Breitseite #18: Sechs Spiele, sechs Kritiken
- Jörg Luibl
- 26. März
- 14 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Apr.
Herzlich willkommen zur Breitseite. Das ist ein Format, mit dem ich all das anvisieren möchte, was es vermutlich nicht in eine ausführliche Rezension schafft. Das liegt manchmal an der Qualität, aber meist an der fehlenden Zeit. Hier gibt es also nur Kurzkritiken zu Spielen, die zwar in mein Beuteschema passen, aber die ich vielleicht nicht länger als drei Stunden gezockt habe.
Ich weiß nicht, ob ich mit diesen frühen Einschätzungen den Kern treffe, aber bisher haben mich nur wenige Spiele nachträglich faszinieren können, die nicht in dieser Phase des Einstiegs überzeugen konnten. Um die Spannung ein wenig zu erhöhen und eine Gewichtung anzubieten, werde ich mich jeweils vom schwächsten bis zum stärksten Eindruck hochschießen.
Eigentlich hatte ich Civilization VII für PlayStation 5 aufgrund der regelmäßigen Abstürze (siehe Forum) mit einem mangelhaft in dieser Breitseite versenken wollen, aber da kürzlich Patches für Konsolen kamen und nach dem ersten Anspielen alles ein wenig flüssiger läuft, gebe ich ihm nochmal eine Chance.
Diesmal dabei, hier noch in alphabetischer Reihenfolge: Atomfall, Knights in Tight Spaces, Shadowveil: Legend of the Five Rings, The Darkest Files, Tower of Mask und X-Out: Resurfaced.
Okay, denn man tau und Feuer frei - hier kommt die Breitseite:
Wer Roguelikes, Deckbuilding und Rundentaktik in engen Arealen mag, in denen man seine Manöver clever kombinieren muss, könnte hier auf seine kombinatorischen Kosten kommen. Das Spiel wurde von Ground Shelter aus Bristol entwickelt, die damit an die coole Agenten-Klopperei Fights in Tight Spaces (2020) anknüpfen. Allerdings geht es diesmal in ein Fantasy-Mittelalter samt Party.
Zunächst sind nur die drei Klassen Brawler, Fighter und Rogue wählbar, die über unterschiedliche Standard-Aktionen verfügen. Allerdings sind diese nicht dauerhaft verfügbar, denn pro Spielrunde wird alles über die zufällig gezogenen Handkarten ausgelöst - von der Bewegung bis zum Angriff. Man kämpft zunächst alleine in Unterzahl und schaltet erst im Laufe der Story weitere Gefährten frei. Falls man spezielle Ziele wie ein maximales Rundenlimit bis zum Sieg erfüllt, erhält man mehr Gold oder Boni.
Man kann Feinde in den kleinen Rastern so umgehen oder zur Seite bewegen, dass sie sich gegenseitig treffen. Oder sie mit einem Stoß bzw. Tritt über Abgründe stoßen, so dass sie sofort sterben. Man kann sie mit Wänden kollidieren lassen, für eine Runde ausknocken, vergiften, seinen Block stärken oder ausweichen, während auch die Feinde immer gefährlicher agieren. Und bald kommen Attacken gegen Skelette & Co hinzu. Die Auswahl ist enorm, denn es gibt über 300 Karten.
Die Gefechte werden dank Motion Capturing ansehnlich animiert und gehen sehr flott von der Hand. Man spielt erst alle eigenen Karten in beliebiger Reihenfolge aus, während man sieht, wer wann und wo angreifen wird. Man kann Feinde auch dazu reizen, ihre Attacke sofort auszulösen. Ganz beliebig geht das alles nicht, denn bessere Karten kosten Energie: Man muss auf sein Momentum sowie den Aufbau von Kombos achten, damit man möglichst effizient austeilt, zumal immer mehr Feinde von oben in die hübsch gezeichneten Tavernen, Ställe und Gebäude fallen, bis man die komplette Welle oder den Boss besiegt hat.
Es gibt mehrere Schwierigkeitsgrade, einen Endlessmodus und tägliche Herausforderungen. Ich hab mich auf die Story-Kampagne mit ihren Dialogentscheidungen sowie der Routenwahl auf einer Karte konzentriert - falls man stirbt, heißt es auf der normalen Stufe Game Over, aber es gibt auch verzeihlichere Modi. Man kann seine Ausrüstung mit Waffen, Tränken & Co verbessern und natürlich permanent sein Deck ausbauen. Allerdings kann die recht steril erzählte Geschichte in den ersten Stunden nicht fesseln, obwohl sie Entscheidungen wie in einem Abenteuer-Spielbuch anbietet. Und dem Taktieren ging irgendwann die Luft aus, weil das Freischalten neuer Karten und Charaktere nicht besonders motivierend war. Knights in Tight Spaces ist für ein, zwei Gefechte okay, konnte mich solide unterhalten, aber erreicht nicht die Anziehungskraft des guten Metal Slug Tactics (Breitseite#16) oder gar des ausgezeichneten Into the Breach (Rezension).
X-Out: Resurfaced (PC, PS4/5, XBS, SW)
Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich tatsächlich mal was von Michael Krosta (zum Podcast) in einem Videospiel höre. Es gibt zwar weder Dialoge noch singt er, aber wer unter Wasser genau hinhört (im Shop und Level 3!), kann neben neu komponierten Synthesizer-Stücken von Chris Hülsbeck einigen seiner Tracks lauschen. Falls man denn dazu die Muße hat, denn es knallt und zischt an allen Ecken und Enden zwischen toll beleuchteten Sprites.
Man muss sein U-Boot verflixt präzise durch die blubbernd explosive Tiefe navigieren. Und zwar von links nach rechts bei optionalem Dauerfeuer, so wie es sich in einem klassischen Shoot'em Up gehört. Das ist hier wörtlich zu verstehen, denn es handelt sich um das Remake von X-Out, das ich bereits 1990 sehr gerne auf dem Amiga gezockt habe. Es kam von der deutschen Firma Rainbow Arts und gehörte zu den wenigen Spielen, die ich mir von meinem Taschengeld gekauft hatte.
Die Entwickler hatten sich zwar ordentlich von R-Type und Alien inspirieren lassen, denn vom Cover bis zu den Bossen erinnerte so einiges an die Monster von H.R. Giger. Aber es gab auch innovative Ideen wie etwa den Shop zum Ausrüsten, der für dieses Comeback modernisiert wurde. Und das horizontale Ballern fühlt sich immer noch anders an als im japanischen Vorbild: Es gibt eine Lebensanzeige anstatt Extraleben, die mit jeder Kollision und jedem Treffer etwas abnimmt, bevor man explodiert - und von vorne anfangen muss.
Das klingt zwar verzeihlicher als in anderen Shoot'em Ups mit sofortigem tödlichen Treffer, aber sobald man im Slalom durch die Tiefsee navigiert, muss man höllisch aufpassen. Schon wer den ersten Boss besiegen will, sollte alle Feindmanöver auswendig lernen. In der klaustrophobischen Enge kollidiert man schnell mit spitzen Riffen und der Anspruch könnte so manchen Freund von freien oder modernen Twinstick-Shootern frustrieren. Aber keine Bange: Es gibt wie anno dazumal diverse Cheats, so dass man z.B. seine Finanzen aufstocken kann.
Im Laufe des Spiels kann man sein U-Boot mit diversen Streuschüssen, Schallwellen, Ziel suchenden Raketen und rotierenden Satelliten ausrüsten, deren Bahnen man bestimmen kann. Weil man die nicht einfach nacheinander freischaltet, sondern frei erwerben und an den Seiten des Schiffes montieren kann, entsteht taktische Grübelei. Man kann auch in eine kleine Flotte investieren und weitere der vier Schiffstypen kaufen. Und mit der Entwicklung sinkt auch der Schwierigkeitsgrad.
Verantwortlich für die Modernisierungen und Zusätze, darunter ein lokaler Koop-Modus für zwei Spieler, ist Kritzelkratz 3000 aus Würzburg. Herausgegeben wird das Remake von Ziggurat und ININ Games für knapp 20 Euro. Ich hab es auf der PS5 gespielt und wurde solide unterhalten.
In der von Magic: The Gathering (zum Podcast) dominierten Welt der Sammelkarten gibt es ein System in einer von japanischer Mythologie inspirierten Fantasywelt namens Rokugan. Da treffen Samurai auf Drachen und Bushido auf Magie. Es heißt Legend of the Five Rings (L5R), erschien erstmals 1995, wurde seitdem mehrfach ausgezeichnet und etablierte eine Franchise mit Brettspielen, Pen&Paper-Rollenspielen, Büchern sowie Comics. In meinem Brettspiel-Regal befindet sich z.B. die Duellversion für zwei Spieler von 2017.
In der von Dämonen und Monstern heimgesuchten Spielwelt geht es um große Clans wie etwa jenen der Krabbe, des Kranichs, des Phoenix oder des Skorpions. Und auf die trifft man in diesem Videospiel, das von Asmodee veröffentlicht und von Palindrome Interactive in Schweden entwickelt wird, die 2020 Immortal Realms: Vampire Wars gemacht haben, das nur "ausgeglichen" auf Steam bewertet wurde. Allerdings zeigen sie in diesem Roguelike ein etwas besseres Händchen für Taktik, Entwicklung sowie Entscheidungen, während man seine Kommandos in die Schattenlande führt.
Allerdings muss man als Anführer taktisch loslassen können: Denn man bewegt und befehligt seine Samurai, Ninja und Magier nicht manuell, sondern platziert sie lediglich in einem Hexfeldraster. Sobald man den Kampf startet, laufen sie los und greifen automatisch an. Das wird ratzfatz in ansehnlichen Animationen dargestellt, vom Katanahieb über den Bogenschuss bis zur Geisterbeschwörung. Das Artdesign ist jedenfalls gelungen und es macht Spaß, dem wilden Hauen und Stechen samt der farbenfrohen Zauber zuzuschauen, aber ich vermisse einfach mehr Kontrolle.
Man hat natürlich etwas Einfluss: Bevor man seine Krieger aufstellt sieht man, wo sich Fallen, Feinde, Hindernisse sowie Bonusfelder befinden. Man kann kleine Sackgassen ausnutzen, indem man seinen Berserker vorne postiert, dahinter die Pionierin mit dem Bogen und die Hexerin mit ihren weit reichenden Zaubern. Außerdem kann man im Vorfeld mit seinem Strategen stärkende Banner hissen und von stärkenden Nachbarschaften profitieren. Aber das klingt relevanter als es ist, denn die Runs laufen recht ähnlich ab, sind zu Beginn der Route zu leicht und münden schließlich in einen deutlich kniffligeren Boss.
Um den zu besiegen, muss man geduldig hinter der großen Mauer weitere Klassen, Entwicklungen und Fähigkeiten freischalten. Helden steigen im Rang auf und man hat die Wahl, ob man ihre allgemeinen Werte verbessert, einen Platz für Gegenstände oder Spezialfähigkeiten freischaltet. Es gibt diverse Ressourcen sowie Boni, mit denen man sich darüber hinaus spezialisieren und Wechselwirkungen aktivieren kann. Denn mit den Standardvarianten seiner Krieger kommt man nicht weit, selbst wenn man oft genug Lager aufschlägt und alle heilt.
Das Spiel beruht eben auf einem Roguelite-Prinzip und lebt von der Wiederholung bei leichten permanenten Verbesserungen. Außerdem hat man kein festes Deck, sondern findet die Aktionskarten z.B. für seinen Berserker oder seinen Scout bzw. Ninja während der Erkundung. Das ist zunächst ein wenig dröge, aber wenn man die ersten Bosse besiegt, löst sich der Knoten etwas. Zwar kann die Story nicht wirklich fesseln, aber über Haupt- und Nebenquests sowie Dialoge im Lager entsteht ein wenig Rollenspielflair. Aber das ist kein Vergleich zur Anziehungskraft von Wartales (Rezension) oder King Arthur Knight's Tale (Breitseite#4), zumal es nach Release noch einige ärgerliche Bugs gibt. Das Artdesign ist hier letztlich cooler als die Spielmechanik. Unterm Strich konnte mich das Spiel nur solide unterhalten.
Atomfall (PC, PS4/5, XBS)
Wenn Videospieler heutzutage Rebellion hören, denken sie vermutlich zuerst an Sniper Elite. Das ist die populärste Reihe der britischen Traditions-Entwickler, die schon Anfang der 90er für den Amiga und Atari Jaguar aktiv waren. Was vielleicht weniger Leute wissen ist, dass sie seit über 20 Jahren das Kultmagazin 2000 AD Comics herausbringen, bei dem Serien wie Judge Dread, Sláine (Vertiefung) oder Rogue Trooper populär wurden. Außerdem besitzen sie seit 2019 die Rechte an den Spielen der Bitmap Brothers, also an Klassikern wie Xenon, Cadaver, Speedball, Gods oder The Chaos Engine. Warum erzähle ich das, bevor ich auf Atomfall eingehe?
Weil das Team um Jason Kingsley da abseits der scharfen Geschosse zwei kostbare Kulturschätze hütet und ich ihnen alles Gute damit wünsche. Nicht alles, was sie in der Vergangenheit so einkauften oder modernisierten wurde zu Gold und man musste sich mitunter Sorgen machen. Auch das für knapp 50 Euro auf PC und Konsolen veröffentlichte Atomfall wird keine Jubelstürme auslösen, aber dürfte als kreative Alternative zu all den überfrachteten offenen Welten einige Freunde finden. Zumal es sich trotz einiger geborgter Routinen nicht an Sniper Elite, sondern am freieren Prinzip der Immersive Sim orientiert, also an Spielen wie System Shock, Deus Ex & Co, die Shooter, Rollenspiel und Adventure vermischten.
Zwar überheben sie sich dabei, was Story, KI und Quests angeht, aber Atomfall hat durchaus das Potenzial für den Auftakt einer neuen Reihe und passt wunderbar zu diesem Studio. Denn zum einen spielt dieses Action-Rollenspiel im Großbritannien der Nachkriegszeit, und zwar in Windscale im Nordwesten an der irischen See. Dort kam es im Jahr 1957 zu einem schwerwiegenden nuklearen Zwischenfall mit einem dreitägigen Brand rund um das Kraftwerk, in dem Atombomben gebaut wurden. Diese historischen Ereignisse bilden das Fundament für kurzweilige Survival-Action aus der Egosicht, die im Vorfeld als britisches Fallout bezeichnet wurde.
Das verspricht inhaltlich zu viel, aber gerade in den ersten Stunden passt es durchaus auf die spezielle Atmosphäre. Denn neben der schroffen Landschaft begegnet man zum einen dem starken Akzent aus Cumberland, der an das Schottische erinnert. Und hinzu kommt der typische Humor, der dem Spiel trotz Schrotflinte und Nagelkeule in your face eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Wenn man in einem Bunker erwacht, fühlt man sich ein wenig wie in einem Spiel der 90er, hat nicht mal eine Waffe und weiß nicht, was geschehen ist. Man hört nur etwas von einer Quarantänezone, aus der man fliehen soll. Aber wie?
Es weht also etwas detektivisches sowie Rollenspielflair mit Dialogoptionen. Man kann entscheiden, ob man einem Verwundeten in Gasmaske hilft oder nicht, ob man fremden Leuten traut oder nicht - und daraus ergeben sich Konsequenzen sowie Hinweise auf einen Fluchtweg, wobei es angenehm mysteriös bleibt. Am Horizont sieht man das von schillernden Wolken umgebene Atomkraftwerk und fühlt sich wie beim nuklearen Zauberer von Oz. Und als hätte Monty Python seine Finger im Spiel dieser Apokalypse, klingelt es mitten in der Pampa in einem knallroten Telefonhäuschen. Als man abnimmt, faselt eine seltsame Stimme wirres Zeug. Und ein alter Kauz warnt einen ein paar Meter weiter vor all den Verrückten und Bekloppten da draußen. Kaum schaut man sich etwas in den verlassenen Häusern um, begegnet man Warnhinweisen, Leichen und Stolperdraht mit Explosionsfallen.
Also ist man froh, wenn man endlich eine Schrotflinte mit etwas Munition und eine kleine Axt findet, während man die zerklüftete Bergregion samt ihrer Siedlungen erkundet. Sie wirkt wie eine offene Welt, aber ist wesentlich kompakter designt und in Regionen mit getrennten Karten unterteilt. Die Landschaft ist von Bunkern durchlöchert, es gibt neben Dörfern auch eine Kanalisation. Und spätestens dort begegnet man Banditen, die sich wie Freaks auf einen stürzen und gnadenlos verfolgen, selbst wenn sie nicht besonders helle sind. Oft lassen sie sich vor allem an Leitern einer nach dem anderen stupide vermöbeln - was wiederum nützlich ist, denn Munition ist knapp. Atomfall hat keine gute Gegner-KI, aber ist garstiger als das klingt, denn später haben es Wachroboter und Druiden durchaus in sich.
Bei Händlern gibt es vom rostigen Ein-Schuss-Gewehr bis zum Cricketschläger (sehr empfehlenswert!) einige Auswahl, aber das ist meist alles genauso teuer und selten wie die für die Charakter-Entwicklung nötigen Trainingsstimulanzen bzw. -handbücher, die man erstmal finden muss. Dann kann man in Bereichen wie Fernkampf, Nahkampf, Survival und Kondition etwas wie "Fallen entschärfen", "Ausdauer-Training", "Tiefe Taschen" oder "Fokus" für den Bogen freischalten. Überaus nützlich ist der "Waffenschmied", denn mit dieser Fähigkeit lassen sich die rostigen Flinten und alles andere ordentlich aufmotzen. Auf jeden Fall kann man sich auf das Schleichen und das hinterhältige Töten oder eher die brachiale Offensive konzentrieren.
Im Kampf sowie der Erkundung stellt sich nach anfänglicher Neugier bald ein wenig Gewöhnung ein, aber man bleobt neugierig, weil man ständig interessante Orte oder Zusammenhänge zwischen den Fraktionen wie z.B. den Soldaten, den Druiden und der abgeschotteten Bervölkerung entdeckt. Atomfall ist kein Higlight à la Prey, so einiges wiederholt sich und es kann recht hektisch werden. Aber es ist mir mit seiner Nähe zu den Immersive Sims angenehm sympathisch, hat ein markantes Szenario und mich in den ersten Stunden solide bis gut unterhalten, so dass ich weiterspielen werde.
Tower of Mask (PC)
Falls ihr Lust auf Labyrinthe, Fallen und Rätsel im Stile von Dungeon Master oder Legend of Grimrock habt und japanischen Horror mögt, dann empfehle ich Tower of Mask. Genauso wie im Klassiker von 1984 und seiner Hommage von 2012 bewegt man sich in Echtzeit durch finstere Katakomben, während Feinde, Monster und Geister im Fackellicht umher schlurfen oder schweben. Viele von ihnen tragen skurrile Masken und bewachen die Etagen eines verfluchten Turms, dessen Geheimnisse man Schritt für Schritt aus der Egosicht ergründet, während der karierte Grundriss automatisch mitgezeichnet wird.
Zwar muss man nichts essen, aber das Inventar ist begrenzt und es geht um das Überleben in bedrohlicher Atmosphäre. Bevor man Kriegsäxte oder gar Zauberstäbe findet, beginnt man ohne Klassenwahl und spartanisch ausgerüstet, freut sich über jede bessere Waffe und muss aufmerksam in die teils hitzigen Gefechte gehen. Dort kann man schnelle leichte oder aufgeladene schwere Schläge verteilen, während man die Kamera frei bewegt und auch diagonal angreifen kann. Sobald man in Unterzahl ist, muss man ausweichen und schnell reagieren; wer einen Schild findet, kann einiges abwehren, aber Vorsicht: sie sind zerbrechlich.
Im Idealfall kann man seine Feinde auf der Flucht in Fallen locken: Es gibt klaffende Abgründe, Speere zischen aus dem Boden und Blitze jagen aus Statuen. Auch wenn überall Leichen liegen, ist das kein Hack'n Slay mit hohem Bodycount. Man wird angenehm gefordert und muss in den verwinkelten Gängen des Öfteren knobeln und seine Fackel einsetzen, um auch winzige Schalter zu erkennen. Irgendwann steigt man im Level auf und kann einige seiner sechs Werte wie Gesundheit, Stärke, Geschicklichkeit & Co verbessern - nur leider gibt es kein Magiesystem, lediglich Zauberstäbe.
Die ersten Herausforderungen sind schnell gelöst, wenn man die richtigen Schlüssel für ein Schloss finden oder einen Stein durch ein Gitter auf eine Druckplatte werfen muss, so dass sich irgendwo ein Durchgang öffnet. Aber mit der Zeit wächst der Anspruch, man muss häufiger kombinieren, es gibt Teleporter wie in Wizardry, tolle Geheimnisse und man erfährt immer mehr über den Turm. Unterwegs findet man u.a. die Notizen eines Abenteurers namens Don Manidfried der Tapfere, die manchmal Hinweise geben und zur abenteuerlich-gruseligen Stimmung beitragen, auch wenn die Story eher fragmentarisch als episch erzählt wird.
Das ist zwar ein fernöstlich inspiriertes Abenteuer ohne Elfen, Orks & Co, aber man findet in der Ausrüstung auch Elemente europäischer Fantasy - und so einige skurrile Überraschungen. Manches wirkt etwas spröde, das Menüdesign ist karg, aber einige Kleinigkeiten haben mich ganz entfernt an Kings Field und Demon's Souls erinnert. Nein, deren Sogwirkung entfaltet das Spiel über seine neun Stunden nicht, aber diese Premiere des japanischen Papertip Studios hat mir solide bis gut gefallen. Tower of Mask hat deutsche Texte und ist für knapp 10 Euro für den PC erhältlich.
The Darkest Files (PC)
Zur Kulturgeschichte der Videospiele gehört der Nazi als beliebter Archetyp des Bösen, den man von Castle Wolfenstein über Call of Duty bis Indiana Jones meist über Kimme und Korn oder mit Faust und Peitsche erledigt. Aber wie fühlt sich der Kampf an, wenn die Fronten gar nicht so klar zu erkennen und die Waffen nicht so einfach einzusetzen sind? Das Puzzle-Adventure The Darkest Files von Paintbucket Games aus Berlin entführt auf Grundlage dokumentierter Fälle in das Deutschland der Nachkriegszeit, als Nazi-Verbrecher zum Teil der Gesellschaft und nicht selten von ihr sowie Behörden geschützt wurden.
Das musste auch Fritz Bauer (1903-1968), der Generalstaatsanwalt von Hessen erfahren, der u.a. bei der Verhaftung von Adolf Eichmann mitgewirkt hat und über seine Arbeit sagte: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“ Es gehört zu den frühen Highlights von The Darkest Files, dass man diesem juristischen Vorkämpfer der jungen Bundesrepublik, der im schwedischen Exil mit dem späteren Bundeskanzler Willy Brandt zusammen arbeitete, direkt im Spiel begegnet - und zwar als Vorgesetztem, der einen im Jahr 1957 mit ernstem Blick fragt, ob man diesen Job wirklich machen will.
In der Rolle der Staatsanwältin Esther Katz gilt es alte Fälle in seinem Auftrag neu aufzurollen, Zeugen zu befragen, Beweise zu finden und die Täter vor Gericht zu bringen, wo man die Verhandlung in einem Showdown gewinnen muss. Das erinnert an Capcoms Kultserie Phoenix Wright: Ace Attorney, außerdem verwenden die Berliner ebenfalls einen Zeichentrickstil. Allerdings geht es hier Ende der 50er Jahre angesichts des Themas natürlich ernster zur Sache. Aber nicht etwa im staubtrockenen oder gar pädagogischem Stil, sondern mit überraschendem Krimi- und Abenteuerflair. Ich habe jedenfalls nicht mit dieser dichten Atmosphäre gerechnet.
Sie wird verstärkt durch die Verknüpfung der familiären Situation von Esther, deren Eltern sich angesichts ihrer Arbeit Sorgen machen und die zunächst richtig nerven können - wobei man in den meisten Dialogen mehrere Antworten geben kann, die durchaus Konsequenzen haben. Zunächst nimmt man das nicht ernst, aber bald erlebt man nicht nur als Frau die Geringschätzung einiger Männer, sondern die Meinungsmache der Boulevardpresse, die die junge Staatsanwältin diffamiert. Spätestens als der erste Drohbrief mit Hakenkreuzen ins Büro reinflattert, verstärkt sich das Unbehagen und man kann nachvollziehen, wie tapfer dieser Fritz Bauer war.
Zwar beschränkt sich die Inszenierung der Spielwelt auf das Wesentliche in gediegenen bis dunklen Farbtönen. Und es gibt lediglich Büroräume sowie begrenzte erinnerte Orte wie den Keller einer Brauerei und nicht etwa eine begehbare Stadt wie im komplett freien Detektiv-Abenteuer Shadows of Doubt. Aber während man seinen Arbeitsplatz aus der Egosicht erkundet, entsteht über direkte Anfragen der Sekretärin, plötzliches Telefonklingeln, Getratsche in der Küche, unliebsame Arbeitskollegen sowie Kleinigkeiten von der Katze im Flur bis zu den fahrenden Autos, wenn man aus dem Fenster schaut, eine gefühlte Lebendigkeit über erlebte Hektik und Konflikte im Berufsalltag.
Dafür nutzt die Regie wie in einem Comic eingeblendete Ereignisse, die einen schonmal aus der Grübelei reißen können, wenn man eine Akte studiert. Apropos: Auch die werden angenehm authentisch samt Mappe mit Aktenzeichen, vergilbtem Papier, Schreibmaschinenschrift & Co dargestellt. Und man muss sie aufmerksam lesen, um sich ein Bild zu verschaffen. Das Schöne ist, dass man dort nicht nur Lesezeichen hinterlassen, sondern Absätze oder Zeilen markieren kann. Diese direkten Bezüge sind für die Schlussfolgerungen an der Recherchewand im eigenen Büro relevant, an der man quasi die später notwendige Beweisführung vor Gericht üben kann.
Meist muss man Hinweise wie in den Akten verbinden, die z.B. einen Täter identifizieren, indem man die Tatwaffe anhand des Polizeiberichts und den Besitzer über seine Personalakte und ein Waffenregister kombiniert. Diese Recherche ist kein No-Brainer, so dass man sich vertun kann, denn die richtige Schlussfolgerung ist dabei nicht sicher und vor Gericht zweifeln die Anwälte der Beschuldigten die Widersprüche an. Das gilt auch für die Simulation des kompletten Tathergangs anhand der Blaupase eines Grundrisses, wo man in mehreren Schritten die Bewegungen sowie die Aktionen und Reaktionen der Beteiligten bis zur Tat abspielen kann.
Das hat mir ebenso gefallen wie die dynamische Befragung der Zeugen, die einen manchmal persönlich angreifen und die man während ihrer Aussagen mit etwas Zeitdruck unterbrechen kann, um sie auf Widersprüche aufmerksam zu machen. Wobei man übrigens ebenfalls "verlieren" kann, wenn man auf das Falsche hinweist. Was die investigative Recherche angeht, übertrumpft The Darkest Files sowohl Alan Wake 2 (Rezension) mit seiner FBI-Pinnwand als auch das Detektiv-Abenteuer Nobody Wants to Die (Rezension) - nur das oben erwähnte Shadows of Doubt ist mit seiner offenen Welt sowie den freien Verbindungen noch komplexer.
Wer es einfacher mag, kann auch nur den Story-Modus spielen, aber ich empfehle dringend die normale Stufe, denn auch dort bekommt man z.B. vor Gericht mehrere Chancen und man wird am Ende eines Falls in verschiedenen Bereichen von der Untersuchung vor Ort über die Befragung bis zur Verhandlung samt Maximalpunktzahl bewertet. Aber noch motivierender als dieser mögliche Highscore war die dargestellte Enttäuschung der Opfer, wenn man es mal nicht geschafft hat, einen Richter zu überzeugen und ein Nazi-Verbrecher frei gesprochen wurde. Und The Darkest Files ist eines dieser Spiele, die auf unheimliche Art in die Realität zurückhallen können.
Denn parallel zu den offenen spielerischen Fragen bezüglich der Täter baut sich eine gegenwärtige Spannung auf - und zwar in doppelter Hinsicht für Esther und mich als Spieler. Wenn die über zehn Jahre zurückliegenden Nazi-Verbrechen plötzlich unangenehm laut an die Tür ihres Büros klopfen, fühlt man sich natürlich an die aktuelle Situation erinnert, in der nicht mehr die junge, sondern die gereifte Demokratie bedroht wird. Ich wünsche diesem richtig guten Adventure jedenfalls viel Erfolg, vor allem unter jungen Spielern.
PS: Damit die Diskussion an einer Stelle gebündelt wird, kann man nicht hier, sondern nur im Forum unter Kommentare zu Berichten kommentieren.
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