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Was ist Zen-Gaming? Das ist eindeutig...

Kürzlich fragte mich jemand, was Dorfromantik eigentlich für ein Spiel sei. Und ich antwortete: Zen-Gaming für Landschaftsarchitekten. Damit war ich allerdings nicht aus dem Schneider, denn die nächste Frage lautete: Und was ist bitte Zen-Gaming? Tja, auch dafür gibt es auf Spielvertiefung diese Erkundungen. Nicht die aktuelle Nachricht, sondern der aktuelle Gedanke soll wenn möglich im Vordergrund stehen.


Ist Dorfromantik ein Puzzler oder Zen-Gaming oder beides? PC, eigene Aufnahme.?

Benutzt ihr den Begriff überhaupt? Ist es für euch ein Genre? Es gibt ja keine klare Definition für diese junge Wortneuschöpfung, die nach der Jahrtausendwende aufkam. Meist sind Spiele zum Entspannen gemeint, aber das ist natürlich ein weites Feld: Die einen entspannen mit Tetris oder beim Landwirtschaftssimulator, die anderen mit Animal Crossing oder in Ghost of Tsushima. Selbst in einem Shooter kann man letztlich relaxen; sogar in Elden Ring.


Zen Gaming meint vielleicht eine speziellere Art von Spiel, bei der weder der Wettbewerb mit anderen im Vordergrund steht noch jener gegen das Spielsystem. Dann ginge es nicht in erster Linie darum, seine Fähigkeiten zu beweisen, um etwas zu besiegen oder zu gewinnen. Was wiederum bedeuten würde, dass neben klassischer Action, Sport und Strategie auch das Rollenspiel oder das Adventure gar nicht in diese Kategorie passen würden. Selbst ein gemütlicher Puzzler wie Dorfromantik bietet Ziele, ein Game Over und eine Rangliste...


FlOw, PS3, offizieller Screenshot.

Aber wenn man diesen strengen Maßstab ansetzen würde, dürfte Zen-Gaming letztlich nicht mehr als ein Bildschirmschoner sein. Moment: Im Ansatz könnte es sogar verwandt mit ihm sein, denn auch dort entspannt das Zusehen nicht nur den Bildschirm! Natürlich muss zwingend Interaktion dabei sein - sonst wäre es ja kein Spiel. Die Hand-Auge-Koordination müsste zumindest minimal gefordert sein. Oder kommt man der Definition näher, wenn man das Spiel nicht von außen, sondern von innen betrachtet? Was löst es aus?


Hier kommt man der Definition zumindest spielhistorisch näher, denn kein anderer Entwickler wird mit dem Zen-Gaming so direkt verbunden wie Thatgamecompany. Ich stieß zum ersten Mal in flOw (2006) auf das Wort "Zen" - damals noch ohne "Gaming": Für das Spiel gab es auf der PlayStation 3 eine gleichnamige Trophäe, die man nur dann bekam, wenn man beim Abspann den Controller für eine halbe Stunde (!) beiseite legte - also nichts weiter tat als zuzusehen.


Japanischer Zen-Meister Kodo Sawaki (1920), gemeinfrei.

Das Wort Zen alleine lässt sich natürlich definieren: Es ist eine Variante des Buddhismus, in der man sich über Meditation in den Augenblick vertieft. Man erlebt nur das Hier und Jetzt, still und leise, ohne Ablenkung - man soll zur Ruhe kommen, weg von der Fülle an alltäglichen Eindrücken. Diese Philosophie hat vor allem in Japan von der Tee-Zeremonie über Kampfkünste bis zur Gartengestaltung auf unterschiedliche Art geprägt.


Überall ist dabei nicht nur das innere Empfinden, sondern auch die Ästhetik relevant, also das Äußere. FlOw inszeniert Action aus der Draufsicht, bei der man kleine Kreaturen per Sixaxis-Controller bewegt, die immer tiefer in eine Ursuppe vordringen, sich dabei entwickeln und auch taktisch kämpfen müssen. Diesem Spiel konnte ich eine gewisse meditative Wirkung nicht absprechen, zu der auch seine Schlichtheit der Farben und Formen beitrug. Es wurde übrigens mit 14 anderen Spielen im Museum of Modern Art in New York ausgestellt - das war eine große Ehre.


Diese Reduzierung auf das Wesentliche war allerdings auch der Tatsache geschuldet, dass Jenova Chen, der an der Universität von Shanghai und später in Kalifornien studierte, damit seine Abschlussarbeit ablieferte. Erst als der chinesische Creative Director sich dort mit Kellee Santiago zusammentat und Thatgamecompany gründete, wurde daraus ein kommerzielles Spiel - ähnlich wie später bei Dear Esther (2012) gibt es hier also akademische Wurzeln. Das wäre auch nochmal ein Thema, aber ich schweife ab...


Worauf ich mit dem Auslösen als Defintionsfrage hinaus wollte: Für Chen bestand das Ziel als Creative Director darin, dass seine Spiele im Idealfall eine emotionale Reaktion auslösen. Und zwar eine, die über Angst und Anspannung hinaus geht - also über all das, was sonst in den Charts dominierte. Es ging ihm also gar nicht um eine spezielle Mechanik oder ein Genre, sondern um eine bestimmte Wirkung.


Flower, PS3, offizieller Screenshot.

Das wurde drei Jahre nach FlOw mit dem Nachfolger im Geiste Flower (2009) deutlich. Dort spielte man auf PlayStation 3 quasi den Traum einer Blüte und jagte begleitet vom Wind durch Wiesen, um diese erblühen zu lassen. Man konnte durch geschickte Manöver, das Lösen simpler Rätsel und vor allem das Sammeln und Bestäuben immer mehr Leben in die Welt bringen - und sich dabei auch mit Tempo in einen gewissen Farbenrausch spielen.


Dieses Spiel sorgte tatsächlich für ein anderes Gefühl beim Spielen, bei dem das Schöne und der Fluss im Vordergrund standen. Und hier findet sich auch die Wurzel der Wortneuschöpfung: Sonys PR hat 2009 im Kontext von Flower zum ersten Mal "Zen Gaming" als ein Genre auserkoren - sicher auch, weil es gut klingt und man sich neue Käufer abseits der klassischen Zocker versprach. Trotzdem war es mehr als eine Worthülse, denn man traf damit einen Zeitgeist, der sich abseits des Mainstreams nach digitaler Unterhaltung sehnte.


Es waren sehr wichtige Jahre für die Independent-Szene: Auch auf dem PC gab es längst eine Tendenz innerhalb der Entwickler, in der die Reduzierung auf das Wesentliche und das Erleben wichtiger schienen als die Kulisse und Interaktion - Spiele wie Seiklus (2003) oder Knytt (2006) könnte man vielleicht nennen. Auf der PlayStation 3 gab es mit Katamari Damaci (2004), ICO (2006), Pixeljunk Eden (2008), Echochrome (2008) oder Shadow of the Colossus (2011) weitere Impulse - wenn auch mit anderen Schwerpunkten.


Journey, PS3, offizieller Screenshot.

Aber Thatgamecompany selbst sollte 2012 ein Meistwerk veröffentlichen, das für mich der Inbegriff des Zen Gaming ist: Journey. In diesem Spiel gehen das Äußere und das Innere eine faszinierende Symbiose ein. Und was hat es ausgelöst? Das ist natürlich ein Weilchen her. Ich habe jedenfalls gestaunt - tja, auch so eine Floskel. Das war eine urtümliche Freude über diese zauberhafte Ästhetik. Dann gesellten sich über die Erzählung unterschiedliche Gefühle von Melancholie bis Ehrfurcht hinzu.


Es war ja nicht nur eine geheimnisvolle, sondern auch eine gefährliche Wildnis. Aber im Unterschied zu Shadow of the Colossus fühlte sich dieses Abenteuer selbst im schlimmsten Sturm oder fast versunken im Tiefschnee auf seine Art schön und entspannend an. Ohne Nerven aufreibende Kämpfe konnte man die Kulisse intensiver genießen. Hier gab es noch weniger Ballast und hier war nicht die Quest, sondern eindeutig der nächste Schritt das Ziel.


Also fast so wie in Dorfromantik, wenn man entspannt ein Teil nach dem anderen legt und sich am Vogelgezwitscher oder Segelbooten in der Landschaft erfreut! Ähm, aber auch nur fast...


Ich stelle fest: Ich kann Zen-Gaming nicht klar fassen. Ich würde gerne eine Definition anbieten, aber ich habe keine gefunden.


Vielleicht liegt die Wahrheit doch zwischen Elden Ring und Tetris: irgendwo im Kopf jedes einzelnen Spielers.

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