Wer eine Axt namens Hirnfresser führt und im Kampf so ausflippen kann, dass Muskeln verkrampfen und der ganze Körper mutiert, der kann es vermutlich auch mit Göttern aufnehmen. Zwar kann Kratos ebenfalls ganz schön sauer werden, aber gegen den Furor dieses irischen Helden verblasst selbst der Spartaner. Dieser Sláine MacRoth gehört eher in die Kategorie von Guts aus Berserk - sowohl hinsichtlich seiner Rage als auch als Meisterwerk der Comic-Kunst.
Brachiale Bilderwelten
Als ich Anfang der 90er das erste Mal in einem Comicladen durch seine Abenteuer blätterte, war ich komplett verblüfft. Diese brachialen Bilderwelten und der markante Stil übertrafen alles, was ich hinsichtlich des Figuren- und Farbdesigns von meinen Comics kannte. Zwar ging der von Frank Frazetta dargestellte Conan in eine ähnliche Richtung, erreichte aber nicht diese mythisch bizarre Ausdruckskraft.
Also stand ich da, versank im ersten Teil namens The Horned God und kaufte die englische Version. Ich weiß noch genau wie der Inhaber meinte, das sei schon etwas speziell und nicht jedermanns Sache, aber dass die Saga in Großbritannien bei 2000 AD bereits gefeiert wird. In meiner Sammlung befanden sich zwar einige thematisch verwandte Comics wie der erwähnte Conan, Thorgal oder Beowulf. Aber das hier war auf der künstlerischen Ebene etwas ganz anderes.
Übersinnliche Vielfalt
Das war nicht edel, dezent und gediegen, nicht fein und akkurat, sondern so üppig auf Papier gewalzte und gesprühte Zeichenmalerei, als hätte jemand Stifte, Pinsel und Farben mit einem höllischen Grinsen von einer Harley aus geschwungen. Ich übertreibe an dieser Stelle natürlich maßlos, aber Bisley ist ja tatsächlich bis heute leidenschaftlicher Bilker. Und das Übertreiben gehört bekanntlich genauso zur keltischen Natur wie ein Faible für das Übersinnliche.
Denn auch das Fantasievolle sowie Feinsinnige, das man ja mit der Anderwelt verbindet, findet sich in Bisleys opulentem Stil. Gerade diese Vielfalt, die sich in teils verwunschenen Bildern und idyllischen Szenen zeigt, sorgt für den wichtigen Kontrapunkt zu der Gewaltorgie, die zwischen Muskelsträngen und Dämonenfratzen explodieren kann. Auf der Nebelinsel dieser Comic-Saga kann man also viel Schönheit finden, teilweise so filigran ineinander verschlungen wie in der überlieferten Kunst der Kelten.
Humorvolles Epos
Die Art und Weise, wie Bisley seine Charaktere und deren Körper zeichnete, unterschied sich jedenfalls deutlich von damaligen Standards bei Marvel, Splitter & Co. Das Bizarre und Expressionistische machte jede Seite zu einem Fest für die Sinne. Manche Szenen schienen im Dunst zu verschwimmen, andere im Kampf zu explodieren. Zumal auch die Farben in ihrem dahin gespritzten oder gesprühten Chaos mit dazu beitrugen, dass man sich manchmal wie in einer wild wuchernden Collage fühlte.
Allerdings darf man den Humor nicht vergessen, denn das ist trotz fliegender Köpfe keine ernste Einbahnstraße. Die Stimmung kann zwischen heroischem Pathos und Parodie schwanken. Allzu protziges Gehabe wird durch Witz ganz schnell wieder eingefangen, allen voran durch die sarkastischen bis obszönen Kommentare des Begleiters Ukko. Der Zwerg agiert quasi wie ein Hofnarr des Kriegers und ist zugleich der Erzähler der Saga, der dafür sorgt, dass einem das Epos immer wieder sympathisch zuzwinkert und man über diesen Krieger lachen kann. Ukko würde sich sicher gut mit Tyrion Lannister verstehen.
Von Lobo bis Judge Dredd
Seinen ersten Auftritt hatte Sláine, der als Charakter von Pat Mills und der Künstlerin Angela Kincaid entworfen wurde, schon 1983. Er wurde zunächst von ihr sowie wechselnden Zeichnern wie Massimo Belardinelli oder Mike McMahon zum Leben erweckt. Zum Meisterwerk wurde die Saga für mich aber tatsächlich erst, als Bisley von 1989 bis 1990 die Trilogie namens The Horned God illustrierte, die 1996 das erste Mal auf Deutsch bei Feest Comics erschien; damals allerdings mit einem viel schwächeren Cover als im britischen Original.
Simon Bisley war schon bekannt für seine A.B.C. Warriors und für sein spektakuläres Redesign des Antihelden Lobo für DC Comics. In diesem rebellischen Wolverine-Verschnitt mit den wilden schwarzen Haaren steckte sogar schon einiges von Sláine. Auch in Amerika kam sein Stil richtig gut an. Aber erst mit The Horned God wurde er zur weltweit gefeierten Ikone der Comic-Welt, ausgezeichnet mit dem Eagle und Eisner Award als bester Künstler. Auch Judge Dredd sollte von ihm frische Impulse bekommen.
Auf den Spuren des Hundekriegers
Und gleichzeitig, das darf man nicht vergessen, gab es eine wunderbare Geschichte von Pat Mills im Stile der Sword & Sorcery, die sich wie eine moderne Variante von Robert E. Howards Conan las. Sie entführte in die schon erwähnte Sagenwelt der Kelten, in das Land der ewigen Jugen namens Tír na nÒg, das angeblich im Westen Irlands liegt. Die eingangs beschriebenen Wellenkrämpfe gehen z.B. zurück auf den Inselhelden sowie Halbgott Cú Chulainn (Hund des Culann), der sich in der Schlacht in ein Monster verwandeln und in einen Blutrausch namens ríastrad geraten konnte, was übersetzt so viel wie Akt des Verdrehens bedeutet.
Es steckte also einiges an Recherche in dieser Saga, von der keltischen Schriftsprache Ogham bis zur dargestellten Ausrüstung der Krieger. So lernte ich zum ersten Mal einige Geschichten und Motive aus der Táin Bó Cúailnge kennen, von denen die Comics teilweise inspiriert sind. Sie wird ja von einigen als keltische Ilias bezeichnet, behandelt den Ulster-Zyklus und führt zurück in ein heroisches Zeitalter Irlands, als das Volk der Túatha Dé Danann eine Vielzahl an Wesen und Göttern verehrte und von mythischen Kreaturen wie den elbenhaften Síde, den monströsen Fomoren sowie Drachen erzählt wurde.
Sláine ist z.B. ein Anhänger der Erdgöttin Danu, die übrigens auch in unserer Donau steckt. Die Geschichte dreht sich darum, dass er als Ausgestoßener seines Stammes mit seinem Begleiter Ukko umher zieht, Abenteuer erlebt, Monster besiegt und manchmal Frauen befreit. Allerdings gehört dazu auch eine namens Medb, die sich eigentlich freiwillig dem Gott Crom Cruach opfern wollte und alles andere als eine Prinzessin in Nöten ist. Sie ist ebensowenig amüsiert über diesen anmaßenden Helden wie ihr dämonischer Meister Lord Feg. Und so entwickelt sich eine üble Rache.
Collage keltischer Mythen
Es gibt innerhalb der kompletten Saga, die ja erzählerisch weit über The Horned God hinaus geht, so einige historische Charaktere. Darunter z.B. Königin Boudicca, die im 1. Jahrhundert gegen die Römer kämpfte, der später zum Heiligen ernannte Patrick, der irgendwann im 5. Jahrhundert als Missionar unterwegs war, oder der schottische Rebell William Wallace aus dem 13. Jahrhundert. Egal ob Angelsachsen oder Wikinger, König Artus oder Robin Hood - hier ist nahezu alles dabei, was jemals auf der Insel war oder gewesen sein sollte.
Anhand dieser klaffenden Lücken in der Zeitspanne, der namhaften Prominenz sowie walisischer und schottischer Bezüge erkennt man schon, dass Pat Mills so einiges in einer Art britischen Universalcollage vermischte. Nicht immer funktionierte das erzählerisch so gut wie in The Horned God, in der es in erster Linie um die alten irischen Mythen ging. Daher gehört diese Trilogie für mich zu den großen Meisterwerken der Comic-Kunst, die ab sofort in meiner Schatzkiste neben Berserk zu finden ist.
Anlässlich des 35-jährigen Jubiläums wurde kürzlich eine Sonderedition von Sláine: The Horned God bei 2000 AD auf Englisch veröffentlicht, die auf dem Cover oben zu sehen ist. Auf Deutsch empfehle ich die seit 2017 mit Sláine 1 – Morgendämmerung erscheinende, chronologisch werktreu sortierte Reihe vom Dantes Verlag; dort ist Sláine 6 - Der Gehörnte Gott im Jahr 2019 für 39,99 Euro als Hardcover erschienen.
Ich hab mal vor einiger Zeit in eine Leseprobe vom Dantes Verlag reingelesen. Da gab es mal ein Heft im Rahmen vom Comic-Tag, der immer im Mai stattfindet. Die Übersetzung fand ich aber nicht so gut. Die Sprache war teilweise sehr "vulgär", wenn ich das richtig erinnere. Oder ist das im Original auch so?
Schöne Rezension. Nur mal so zum Verständnis: ist der deutsche Band 6 identisch mit der Jubiläumsausgabe 2024 auf Englisch?