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Senet: Mit dem Spiel ins Jenseits

Aktualisiert: 3. Aug.

Kürzlich sprach ich im Podcast mit Prof. Dr. Jens Junge über den langen Weg der Ludologie von ihren Anfängen bis zur Anerkennung als Spielwissenschaft. Allerdings ging es dort eher um den persönlichen Werdegang und die 80er-Jahre, als die ersten Printmagazine hierzulande populär wurden und Brett- sowie Videospiele noch so einige Kulturkämpfe vor sich hatten. Mittlerweile wurde die Deutsche Gesellschaft für Spielwissenschaft gegründet, an der unterschiedliche akademische Perspektiven der Game Studies beteiligt sind.


Die Geschichte des Spiels, und womöglich auch jene seiner Erforschung, reicht ja tausende Jahre zurück, bis in die Antike und Jungsteinzeit - wer sich für die Anfänge interessiert, findet in "Spiele der Menscheit: 5000 Jahre Kulturgeschichte der Gesellschaftsspiele", herausgegeben von Ulrich Schädler, eine tolle Übersicht inkl. Illustrationen. Vor allem die Ägypter entwickelten bis heute bekannte Brettspiele wie Mehen, das Zwanzig-Felder- und das 30-Felder-Spiel namens Senet. Mit Letzterem, das übersetzt so viel wie "Passage" oder "Übergang" bedeutet, beschäftigten sie sich über viele Jahrhunderte so intensiv, dass man sie vielleicht als frühe Ludologen bezeichnen kann.


Das Brettspiel Senet in einer Malerei der Grabkammer von Königin Nefertari (gest. 1255 v.Chr.), gemeinfrei.
Das Brettspiel Senet in einer Malerei der Grabkammer von Königin Nefertari (gest. 1255 v.Chr.), gemeinfrei.

Aber zunächst ein grober Überblick der Senet-Regeln: Für zwei Spieler geht es darum, als Erster mit allen Figuren die Zielzone über das Brett hinaus zu erreichen. Nach einem Wurf mit dem Zählknochen (W6 gab es noch nicht) durfte man eine Figur über das drei mal zehn Felder große Raster bewegen, wobei manche einen Vorteil wie Extrawürfe, andere einen Nachteil bringen. Eine wichtige Taktik: den Gegner mit zwei eigenen Figuren blockieren. Das erinnert entfernt an Backgammon oder Mensch-ärgere-dich-nicht und Varianten davon werden bis heute im Nahen Osten von Damaskus bis Kairo gespielt.


Das kulturhistorisch Spannende ist, dass die alten Ägypter dieses Spiel seit ihrer ersten Dynastie (3100-2900 v.Chr.) immer wieder modifizierten und sogar in eine Solovariante mit religiöser Bedeutung verwandelten. So entwickelte sich um das zunächst wohl nur zum Zeitvertreib gespielte Senet irgendwann im Neuen Reich (1550-1070 v.Chr.) eine Lehre über den Spaß hinaus. Das Spiel symbolisierte eine kultische Reise zum ewigen Leben und folgte den Riten aus dem ägyptischen Totenbuch. Damit begegnet mir nach Death Stranding 2 erneut die Jenseitsvorstellung der Ägypter - mehr dazu in der Vertiefung.


Senet-Spiel aus dem Grab von Tutanchamun (1332 bis 1323 v.Chr.), The Egyptian Museum Kairo.
Senet-Spiel aus dem Grab von Tutanchamun (1332 bis 1323 v.Chr.), The Egyptian Museum Kairo.

Sie hat es ja in etwas vereinfachter Variante in das Videospiel von Hideo Kojima geschafft, denn Körper und Seele, das Ha und Ka, spielen dort eine große Rolle in der Story - obwohl es in der ägyptischen Mythologie mit Ka, Ba und Ach eigentlich drei Seelenaspekte mit komplexen Wechselwirkungen gibt. Auf jeden Fall verlässt ein Teil der Seele den Körper, lebt weiter und kann mit ihm wiedervereint werden, wobei die Ägypter an eine Reise mit Prüfungen durch das Reich der Toten glaubten.


Dort würde man den Sonnengott Ra auf seinem Schiff begleiten und mit ihm durch die zwölf Regionen der Unterwelt fahren, die quasi jede Stunde der Nacht symbolisierten. Auf dieser Reise konnte man bestraft oder belohnt werden, so dass die Vereinigung der wandernden Seele mit dem toten Körper, der dort als Mumie wartet, alles andere als sicher war. Aber sobald das Totengericht ein positives Zeugnis ausstellt und der Tag anbricht, würde man mit dem Sonnengott in die Götterwelt ziehen können - quasi so wie mit seinen Figuren über das irdische Spielbrett hinaus.


Mit der Entwicklung der Jenseitsvorstellung und der Bestattungsriten veränderte sich auch Senet. Das erkennt man nicht auf Anhieb an einer Grabbeigabe des Spiels wie bei Tutanchamun (1332 bis 1323 v.Chr.), aber auf Wandmalereien mit Königin Nefertari (gest. 1255 v.Chr.) ist z.B. nur noch ein Spieler am Brett zu sehen. Und mittlerweile wurden auch Inschriften und Texte dazu untersucht, wie etwa vom Ägyptologen Peter Piccione, der der Bedeutung von Senet nachspürte und in seinem Aufsatz "In Search of the Meaning of Senet" zusammenfasste.


Man erlebt quasi eine Unterweltsimulation mit allen wichtigen Riten und Gottheiten. Auf dem ersten Feld begrüßt einen z.B. der ibisköpfige Thoth, der laut Überlieferung die Ankunft des Verstorbenen im Gerichtsaal verkündet, während woanders ein Frosch wartet, das Symbol der Auferstehung. Dort bekam man einen Extrazug, während man im Haus des Netzes, wo Sünder gefoltert wurden, einen verlor. Allerdings war das nur eine Solo-Variante; in einer anderen ist man z.B. ein Toter, der gegen die eigene Seele kämpft.


Senet, moderne Variante, Rombol Denkspiele.
Senet, moderne Variante, Rombol Denkspiele.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf all die unterschiedlichen mythologischen Bezüge sowie Regelvarianten einzugehen, daher empfehle ich eine moderne Brettspiel-Variante von Senet - oder ihr bastelt diesen Klassiker einfach selbst. Und wer es digital mag, findet entweder auf Steam eine recht ansehnliche Variante für PC von 2022 oder kann spartanischer im Browser über Tabletopia & Co spielen. Abschließend das ins Deutsche übersetzte Fazit von Piccione:


"Als Geschicklichkeitsspiel war Senet zweifellos spannend. Aber als rituelles Spiel muss es den alten Ägyptern große Sicherheit gegeben haben, das Leben nach dem Tod nachzuspielen und zu erraten und zu wissen, dass sie nach dem Tod immer noch mit Ra im Himmel leben könnten, egal welche Sünden sie im Leben begangen hatten. Vielleicht war es sogar unnötig, das rituelle Spiel durchzuführen. Das Spielbrett selbst hatte möglicherweise eine so große amulettische Bedeutung, dass es ausreichte, eines davon in das Grab zu legen, um ein glückliches Leben nach dem Tod mit Ra zu gewährleisten."


Falls euch das Thema Brettspiele und Geschichte interesssiert, hier eine Auswahl weiterer Berichte dazu auf Spielvertiefung:






Ich heiße Jörg Luibl, bin freier Journalist und biete mit Spielvertiefung seit November 2021 ein unabhängiges Magazin an, in dem die Kultur und nicht der Klick relevant ist. Ich arbeite alleine und verzichte komplett auf Werbung, Kooperationen sowie über KI erstellte Inhalte. Diese Alternative zum Reichweiten-Journalismus ist nur dank der Unterstützer über Steady möglich.

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