belgien, Henri Meunier 1896, gemeinfrei.

Für manche sieht Spielvertiefung aus wie ein Anachronismus, wie ein amateurhafter Blog aus der Mottenkiste. Und sie haben Recht. Die Webseite hat ihre Fehler, ihre Macken und ich würde sie gerne flott machen. Nur hilft es ja nix: Ich hab aktuell nicht die Mittel, um zu investieren. Aber ich habe das beste Krakenlogo der Welt und wenn der Seedrache irgendwann mal in einem tiefseeblauen Redesign erwacht, wenn er irgendwann mal alles schnell und sauber anfeuert, dann...tja, dann...


Ich wollte ja anno 2021 in gewisser Weise altmodischer, langsamer und thematisch breiter anfangen, ohne den üblichen Zielgruppenfokus. Der ist wirtschaftlich erfolgreicher, weil er gebündeltes Interesse anzieht und immer subversiver, immer intelligenter aktuelles Kaufverhalten verarbeitet. Das, was man Influencern mit ihren Produktplatzierungen oder Werbekooperationen vorwirft, war viele Jahre zuvor längst bei allen großen Verlagen der Spielewelt etabliert - dass Erstere jetzt relevanter sind als Letztere, dass sie vom Marketinggeld der Publisher profitieren, ist sogar ehrlicher.


Aber wie will man zwischen all den Social-Media-Stars und Mega-Reichweiten als freier Journalist überleben? Vor allem, wenn man nicht von Auftrag zu Auftrag für wenig Geld malochen, sondern aus freiem Antrieb über Spielkultur schreiben möchte? Das war und ist schwieriger als gedacht. Denn egal was man sich vornimmt, begibt man sich letztlich in diese eine digitale Welt, in dieselbe Infokalypse, die jeden Tag wie ein Wasserfall in so Ohren betäubender Lautstärke durch das Smartphone rauscht, dass die eigene Aufmerksamkeit in zig vertikale Brocken zerschreddert wird.


Wie will man da einen stilleren Kurs halten, egal ob als Konsument oder Produzent? Was in der Masse nicht lang genug und an den richtigen Stellen künstlich aufgeschäumt wird, geht unter. Der Mensch folgt auch im digitalen Zeitalter seinem Herden- und Sammelinstinkt. Also soll man seine Infotropfen verstärken, vernetzen, verschönern und verteilen, damit sie irgendwie auffallen. Aber es wird gerade für Journalisten, die sich mit Spielkultur im weitesten Sinne beschäftigen, immer schwieriger, überhaupt wahrgenommen zu werden - egal, wie gut sie sich sozial mitteilen.


Denn selbst wenn man alles richtig und visuell drei Klassen professioneller macht, selbst wenn man on top inhaltlich sehr gute und überaus kreative Arbeit leistet, wie etwa das Online-Magazin Wasted, das 2021 als Nachfolgeprojekt der WASD fast zeitgleich mit Spielvertiefung startete, oder das Printmagazin Gain, das 2019 immerhin den German Design Award gewinnen und über viele Ausgaben tolle Artikel anbieten konnte, kann man schlicht und ergreifend im Gleichschritt des Reichweiten-Journalismus untergehen. Die Masse ist auf die ersten drei Ergebnisse von Google konditioniert.


Und in dieser digitalen Realität herrschen die heiligen Gesetze der schnell konsumierbaren Aktualität sowie der ständig angepassten Algorithmen. Speziell in der Welt der Videospiele sorgen sie seit Jahren für fast psychotische Kollektiv-Veröffentlichungen, wenn weltweit um 10 Uhr gefühlt 1000 Rezensionen mit 10/10 zu Starfield online gehen. Auch Spielvertiefung hat durch prominente Spiele wie Elden Ring, The Legend of Zelda oder Baldur's Gate 3 ordentlich Wind in die Segel bekommen. Aber dieses Magazin ist in der Regel viel langsamer und im Wettbewerb gar nicht relevant.


Mir wurde damals bei der Konzeption von einigen Leuten geraten, ich solle auf Spielvertiefung "radikal werten" und die Kritik an der Spielepresse ausweiten, die ich in meiner Zeit als Chefredakteur an ein, zwei Stellen ausgeübt hatte. In einigen Podcasts und bei Rocketbeans war sie vielleicht hörbar, auch mal bei Twitter lesbar. Dort merke ich regelmäßig, dass das Negative und Aufgeschäumte tatsächlich öfter kommentiert wird, dass Bad News immer auch Good News sind - besonders für den Follower fixierten Verkünder.


Also warum nicht mal eine Breitseite auf die so genannte Spielebranche? Warum nicht gegen all die Clickbait-Artikel und Bullshitnews, gegen die externe Beeinflussung durch Promi-Influencer, die hemmungslose Selbstbereicherung der CEOs, die fremdgesteuerte Berichterstattung servicedevoter Verlage schießen? Vielleicht, weil man schon an diesen Fragen erkennt, wie polemisch es in diesem wilden Strom mit all seinen Fronten zugehen kann - und manchmal muss. Noch wichtiger sind die investigativ ermittelten Fakten, auch über Kontakte hinter den Kulissen.


Nur geht es für mich nicht mehr darum, ob ich mit- oder dagegen schwimme, denn ich habe diesen Fluss mit Spielvertiefung bewusst verlassen. Ich suche etwas anderes. Denn es sind die ruhigen Momente der Recherche, die mir besondere Freude bereiten: Wenn meine Langsamkeit aus alter Gewohnheit fast für ein schlechtes Gewissen sorgt, oder wenn ich das Kulturelle gegenüber dem Kontroversen, das fast Vergessene gegenüber dem vielfach Gesuchten bevorzuge - weil es mich fasziniert. Natürlich klappt das nicht immer, außerdem interessieren mich prominente Spiele viel zu sehr, als dass ich sie ignorieren oder gar die Lust an der Kritik verlieren könnte. Man denke an die Rezensionen zu Hogwarts Legacy oder The Callisto Protocol.


Aber ohne die Freude an der Arbeit, die Freude an der Entdeckung von Zusammenhängen, wäre das Pensum für mich gar nicht zu bewältigen. Was ich vor allem in den letzten Jahren als Chefredakteur vermisst hatte, war auch eine Art von gemeinschaftlicher Atmosphäre zwischen Spielern. Vielleicht gelingt es mir ab und zu, eine Art informative Gemütlichkeit anzubieten, sowohl mit klassischen Formaten als auch kleinen Zeitreisen. Ich bilde mir jedenfalls ein, dass hier nach zwei Jahren durchaus eine interessante Alternative für Freunde des Spiels entstanden ist.


Es bleibt eine langsame, aber hoffentlich unterhaltsame Fahrt ins Ungewisse. In diesem dritten Jahr mit der ersten Steuernachzahlung sowie den Vorauszahlungen wird sich zeigen, inwiefern ich das finanziell bewältigen kann. Ich blicke einfach optimistisch in die Zukunft und bedanke mich ganz herzlich bei den derzeit 777 Unterstützern, auch für alle guten Wünsche in den schwierigen letzten Tagen.


Ich wünsche lange Spielzeit und angenehme Bosse


Jörg Luibl

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